Der acht und zwanzigste Gesang. |
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Wer kann die Wunden und das Blut, die ich | |
hier sah, spräch er auch ohne Sylbenmaaß, | |
und oft davon, beschreiben? Keine Zung | |
vermags. Es fehlt der Sprach und dem Verstand | |
an Sinn, sie zu begreifen. Wenn sich auch | |
die Völker alle sammelten, die in | |
Apulien durch der Trojaner Schwerdt, | |
und in dem Kriege, wo, wie Livius | |
erzählt, an Ringen ein so reicher Schatz | |
vom Feind erbeutet ward, ihr Blut mit Schmerz | |
vergossen; käm auch noch die Menge Volks | |
hinzu, die Guiskards Waffen Widerstand | |
zu thun, bedeckt mit tiefen Wunden war; | |
und jene Menge, deren Knochen man | |
noch heut zu Tag bey Ceperan entdeckt, | |
wo ganz Apulien zum Lügner ward, 1 | |
und noch bey Tagliakozzo, wo Alard | |
durch Klugheit seines greusen Kopfs den Sieg | |
erfocht; und zeigte jeder seinen Leib, 2 | |
der hier durchlöchert, dort zerstümmelt wär, | |
so würde dieser Blick, verglichen mit | |
des neunten Kreises grassem Bild, für nichts | |
zu achten seyn. Ein Faß, an dessen Bauch | |
die Dauben ausgestoßen sind, steht nicht | |
so offen, als ich Einen, von dem Kinn | |
bis an den Hintern aufgerissen sah. | |
In seiner Beine Zwischenraum hieng das | |
Gedärm herab, und in dem Bauch ließ sich | |
das Eingeweide mit dem Mastdarm seh'n. | |
Indem ich alles an ihm auszuspähn | |
aufmerksam war, warf er den starren Blick | |
auf mich, eröfnete mit eigner Hand | |
die Brust, und sprach: Sieh! wie hier Mahumed | |
sich selbst zertrennt; wie er geborsten ist. | |
Vor mir geht Hali weinend her, getheilt | |
im Angesicht vom Kinn bis an das Haar. | |
Und jedermann, den du hier siehst, ist so | |
gespalten; weil er Kirchentrennungen, | |
und böse Zwietracht auf der obern Welt | |
gestiftet hat. Es steht hier hinter uns | |
ein Teufel, der so grausam, wie du siehst, | |
uns mit dem scharfen Schwerdt zerspaltet, und | |
in jedem diesen Greul erneuert, wenn | |
der Umkreis unsers schmerzenvollen Wegs | |
von vorn beginnt; denn eh wir wieder zu | |
ihm kehren, hat der Wunden jede sich | |
geschlossen. Aber du, da oben auf | |
dem Felsen, der du still mich angaffst, und | |
vielleicht die Strafe, die der Richter dir | |
für deiner Sünden Schuld hat zuerkannt, | |
verzögern willst, wer bist du? sag mir es! | |
Es hat ihn weder Tod hinweg gerafft, | |
noch Schuld zur Straf' hierher gebracht, gab ihm | |
Virgil zur Antwort. Mir, der todt bin, ziemt | |
es sich, ihm volle Kenntniß von der Höll | |
zu schaffen, und ihn hier von Kreis zu Kreis | |
zu führen. Dieses ist so wahr, als ich | |
itzt bey dir bin. So sprach Virgil, und mehr | |
als hundert Sünder, da sie dies Gespräch | |
vernahmen, blieben in dem Graben stehn, | |
mich anzuschauen, und vergaßen voll | |
Verwundrung, ihre Pein. Weil du denn bald | |
zum Sonnenlicht zurückkehrst, o! so sag | |
dem Mönch Dolcino, daß er sich, wenn er 3 | |
nicht bald mir folgen will, mit Proviant | |
verseh; sonst wird der Schnee ihn nöthigen, | |
den Sieg, der ihm nicht leicht entrissen wird, | |
des Novaresers dringenden Gewalt | |
zu überlassen. So sprach Mahumed, | |
indeß er einen Fuß, den er hinweg | |
zu gehen, aufgehoben, in die Höh' | |
hielt. Diesen streckt er nun zur Erd und gieng | |
davon. Ein anderer, deß Hals durchbohrt, | |
deß Nase bis zu'n Augen und ein Ohr | |
ganz abgeschnitten war, der uns zu sehn, | |
verwundrungsvoll mit andern stehen blieb, | |
that seine Gurgel auf, die blutroth war, | |
und sprach: Hör, du, den keine Schuld verdammt, | |
und den ich, wenn die große Aehnlichkeit | |
mein Aug nicht täuschet, in Italien | |
gesehn! Wenn du zur angenehmen Flur, | |
die von Vercelli sich nach Mercabo | |
herab neigt, je zurückkehrst, so entsinn | |
dich Peters Medicina, der hier mit 4 | |
dir spricht. Verkündige dem Guido, und | |
dem Angiolello, die zu Fano sich 5 | |
hervorthun, ihr Geschick. Sie sind sehr nah, | |
wofern man hier nicht falsch voraussieht, durch | |
tyrannische Verrätherey aufs Meer | |
gelockt, und bey Cattolica im Sack | |
hinein gestürzt zu werden. In dem Meer 6 | |
von Cypern bis Majorca hat Neptun | |
nie solche Bosheit von Korsaren, und | |
Argolischen Piraten ausgeübt | |
gesehen. Der Verräther, der nur sieht | |
mit einem Aug, und jene Stadt besitzt, | |
die einer, der hier bey mir ist, nie wünscht | |
gesehn zu haben, wird aus Vorwand, sich | |
mit ihnen heimlich zu besprechen, sie | |
zu sich berufen, und die Sache so | |
bestellen, daß sie vor Focara's Sturm | |
zu bethen, oder ein Gelübd zu thun, | |
entübrigt sind. Da sprach ich: Wenn du willst, | |
daß ich auf jener Welt dein Bothe sey, | |
so zeige mir den Mann, den es so schmerzt, | |
die Stadt, wovon wir sprachen, je gesehn | |
zu haben. Stracks legt' er die Hand ans Kinn | |
des nächsten Mitgefährten, und brach ihm | |
den Mund auf, schreyend: Dieser ist er selbst: | |
Er spricht kein Wort: Sonst hatt' er Kraft genug, | |
des Cäsars zweifelhaften Wankelmuth | |
zurecht zu weisen, da er ihm die Lehr | |
ertheilte, nichts wär einem Kriegesheer, | |
das zugerüstet ist, so schädlich, als | |
Verzögerung. O wie kleinmüthig schien | |
mir der ehdem so kühne Curio, 7 | |
da bey der Wurzel die beredte Zung | |
ihm abgeschnitten war. Und einer, der | |
von jedem Arm die Hand verloren, und | |
indem er beyde Stümmel aufhub, das | |
Gesicht mit Blut besudelte, schrie auf: | |
Auch sey des Mosca eingedenk. Weh ihm! 8 | |
daß er je sprach, vollbrachte That sey nur | |
des Mannes werth. Dieß war in Tuscien | |
der Saame vieler Widerwärtigkeit. | |
Und deines Stammes Tod, setzt ich hinzu. | |
Da häufte närrisch Mosca Schmerz auf Schmerz, | |
und gieng betrübt davon. Ich aber blieb | |
noch da, den Ueberrest der Schaar zu sehn. | |
Ich sah, was ich ohn weiteren Beweis | |
zu sagen fürchtete, wofern mich nicht | |
mein inneres Gewissen, jener treu- | |
gesinnte Freund, der uns durch das Gefühl | |
der Wahrheit, wie durch einen Panzer, Muth | |
einspricht, dazu ermunterte. Ich sah, | |
und glaube noch zu sehn, einen Rumpf, | |
mit andern seines gleichen, der den Kopf | |
beym Haar, wie eine Leuchte, trug. Er schaut' | |
uns an, und sprach, weh mir! Sich selbst macht' er | |
zu seiner Leuchte. Zween befanden sich | |
in einem; Einer war in zween. Wie dieß | |
zusammen paßt, das weiß' nur Gott allein. | |
Da dieser vor dem Fuß der Brücke stand, | |
hub er den Arm mit seinem Kopf hoch auf, | |
damit ich seine Worte deutlicher, | |
vernähm, und sprach: Du! der du lebend bey | |
den Todten bist, schau meine Marter an, | |
und sieh, ob eine Plage größer, als | |
die Meine ist. Damit du Nachricht von | |
mir geben könnest, so vernimm mich. Ich | |
bin Bertram, zugenannt von Bornio, 9 | |
Johann dem König gab ich bösen Rath, | |
und machte, daß der Sohn und Vater sich | |
entzweyeten. Achitopfel hat kein | |
so großes Uebel zwischen Absalon | |
und David angestiftet, als ich that. | |
Weil ich die besten Freunde so getrennt, | |
so trag ich, leider! mein Gehirn vom Stamm | |
der in dem Rumpfe steckt, getheilt. Du siehst | |
an mir ein Beyspiel des Vergeltungsrechts. |
Erläuterungen:
1 Weil die Apulier in dasigem Treffen von Manfredi zu Karl von Anjou übergiengen.
2 Hier gewann Karl von Anjou den Sieg über Conradin durch die weise Führung eines Französischen Ritters Alard.
3 Ein Apostel der Unzucht, der zu Zeiten Clemens V. sich mit einigen tausend Männern und Weibern in einem Gebürg zwischen Navarra und Vercelli fest setzte, um den Verfolgungen auszuweichen, und aller Weiber Gemeinschaft zu genießen, aber durch den eingefallenen hohen Schnee, und aus Mangel der Lebensmittel gezwungen wurde, sich den Novaresern zu ergeben, und hingerichtet wurde.
4 Er war von Medicina aus dem Bolognesischen, und stiftete viele Uneinigkeit zu Bologna.
5 Guido van Cassero und Angiolello von Cagnano, zween der besten Bürger zu Fano.
6 Malatesta lud sie freundschaftlich ein, nach Rimini zu kommen, und ließ sie aus dem Schiff, worauf sie kamen, ins Meer stürzen.
7 Er überredete den Cäsar, wider den Befehl der Republik den Fluß Rubicon zu paßiren. Tolle moras, sagte er, nocuit semper differre paratis.
8 Mosca, ein Florentiner, von dem Geschlecht Uberti, welcher durch seinen, zum Sprüchwort gewordenen Rath: Cosa fatta ha capo, viel Unglück zu Florenz stiftete. Buondelmonte hatte einer Dame des Hauses Amidei die Ehe versprochen, heyrathete aber eine aus dem Hause Donati. Hieraus entstand eine Verschwörung wider Buondelmonte, und da andere riethen, die Rache zu verschieben, wollte er sie gleich ausgeführt wissen, und brachte ihn mit eigner Hand ums Leben. Dies war der Anfang vieler schädlicher Unruhen.
9 Hofmeister des Königs Johannes in Frankreich. Er hetzte diesen König wider seinen Vater Heinrich, König in England auf.