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S e ch s u n d z w a n z i g s t e r   G e s a n g.
D i e  a r g e n   R a t h g e b e r.
Inhalt.
     Pistoja, der Heerd aller politischen Unordnung, so wie Florenz, wohin der Zunder von Pistoja aus getragen worden, haben Dante die sechs Räubergestalten leihen müssen, die er uns in den zwei letzten Gesängen vorführt. Nun wendet er sich mit der Ironie heiligen Eifers, die sich in die Wehmuth leidender Liebe auflöst, an sein Jugendland Florenz, dem er, nach Art der Propheten, schwere Strafgerichte vorhersagt, über die sich die Feinde desselben herzlich freuen würden. Darauf gelangen die Dichter auf die Brücke über dem achten Thalgrund, in dessen Schlucht die vorwitzigen Rathgeber, die lumina mundi, diese Lucifer, ganz in Feuer gehüllt, wie Leuchtwürmer umherschweifen. Sie haben das Naturlicht der Vernunft, das sie nicht im Dienste Gottes gebrauchen wollten, dem Gott des Lichtes gewissermaßen entwendet: nun werden sie von demselben wieder hinweggestohlen; sie haben mit dem Funken des göttlichen Geistes Kindermuthwillen getrieben: nun schlägt er ihnen als Flamme rettungslos über dem Kopf zusammen, wie es in jenem Liede heißt:
"Wie mancher stürzet seine Seel'
Durch Klugheit wie Ahitophel,
Und nimmt, weil er dich nicht recht kennt,
Mit seinem Witz ein schrecklich End';"
sie haben ihrem Witz weder Zaum noch Gebiß angelegt: nun geht er mit ihnen durch (V. 21-22); sie haben andre in die Irre geführt: nun irrlichteliren sie selbst umher; sie haben, hinter den Coulissen hervor, unheilschwangre Worte in die Scene des Lebens hineinsoufflirt: nun reden sie aus ihrem Versteck hervor mit äußerster Anstrengung. Während Dante so schaut, kommt ein Doppelfeuer mit Ulysses und Diomedes heran, die, wie sie im Leben zusammen gesündigt haben, hier zusammen leiden. Dem Heldendichter Virgil, der den beiden ruhmbegierigen Helden in seiner Aeneis einen unsterblichen Namen gesichert hat, verschmähet der stolze Grieche (258) Ulysses nicht, auf die Frage nach seinen letzten Schicksalen zu antworten. Er hatte nämlich, über die nächsten Pflichten, die ihm als Kind, Gatten und Vater oblagen, hinwegstolpernd, in unersättlichem Wissensdurst die Gefährten beredet, über die Säulen des Hercules, die von Gott dem menschlichen Vorwitz gesetzten Warnungstafeln, hinauszuschiffen in das unbekannte Jenseits. Die Rede, damit Ulysses seine Gefährten irre führt, ist eine kleine rationalistische Predigt. Erst wendet er sich mit einer captatio benevolentiae an ihr Ehrgefühl, indem er ihnen ihre bisherigen Leistungen in einer rednerischen Hyperbel vorhält, und ermuntert sie dann in gewählten Ausdrücken, rastlos vorwärts zu streben, so lange es Tag ist, ehe denn die Nacht kommt, da Niemand mehr wirken kann. Darauf erinnert er sie an ihren göttlichen Ursprung und an ihren unschätzbaren Vorzug vor den unvernünftigen Thieren. Sein letztes Wort ist Tugend und Wissenschaft, welche letztere er für den Gipfel der erstern zu halten scheint. - Nachdem nun der tugendvergessene Ulysses die von dieser Tugendpredigt trunkenen Gefährten bis in die Nähe des Fegefeuerberges gebracht hatte, war sein Schiff, von einem Wirbelwind gefaßt, angesichts des von sterblichen Augen gewissermaßen entweiheten Geheimnisses untergegangen. "Weh' dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld; sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."

      Ulysses scheint somit nicht bloß ein Exempel irre führenden Rathes, sondern alles genialen, über die von Gott gesetzten Schranken hinaufstrebenden Vorwitzes zu sein. Es ist hier kein Unterschied, als daß dieser auf einem theoretischen, jener auf einem praktischen Mißbrauche des Vernunftlichtes beruhet. Daß übrigens diese genialen Diebe, diese Prometheusnaturen, die das Licht für Andere stehlen, unmittelbar nach den eigentlichen Dieben kommen, ist gewiß nicht als Zufall zu betrachten.

F a d e n.
1.
  Sarcastische Anrede an Florenz.
13.
  Weiterrreise zum achten Thalgrund.
19.
  Heilsamer Schrecken.
25.
  Beschreibung des achten Thalgrundes.
46.
  Virgil zeigt ihm Ulysses und Diomedes.
64.
  Dante wünscht mit ihnen zu sprechen.
76.
  Virgil beschwört den Ulysses, anzuhalten.
85.
  Ulysses erzählt sein Ende.

XXVI.

1 Erfreue dich, Florenz, weil du so groß bist!
  Das du die Flügel schlägst zu Land und Meere,  01
  Deß Name weit gekannt im Höllenschooß ist.
4 Fünf solcher Bürger fand ich in dem Heere
  Der Räuber vor; wie schäm' ich mich doch drüber,
  Und dir verhilft's zu keiner großen Ehre.
7 Doch wenn das in Erfüllung geht, worüber  
  Man Morgens träumt, so wirst du bald gewahren, 02
  Was Prato wünscht, die Andern wie viel lieber!  03
10 Es wär' zu spät, hätt'st du es schon erfahren:
  Geschäh es doch, da's nicht zu ändern weiter!
  Es drückt mich mehr, komm' ich erst mehr zu Jahren.
13 Wir brachen auf und stiegen auf der Leiter
  Aus Felsabsätzen, wo wir niederglitten,
  Zur Höh' zurück; nachzog mich mein Begleiter.
16 Wie wir so einsam immer vorwärts schritten,
  Bracht' unser Fuß nichts ohne Hand zuwege,
  Da Blöck' und Zacken unsern Weg durchschnitten.
19 Da fühlt' ich Schmerz, und der wird wieder rege,
  Denk' ich an das Gesehne; ja dann brenne
  Ich mehr den Witz zu zügeln, als ich pflege,  04
22 Auf daß er nicht, der Zucht entledigt, renne,
  Und ich das Gut, das günst'ge Sterne liehen,
  Wenn nicht was Höhres, mir nicht selbst mißgönne. 05
25 Wie viel der Bauer nach des Tages Mühen, -
  Wenn der, der Alles aufklärt, was er anblickt,
  Sein Antlitz zeigt, um's später zu entziehen, -
28 Sobald die Mücke nach der Fliege anrückt,
  Vom Hügel her Leuchtwürmchen sieht im Thale,
  Wo er zu Kelter und zu Pflug sich anschickt:
31 Von so viel Lichtern, sah ich, wiederstrahle
  Der achte Sack, von jenem Punkt genommen,
  Wo sich der Grund aufthut mit einem Male.
34 Wohl sah der, den zu rächen einst gekommen  06
  Die Bären waren, den Elias aufgehn,  07
  Indem die Rosse steil gen Himmel klommen;
37 Doch reicht' er nicht so weit mit seinem Aufsehn,
  Daß er was Andres, als die bloße Lohe,
  Gleich einem Wölkchen, sah zum Himmel aufwehn.
40 So schwebten hier die Flammen, tief' und hohe,
  Im Schlund' umher; den Diebstahl zeigte keine,
  Da jede doch mit einem Sünder flohe.
43 Um recht zu sehn, verlängert' ich die Beine;
  Hinabgefallen wär' ich ohne Stöße,
  Hätt' ich mich nicht gestützt mit einem Steine.
46 Da sprach mein Hort, der meines Eifers Größe
  Gesehen: "In den Feuern sind die Geister;
  Mit seinem Brand deckt jeder seine Blöße." -
49 "Daß ich dich höre", sprach ich, "o mein Meister,
  Dient mir, der ich's bemerkt schon hab', als Stütze;
  Ich wollte schon die Frage thun: Wie heißt er,
52 Der in dem Feuer, ganz mit solchem Schlitze,
  Als flammt' es auf von einem Scheiterhaufen
  Mit den Thebanschen Brüdern auf der Spitze?" -   08
55 "Ulyß und Diomedes", sprach er, "laufen
  Da drinnen in der Glut, die sie casteiet,
  Zur Rache jetzt, wie sonst zu wüth'gem Raufen.
58 Und mitten in der Flamme wird bereuet
  Der Hinterhalt im Roß, das eine Pforte
  Dem edeln Samen brach, deß Rom sich freuet,  09
61 Zusammt der Kunst, drob todt in Schmerzensworte
  Deidamia ausbricht um Achillen;
  Auch für's Palladium büßt man an dem Orte."  10
64 Da sagt' ich: "Herr, wenn in den Flammenhüllen
  Man sprechen kann, so fleh' ich dich und flehe
  Statt tausend Mal dich nochmals, sei zu Willen,
67 Und bis die Flamme näher hieher wehe,
  Die mit den Hörnern, hemme deine Schritte!
  Sieh, wie vor Sehnsucht vorgebeugt ich stehe."
70 Und er: "Daß ich mit Lob es überschütte,
  Verdient dieß dein Gesuch; 's ist durchgegangen.
  Nur halte deine Zunge fest, ich bitte,
73 Laß sprechen mich! ich kenne dein Verlangen;
  Sie möchten, weil sie Griechen waren, spröde  11
  Ihr Ohr verschließen, wolltest du anfangen."
76 Da, als die Flamme immer näher wehte,
  Mocht' Ort und Zeit dem Führer günstig scheinen,
  Drum richtet' er an sie so seine Rede:
79 Ihr Beid' in jenem Feuer dort, dem Einen,
  Wenn ich um euch verdient mich machte drüben,
  Verdient mich macht' im Großen oder Kleinen,
82 Als ich die hehren Verse dort geschrieben,  12
  So rührt euch nicht, bis Einer mir erzählet,
  Wohin verschlagen, er zuletzt geblieben!"
85 Der alten Flamme größres Horn verfehlet  13
  Zu murmeln nicht; da flackert es gewaltig,
  Wie jene Flamme, die ein Luftstoß quälet.
88 Indem es nun die Spitze mannichfaltig,
  Als wär's die Zunge, welche spräche, wandte, 14
  Warf es das Wort aus und sprach so: "Sobald ich
91 Von Circe wegging, die mich an sich bannte
  Mehr als ein Jahr dicht bei Gaeta, ehe  15
  Den Küstenstrich Aeneas so benannte:
94 So zwang nicht Sohnes Süßigkeit, kein Wehe
  Nach dem bejahrten Vater, keine Liebe,
Die der Penelope die traur'ge Ehe
97 Erheitern sollt', in mir die heißen Triebe,
  Die Welt zu sehn, und was so im Verkehre
  Der Mensch für Laster und für Tugend übe.
100 Schon schwebt' ich auf dem freien, offnen Meere,
In einem einz'gen Fahrzeug, mit dem grade
Noch treu gebliebnen, freilich kleinen Heere.
103 Bis Spanien sah ich beiderlei Gestade,  16
  Marocco und der Sarden Eiland, jene,
Die sonst noch steigen aus des Meeres Bade.
106 Wir waren stumpf; hin war der Jugend Schöne,
Als wir einliefen in die enge Gasse,
Wo Hercul's Mark' ist für der Menschen Söhne,  17
109 Daß Keiner tiefer sich in's Meer einlasse!
Zur linken Hand ließ ich Sevilla liegen,
Und Ceuta lag schon links von meinem Passe.
112 "Ihr Brüder, hört! ihr seid auf euren Zügen
Zum West gelangt durch hundert tausend Fährden,
Und euren Sinnen wird nun das Vergnügen
115 Nach einer kurzen Abendwache werden:
  Auf, mit dem Rest der Sonne nach! um Zeitung
  Zu holen von der völkerlosen Erden.  18
118 Erwägt von eurer Abkunft die Bedeutung!
  Ihr seid nicht hier, zu leben gleich dem Viehe;
  Der Tugend und dem Wissen ziemt die Leitung."
121 Mit dieser kleinen Redeprobe, siehe!
  Erregt ich nach der Fahrt ein heftig Schmachten;
  Zurückgehalten hätt' ich sie mit Mühe.
124 Das Hintertheil nach Osten kehrend, machten
  Zum Narrenflug wir aus den Rädern Flügel,
  Die immer weiter uns nach Süden brachten.  19
127 Und bis zum andern Pol hin ohne Riegel
  Sah schon die Nacht empor die Sterne kommen,
  Und unsern Pol tief unter'm Meeresspiegel.
130 Fünf Mal entbrannt, fünf Mal war auch verglommen
  Schon unterm Mond das Licht seit jenem Tage,
  Wo in den hehren Paß wir eingeschwommen:
133 Als ein Gebirg', ob der entfernten Lage
  Schwarzbraun, erschien, von wunderbarer Höhe;  20
  Gesehen hatt' ich keins noch von dem Schlage.
136 Wir jauchzten auf; doch Lust ward bald zu Wehe;
  Ein Wirbel kommt vom neuen Land geflogen
  Und schlägt das Schiff vorn, eh' ichs mich versehe.
139 Drei Mal ging es im Kreis mit allen Wogen;
  Beim vierten hob sich's Hintertheil, und nieder
  Ward's Vordertheil, wie's Wem gefiel, gezogen;
142 Und über uns verschloß das Meer sich wieder."

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Siebenundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

01 Kann nicht auf die Herrschaft, sondern auf den Ruf der Stadt Florenz gehen.

02 Die Morgenträume hat man von jeher für bedeutungsvoll gehalten; Dante nennt sie fast göttlich (F. 9, 18). Gegen Morgen drückt das Gewicht des minder beschwerten Fleisches nicht so auf die Seele, und die eigenen Gedanken, die man aus dem wachen Zustand in den schlafenden mit hinüber genommen hat, haben ausgespielt. Th. A. sagt 1, 84. 8.: "Der Sinn wird in den Schlafenden durch gewisse Verdunstungen (evaporationes) und aufgelöste Dämpfe (fumositates resolutas) gebunden, und deshalb ist je nach Beschaffenheit dieser Verdunstungen der Sinn mehr oder weniger gefesselt; denn wenn die Aufregung der Dünste groß ist, so wird nicht bloß der Sinn, sondern auch Einbildungskraft gebunden, so daß gar keine Bilder zu Vorschein kommen (fantasmata), wie es hauptsächlich geschieht, wenn Einer, nachdem er viel gegessen und getrunken hat, anfängt zu schlafen. Wenn aber die Aufregung ein wenig nachgelassen hat, so kommen Bilder zum Vorschein, aber verdrehte und ungeordnete, wie bei Fieberkranken, und wenn sich nun die Aufregung noch mehr gesetzt hat, so kommen geordnete Bilder zum Vorschein, was besonders gegen Ende des Schlafes zu geschehen pflegt."

03 Dante denkt bei seiner Unglücksprophezeiung wohl weniger an Einzelnes, wie z. B. an den Einsturz der Brücke Carraja 1304, der vielen Menschen das Leben kostete, oder an die vom Partheihaß angestiftete Einäscherung von 1700 Häusern, als vielmehr an all' das von der zunehmenden politischen Zerwürfniß verursachte Unheil im Allgemeinen, davon er selbst seinen Antheil, als er in das Elend ging, hinnahm (V. 12). Um so unsinniger ist es aber auch, abgesehen von dem wehmüthigen Zusatz (V. 11): "Da's nicht zu ändern weiter", die Ansicht gewisser Erklärer des großen Dante, als spräche hier die gemeine Schadenfreude aus ihm heraus.

04 Wenn das nachbarliche, in die politische Partheiwuth weniger verwickelte Prato dir dein Unglück gönnt, um wieviel mehr entferntere, mehr betheiligte Städte.

05 Elisa. 2. B. der Könige 2, 23-25.

06 2. Buch der Könige 2,11-12. Elias, der heilige Berather Israels (1 K. 18, 18), der sein Volk aus der Irre zurückzuführen sich beeiferte (1 K. 18. 22-23), steht vielleicht als Gegenbild der gottlosen, irreführenden Rathgeber. Wie diese in dem gestohlenen Lichte ewig in der Tiefe umherirren, so wird Elias in dem Lichte, das er sich von Gottes Gnade hat schenklen lassen, zuletzt in die Höhe getragen. Bel aller scheinbaren Aehnlichkeit also, - denn der Funke menschlichen Witzes sieht allerdings oft wie das Licht höherer Begeisterung aus, - das schnurgerade Gegentheil: denn jener irrlichtelirt in der Tiefe umher; dieses flammt nach oben, von woher es stammt, zurück.Daß hier Absichtlichkeit obwalte, kann man kaum bezweiflen, da man sonst gar nicht wüßte, wie der Dichter es hätte übers Herz bringen können, das Feuer, darin die gottlosen Rathgeber umherschwärmen, mit dem Feuer, darin der Mann Gottes, "Wagen Israels und seine Reiter", gen Himmel fuhr, irgendwie in Vergleich zu stellen

07 Die Flamme des Holzstoßes, darauf die feindlichen Brüder Eteocles und Polynices verbrannt wurden, theilte sich nach Statius Teb. 13, 430.

08 Entweder, insofern Aeneas durch die Lücke zu Troja hinauszog, die man um des hölzernen Pferdes willen in die Stadtmauern gebrochen hatte, oder im übertragenen Sinne, insofern die List des Ulysses mit dem hölzernen Pferde die Veranlassung wurde, daß Aeneas nach Latium auswanderte. Der letztere Sinn scheint der vorzüglichere, da Aeneas jener Lücke zu seinem Auszug nicht bedurfte.

09 Durch einen Kunstgriff des Ulysses wurde Achilles den Armen seiner Deidamia entrissen, die als Gattin das erste Recht an ihn hatte.

10 Das vom Himmel gefallene Standbild der Palas Athene, daran das Schicksal Troja's hing, stahlen Ulysses und Diomedes zusammen aus dem Tempel der Göttin.

11 Die befürchtete Sprödigkeit des Ulysses und Diomedes gegen Dante gründet sich entweder auf den griechischen Nationalstolz im Allgemeinen (Kannegießer), oder auf den vorausgesetzten Haß der griechischen Helden gegen die Lateiner, als die Nachkommen der friedlichen Trojaner (Kopisch), wenn sie nicht etwa bloß die Unbekanntschaft des mittelalterlichen Dichters mit der griechischen Literatur andeutet, deren Kenntniß eben Virgil vermittelt (Philaletes). Vielleicht lassen sich alle drei Beziehungen vereinigen.

12 Virgil, weil ebenfalls Lateiner, fürchtet, daß die Griechen auch ihn verschmähen würden; darum stellt er sich den Helden vor allen Dingen als Heldendichter und zwar als einen um sie selbst verdienten vor. Da er aber in seiner Aeneis die verschmitzten Griechen nicht ohne Tadel durchläßt, so giebt er es, sich gewissermaßen besinnend, ihrem eignen Dafürhalten anheim, wie hoch sie ihm sein Verdienst anrechnen wollen. (Vers. 81.)

13 Ulysses nämlich, dessen Persönlichkeit die des Diomedes weit überragt.

14 Die Zunge, die gefällige Offenbarerin des argen Herzens, muß sich nun von allen Gliedern am meisten quälen, indem sie nur mit der äußersten Anstrengung articulirte Töne hervorbringt. (Ges. 27, 4-18.) Jacobus. 3, 6.

15 Virgil versetzt die Insel der Circe nahe bei Gaeta, das seinen Namen von der daselbst bestattenen Amme des Aeneas, Cajeta, haben soll.

16 Die folgende, von der Odyssee ganz abweichende Erzählung gründet sich wahrscheinlich auf mittelalterliche Sagen. Venturi schreibt nach Plinius und Solinus dem Ulysses die Gründung von Lissabon und Tacitus von Asciburgium an der Nordküste von Deutschland zu (Tacitus German 3). Die südwestliche Irrfahrt des Ulysses auf dem atlantischen Ocean ist wahrscheinlich Dante's eigene Erfindung, in der man eine Weiterführung jener Sagen sehen mag.

17 Die Säulen des Hercules sind die Felsen Ksalpe in Europa und Abyle in Afrika, zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar.

18 Sein Durst nach Welt und Menschenkenntniß (V. 98-99) war nur insofern sündlich, als er mit seinen allgemeinen Menschenpflichten in Streit gerieth. An und für sich sündlich aber ist sein unberufenes Eindringen in die Dinge, die Gott vor den Augen der Sterblichen geflissentlich verborgen hält. Auf der andern, damals allgemein für unbewohnt gehaltenen Halbkugel nämlich steigt nach Dante der Fegefeuerberg, der dem geheimen Jenseits angehört, aus den Wellen des Meeres empor. So ist denn dieser Dantes'sche Ulysses mit seinem Ueberdruß an der stillen Häuslichkeit, mit seinem unruhigen Drang nach theoretischem Wissen, mit seinem vermessenen Hanausstreben über die Grenzen der Natur ein rechtes Bild der neuern Zeit.

19 Sie fahren somit westwärts zur Straße von Gibraltar hinaus und wenden sich dann links, d. i. südlich (126).

20 Wenn Gott auch dem vorwitzigen Forscher den Schleier lüftet, so sieht derselbe weiter nichts, als verschwimmende Umrisse, denn ehe er den Gegenstand seiner freveln Neugier in der Nähe besehen kann, faßt ihn ein Schwindel und die Wogen der sich verwirrenden Gedanken schlagen ihm über dem Kopf zusammen.