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A ch t u n d z w a n z i g s t e r  G e s a n g.
D i e  Z w i e s p a l t s t i f t e r.  
Inhalt.

      Die Zwietracht, deren Anstifter in dem neunten Thalgrund büßen, weist auf die Nähe des Fürsten der Unordnung (1. Cor. 14, 33) hin, so wie die im folgenden Thalgrunde gestrafte Lüge auf die Nähe des Vaters der Lügen deutet. Zuerst werden uns diejenigen vorgeführt, welche den Leib der christlichen Kirche, die das ganze Menschengeschlecht zu Einem großen Gottesstaate zu vereinigen bestimmt ist, sodann diejenigen, welche den Leib des Staates, in dem ein ganzes Volk zu Einer großen Familie zusammenwachsen soll, zuletzt diejenigen, welche den Leib der Familie, der Grundlage aller Staatseinheit, gespalten haben. Dafür wird nun auch ihnen der Leib mit dem Schwert der Zwietracht gespalten, so daß die von der Natur zu gegenseitiger Dienstleistung innig verbundenen Glieder nicht mehr zusammenwirken (1. Cor. 12,12-27). Unter den Zwiespaltstiftern der ersten Art erscheint vor allen Dingen Muhamed, der größte aller Sectirer, der die christliche Kirche von einem bis zum andern Ende hin getrennt hat; demgemäß ist er von oben bis unten, vom Kinn bis an den Hintern, aufgerissen, so daß ihm das Eingeweide zwischen den Beinen baumelt. Vor ihm her geht Ali, welcher, statt den losgetrennten Theil zu Christo, dem Haupte, zurückzuführen, die Spaltung weiter geführt hat, indem er das Ganze der Muhamedaner abermals entzweite. Darum ist vom Kinn an bis dahin, wo sein Vorgänger Muhamed noch ganz ist, gespalten. Nun kommen drei Zwietrachtstifter der zweiten Klasse. Zuerst Pier da Medicina. Er ließ sonst dem das eine, jenem das andre Ohr, nun hat man ihm das eine ganz und gar abgehauen; er schnoberte sonst Alles aus, nun hat man ihm die Nase vermutzt; er redete sonst in Alles hineien, nun hat man ihm die Kehle durchstochen. Darauf der Tribun Curio. Weil er den Cäsar zu dem für das Römische Reich (278) zwiespaltschwangern Entschluß drängte, den Rubicon zu überschreiten, so ist ihm die suadareiche Rednerzunge ganz und gar ausgeschnitten, und der sonst so verwegen war, daß er selbst einem Cäsar Muth einsprach, geht nun ganz kleinlaut dahin und läßt sich, wie ein armes dummes Jüngelschen, von dem Peter aus Medicina den Mund aufmachen und so zur Schau stellen. Endlich der Florentiner Mosca, dem, weil er die Hand zu Buondelmonte's Ermordung, der Quelle aller Zwietracht in Toscana, bot, beide verbrecherische Hände vermutzt sind. - Von der dritten Art der Zwiespaltstifter tritt nur einer auf, Bertram von Bornio, der den Sohn zum Kriege gegen den Urheber seines Daseins reizte. Diesem ist nun das Hirn von seinem Ursprunge im Rückenmark getrennt, da er den Kopf in der Hand trägt.

      Man bemerke übrigens die von der Kirche zur Familie, von der umfassendsten zur beschränktesten Einheit abwärtsgehende Stufenleiter. Hiermit ist der ganze Umfang der Unordnung, die der Fürst dieser Welt in der Welt anrichtet, gegeben.


F a d e n.
1.
  Die Strafe der Zwiespalter im Allgemeinen.
22.
  Muhamed mit Ali.
64.
  Pier da Medicina.
91.
  Der Redner Curio.
103.
  Mosca aus Florenz.
112.
  Bertram von Bornio.

XXVIII.

1 Wer könnte je in ungebundner Rede,
  Zu mehren Malen, all' das Blut beschreiben,
  Die Wunden, die ich nun sah, all' und jede!
4 Jedwede Zunge würde hinten bleiben,
  Da Sprach' und Geist im menschlichen Geschlechte
  Zu enge sind, so viel sich einzuleben.
7 Wenn man auf einen Haufen alle brächte,
  Die in Apuliens schicksalsreichen Weiten
  Ihr Blut beseufzten, - sei's nun im Gefechte
10 Mit Römervolk, sei's in den langen Streiten,  01
  Die hochgehäufte Beut' an Ringen gaben,
  Nach Livius, der nicht irrt, zusammt den Leuten,
13 Die auch von Schlägen viel gelitten haben,  02
  Weil unter Guiscard's Joch sie sich nicht bogen,
  Nebst denen, deren Knochen sie noch graben
16 Zu Ceperan, wo all' Apulier logen,  03
  So wie bei Tagliacozzo, wo zum Siege  04
  Alard, der alte, ohne Schwert geflogen, -
19 Und der nun seinen Stumpf zur Schau so trüge,
  Und der sein Loch: ich weiß, daß es nicht wäre,
  Wenn man des neunten Sackes Graus' entstiege.
22 Kein Faß, dem's Mittelstück fehlt, eine Gere,
  Klafft so, wie ich Wen sah, indem wir gingen.
  Vom Kinn, bis wo man furzt, gähnt' eine Leere.
25 Indeß die Därm' ihm um die Beine hingen,
  Sah man's Geschling, zusammt dem traurigen Sacke,
  Der Koth aus allem macht, was wir verschlingen.
28 Und wie ich mit den Augen ihn so packe,
  Schaut er, die Brust sich öffnend, in die Höhe
  Und ruft mir zu: "Da sieh nur das Gehacke,
31 Sieh, wie ich, Mahomed, verkrüppelt gehe05 
  Vor mir geht weinend Ali, der zerrissen
  Im Antlitz ist vom Kinn bis zum Toupee.
34 Es waren alle, die du siehst, beflissen,
  Zu ärgern und zu spalten ihre Brüder
  Ihr Lebelang; drum sind sie so zerschlissen.
37 Ein Teufel ist dahinten, der die Glieder
  Uns grausam spaltet mit des Schwertes Schneide,  06
  Und jeden dieses Ballens hackt er wieder,
40 Ist nun der Weg zurückgelegt in Leide;
  Denn eh man wieder auf dem alten Stand ist,
  Verschließt sich das durchlöcherte Gebäude.
43 Sag, wer du Gaffer auf dem Brückenrande bist!
  Ziehst du die Strafe hin, die dem Geständniß,
  Das du gethan, gemäß, dir zuerkannt ist?" -   07  
46 "Kein Tod ereilt ihn, und kein Schuldbekenntniß",
  Antwortete mein Herr, "führt ihn zur Plage;
  Er sucht nichts weiter, als vollkommn' Erkenntniß.
49 Ich, der ich todt, zeig' ihm der Höllen Lage,
  Von Kreis zu Kreis, wie's meine Pflicht, ihn führend;
  Und das ist wahr, so wie ich's eben sage."
52 Als sie das hörten, sieh! da blieben stierend
  Im Graben unten mehr als hundert stehen,
  Vor lauter Wunder von der Qual nichts spürend.
55 "Sag Mönch Dolcin, er soll sich wohl versehen,  08
  - Du, der vielleicht die Sonn' in kurzem anblickt, -
  Soll's nicht, daß er mir nachreist, bald geschehen,  09
58 Mit Lebensmitteln, daß, wenn Schneenoth anrückt,
  Sie nicht den Sieg dem Novareser leihe,
  Den zu erringen schwer sonst einem Mann glückt."
61 So redete mich Mahmud an auf's Neue,
  Mit schon erhob'nem Fuß. Als er gesprochen,
  Streckt' er ihn auf die Straße vor, die freie.
64 Ein Anderer nun, - die Kehle ganz durchbrochen,
  Mit einem einz'gen Ohr, bis an die Brauen
  Die Nase ganz verstümmelt, - der, bestochen
67 Von Neugier, mit den Andern, um zu schauen,
  War steh'n geblieben, öffnete die Röhre
  Von gleichem Anstrich, einem röthlich blauen.
70 "O du, von keiner Schuld Verdammter, höre!
  Ich sah dich schon im Lande der Lateiner,
  Es sei denn, daß mich Aehnlichekeit bethöre.
73 Peter bin ich, aus Medicina einer;  10
  Wenn du die süße Ebne von Vercelle
  Gen Marcabo siehst, so gedenke seiner.  11
76 Zwei Bürgern Fano's, die zuhöchst ich stelle,
  Guido und Angiolello, thu' zu wissen, -
  Ist eitel nicht die Vorschau in der Hölle, -
79 So werden sie aus ihrem Kahn gerissen,
  Und durch des Zwingherrn Bubenstück verrathen,
  In's Meer, dicht bei Cattolica geschmissen.  12
82 Nie sah Neptun so ungeheure Thaten,
  Von Cypern nach Majorca's Eiland spähend,  13
  Verübt von Griechen oder von Piraten.
85 Der Bösewicht, der, bloß mit Einem sehend,
  Die Stadt regiert, in deren Schau noch immer
  Gern nüchtern wär' ein Mann, hier mit mir gehend,  14
88 Bescheidet sie zur Zwiesprach' auf sein Zimmer;
  Dann brauchen sie beim Sturmwind von Focare
  Der Stoßgebet' und der Gelübde nimmer." -   15
91 Und ich zu ihm: "Zeig' an und offenbare!
  Die bittre Schau, wem mußte sie denn werden?
  Willst du, daß man von dir dort was erfahre."
94 Dann an die Kiefern eines der Gefährten
  Stemmt' er die Hand; den offnen Rachen wies er:
"Das ist der Mann; er spricht nicht. Dort auf Erden
97 Wurd' er verbannt. In Grund und Boden stieß er
  Jedweden Zweifel Cäsar's, da er sagte,
  Wenn wer schlagfertig zögern wolle, büß' er."  16
100 O wie die Angst ihn sichtbarlich zernagte,
Dem man die Zunge bei der Gurgel mußte:
Der Curio, der so keck zu reden wagte!
103 Und Einer, dem die Hände man verstutzte,
  Hob beide Stummeln schreiend in die Schatten,
So daß das Blut das Angesicht beschmutzte.
106 "Denk' auch an Mosca, diesen Elendssatten,
Der jenes Wort: Nach That kommt Rath! geredet,  17
Davon die Tuscier arge Früchte hatten",
109 ""Und das"", so fall ich ein, ""dein Haus getödtet"";
Darob er, Weh' auf Wehe häufend, flüchtet,
Wie Einer, dem der Schmerz den Sinn verödet.  18
112 Noch hatt' ich auf die Must'rung nicht verzichtet,
Und sah etwas, das hätt' ich ohne Zeugen,
So ganz allein, wohl nimmermehr berichtet.
115 Doch das Gewissen bringt die Furcht zum Schweigen,
Der gute Leitsmann, der uns unter'm Schilde
Bewußter Unschuld frank die Stirn läßt zeigen.
118 Fürwahr, ich sah ein menschliches Gebilde
Ganz ohne Kopf, - mir däucht, daß ich's noch sehe, -
Das ging, wie Alle von der traur'gen Gilde.
121 Den Kopf hielt's bei den Haaren in die Höhe;
Laternenartig schwebt' er; dann erreichte
Er mit dem Aug' uns und rief aus: O Wehe!
124 Aus sich macht' er sich selber eine Leuchte;
In Einem Zween und Einer doch in Zween!
Wie's möglich ist, weiß der, dem's gut so däuchte.
127 Am Fuß der Brücke stand er, und erhöhen
Seh' ich den Arm zusammt dem Haupt mit Mühe,
Auf daß wir sein dann näh'res Wort verstehen.
130 Drauf hub er an: "Die harte Strafe siehe!
Du unter'n Todten Athmender! Ob's eben
So große giebt, das in Erwägung ziehe!
133 Trag' Botschaft auch von mir hinauf in's Leben!
  Von Bornio Bertram bin ich, das beachte!  19
  Der König Johann argen Rath gegeben
136 Und Sohn und Vater an einander brachte,
  So daß Ahitophel mit Absalonen
  Und David, stachelnd, Schlimm'res schwerlich machte.  20
139 Weil ich getrennt so einige Personen,
  Trag ich mein Hirn getrennt, - o welche Plage! -
  Von seinen Wurzeln, die im Strunk hier wohnen.  21
142 So kommt in mir das Gegenspiel zu Tage."

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Neunundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

01 In den Samnitenkriegen, wo einmal 2000 Apulier unter Publius Decius niedergemetzelt wurden (Livius 10, 15). -  In dem 17 Jahredauernden zweiten punischen Kriege, wo in der Schlacht bei Cannä 50,000 Römer fielen und Hannibal 3½, oder, wie Livius verbessert, einen Scheffel Ringe, die den erschlagenen Rittern abgenommen worden, nach Carthago schickte.

02 In den blutigenKriegen Robert Guiscard's um die letzten Besitzungen der Griechen in Apulien.

03 Bei Ceperano wurde Manfred an Carl von Anjou verrathen, indem ein Anführer der Apulier die Gariglianobrücke preisgab. Darauf ließ Manfred, wie Pietro di Dante erzählt, sein Heer nochmals Treue schwören; dessen ungeachtet ging es bei Benevent zu Carl über.

04 Wo Carl von Anjou durch den listigen Rath des alten, eben aus dem Morgenlande zurückgekehrten Alard von Vallery über Conradin siegte.

05 Daß Muhamed als Sectirer betrachtet wird, kommt daher, weil er, Christo dem Scheine nach die Ehre gebend, die christliche Kirche zu untergraben versuchte und dem Wagen der Kirche gewissermaßen den Boden ausschlug, wie es Fegef. 32, 135 beschrieben wird. Jetzt ist es Mode geworden, diesen Lügenpropheten mit seinem Flickwerk aus den "Geschichten der Alten" neben, wenn nicht gar über das nachgeäffte Original zu stellen. Die weinerliche Duldsamkeit unserer Zeit macht die Leute über-, d. i. ungerecht. Man möchte vor lauter Partheilosigkeit heute Katholik, morgen Jude, übermorgen Muhamedaner werden.

06 Das erinnert an Sirach 26, 27: "Wer vom rechten Glauben abfällt zum unrechten Glauben, diesen hat Gott zum Schwerte verdammt.

07 S. Hölle 5, 8. Die Selbstanklage des Sünders vor dem Todtenrichter schließt nicht nothwendig eine Anerkennung der göttlichen Gerechtigkeit in sich. Selbstanklage und Selbstverdammung sind zwei sehr verschiedene Dinge. Zur erstern gehört bloß ein Geständniß des äußern Thatbestandes, zur letztern eine Anerkennung der innern Schuld. Jenes läßt sich vom Selbstbewußtsein schwerlich abweisen; zu dieser läßt es die Eigenliebe nicht so leicht kommen.

08 Dolcin, der Mönch, - so nannte er sich, - eiferte um die apostolische Reinheit der Kirche, hielt aber falsche Eide, als Nothlügen, für erlaubt, eben so Vielweiberei. Verfolgt von der Kirche, zog er sich mit seinen zahlreichen Anhängern auf die Novareser Berge zurück, wo ihn, den Ausgehungerten, ein großer Schneefall zur Uebergabe nöthigte. Er ward, nebst seinem Weibe, in Novara zu Tode gemartert.

09 Muhamed wünscht dem in seine Fußtapfen tretenden Sectirer eine noch recht lange Wirksamkeit. Vielleicht fürchtet er sich auch vor der Ankunft seines Nachtreters, als der einen Nachwuchs seiner Sünde, und somit einen Zuwachs an Pein, für ihn mitbringt. So wird einmal im Th. Aq. der Gedanke ausgesprochen, daß die Verworfnen ihre Nachfolger, die sie mit sich aus der Welt hinabgezogen haben, zur Vermehrung ihrer eignen Qual sehen würden (Spp. 97, 4).

10 Peter von Medicina (nahe bei Bologna) nährte die Zwietracht zwischen Guido von Polenta und Malatesta von Rimini, indem er sie gegenseitig einander verdächtigte. Dante soll oft in seinem Hause gewesen sein.

11 Castell der Venetianer. Es ist hier von der Lombardischen Ebne die Rede.

12 Der einäugige Malatestino (V. 85) lud die genannten Zwei nach Cattolica und ließ sie auf der Rückkehr von den Schiffern im Meer ersäufen.

13   Also auf dem ganzen Mittelmeere nicht.

14 Die Stadt ist Rimini, das alte Ariminium; der Mann, der sie nie gesehen haben möchte, ist der Tribun Curio, weil er Angesichts derselben den Cäsar vermochte, sich durch den Uebergang über den Rubicon als Feind des Staates zu erklären.

15 Da man das stürmische Vorgebirge von Focara zwischen Fano und Rimini nie ohne Gebet oder Gelübde passirte (Custodiat te Deus a vento Focariensi!), so heißt das, sie würden rückkehrend schon vorher ersäuft worden sein.

16 So läßt Lucan zu dem gedankenvoll zögernden Cäsar sagen, nachdem schon "der Würfel geworfen war".

17 Mosca Lamberti reizte durch dieses Sprüchwort zur Ermordung des Buondelmonte, der seine Braut aus einem edeln Florentinischen Hause verlassen hatte, und nahm nachher an der Ermordung thätigen Antheil. Dies war der erste Anfang der politischen Parteiungen in Florenz. Die Familie der Lombardi aber scheint zu Dante's Zeit in den Parteifehden schon untergegangen zu sein.

18 Die Erinnerung an den Untergang seiner Familie kann der egoistische Sünder nicht ertragen, während er doch von dem blutigen Unheil seines ganzen Vaterlandes mit ziemlicher Ruhe sprechen konnte (Vers 108).

19 Der Troubadour Bertram von Bornio, Vicomte von Hautefort, reizte Heinrich's II. älteste Sohn, Heinrich, zur Empörung wider den Vater. Dante, wie auch Villani, nennt den gereizten Johann, wie der jüngste Sohn Heinrich's II. hieß. Wahrscheinlich hat er den ältesten mit dem jüngsten Prinzen verwechselt. Dies ist um so weniger auffallend, wenn man den Heinrich in der That rex juvenis, re giovane (junger König) genannt hat, denn aus re giovane konnte leicht re Giovanni werden.

20 2. B. Samuelis 16, 20 u. 17, 1-3.

21 Das Gehirn hat insofern seinen Ursprung im Rückenmark, als es die Fortsetzung und Vollendung des Rückenmarks ist.