F ü n f u n d z w a n z i g s t e r G e s a n g. |
F o r t s e t z u n g. |
Inhalt. |
In der Strafe, welche die göttliche Gerechtigkeit auf die Verdammten herabregnen läßt (H. 24.119-20), offenbart sich die letzte Macht des verschmäheten Gesetzes, das sich nicht in jedem Sinne abweisen läßt. Sie bessert den Sünder nach Ablauf der Gnadenzeit nicht mehr, sondern verhärtet ihn nur, gleich wie der Regen die Frucht, die ihr Maaß erreicht hat, nicht mehr reift, sondern höchstens verdirbt (H. 14.48). Darum macht der von seiner Plage sich erholende Kirchenräuber seinem Grimm durch gottelästerliche Geberden und Worte Luft, bis ihm die Schlangen den Hals zuschnüren. Hinter ihm, dem gewaltthätigen Mörder und listigen Räuber, jagt der Centaur Cacus, das Bild seiner Doppelsünde, her: denn wie die thierische Hälfte desselben die brutale Gewaltthätigkeit versinnbildet, so die menschliche, mit Schlangen bedeckte Hälfte die List, die des Menschen eigner Fehler ist (H. 11,25.). - Da die Seelen, die nackter aus der Welt gehen, als in die Welt kommen, hier in der Hölle weiter nichts besitzen, als ihre Luftgestalt, so entwenden die Diebesseelen, die das Stehlen nicht lassen können, sich gegenseitig diese ihre armselige Gestalt, gewissermaßen den letzten Fetzen ihres Eigenthums. In diesem Sinne sind wahrscheinlich die beiden Verwandlungen zu nehmen, die uns nun der Dichter vorführt. Zuerst mischen zwei Diebe, Angello und der zur Schlange gewordene Cianfa, ihre Gestalten unterscheidungslos in einander. Sodann tauschen zwei andre Diebe, Buoso und der ebenfalls in eine Schlange verwandelte Guercio ihre Gestalten aus, indem der Mensch zur Schlange und die Schlange zum Menschen wird. In dem ersten Falle stellt sich wohl die Aufhebung jeder bestimmten Grenze zwischen dem Mein und Dein, in dem zweiten die letzte Entscheidung über das Mein und Dein nach dem Rechte der Stärke dar. Dem entsprechend wandelt das erste Paar, als verwirrter Knäuel, langsam weiter, während der obsiegende Theil des zweiten den unterliegenden in die Flucht jagt. - Ein treffliches Bild von einem aus lauter Diebesgesindel zusammengelesenen Staate.
In diesem Gesange feiert die Plastik, wie im vierten die Lyrik, im elften die Didaktik und im zweiundzwanzigsten die Dramatik unseres Dichters ihren Triumph. |
F a d e n. |
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1. |
Vanni lästert Gott. | |
16. |
Der Centaur Cacus. | |
34. |
Drei Schatten: Agnello, Buoso, Puccio. | |
46. |
Cianfa und Agnello mischen die Gestalten. | |
79. |
Guercio und Buoso tauschen die Gestalten. |
XXV. |
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1 | Auf hob der Dieb, bei seiner Rede Schlusse. |
Mit durchgesteckten Daumen beide Hände 01 | |
Und rief: Nimm, Gott! dir mach' ich's zum Verdrusse. | |
4 | Mir war's, als ob die Schlangenfeindschaft schwände, |
Da deren ein' ihm gleich den Hals umstrickte, | |
Als sagte sie: Dein Reden hab' ein Ende! | |
7 | Und eine andr' ihn an den Armen zwickte, |
Die sie, sich vorn vernietend, hinten aufband, | |
So daß ihm einen Ruck zu thun nicht glückte. 02 | |
10 | Pistoja! o Pistoja! das nicht aufstand, |
Sich einzuäschern, um nicht fort zu dauern; | |
Deß Brut im Bösen sich je mehr hinaufspannt. | |
13 | In allen Zirkeln, die von Dunkel schauern, |
Kam mir kein Geist vor, der mit Gott so grolle, | |
Auch der nicht, der gestürzt von Thebens Mauern. 03 | |
16 | Er endete, stumm fliehend, seine Rolle; |
Da voller Wuth kam ein Centaur gefahren | |
Und schrie von fern: Wo ist, wo ist der Tolle? | |
19 | Maremma, glaub' ich, nährt so große Schaaren |
Von Wasserschlangen nicht, als auf dem Kreuze, | |
Bis wo sich unser Bildniß ansetzt, waren. | |
22 | Und hinten auf den Schultern, sah ich, spreize |
Ein Drache seine Schwingen; Jeder, stiebt' er | |
Ihm in den Wurf, fühlt, wie sein Feuer heize. | |
25 | "Das ist der Cacus", sagte mein Geliebter; 04 |
"Am Aventin, in einem Felseneinschnitt, | |
Sich einen See aus Blut zu machen übt' er. | |
28 | Zum Pfad der Brüder hatt er keinen Eintritt, |
Weil, um die große Heerde wegzustehlen | |
In seiner Nähe, er mit Arglist einschritt. | |
31 | Dort endeten die Werke dann, die scheelen, |
Durch Herkul's Keule; an die hundert nahe | |
Mocht' er auf's Kreuz, das zehn nicht fühlte, zählen." | |
34 | Weil er so sprach und der entschwand, geschahe |
Es, daß drei Schatten uns zu Füßen liefen, | |
Die weder ich, noch auch mein Führer sahe, | |
37 | Bis sie: Wer seid ihr? uns entgegen riefen. |
Da blieb mein Herr in der Erzählung stehen; | |
So starrten wir hinunter in die Tiefen. | |
40 | Ich kannte keinen; doch wie's zu geschehen |
Durch irgend einen Vorfall pflegt, zufällig | |
Mußt' es sich so, daß sie sich nannten, drehen. | |
43 | "Wo steckt der Cianfa?" hör' ich schrein. Da stell' ich 05 |
Den Finger an die Nas' an über'm Kinne; | |
So meinen Herrn aufmerksam mache schnell ich. | |
46 | Wenn ich, o Leser, dich nicht stracks gewinne |
Für das, was folgt, so wundert's mich nicht eben; | |
Mir, der ich's sah, will es ja schwer zu Sinne. | |
49 | Denn wie wir so die Brauen auf sie heben, |
So hängt sich mit sechs Füßen eine Schlange | |
Vorn einem auf, um sich an ihn zu kleben. | |
52 | Die Mittelfüße legt sie erst gedrange |
Um seinen Leib; dann mit den vordern greift sie | |
Ihn an die Arm', und beißt ihn jede Wange. | |
55 | Die hintern nach den Schenkeln streckend, schleift sie |
Den Schwanz so zwischendurch, um in die Höhe | |
Mit diesem an den Lenden hinten läuft sie. | |
58 | Daß Epheu an den Stamm so fest sich drehe, |
Sah ich noch nie, wie ich den Wurm, den wilden, | |
Sein Gliederwerk in's fremde schlingen sehe. | |
61 | Dem Wachse gleich, dem von dem Feuer milden, |
Verschmolzen sie; die Farben wurden Eine; | |
Aus jedem schien ein andrer sich zu bilden: | |
64 | Gleich wie auf dem Papyrus eine Bräune, 06 |
Die schwarz erst wird, dem nahen Brand voranflieht, | |
Und so das Weiß' allmählich stirbt, das reine. | |
67 | Die Beiden, deren Aug' dies Schauspiel anzieht, |
Hör' ich: "Agnell, wie du dich wandelst!" schreien; | |
"Nicht einer und nicht zwei, wenn man dich ansieht." | |
70 | Schon ist ein Haupt geworden aus den zweien; |
Man sieht, daß zwei Gebild' in dem Gesichte, | |
Wo zwei verlaufen, eins geworden seien. | |
73 | Vier Strähnen sind der Armen Paar. Zu Lichte |
Kommt solche Art von Brust und Bauch und Lende | |
Und Bein, wie man's nie sah, an jenem Wichte. | |
76 | Mit jeder frühern Form hat es ein Ende; |
Zwein, und doch keinem gleicht der Wunderliche: | |
So zieht er ab, und zwar nicht gar behende. - | |
79 | So läuft die Eidechs unter'm heft'gen Stiche, |
Des Hundsgestirns, zum nächsten Zaun dir vorne | |
Grad' über'n Weg, als wenn ein Blitz hinstriche: | |
82 | Wie eine Schlange nun, entbrannt von Zorne, |
Den beiden Andern auf den Wanst zu gleitet, | |
Schwarzbraun an Farbe, gleich dem Pfefferkorne. | |
85 | Schon hat sie Einen, wo hindurch geleitet |
Des Menschen erste Nahrung wird, durchstochen 07 | |
Und hingestürzt, sich vor ihm ausgebreitet. | |
88 | Der starrt sie an; doch wie kein Wort gesprochen; |
Er gähnt vielmehr mit angestimmten Füßen, | |
Wie wen Schlaf oder Fieber unterjochen. | |
91 | Indem sie sich mit keinem Blick verließen, |
Sah ich, ihm aus dem Stich, ihr aus dem Kopfe, | |
Gewalt'ge Dämpfe, die sich kreuzten, schießen. | |
94 | Nun schweigt mir von Sabell, dem armen Tropfe, |
Und von Nassidius auch, Lucanus Musen! 08 | |
Daß Kein' ihr Ohr, dem was nun folgt, verstopfe! | |
97 | Von Cadmus schweig' Ovid, von Arethusen! 09 |
Denn wenn er den zur Schlang' und die zur Quelle | |
Als Dichter macht, frei ist von Neid mein Busen. | |
100 | Nie schuf er zwei Naturen auf der Stelle |
So um, daß ihre Formkraft, wie ich's meine, | |
Den Stoff gewechselt hätt' in aller Schnelle. 10 | |
103 | Also entsprach dem Andern nun der Eine: |
Den Schweif zur Gabel spaltete die Schlange; | |
Zusammenzog der mit dem Stich die Beine. | |
106 | Die Füß und Schenkel wurden so gedrange |
In Eins gefügt, daß keine Spur zu sehen | |
Blieb von der Fug', es dauerte nicht lange. | |
109 | Und die Gestalt, die dort schon im Vergehen, |
Nahm der gespellte Schweif, und zu erweichen | |
Fing Dieses Haut an, Jenes starr zu stehen. | |
112 | Die Arme sah ich in die Höhen schleichen, |
Des Unthiers kurze Füß' indeß sich recken, | |
Bis daß sie jenen, die sich einziehn, gleichen. | |
115 | Dann ward zum Gliede, das die Männer decken, |
Der Hinterfüße Paar, das sich verbindet; | |
Den Armen sah ich seins gespalten strecken. | |
118 | Weil hier und dort die alte Farbe schwindet, |
Durch jenes Dampfes Kraft, der Haar auch aufträgt, | |
Wo keines ist, und abstreift, wo sich's findet: | |
121 | Geschieht's, daß Einer stürzt, der Andre auffegt; |
Doch wenden sie noch nicht die grause Leuchte, | |
Bis dem Gesicht das fremde Bild sich aufprägt. | |
124 | Der aufrecht stand, zog's an die Schläf' und zeugte |
Ein Ohrenpaar, das aus dem Ueberflusse | |
Des Stoffs hervortrat, der bis dorthin reichte. | |
127 | Die Nas' entstand aus jenem Ueberschusse |
Der nicht zurückwich, sondern blieb; der schwellte, | |
Wie sich's gehört, die Lippen noch zum Schlusse. | |
130 | Nach vorn schob sein Gesicht hin der Gefällte, |
Indem er, wie die Schnecke ihre Hörner, | |
Die Ohren in den Kopf hinein sich schnellte. | |
133 | Die Zunge, die erst ganz war und nichts gerner, |
Als reden mochte, schlitzte; die getheilte | |
Schloß sich in eins: es rauchte nun nicht ferner. | |
136 | Die Seele, die zum Vieh geworden, eilte, |
Laut zischend, durch das Thal; der andre schriee | |
Und spuckte hinterher, bis er dann weilte | |
139 | Und ihr die jungen Schultern kehrte. "Siehe", |
Sprach er zum Andern, "so ist's mir geschehen; 11 | |
Ich will, daß Buoso nun auf Vieren fliehe." | |
142 | Also ver- und entwandeln mußt' ich sehen |
Dieß Ballaststück, das siebente. Die Neuheit 12 | |
Ist schuld, ließ ich die Zung' ein Härchen gehen. 13 | |
145 | Trüb war mein Aug', mein Geist wie ohne Freiheit: |
Doch konnten sie sich nicht, wie man auch rannte, | |
Vermengen mit des Dunkels Einerleiheit, | |
148 | Da ich Puccio Sciancato wohl erkannte, 14 |
Den Einzigen mit ungetauschter Hülle | |
Von jener Dreizahl, die zuerst mich spannte. | |
151 | Um jenen Andern weinest du, Gaville. 15 |
Erläuterungen:
01 Zeichen des Spottes, eigentlich wohl von schlüpfriger Bedeutung. Philaletes bemerkt: Sozomenes in seiner Geschichte von Pistoja erzählt, die Pistojeser hätten einst, den Florentinern zum Spotte, bei Carmignano Armsäulen mit Händen aufgestellt, die nach Florenz zeigten und den Daumen zwischen den Zeige- und Mittelfinger durchsteckten, und fügt hinzu: Nam vulgus vocat cas ficas. - So giebt sich denn Vanni als ächten Sohn Pistoja's, das die Seinen im Argen fördert (V. 12), zu erkennen, da er als Edelmann hinter den gemeinsten Gassenbuben nicht zurückbleibt. 02 Die eine Schlange schnürt ihm den gottlosen Hals zu, die andere fesselt ihm die frechen Hände. Die Spitzbubenseelen, die in diesen Schlangen stecken, freuen sich, daß sie einen Grund haben, ihren guten Freunden eins auszuwischen. Eine wahrhaft sittliche Entrüstung wenigstens gehört nicht in die Hölle. Im Leben freilich gefällt sich auch der Schurke in sittlicher Entrüstung über noch ärgere Schurken: giebt sie ihm doch die tröstliche Gewißheit in die Hand, daß noch nicht alles sittliche Element aus ihm heraus ist, und so ist sie der wohlfeilste sittliche Genuß, den er nur haben kann. 03 Capaneus. H. 14, 63. 04 Cacus, den der Dichter auf Grund vielleicht des Semihomo (Halbmensch) beim Virgil zum Centauren macht, stahl, am Aventin hausend, seinem Nachbar Hercules einen Theil der Heerde, die derselbe dem Geryon abgenommen hatte; aber Hercules erschlug denlistigen Dieb, der als solcher von der Gemeinschaft der übrigen Centauren (H. 12) ausgeschlossen ist (V. 28). Wenn man bedenkt, daß Dante den Geryon zum Sinnbilde der List stempelt, so spielt Hercules, Sinnbild der heroischen Kraft, als Ueberwinder des Geryon und des Cacus, in welchem letzteren sich zur List die Gewalt gesellt, eine sehr sinnige Rolle. Bei Virgil speit Cacus, als Sohn den Vulcan, Feuer und Rauch. Dante hat diese Eigenschaft dem auf den Schultern liegenden Drachen verliehen (V. 22-24). 05 Cianfa Donati, der sich in eine Schlange verwandelt hat, stürzt sich (V. 50) auf Agnello Bruneleschi. Beide sind Florentiner, Schwarze. 06 Man bediente sich damals der Papyrusstaude zu Dochten. 07 Die Schlange, Guercio Cavalcante, durchbohrt mithin den Buoso Donati am Nabel. Beide sind auch Florentiner und wie man behauptete Weiße. 08 Sabellus in Lucan's Pharsalia, wird in der Libyschen Wüste von einer Schlange, Seps, gebissen, und von innerm Brande aufgezehrt; Nassidius aber, von einer andern Schlange, Prester, gebissen, schwillt und stirbt. 09 Der lebenssatte Cadmus wurde auf seinen Wunsch in eine Schlange (Ovid Metamorph. B. 6. 563-602), und die verfolgte Arethusa auf ihr Gebet in eine Quelle verwandelt (5. 572). 10 Nach Dante bildet der von oben herabkommende Geist und die von der Zeugung herrührende Formkraft (virtù formativa) die menschliche Seele. Diese Fromkraft trennt sich im Tode keineswegs von der Seele los, die sich vermöge derselben in den umgebenden Elementen abspiegelt und so eine Art von Leiblichkeit gewinnt (F. 25, 88-108). Die beiden Sünder tauschen mithin in dem ausströmenden Rauche den aus den Elementen angezogenen Stoff, während die Formkraft bei der Seele verbleibt. 11 Die Diebe scheinen sich in ihrem unvollkommenern Thierorganismus ebensowenig wohl zu fühlen, als die Selbstmörder in ihrem Pflanzenorganismus 12 Sehr bezeichnend. Wir sind hier gewissermaßen im untern Schiffsraum, wo lauter nichtsnutzige Waare aufgespeichert liegt. 13 Für die sonstige Gedrängtheit wird man durch die ganz eigentliche Plastik der ganzen Stelle mehr als entschädigt. 14 Puccio Sciancato de' Galigai, ebenfalls Florentiner; aber man weiß nicht, ob Schwarzer oder Weißer. 15 Guercio Cavalcante, der zu Gavilla ermordert wurde; weßhalb die Seinen blutige Rache an Gavilla nahmen. |