N e u n z e h n t e r G e s a n g. |
D i e S i m o n i s t e n. |
Inhalt. |
Im dritten Thalgrunde werden die Verkäufer und Erkäufer von Kirchenämtern bestraft; die erstern sind gewissermaßen die Kuppler und die letztern die Verführer (siehe Gesang 18) im geistlichen Sinne: denn die Kirche betrachtet Dante als ein Weib, mit der jeder Kirchendiener eine rechtmäßige Ehe einzugehen habe, und so scheinen sich denn die Simonisten an die Kuppler und Verführer im ersten Thalgrunde einigermaßen anzuschließen. In diesem dritten Thalgrunde angelangt, der vielleicht nicht unabsichtlich hier ein Grab genannt wird, stößt der prophetisch eifernde Dichter zuerst in die Weltgerichtsposaune (V. 5), - die dereinst alle hören sollen, die in den Gräbern schlafen (H. 6, 94-99); - sieht er doch in der Habsucht der Menschen das Grundübel der Welt im Allgemeinen, und in der Habsucht der Priester das seiner Zeit ins besondere (H. 7, 18. u. Anm., vergl. mit V. 104): denn freilich "wenn das Salz dumm wird, womit soll man salzen?" Diese Simonisten haben das Himmlische in das Irdische herabgezogen, indem sie die Gabe Gottes mit Gold erkaufen wollten (Apostelgesch. 8, 20) und überhaupt das Oberste zu unterst gekehrt, indem sie, statt "eine Stadt auf dem Berge zu sein (Matth. 5, 14)" sich unter die zu ihnen emporblickenden Laien stellten, und "aus süß sauer machend" die Guten in den Staub traten und die Schlechten emporhoben (V. 105): darum stehen sie nun mit dem Kopf in der Erde und strecken die Beine in die Höhe, und die durch bischöfliche Handauflegung mitgetheilte Salbung des heiligen Geistes, der sich in zertheilten Feuerzungen auf die Apostel setzte (Apostelgesch. 2, 3-4), gleitet in leckenden Flammen, wie auf einer gesalbten Fläche, auf den nackten Fußsohlen dieser durch und durch Verkehrten hin und her, die beim Eintritt in das Amt der Kirche, da der Heilige Israels wohnet, (191) die Schuhe, d. i. ihren gemeinen Weltsinn, nicht ausziehen wollten nach dem Exempel Mosis, den der Herr im feurigen Busche aus einen gemeinen Hirten zum Hirten seines Volkes, so zu sagen, ordinirte (2. Buch Moses 3). Die Dichter überschreiten die über den dritten Thalgrund quer hinwegführende Felsenbrücke, und zum vierten Felsendamm gelangt, trägt Virgil den Dante hinunter, um mit dem Papst Nicolaus III. zu sprechen, auf dessen Sohlen billiger Weise röthere Flammen lecken, da er, der Hohepriester, ein größeres Maaß des Geistes empfangen hat. Nicolaus hält den nahenden Dante für seinen Nachfolger Bonifazius VIII. und fragt mit der Hast eines, der sich in die noch unerwartete Erfüllung eines Lieblingswunsches nicht finden kann, zweimal hinter einander, ob das Unglaubliche wahr sei, denn, wie Nicolaus nachher auseinander setzt, sinkt er zu seinen Vorgängern in der Simonie, in die Erde hinab, sobald Bonifazius, sein Nachfolger in derselben, erscheint, und obgleich der Aufenthalt da unten qualvoller sein mag, so ist die Herbeiwünschung desselben, abgesehen davon, daß der Schadenfrohe mit mehr Genossen der Pein lieber mehr, als mit wenigern weniger leiden will, schon in sofern psychologisch wahr, als jeder interimistische Zustand für den Menschen unerträglich ist. Dante, der auf Virgil's Eingebung den Nicolaus durch zweimalige Verneinung der zweimaligen Frage verspottet, erfährt auch, daß Bonifazius hinwiederum nach kurzer Zeit von Clemens V., seinem noch schlimmern Nachfolger in der Simonie, werde abgelöst werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieses Warten der Päbste aufeinander vor der völligen Versinkung in die Erde auf die Sitte anspielt, den verstorbenen Pabst nicht eher förmlich beizusetzen, bis der Nachfolger ebenfalls mit Tode abgegangen. Jedenfalls scheint der Umstand, daß einer den andern überdeckt, den guten Sinn einzuschließen, daß jeder Nachfolger in der Simonie seinem Vorgänger gewissermaßen zum Sündendeckel wird (V. 84), indem das einmal eingerissene Böse Lavinenmäßig anwächst, so daß die geringen Anfänge gegen den ins Ungeheure laufenden Fort- und Ausgang, wie mathematische Punkte, verschwinden. Nachdem Dante dem gottlosen Pabste eine nur von der Achtung vor dem Papstthume gezügelte Strafrede gehalten, trägt Virgil, der mit beistimmender Miene zugehört, das liebe Kind wieder hinauf und setzt es auf der Höhe der folgenden Felsenbrücke mit väterlicher Vorsicht nieder. |
F a d e n. |
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1. |
Einleitende Strafrede an die Simonisten. | |
7. |
Eintritt in den dritten Thalgrund. | |
13. |
Beschreibung der Strafe der Simonisten. | |
31. |
Gütiges Anerbieten Virgil's, den Dante hinabzutragen. | |
46. |
Zwiegespräch des Dante und Nicolaus III. | |
88. |
Dante's prophetischeifernde Standrede. | |
124. |
Virgil's Geschäftigkeit, den Dante wieder hinaufzutragen. |
XIX. |
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1 | O Simon Zaubrer, du und dein Gelichter, |
Das Gottes Gabe, die als Braut verpfändet 01 | |
Der Tugend ist, - o die raubgier'gen Wichter! - | |
4 | Für Gold und Silber ehebrech'risch schändet; |
Nun auch von euch soll die Posaun' erschallen, 02 | |
Dieweil man euch zum dritten Sack gesendet. | |
7 | Wir waren in des nächsten Grabes Hallen, |
Aus jenem Theil des Felsens, wo die Blicke | |
Grad' in die Mitte lothrecht niederfallen. | |
10 | Allweisheit, welche Kunst in jedem Stücke, 03 |
Im Himmel, auf der Erd' und in der Hölle, | |
Und wie gerecht vertheilst du die Geschicke! | |
13 | Wie auf dem Boden, so am Hang der Wälle, |
Sah' ich das graue Felsgestein voll Löcher | |
Von gleicher Breit', und rund war jede Stelle. | |
16 | Sie schienen mir nicht stärker und nicht schwächer, |
Als die in meinem schönen St. Johanne 04 | |
Zum Stand bestimmt sind für den Taufbundsprecher: 05 | |
19 | Davon ich eins vor einer kurzen Spanne |
Um Einen, der erstickte, schnell zerstörte; | |
Das sei mein Siegel, das den Irrthum banne! | |
22 | Aus jedes Loches Mündung aber kehrte |
Ein Sünder bis zur Wade Füß' und Beine, | |
Und drinnen stak der Rest, und Feuer zehrte | |
25 | An jedes beiden Sohlen, und ich meine, |
Es würden Wied' und Seil nicht lange sitzen, | |
So zappelten die Glieder im Vereine. | |
28 | Wie bei gesalbten Dingen wohl ein Blitzen |
Sich an der äußern Fläch' entlang verbreitet, | |
So von den Fersen lief es zu den Spitzen. | |
31 | "Wer ist", so frug ich, "der sich abarbeitet, |
Mehr zappelnd, als die übrigen Genossen? | |
Die Flamm' ist röther, die dort leckend gleitet." - | |
34 | "Ich trage dich, wenn du nur nicht verdrossen, |
Zu ihm hinunter, wo es minder schwer ist, | |
Von ihm wird Nam' und Schuld dir dann erschlossen." | |
37 | So er, und ich: "Wie was du meinst, mir hehr ist! |
Du bist mein Herr, weißt, deinen Willen theil' ich, | |
Und weißt auch, was mein heimliches Begehr ist. | |
40 | Und zu dem vierten Damm bereits enteil' ich; |
Dann links gewandt, geht es hinab zum Schlunde, | |
Der eng ist und durchlöchert. Aber freilich | |
43 | Mein guter Meister ließ mich auf dem Grunde |
Von seiner Hüft' erst vor des Sünders Höhle, | |
Der mit den Beinen schrie, statt mit dem Munde. | |
46 | "Wer du auch bist, du jammervolle Seele, |
Den Kopf zu unterst, pfahlgleich Eingezwängter", | |
Rief ich ihn an, "wenn's möglich ist, erzähle!" | |
49 | Ich stand, dem Mönch gleich, dem ein ganz durchränkter |
Raubmörder beichtet, der ihn rief, bewogen 06 | |
Von Lebenslust, als ein schon Eingesenkter. | |
52 | "Kommst du schon an, kommst du schon angezogen, |
O Bonifaz?" so hub er an zu schreien, | |
"Um Jahre har die Handschrift dann gelogen. 07 | |
55 | Bist du schon satt, des Schatzes dich zu freuen, |
Drob du dem schönen Weibe nachzujagen 08 | |
Dich nicht entblödet, um es zu kasteien?" | |
58 | Ich ward wie die, die sich vergebens plagen, |
Der Antwort Sinn zu fassen. An der Stelle | |
Stehn sie verschämt und wissen nichts zu sagen. | |
61 | Da sprach Virgil: "Sag' ihm in aller Schnelle: |
Ich bin nicht der, ich bin nicht der Vermeinte!" | |
Ich that, wie mich geheißen mein Geselle. | |
64 | Die Füße renkt' er, wie ich so verneinte. |
"Was willst du nun?" so frug er, "was bericht' ich?" | |
Und dabei seufzt' er, und die Stimme weinte. | |
67 | "Wenn, wer ich bin, zu wissen dir so wichtig, |
Daß dich des Ufers steiler Hang nicht schreckte: | |
Ich trug den großen Mantel, wiss', und richtig | |
70 | Hieß ich der Bärinn Sohn; denn ich bezweckte 09 |
Mit solchem Trieb der Bärlein Vorwärtskommen, 10 | |
Daß ich dort Geld, hier in den Sack mich steckte. 11 | |
73 | Die vor mir Geld gegeben und genommen, |
Sind unter meinen Kopf hinabgeflüchtet; | |
Da in dem Felsspalt liegen sie beklommen. | |
76 | Und da hinunter werd' ich auch geschichtet, |
Wenn der, auf den ich rieth, nun wird erscheinen, | |
Drob ich die schnelle Frag' an dich gerichtet. | |
79 | 'S ist länger schon, daß sich die Sohlen bräunen, |
Daß umgestülpt ich steh', als den Gefährten | |
Sie einst aufpflanzen mit den rothen Beinen. 12 | |
82 | Denn nach ihm kommt, mit schnöderem Geberden, 13 |
Ein Hirt aus Westen, ein Gesetzverschmäher; | |
Der muß zum Deckel ihm und mir dann werden. | |
85 | Ein Jason aus dem Buch der Maccabäer, |
Dem sich sein König so geschmeidig zeigte, - | |
Und Frankreichs Herrscher ist fürwahr nicht zäher." | |
88 | War ich zu keck? Ich weiß es nicht. Ich reichte |
Die Antwort ihm in solchen Taktes Schwingung: | |
"Ei sag' mir, ein wie großer Schatz denn däuchte | |
91 | Dem Herrn genug, daß für die Ansichbringung |
Des Schlüsselamts der heil'ge Petrus spende? | |
Mir nach! das war die einzige Bedingung. 14 | |
94 | Nicht Gold und Silber legt' in Petrus Hände |
Und in der Andern, der das Amt erlooste, | |
Das eingebüßt Der mit dem bösen Ende. 15 | |
97 | Drum bleib' nur da, die Straf ist recht zum Troste! |
Halt' fest die Münze, dran die Sünden kleben, | |
Die gegen Carl dich ohne Scheu erboste! 16 | |
100 | Und ließe mich, ganz wie ich bin, mich geben |
Die Ehrfurcht vor den Schlüsseln, vor den hohen, | |
Die du geführt hast in dem heitern Leben, | |
103 | So würd' ich dir mit härterm Wort noch drohen. |
Krank muß die Welt durch eure Habsucht werden: | |
Die Edeln stürzt ihr; hebt empor die Rohen. | |
106 | Euch Hirten sah Johannes bei den Heerden, |
Da er, die auf den Wassern sitzt, erschaute, | |
Als buhlend mit den Königen der Erden. | |
109 | Sie kam zur Welt mit sieben Häuptern, baute |
Auf die zehn Hörner, als noch nicht zum Spotte | |
Die Tugend hatte der ihr Angetraute. 17 | |
112 | Ihr macht ja Gold und Silber euch zum Gotte, |
Und das allein trennt euch vom Idolater: | |
Der betet Einen an, ihr eine Rotte! 18 | |
115 | O Constantin, wie großen Unheils Vater |
Wardst du, durch die Bekehrung nicht, die Schenkung, 19 | |
Die von dir nahm der erste reiche Pater." - | |
118 | Biß ihn 's Gewissen, oder war es Kränkung? 20 |
Denn wie ich solche Noten sang, erblickte | |
Ich beide Füß' in gräßlicher Verrenkung. | |
121 | Ich glaube wohl, daß es den Herrn erquickte; |
Mit so zufriedner Lippe stets dem Klange | |
Der Wahrheit folgt' er, die ich nicht erstickte. | |
124 | Mit beiden Armen hob er mich so lange, |
Bis er mich ganz an seine Brust gebogen; | |
Zurück dann klomm er auf dem alten Gange. | |
127 | Er hielt mich, nimmer matt, an sich gezogen. |
So trug er mich zum Paß vom vierten Walle | |
Zum fünften, auf des Felsens höchsten Bogen. | |
130 | Er ließ die sanfte Last mit sanftem Falle |
Nun auf den rauhen, steilen Felspfad nieder, | |
Der für die Geis selbst sauer wär'. Drauf walle | |
133 | Ich weiter fort; auf thut ein Theil sich wieder. |
Erläuterungen:
01 "Gottes Gabe" ist natürlich nicht anderes, als der heilige Geist, wie aus Apostelgesch. 8, 18-20 erhellt, der für Geld an Unwürdige, die ihn schänden, gewissermaßen verkuppelt wird. 02 Mit dem erwähnten Posaunenstoß charakterisirt Dante sein Gesicht als ein vorläufiges Weltgericht. Ob der Richter der Lebendigen und der Todten sein Urtheil in allen Stücken bestätigen werde, steht mit Recht zu bezweifeln: denn Dante richtet zwar nach demselben Gesetz, nämlich nach dem geoffenbarten Worte Gottes (Ev. Joh. 12,48), aber seine Erkenntniß dieses Gesetzes ist doch eine unvollkommene: denn Dante hat zwar nur mit notorischen Sündern seine Hölle bevölkert, aber wer weiß, um nur eins zu erwähnen, was ein Schächerseufzer, wenn auch erst in der letzten Noth, noch an diesem und jenem gethan hat. Es hat ja auch der Spruch, "daß die Heiligen die Welt richten werden", nur in Bezug auf die Zeit, da das Stückwerk aufhören wird, volle Wahrheit. Uebrigens ist es mit dem Dante'schen Weltgericht so schlimm nicht gemeint, vielleicht nicht schlimmer, als mit einer aus strengsittlichem Geiste geschriebenen Weltgeschichte. Die geschichtlichen Gestalten, die er uns in der Hölle vorführt, sind wohl mehr als plastische Sündertypen zu betrachten; wo nicht ganz, so ist doch so viel gewiß, daß unser Dichter sich keineswegs 19-193 für unfehlbar hält, und indem er die Welt richtet, sich zugleich mit richtet. Zudem ist nicht zu vergessen, daß Männer, die der Herr auf die Höhe ihrer Zeit gestellt hat, nicht mit dem gewöhnlichen Maaßstabe zu messen sind: eben weil wir nicht wissen, was für ein Amt sie von dem Herrn, dem sie stehen und fallen, auszurichten bekommen haben. Darum nur die Finger auf den Mund! 03 Kopisch bemerkt, daß das unmittelbare göttliche Einschreiten überall erwähnt werde, wo in der Hölle Flammenerscheinungen auftreten. Dieß ist in doppelter Weise irrig: einmal, weil es bei den in Feuer gehüllten, falschen Rathgebern (H. 26 und 27) nicht geschieht, und dagegen bei den nicht mit Feuer gestraften Geizigen und Verschwendern (H. 7, 19) vorkommt. 04 Dante ist in dieser schönen Taufcapelle neben der schönen Kirche Maria dei fiori zu Florenz getauft worden. Die hier erwähnten Vertiefungen befanden sich dicht am Taufstein; da hinein traten die taufenden Priester, um sich vor dem Andrang des Volkes zu schützen; denn zur Dante's Zeit wurde das Jahr nur zweimal in diesem Battisterio getauft. In eine dieser Vertiefungen soll, nach Benvenuto von Imola, einmal ein spielender Knabe gefallen sein und sich so verwickelt haben, daß Dante, als Prior, den Stein zersprengt habe, um ihn zu retten. Der Dichter benutzt die Gelegenheit, sich dieses von Vielen übel ausgelegten Verfahrens wegen zu rechtfertigen. 05 Die Löcher, darin die Kirchendiener, die des mit der Ordination verbundnen Rechtes, die sacramentlichen Handlungen zu verrichten, nicht werth sind, den Kopf zu unterst stehen, vergleicht Dante, vielleicht nicht ohne tiefere Beziehung, mit den Standplätzen, darin die Diener der Kirche zu Florenz die erste aller sacramentlichen Handlungen, die heilige Taufe, verichteten. Diese Bemerkung ist übrigens eine von denjenigen, die wir gern fallen lassen, wenn sie zu gekünstelt erscheinen sollte. Th. A. stellt auch Ordination und Taufe gegenüber, insofern die Taufe das Recht verleiht, die Sacramente zu empfangen, die Ordination aber das Recht, dieselben auszutheilen. 06 Die Meuchelmörder wurden, wie eine Senkrebe, den Kopf zu unterst, in eine Grube gesteckt (propaginati) und durch allmählige Verschüttung getödtet. Um die Marter so lang als möglich auszuschieben, riefen sie wohl den Beichtiger mitunter zurück. Daß sich Dante mit dem Beichtiger eines solchen Raubmörders vergleicht, bezieht sich wohl nicht bloß auf die ähnliche Stellung, sondern zugleich auf das ähnliche Amt, denn auch Dante hört den raubgierigen Pabst gewissermaßen Beichte, und schließt mit einer kräftigen Strafrede, denn auf solche Beichte gehört sich solche Absolution. 07 Die Handschrift ist entweder eine schriftliche Prophezeiung, oder eine kabbalistische Berechnung, oder aber die Gabe der Vorschau, vermöge welcher Nicolaus III. wußte, daß Bonifacius VIII. erst 1303 sterben würde. 08 Das schöne Weib ist die Kirche, zu deren Oberhaupt sich Bonifacius VIII. durch Bestechung machte, um sie dann durch unverschämten Nepotismus zu schänden. 09 Anspielung auf das Geschlecht Orsini (orso, Bär), aus welchem Nicolaus III. stammte. 10 Nicolaus war nach Villani der erste Pabst, an dessen Hof man zu Gunsten seiner Verwandten ungescheut Simonie trieb (Nepotismus). 11 Das Loch, in welchem er steckt, stellt ihm der Witz des bösen Gewissens als den Beutel dar, in welchen er das durch Simonie zusammengebrachte Geld steckte. 12 Nicolaus starb 1280, Bonifacius 1303; somit mußte der erstere noch 3 Jahre auf den letzteren warten und hatte bereits 20 Jahre gewartet. Clemens V., Erzbischof zu Bordeaux, Creatur Philipp's IV. von Frankreich, wie Jason des Antiochus Epiphanes von Syrien (2. Buch der Maccabäer 4, 7 - 10), starb 1307; somit hatte Bonifacius nur 4 Jahre auf ihn zu warten. Bonifacius war antighibellinisch gesinnt und Dante's persönlicher Feind, der ihm die Verbannung aus dem süßen Varterlande bereitete; Clemens V. dagegen begünstigte die Parthei, dazu Dante gehörte. Unser Dichter zeigt sich auch darin wahrhaft groß, daß er seine gottlosen Feinde, aus kleinlicher Furcht vor Mißdeutung, eben so wenig verschont, als seine gottlosen Freunde, aus natürlicher Zuneigung, und es läßt sich nicht läugnen, daß das erstere das bei weitem schwerere ist, denn bei dem letzteren ist auf eine theilweise Anerkennung von Seiten der Welt zu rechnen. Woher mag der Dichter diese über alle Rücksichten hinweghebende Kraft genommen haben? Darüber mögen unsere esprits forts nachdenken. 13 Clemens V. erlaubte Philipp IV. die Verurtheilung der Templer und die Verbannung und Beraubung der Juden. 14 Siehe Ev. Joh. 21, 19. 15 Judas, an dessen Stelle Matthias durch das Loos erwählt wurde (Apostelg. 1, 21-26). 16 Johann von Procida, der Anstifter der Sicilianischen Vesper, erkaufte sich des Papstes Genehmigung zu seinem schändlichen Anschlag wider Carl von Anjou, den persönlichen Feind des Papstes. 17 Offenb. 17. sitzt das Weib auf einem Thiere mit sieben Häuptern und zehn Hörnern; diese legt hier Dante dem Weibe selber bei. Das Weib ist in der Bibel das antichristliche Rom; hier die entartete römische Kirche. Die sieben Häupter beziehen fast alle Ausleger auf die sieben Sacramente der katholischen Kirche. Wir beziehen sie vielmehr auf die sieben Gnadengaben des heiligen Geistes, mit welchen die christliche Kirche am Pfingsttage in der That zur Welt kam, indem die Fülle der siebengestaltigen Gnade ("plenitudo gratiae septiformis") über die Apostel ausgegossen wurde (Apostelg. 2, 4 und 42). - Die zehn Hörner aber deuten wir mit der Mehrzahl der Ausleger auf die zehn Gebote, mit einem Worte auf das Gesetz, dessen allen Schaden kräftiglich abwehrende und alles Ungehörige ausscheidende Norm auch die geisterfüllte Kirche zu ihrem Fortbestehen nicht entbehren kann. Wie aber das lebendige Haupt wesentlicher ist, als das wehrhafte Horn, so ist auch der belebende Geist das Erste, und das Gesetz, daran sich der Geist bewähren soll, das Zweite in der christlichen Kirche, und beides, Geist (V. 1-4) und Gesetz (V. 83) hat der Gemahl der Kirche, der Papst, geschändet. 18 Während die Götzendiener Einen Götzen verehren, verehrt ihr allemal eine ganze Rotte (eigentlich cento): entweder, weil dem Habsüchtigen jedes Geldstück zu einem Götzen wird, oder aber, weil die Habsucht der Heerd aller Sünde ist. 19 In der geschichtlich unerwiesenen Schenkung des Constantin an den Papst Sylvester, sieht Dante den ersten Grund zur Verweltlichung der Kirche. 20 Sein böses Gewissen hatte ihn unaufgefordert zur Beichte getrieben; da sie aber nicht aufrichtig war, so ärgert ihn nun die Strafrede des Dichters, von dem er vielleicht erwartet hatte, daß er ihn gegen sich selbst in Schutz nehmen würde. Aber so ist der Mensch; sich selbst anzuklagen, kann er vielleicht über's Herz bringen; stimmt indeß ein Anderer ein, so wird er ungehalten. |