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E r s t e r  G e s a n g.
Der Wald.
Inhalt.
     Der vom Sündenschlaf erwachten Dante findet sich in einem niederen, finstern, rauhen Walde, der, allgemein genommen, eine versunkene, vom h. Geiste unerleuchtete und an guten Werken unfruchtbare Menge bezeichnet. Beim Scheine des Vollmondes , der hier mit seinem abgeborgten, dämmernden und kalten, wechselvollen und durch Flecken getrübten Lichte die menschliche Vernunft auf ihrem Höhepunkte andeutet, (Hölle 20, 127-30 u. Anm.) gelangt er endlich an den Fuß eines ergötzlichen Hügels, Symbols der Gottseligkeit im Allgemeinen, auf den die Strahlen der aufgehenden Sonne fallen, welche im Gegensatze zum Monde die göttliche Offenbarung versinnbildet. Nachdem er bei rastlos vorwärtsstrebendem Geiste der Leiblichkeit ihr Recht gegönnt, - "denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach," - versucht er den Hügel zu erklimmen; aber "mit unsrer Kraft ist nichts gethan;" er stürzt wieder zur Tiefe hinab, erschreckt von drei höllischen Thieren, "Die die Wahrheit aufhalten in Ungerechtigkeit;" einem allezeitfertigen, gleißenden Panther, Symbol der List; einem übermüthigen, heißhungrigen Löwen, Symbol der Gewaltthätigkeit; einer mageren, lüsternen Wölfin, Symbol der Unenthaltsamkeit (Jerem. 5, 6). Da erscheint ihm, auf obern Antrieb gesendet, Virgil; aber Dante erkennt in ihm nicht den Gottesboten, sondern nur den Dichterfürsten seines Volkes, und will vielleicht mit ihm, wie Schiller singt, "aus dem engen dumpfen Leben in des Ideales Reich fliehen." Aber der weisere Virgil, Repräsentant der außerchristlichen, vom Logos angeschienenen, das Sündenelend erkennenden ind eine Erlösung ahnenden Wissenschaft (s. Einl. 6. e.), geht nicht auf seine dichterische Begeisterung ein. Nachdem er ihm eine für die ganze Menschheit tröstliche Aussicht auf eine bessere Zukunft eröffnet hat, indem er ihm unter dem Bilde des Windhundes einen vom Eifer um das Haus Gottes verzehrten und von der Kraft des dreieinigen Gottes erfüllten Reformator weissagt, giebt er ihm für seine Person den Rath, ihm durch die Hölle und das Fegefeuer zu folgen: durch die erstere, um die Sünde in ihrer Strafwürdigkeit zu erkennen und von einem heilsamen Schrecken ergriffen zu werden, - denn die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang , - durch das letztere, um dem Zorne Gottes zu entrinnen und sich rechtfertigen zu lassen durch die Gnade Gottes in Jesu Christo. Zugleich versichert er ihm, daß Beatrice, seine früh verstorbene Jugendgeliebte, Symbol der zur beseligenden Anschauung Gottes führenden Theologie (s. Einl. 6, e.) ihn von dort weiter in den Himmel führen werde, um ihn das neue Leben, das aus Gott ist, schmecken zu lassen.

Versuchsweiser Ueberblick über die Symbolik
des ersten Gesanges im Ganzen.
     
Der niedere Wald.
 
Die freie Höhe.
  Im Allgemeinen:  
Die Welt im Sündenelende.   Die Gottseligkeit als letztes Ziel derselben.
  Im Besonderen etwa:  
[a) Das Heidenthum?]   [a) Die christliche Kirche?]
b)Das Römisch-Kath. Weltreich.   b) Die apostolisch-reformirte Kirche.
[c) Die streitende Kirche überhaupt?]   [c) Die triumphirende Kirche?]
     
Der im Walde leuchtende Mond.   Die die Höhe bescheinende Sonne.
 
Im Allgemeinen:
 
Die menschliche Vernunft.   Die göttliche Offenbarung.
  Im Besonderen etwa:  
[a) Die unzulängliche Philosophie?] (Jes. 25, 7.)   [a) Die geoffenbarte Wahrheit?]
b) Die durch Sophismen verdunkelte Bibellehre.   b) Das helle Licht des Evangeliums.
[c) Das irdische im Spiegel Schauen?] Parad. (33, 31-32.)   [c) Die Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht?]
(Ueber Wald, Höhe, Mond, Sonne s. h. d. Ges. Anm. 1.)

F a d e n .
1.       Erwachendes Schuldbewußtsein.
13.     Ein Hoffnungsstrahl.
28.     Fruchtloser Eigenkampf.
60.     Die göttliche Mithülfe.
112.   Der beste Rath.  
130.   Die willige Folge.

I.

1 Ich fand mich auf des Lebensweges Mitte  01 
  In einen finstern Waldbezirk verschlagen;  02 
  Vom richt'gen Pfad hatt' ich gelenkt die Schritte.
4 Ach, wie so schwer kommt es mir an, zu sagen,
  Was für ein Wald das war, der rauh' und dichte;
  Erneut doch die Erinn'rung schon mein Zagen.
7 Der Tod ist wenig bittrer; doch berichte,
  Das dort gefundne Gut zu offenbaren,
  Ich hier zugleich die übrigen Gesichte.
10 Wie ich hineinkam, kannst du nicht erfahren;
  So sehr war ich vom Schlafe hingenommen,
  Als ich des Wegs verfehlete, des wahren.
13 Als ich an eines Hügels Fuß gekommen,  03
  Wo sich das Thal zu seinem Ende neigte,
  Darob ich innen so von Furcht beklommen,
16 Sah ich empor, und seine Schulter zeigte  04
  Sich schon vom Licht bekleidet des Planeten,  05
  Der grade führt, auf welchem Pfad' er leuchte.
19 Und sieh, die Bilder jener Furcht verwehten,
  Die auf des Herzens See sich umgetrieben
  Die Nacht, die ich durchwacht in so viel Nöthen.
22 Und wie ein Mensch, der keuchend zu dem lieben
  Gestad' entkommen aus des Meeres Tücke,
  Zur Fluth zurückstiert, die ihn aufgerieben:
25 So meine Seele, die noch floh. Zurücke
  Zu jenem Passe, der lebend'ge Gäste  06
  Nie durchgelassen, wandte sie die Blicke.
28 Erst hielt ich es zu ruhen für das Beste;
  Dann schritt ich auf dem öden Hange weiter,
  Also, daß stets der tiefre Fuß der feste.  07
31 Und sieh, ein schneller leichtgefüßter Streiter,
  Ein Panther, lag fast an des Aufgangs Schwelle;
  Die bunte Hülle schimmerte gar heiter.  08 
34 Er wich vor meinem Aug' nicht von der Stelle,
  Und hinderte mich so auf meinem Gange,
  Daß ich oft umbog mit des Fliehens Schnelle.
37 Gekommen war der Morgen erst nicht lange;
  Auf stieg' die Sonn' in des Gestirns Begleitung,  09
  Das bei ihr war, als nun im Uranfange
40 Die Liebe Gottes in des Weltalls Weitung  10
  Die schönen Dinge umschwang, die wir schauen;  11 
  So schien mir denn von glücklicher Bedeutung  12 
43 Die glatte Haut des Panthers, wie die lauen
  Lenzlüfte und des Tages erste Stunde;  13
  Doch machte mich ein Löwe wieder grauen.  14 
46 Der kam mit gierig aufgesperrtem Munde,
  Das Haupt hochtragend, wie's mir schien, entgegen,
  So daß die Luft erzittert' in der Runde.
49 Und eine Wölfin sah ich auch sich regen,  15 
  Mit jeglichem Gelüst beladen, hager,
  Und vielem Volke fraß sie schon den Segen.  16 
52 Ihr Schreckensanblick machte mich noch zager,
  So zag, daß mir der Gang empor zur Höhe
  Unmöglich dünkte für den kühnsten Wager.
55 Und wie der Mensch, der den Gewinn gern sähe,
  Kommt nun die Zeit, die den Verlust beschieden,
  In jeglichem Gedanken weint, so wehe
58 Ward mir auch ob des Thieres ohne Frieden,
  Das auf mich zukam und mich so von dorten
  In's Sonnenstumme trieb, das ich gemieden.  17 
61 Indeß ich nun an jenen niedern Orten
  Voll Angst umirrte, sah ich plötzlich Einen,  18
  Der, wie's schien, schwach von langem Schweigen worden19
64 "Erbarm' dich mein", so fing ich an zu weinen,
  "Als ich den in der großen Wüst' erblickte,  20
  Ob wahrer Mensch du sein magst oder scheinen." -
67 "Ich schein' es nur, ich bin's gewesen", schickte
  Er mir zur Antwort ; "Mantua erpflegte
  Die Aeltern im Lombardischen Distrikte.
70 Mich, unter Cäsar spät Gebornen, hegte,  21 
  Zur Zeit der Lügengötter, unter'm guten
  Augustus Rom, das mich zum Dichter prägte.  22 
73 Als Ilion, das stolz, ein Raub der Gluthen,
  Floh der gerechte Sprosse von Anchisen;
  Den sang ich, wie er herkam durch die Fluthen.
76 Doch wie kehrst du zu solchem Jammer? Diesen
  Glücksel'gen Hügel willst du nicht ersteigen,
  Der sich als Urgrund aller Wonn' erwiesen?"
79 "So bist du", sprach ich mit verschämten Neigen,
  "So bist du der Virgil, bist jener Bronnen,
  Daraus die Red' in Strömen geht, in reichen?
82 Du aller Dichter Preis, du Licht der Sonnen,
  Hätt' ich, mit großer Lieb' und langer Mühe
  Dein Buch mir suchend, doch bei dir gewonnen!
85 Du bist mein Meister, du mein Vorbild! Siehe  23
  Du hast mir selbst den schönen Styl gegeben,24
  Aus dem ich so viel Ehre zog und ziehe.
88 Sieh dort das Unthier, welchem ich so eben
  Den Rücken kehrt' und hilf, ruhmvoller Weise,
  Denn Puls' und Adern macht es mir erbeben." -
91 "So schicke dich zu einer andern Reise",  25
  Antwortet' er, als sich mein Auge netzte,
  "Willst du entrinnen diesem wüsten Kreise.
94 Denn jenes Thier, drob sich dein Herz entsetzte,
  Versperrt jedwedem Wandrer seine Straße;
Nicht eher ruht's, bis es zu Tod' ihn hetzte.
97 Und ruchlos ist es in so hohem Maaße,
  Daß Sättigung ihm nie die Gier vertreibet;
  Sein Hunger wächst mit jedem neuen Fraße.
100 Manch Thier kenn' ich, das sich mit ihm beweibet,  26 
Und mehr noch werden's, bis einst seine Fährte
Der Windhund aufspürt und es so entleibet.  27
103 Der nährt sich weder von Metall noch Erde  28
  Nein Stärke, Lieb' und Weisheit, und inmitten  29
Feltro und Feltro haust er, der bewährte.  30
106 Das niedr' Italien hat dann ausgelitten,  31
Für dessen Heil Euryalus, Camille,  32
Nisus und Turnus sich zu Tod gestritten.
109 Durch jede Stadt jagt sie sofort sein Wille
Schnurstracks hinab zu ihrem Höllenneste,
Daraus der Neid sie trieb, die nimmerstille.  33
112 So denk' ich nun, es ist für dich das Beste,
Du folgst mir nach; ich will voran dir eilen.
So führ' ich dich erst durch die ew'ge Veste,  34
115 Dort hörst du das verzweiflungsvolle Heulen;
Dort siehest du der Vorwelt arme Seelen;
Ein Jeder heißt den zweiten Tod nicht weilen.  35
118 Dann schaust du, die im Feuer gern sich quälen,
Weil sie, sei es nun späte oder frühe,
Sich hoffen zu den Seligen zu zählen.
121 Willst du zu diesen dann aufklimmen, siehe!
Ein würdigerer Geist wird dann dein Führer;   36
Mit dem lass' ich allein dich, wann ich fliehe.
124 Versagt ist mir vom himmlischen Regierer,  37
Daß ich dich selbst in seine Stadt geleite,  38
Weil sein Gesetz ich brach, als ein Aufrührer.  39
127 Zwar herrschet er bis in die fernste Weite,
Dort aber ist sein Reich und Thron. Glückselig
Die Auserwählten dort an seiner Seite." -
130 Und ich zu ihm: "O Dichter, dir befehl' ich
Bei jenem Gott mich an, den du nicht kanntest;
Ich fürcht', in noch viel Schlimmres stürz' ich schmählich40  
133 Drum führe mich zum Ort, den du mir nanntest,
  Daß ich das Thor des heil'gen Petrus sehe  41
  Und die, die du so übertraurig fandest."
136 Dann brach er auf; ich hielt mich in der Nähe.
   
  Nach der Anmerkung 41 folgen
  "Noch einige Anmerkungen zum ersten Gesang."  42

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Zweiter Gesang

Anmerkungen:

 

01 Die Mitte des Lebens ist das 35. Jahr nach Ps. 90, 10 und nach einer Stelle im Convito. Auch Solon bei Herodot sagt: Bis auf siebzig Jahre setze ich die Grenze des menschlichen Lebens hinaus. Aehnlich Aristoteles. Es ist natürlich, daß man von dem Höhe- und Wendepunkte des Lebens auf den zurückgelegten Weg zurückschaue und mit 1 Pet. 4, 2-3 sprechend, den noch rückständigen im Dienste Gottes zu wandeln sich entschließe. Von diesem Lebensalter redet vielleicht Guido H. 27, 77. So hat denn die Mitte des Lebens gewissermaßen einen allgemein typischen Charakter in Bezug auf die Umkehr des Sünders zu Gott. - Es ist übrigens wohl möglich, daß dem Dichter Jesaias 38, 10: "In der Mitte meiner Tage muß ich an die Pforten der Hölle gehen" vorgeschwebt habe, obschon Hiskia von seinem wirklichen Tode redet. - Daß Dante sich mit Christo, der um die Mitte des Lebens in die Hölle hinabstieg, auch in dieser Hinsicht gewissermaßen in Parallele gestellt, ist nicht unwahrscheinlich; wandert er doch auch am Charfreitage in die Hölle hinab und bleibt er doch eben so lange darinnen, als Th. Aq., Luc. 23, 43 auf spiritualistische Weise mit 1 Pet. 3, 19 vereinigend, von Christus annahm, nämlich bis zum Ostermorgen. Außerdem deutet der Mitte des Lebens, als das vollkommene Mannesalter, wo, wie Th. Aq. sagt, noch keine Verminderung der natürlichen Kräfte stattfindet, wohl darauf hin, daß sich der Mensch nun mit voller Kraft dem Dienste Gottes weihen könne, sowie auch Christus um die Mitte seiner Tage sich Gott zum Opfer brachte. Th. Aq. sagt P. 3, Q. 46, A. 9, daß Christus gerade in diesem Alter hätte leiden wollen, um dadurch seine Liebe noch mehr an den Tag zu legen, indem er sein Leben für und hingab, als er im vollkommensten Zustande war. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Mannesalter, darin Christus aus dieser Welt gegangen, etwas Heiliges und für die Menschenkinder gewissermaßen Normales hat, wie Th. Aq. anzunehmen scheint, nach welchem unsre Leiber bei der Auferstehung die Eigenschaften dieses Alters an sich trägen würden. (Eph. 4, 13).

02 Wenn das Bild des Waldes irgend woher entlehnt ist, so ist es aus Jerem. 5, 6 und Hos. 2, 12, wo Gott den Weinberg Israels zu einem Walde, den die wilden Thiere fressen sollen, zu machen droht. (S. h. d. Ges. Anm. 3)

03 Es ist sehr wahrscheinlich, daß Dante bei dem glückseligen Hügel an Zion, den Berg des Heils, denkt, zumal er das irdische Abbild des himmlischen Zions sein zu sollen scheint, wo die Herrlichkeit des Herrn die Stelle der Sonne vertritt (Off. 21, 23.) Da nun Zion nach Dante über dem Mittelpunkte des Höllentrichters und nach damaliger allgemeiner Annahme in der Mitte der bewohnten Erde liegt, so paßt das sehr gut zu dieser Bedeutung des Hügels, denn dem Orte, von dem das Heil über die ganze Welt ausgehen soll, kommt es gewissermaßen zu, in der Mitte derselben zu liegen. [So sagt auch Th. Aq. P. 3. Q. 46. A. 10: "Weil die Kraft seines Leidens über die ganze Welt sollte ausgegossen werden, so wollte er in der Mitte der bewohnbaren Erde leiden, d. i. in Jerusalem; weshalb es im Psalmen heißt: "Gott aber, unser König, hat vor aller Zeit sein Heil bereitet in der Mitte der Erde, d. h. in Jerusalem, welches der Nabel der Erde genannt wird."] Darnach wäre der Wald am besten als über die ganze Erde sich erstreckend und der Hügel als in der Mitte desselben liegend zu denken, und so wäre dann rings um den Berg her gewissermaßen Aegypten (P. 25, 55). - Uebrigens thut Dante wohl, die Lage des Waldes und des Hügels nicht so bestimmt anzugeben, als die der Hölle, des Fegefeuers und des Himmels, weil hier der Augenschein alle Täuschung vernichten würde.

04 Das klingt fast wie: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hülfe kommt."

05 Die Sonne, die zu Dante's Zeit dem Ptolemäischen Weltsystem gemäß zu den Planeten gerechnet wurde, ist dem Dante, wie auch der Bibel, das vollkommenste Abbild Gottes, insofern er ein Licht ist, das sich der Welt offenbart. Darum heißt sie F. 4. 62 ein Spiegel (nämlich der göttlichen Herrlichkeit) und P. 25, 54 wird Gott hinwiederum geradezu Sonne genannt. Der hervorstechende Name Gottes "der Heillige Israels" heißt ja eigentlich "der Glänzende Israels."

06 Es ist hier natürlich vom geistlichen Tode die Rede.

07 Das ist der Fall, wenn man in einer Ebene geht; denn beim Steigen tritt ein Moment ein, wo der tiefere Fuß aufhört, der feststehende zu sein, indem wir uns auf den höhern stützen, um den tiefern nachzuholen. Der 29. erwähnte Abhang ist mithin so sanft, daß er fast einer Ebene gleicht. Das paßt gut zu 32., wo erst die eigentliche Steile beginnt. Der sanft angehende Fuß des Hügels der Gottseligkeit deutet wohl auf die scheinbare Leichtigkeit der Bekehrung hin, indem der Mensch den Entschluß für die Ausführung nimmt. "Der Tugend Pfad ist anfangs steil", das ist in Bezug auf die Ausführung ganz richtig; aber "Oft denkt, wenn wir die Stille pflegen, das Herz im Stillen tugendhaft, kaum lächelt uns die Welt entgegen, so regt sich unsre Leidenschaft u.s.w."

08 Die weißen und schwarzen Flecken des Panthers bezeichnen vielleicht die Weißen und Schwarzen in Florenz, die sich gegenseitig überlisteten.

09 Also im Gestirn des Widders, da die Welt nach damaliger Meinung zur Zeit unsers Frühlings erschaffen wurde.

10 Die göttliche Liebe, als Güte gedacht, ist auch nach Th. Aq. der Urgrund der Schöpfung. P. 1. Q. 47. A. 1 heißt es: "Er brachte die Dinge ins Sein, um seine Güte den Geschöpfen mitzutheilen und durch sie darzustellen." Darnach wäre die Ehre Gottes der begleitende Grund. In der Bibel selbst ist der erste Grund der Schöpfung die Ehre Gottes, und die Liebe kommt nur in sofern in Betracht, als eben der die Welt zu seiner Ehre erschaffende Gott ein Gott der Liebe ist. Diese dogmatische Verrückung des rechten Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf kommt auf moralischem Gebiete wieder zum Vorschein, wo der Katholicismus in Bezug auf den Menschen die Liebe vor dem Glauben hervorhebt, wie in Bezug auf Gott die Liebe vor der Ehre. Darnach vergilt das Geschöpf dem liebenden Schöpfer gewissermaßen durch Gegenliebe, während dem Protestantismus gemäß das Geschöpf dem seine Ehre suchenden Schöpfer sich im Glauben unterwirft. An diesem ersten Punkte stoßen wir gleich auf einen sehr wesentlichen, durchgreifenden Unterschied zwischen Katholicismus und Protestantismus.

11 Durch die himmelbewegenden Engel, indem von Gott die Urbewegung ausging. (P. 29, 52). "Die schönen Dinge" sind die Sterne als Mitträger der Herrlichkeit Gottes, der ein Licht ist.

12 Politisch genommen machte ihm der Panther Hoffnung, insofern um 1300, dem äußeren Anscheine nach, Ruhe in Florenz herrschte, indeß der Löwe in Carl von Valois freilich schon in der Ferne stand und die römische Curie im Hintergrunde lauerte. Moralisch genommen machte ihm der Panther Hoffnung, insofern es in der Natur der Arglist liegt, minder abschreckend zu erscheinen, als die brutale Gewaltthätigkeit und die zügellose Unenthaltsamkeit. Darum heißt es von Geryon, dem Sinnbilde der Arglist, daß er das Angesicht eines Gerechten hat voll gleißender Milde (H. 17, 10, 11), und Shakespeare sagt: "Was für ein schönes Aeußere Falschheit hat!"

13  Der junge Tag und der Frühling machen ihm nicht blos im psychologischen Sinne Hoffnung, wie Streckfuß anzunehmen scheint, sondern vielmehr als Typen und Unterpfänder für die Wiedergeburt der Menschheit; denn die nach der Nacht auf's Neue aufgehende Sonne predigt uns, daß die Güte des Herrn alle Morgen neu ist, und daß er sein Angesicht nicht auf ewiglich verstecke, und der wiederkommende Lenz, in dem die Weltschöpfung (s. 38-40) und Welterlösung zu Stande gekommen, weist auf die dereinstige Weltvollendung hin, indem er uns die Worte des Dichters zuruft: "Was unser Gott erschaffen hat, das wird er auch erhalten; darüber will er früh und spat, mit seiner Gnade walten." Eine ähnliche Ideenverbindung findet sich bei Th. Aq. P. 3. Q. 46. A. 9. "Gott wollte durch sein Leiden und Sterben die Welt erlösen und neugestalten zu der Zeit, wo er sie geschaffen, d. i. in der Tag- und Nachtgleiche; damals gewann der Tag über die Nacht die Oberhand, weil wir durch das Leiden des Erlösers von der Finsterniß zum Lichte geführt werden und weil die vollkommene Erleuchtung bei der Wiederkunft Christi (zur Weltvollendung nämlich) statthaben wird, deshalb wird die Zeit der zweiten Wiederkunft dem Sommer verglichen (Mat. 24, 32. 33.)" - Man sieht hieraus, wie man im Mittelalter die Naturzymbolik getrieben, und wie innig man Natur und Menschenwelt zusammengeschaut habe.

14 Die Gewaltthätigkeit Frankreichs ist bekannt genug. Philipp IV., der Schöne, machte ja mit dem Papste, was er wollte; bei der Aufhebung des Tempelherrnordens ließ er auch Gewalt für Recht ergehen, und Carl von Valois legte sich in Florenz ebenfalls keinen Zwang an. Von ihm ist wahrscheinlich H. 6, 69 die Rede, wo der Gewaltthätigkeit ausdrücklich Erwähnung geschieht. Ehrgeiz würde für Frankreich bei weitem nicht so bezeichnend sein. (s. h. d. Ges. Anm. 2.)

15 Der Gründer des römischen Weltreichs war ja von einer Wölfin gesäugt worden, und so hatte den Wolfssinn die römische Curie überkommen. Göthe sagt auch: "Die Kirche hat einen guten Magen, kann ungerechtes Gut vertragen, hat ganze Länder aufgefressen, und doch noch nie sich übergessen." Wer im Kirchenstaate gewesen ist, dem wird die lüsterne und doch dürre Wölfin lebhaft von Augen stehen.

16 Mir hat ein Italiener gestanden, daß der Segen, der vom päpstlichen Stuhle ausgeht, wie Fluch aussehe. - Uebrigens ist die Ordnung, in der die drei Thiere genannt werden, durchaus nicht gleichgültig. Im moralischen Sinne, wo sie als feindlich entgegenstehende Mächte gefaßt werden, muß zuerst die am schwersten und zuletzt die am leichtesten zu überwindende kommen, gerade umgekehrt, wie in der Hölle, wo die schwerste Schuld am tiefsten zu stehen kommt. Deshalb erwähnt der Dichter zuerst die Arglist, dann die Gewaltthätigkeit und endlich die Unenthaltsamkeit, während dort zuerst die Unenthaltsamkeit, dann die Gewaltthätigkeit und endlich die Arglist kommt. Was den politischen Sinn betrifft, so mußte ebenfalls zuerst Florenz daran kommen, denn das lag dem Dichter als sein Vaterland zunächst, sodann Frankreich, denn das mischte sich in die Florentinischen Händel ein, zuletzt Rom, denn das stak hinter allen diesen Machinationen, weshalb es denn auch nichts Befremdendes hat, daß der Dichter nachher die beiden ersten gänzlich fallen läßt.

17 Die lautlose Stille im Walde, wo die Sonne nicht eindringt, wird treffend ein Schweigen der Sonne genannt; denn sobald man aus dem Walde auf eine sonnige Wiese hinaustritt, so ist es, als spräche sie da. Die Verwechslung des Gesichtes mit dem Sinne des Gehörs kommt auch bei den Classikern vor und ist auch hier nicht ohne ästhetische Bedeutung.

18 Bis hierher hat der Dichter seine Bekehrung mit eigener Kraft versucht; weshalb sie ihm eben mißglückt ist. Thom. Aq. sagt mit 2 Cor. 3, 5: "Wir sind nicht tüchtig von uns, etwas zu denken, als von uns selber; ein tieferes Prinzip aber, als das Denken, kann nicht gefunden werden, darum kann auch nicht einmal die Vorbereitung zur Gnade ohne göttliche Hülfe geschehen." Diese Vorbereitung zur Gnade durch göttliche Hülfe beginnt jetzt. Nach Th. Aq. giebt es eine dreifache Bekehrung. "Die eine mittelst vollkommener Liebe, die dem Geschöpfe zukommt, das Gott schon genießt, und zu dieser Bekehrung wird die vollendete Gnade (gratia consummata) verlangt. Eine andere Bekehrung ist die, die die Seligkeit verdient und zu dieser wird die habituelle Gnade (gratia habitualis) verlangt, die das Prinzip des Verdienstes ist. Die dritte Bekehrung ist die, dadurch sich Einer zur Erlangung der Gnade vorbereitet, und zu dieser wird keine habituelle Gnade verlangt, sondern nur ein Wirken Gottes, der die Seele zu sich bekehrt." - Vor dem Eintritt in das Fegefeuer wird dem Dante die gratia habitualis nicht zu Theil. Bis dahin ist alles Vorbereitung.

19 Auf die schwache Stimme der Todten, die eine natürliche Folge des Schattenleibes ist, wird öfters in dem Gedichte hingedeutet. Uebrigens liegt wohl zugleich eine Anspielung auf das lange vernachlässigte Studium Virgils darin. Dante scheint es sich wenigstens gegen Virgil zum Verdienste anzurechnen, daß er seine Schriften wieder aufgesucht habe. (84).

20 "Die große Wüste" ist vielleicht eine Anspielung auf Johannes den Täufer, in dessen Charakter Virgil hier aufzutreten scheint (s. Einf. 6, e.) Dante ruft dem Bußprediger den Anfang des berühmten Bußpsalmen entgegen, der ja am Charfreitag, auf den die Fiction fällt, noch immer in den Kirchen gesungen wird. So thut er nun mit der ganzen katholischen Christenheit einen Hülfsschrei.

21 Als Cäsar Dictator wurde, war Virgil 20 Jahre alt. Das "spät" kann sich also nicht auf die Dictatorschaft Cäsar's beziehen, sondern auf die ganze Lebenszeit desselben; denn Cäsar war 28 Jahre älter, als Virgil. Dieser scheint somit zu bedauern, daß er, der Sänger des römischen Weltreichs, dem Dante eine so hohe Bedeutung beimißt, nicht zugleich mit Cäsar, dem ersten Kaiser des römischen Weltreichs, geboren worden, um Augenzeuge seines ganzen rühmlichen Lebens sein zu können.

22 Nicht umsonst erwähnt Virgil seinen Aufenthalt in Rom, der Hauptstadt den römischen Weltreichs, sowie den guten Augustus, unter dessen Regierung die Blüthe desselben fällt.

23 Wohl nur in Bezug auf die Form, denn die göttliche Komödie, die allerdings eine materielle Nachbildung der Höllenfahrt des Aeneas ist, war ja noch nicht angefangen. Er müßte denn vorgreifen, was allerdings auch möglich ist.

24 Aber der Schüler ist über den Meister gekommen.

25 Seitdem die Sünde in die Welt gekommen ist und sich gewissermaßen zwischen Gott und Menschen gestellt hat, muß er einen Umweg (vergl. 2, 120) durch die Buße machen, um zur Gottseligkeit zu gelangen.

26 Die vielen Thiere, mit denen sich die Wölfin gattet, sind im moralischen Sinne die vielen anderen Laster, die im Gefolge der Geld- und Genußsucht sind (19, 112-114). Daher die intime Freundschaft zwischen Plutus (dem Gott des Reichthums) und dem Oberhaupt der Hölle, an den er einen so beträchtlichen Seelentribut abliefert (H. 7, 1-2). Aus gleichem Grunde macht Mephistopheles den Faust im Göthe auf den Mammon aufmerksam, der in den Felsen glüht. - Im politischen Sinne sind es die vielen Großen der Erde, mit denen sich die römische Curie aus Geld- und Genußsucht verband (H. 19, 108), was Dante biblischer Anschauung gemäß als Hurerei bezeichnet, indem die Kirche allein als des Papstes rechtmäßiges Weib zu betrachen ist (H. 19, 111). Die fremden Mächte, mit denen die römische Curie damals buhlte, sind Florenz und Frankreich [Uebrigens beseichnet lupa im Lateinischen eine Hure, ohne Zweifel, weil man in ihr das Sinnbild der Unenthaltsamkeit im Allegemeinen erkannte: ein Beweis mehr für unsere Auffassung der Wölfin. (s. Anm. 2. hinter dem Ges.)

27 Während die drei vorhergehende Thiere vorwiegend als abstracta erscheinen, jedoch so, daß sie zuletzt in concreta auslaufen, so erscheint umgekehrt der Windhund vorwiegend als concretum, jedoch wieder so, daß es am Ende in ein abstractum ausgeht, da er von vorn herein mehr wie eine einzelne menschliche Persönlichkeit behandelt wird. Ich stimme mit den meisten Auslegern darin überein, daß der Dichter bei dem schnellen Windhunde zunächst an Can grande della Scala, Herrn von Verona, und Oberhaupt der ghibellinischen Parthei in Italien seit 1318, gedacht habe, der zur Zeit der Fiction, also um 1300, erst neun Jahre alt war (P. 17, 80-81); einmal weil sein Name Can (Hund) einen guten Anknüpfungspunkt für die Allegorie bietet, einmal weil die Grenzbestimmung 105 wohl dazu paßt. Darnach hegte also Dante die allerdings sanguinische Hoffnung, das Can della Scala der weltlichen Macht der römischen Curie würde ein Ende machen, versteht sich, in Verbindung mit dem Kaiser, dem rechtmäßigen weltlichen Oberherrn Roms (F. 33, 37-39) Die unglaublichen Dinge, die dem Dante Cacciaguida unter dem Siegel der Verschwiegenheit P. 17, 91-93 in Bezug auf ihn voraussagt, dürften sich leicht darauf beziehen, zumal wenn man bedenkt, daß zwischen Anchises, dem Vater des Aeneas, der diesem nicht blos seine, sondern des ganzen römischen Welreiches Schicksale vorhersagt, und Cacciaguida, dem Ahnherrn Dante's, eine gewisse Parallele obzuwalten scheint. (Aeneid. 6, 756-893).

Will man nun den Windhund der Symmetrie wegen zugleich abstracto fassen, so kann man mit Kopisch den göttlichen Eifer darunter verstehen, der sich in dem genannten Can concentriert. Der schnelle Windhund, der, wie Kopisch bemerkt, zuerst in der Legende des heiligen Domenicus als Sinnbild des heiligen Eifers auftritt, stimmt sehr wohl dazu; die drei 104 namhaft gemachten Tugenden bezeichnen, weil auf die Trinität hinweisend, (s. Anm. zu H. 3, 5-6), diesen Eifer ausdrücklich als göttlichen Ursprungs; ja man könnte nicht ohne einige Wahrscheinlichkeit behaupten, sie treten mit den durch die drei höllischen Thiere versinnbildeten Sünden geradezu in Gegensatz, die geordnete Liebe mit der zügellosen Gier (F. 17, 133-39), die heilige Stärke mit der brutalen Gewaltthätigkeit, die taubenfromme Weisheit mit der schlangenartigen List.

28 Vergl. Joh. 4, 34. Die Besitz- und Geldgier des Papstes, mit dem der Windhund contrastirt, erfuhr Dante persönlich, indem seine Güter confiscirt wurden und er außerdem eine beträchtliche Geldsumme als Strafe zahlen sollte. Vgl. P. 17, 85, wo Can's Freigiebigkeit gepriesen wird.

29 Bei dieser Charakteristik des Can delle Scala kann man sich des Gedankens an Luther nicht erwehren, ein welchem diese allerdings hochgespannten Prädikate erst ihre wahre Erfüllung gefunden haben. Dante tritt hier fast in die Reihe der Propheten ein, deren Anschauungen sich auch nicht selten auf eine nähere geschichtliche Thatsache basiren und mit einem größeren oder geringeren Ueberschwang in eine entferntere Zukunft auslaufen. Es ist doch, mindstens gesagt, ein curiosum, wenn es denn kein miraculosum sein soll, daß in dem Worte Veltro (Windhund) anagrammatisch LVTERO steckt und daß der alte Landino, nach F. 33, 41. die Geburt des künftigen Reformators auf das Jahr 1484, den 25. November, 3 Uhr und 41 Minuten Nachmittags astrologisch festgesetzt hat. Luther aber ward am 10. November 1483 geboren, und Blanc sagt: "Wenn man bedenkt, daß ein kleiner Schreib- oder Druckfehler in der von Landino angegebenen Jahrzahl oder auch ein kleiner Irrthum in der astrologischen Berechnung sehr möglich ist, so giebt das ein sehr artiges Zusammentreffen, von dem der gute Landino (gest. 1504) sich wohl nichts hat träumen lassen."

30 Das eine ist das Castell Feltro in der Trevisaner Mark, deren ganzes Gebiet einer angeblichen Weissagung des Michael Scotus (H. 20, 115) zufolge 1329, also 8 Jahre nach Dante's Tode, in die Hände des Can della Scala kam (s. Villani's Geschichte, B. 10, C. 105 und 141). Das andere ist Monte Feltro in der Romagna, nicht weit von Urbino. Die Grenzbestimmung ist absichtlich, wie es scheint, etwas vage. Die Ausdehnung derselben bis in die Romagna hinein deutet wohl darauf hin, daß Can auch außerhalb seines eigentlichen Gebietes einen mächtigen Anhang habe oder haben werde, und zwar unter den Unterthanen des Papstes selber.

Kopisch, der den Windhund von einem in das härene Gewand freiwilliger Armuth gekleideten Papste versteht, übersetzt: "Und wird geboren unter schlichtem Filze." Dagegen läßt sich lexicalisch nichts sagen; Feltro kann allerdings Filz heißen. Aber erstens weist das "nazione" doch gar zu bestimmt auf eine örtliche Abkunft hin, und das doppelte Feltro paßt nur allzuwohl dazu, während man, wenn man wie K. übersetzt, gar nicht recht einsieht, warum es doppelt stehe, denn eigentlich würde es dann doch heißen: "Und wird geboren zwischen Filz und Filze", und Kopisch, der sonst sehr wörtlich übersetzt, hat (instinctartig oder bewußt?) das "zwischen Filz und Filze" in "unter schlichtem Filze" verwandelt. - Zweitens sollte man dem "Er nährt sich weder von Metall noch Erde" gemäß vielmehr erwarten "Und kleiden wird er sich mit schlichtem Filze." Eine vollständigere Wiederlegung siehe an den betreffenden Stellen.

31 Das "niedere" Italien, obschon vielleicht auf Aeneide 3, 522 (humilemque videmus Italiam) zurücksehend, scheint auf das basso luogo 61 zu gehen.

32 Camilla und Turnus vertheidigten Latium, während Euryalus und Nisus es zu erobern suchten. Ein böses Omen, daß gleich bei der Gründung des römischen Weltreiches zwei Partheien sich so blutig befehdeten!

33 Die erste Sünde des Teufels war der Hochmuth, auch nach Th. Aq., oder die ungeordnete Begier (avaritia), die auch geistliche Güter zu ihrem Gegenstande haben kann. Dieselbe Sünde fachte des Teufels Neid in den ersten Menschen an (Weish. 11, 24.), und so kam diese ungeordnete Begier gewissermaßen aus der Hölle in die Welt herauf. - Im politischen Sinne kann man entweder der römischen Curie selber Neid beilegen und als Gegenstand desselben die Kaisermacht denken, oder aber der moralischen Deutung näher, ihn wieder auf den Teufel beziehen als dessen Werk dann die römische Curie ganz in Luthers Weise bezeichnet wird, indem dieselbe gewissermaßen eine Pflanzstätte für jene ungeordnete Begier ist. Vergl. P. 27, 22-27, wo sich der Satan freuet, daß der Papst die Grabstätte Petri zur Cloake gemacht.

34 Durch die Hölle, die ewig dauert, wie ihre Bewohner.

35 Hier den Tod auch der Seele, wie schon des Leibes. In der Schrift besteht der zweite Tod in der ewigen Trennung von Gott, dem Urquell alles seligen Lebens.

36 Beatr. nämlich (s. Einf.)

37 Wie die Fürsten in der Bibel Götter genannt werden, so nennt Dante Gott hinwiederum imperatore (Kaiser), denn die obrigkeitliche Gewalt ist ein Abbild der göttlichen Machtvollkommenheit.

38 Die Stadt Gottes im Empyreum, der äußersten Peripherie des Weltalls, steht der Stadt des Satans (H. 3, 1) im Centrum desselben entgegen, denn wie Gott aus dem Empyreum herab die neun Himmelssphären lenkt, so regiert Satan aus der Judecca hinauf die neun Höllenabtheilungen. Auch Augustin spricht von zwei "civitates."

39 Das in das Gewissen geschriebene Gesetz nämlich, also daß er keine Entschuldigung hat (Röm. 2, 15; 1, 20).

40 Das Schlimmre ist die Hölle, davon der Wald, als die Hölle im Leben, ein bloßer Vorschmack ist.

41 Das Thor des heiligen Petrus ist das des Fegefeurberges, weil dort ein Engel im Namen des Apostels das entscheidende Schlüsselamt ausübt. Bedeutungsvoll für den subjectiven Sinn des Gedichtes hebt Dante das Thor des Fegefeuerberges hervor, als den eigentlichen Wendepunkt der Reise, wo er aus einem Kinde des Zornes ein begnadigtes Kind Gottes werden soll.

42 Noch einige Anmerkungen zum ersten Gesang.

1) Der Wald ist nicht die Sünde in abstracto, sondern in concreto, also die Welt im Sündenelende, einmal, weil auch bei den Propheten der Wald ein concretum, das sündige Israel ist, einmal und das ist entscheidend, weil schon die drei Thiere, die den Aufgang zum Hügel hemmen, die Sünde in abstracto versinnbilden.

In diese sündenelende Welt war Dante mittelst der Geburt durch die Erbsünde (peccatum originale) und nach erwachtem Selbstbewußtsein durch die Thatsünde (peccatum actuale), so gut wie ein jedes andere Menschenkind (H. 34, 115), ohne es zu merken hineingerathen (V. 10), den Speculationen der menschlichen Vernunft folgend (F. 33, 68, 73-75; 85-90), die H. 20, 127 nachträglich unter dem Bilde des Mondes vorgestellt zu werden scheint. Daß diese Speculationen F. 33, 85-90 als fruchtlos verworfen werden, ist kein Widerspruch mit H. 20, 127-130., wo ihnen eine gewisse Nützlichkeit beigelegt wird, denn an der letztern Stelle ist, genau genommen, von den Speculationen der menschlichen Vernunft auf ihrem Höhepunkte die Rede (Siehe die Anm. zur St.). So aber löst sich der scheinbare Widerspruch durch das Wort des Baco, daß ein wenig Philosophie von Gott entfremde, ein tieferer Zug zu Gott zurückführe. Wenn aber der Wald die Welt im Sündenelende und der Mond die menschliche Vernunft versinnbildet, so ist die angegebene Bedeutung des Hügels und der Sonne außer Zweifel.

Die Allegorie scheint aber außer der allgemeinen eine besondere Bedeutung zu haben, oder vielmehr jener allgemeinen lassen sich drei besondere unterordnen, ohne daß sie irgend wie aufgehoben würde, oder auch nur wesentlich verändert. Da die drei höllischen Thiere eine Anspielung auf die drei Mächte sind, die das Römisch-Kathol. Weltreich auch äußerlich zerrissen, wie es die dadurch repräsentirten Sünden innerlich verwüsteten, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Dichter zu allererst die Römisch-Katholische Welt im Zustande des Sündenelends vor Augen hatte. Vergl. F. 14, 64, wo Florenz, der Ausgangspunkt des Römisch- Katholischen Dichters, wohl nicht ohne Beziehung auf den Anfang des Gedichtes ein Wald genannt wird und V. 106, wo Italien, der Mittelpunkt der Römisch-Katholischen Welt, wohl auch mit Anspielung auf das Waldthal "das niedre" heißt, (V 61; 14). Die angegebene Bedeutung des Mondes in dieser Beziehung ist klar; vergl. P. 29, 85-126, wo geklagt wird, daß statt des Gotteswort im Evangelium Sophismen, Fabeln und Possen und überhaut menschliche Erfindungen gepredigt und so die hungrigen Schafe mit Wind gespeist würden. Vergl. auch F. 33,10, wo Beatrice, Sinnbild der Theologie, von sich sagt, daß sie jetzt für einen kleine Zeit auf Erden unsichtbar ist.

Aber auch die wahrhaft apostolische Kirche, die auf dem göttlichen Worte ohne menschlichen Beisatz erbauet ist, wird immer eine streitende bleiben; sie läßt sich daher in Bezug auf ihr Ideal, die triumphirende, wiederum als Wald denken. Ob dem Dichter diese darüberliegende Bedeutung, die sich eigentlich von selbst macht, mit vorgeschwebt habe, läßt sich nicht unwiderleglich darthun. Vergl. indeß P. 25, 52-57, wo es von Dante heißt, er komme aus der streitenden Kirche noch vor des Kampfes Ende nach dem himmlischen Jerusalem, um zu schauen (nämlich von Angesicht zu Angesicht). Die angegebene Bedeutung des Mondes in dieser Beziehung paßt sehr gut zu dem letzten Worte der citirten Stelle.

Wenn nun dereinst die streitende Kirche in die triumphirende übergehen wird, so wird alles eine Herde und ein Hirte werden Sach. 14,9. und auch die Heiden, die jetzt noch in völligem Todesschatten sitzen, werden in die christliche Kirche eingehen. Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen (Micha 4, 2), werden sie sprechen, und der Herr wird auf diesem Berge das Hüllen wegthun, damit alle Völker verhüllet sind, und die Decke, damit alle Heiden zugedeckt sind (Jes. 25, 7). Ob der Dichter an diese darunterliegende Bedeutung mitgedacht habe, läßt sich noch schwerer erweisen. So viel ist allerdings gewiß, daß ihm die arme sehnsüchtige Heidenwelt sehr am Herzen gelegen hat (H. 4, 43; F. 7, 7-8; 25-36. 22. 59-60. 96-125. P. 20, 67-110). Aber vor allem siehe H. 4, 65-66, wo die unerleuchtete Menge der Heiden geradezu ein Wald genannt wird. Wer da weiß, wie absichtsvoll und beziehungsreich jeder, besonders ungewönliche Ausdruck im Dante ist, kann kaum zweifeln, daß dieser Ausdruck auf den Wald im ersten Gesange hinüberspielen soll. Die angegebene Bedeutung des Mondes in dieser Beziehung rechtfertigt sich von selbst, da die heidnische Philosophie als der Wahrheit zwar nicht ganz baar, aber doch als zur Seligkeit ungenügend erachtet wurde.

Unter der Voraussetzung, daß es mit der eben erörterten dreigespalteten Bedeutung des Waldes und des Mondes seine Richtigkeit habe, kann die dreifache Bedeutung des Gegensatzes, des Hügels und der Sonne nämlich, keinem Zweifel unterliegen und, so enthielte dann diese Allegorie die Hauptstadien der ganzen Kirchengeschichte.

 

Heidenthum
Christliche Kirche
R. Kathol. Welt-
Wahre apost. K.
Triumph. K.
reich -
Streitende K. -
Die heidn. Phil.
D. geoffenb. Wort
Gottes.
D. durch Sophis-
D. helle Licht des
men getrübte Bi-
Evangeliums.
bell. -
D. irdische im Spie-
Das Schauen von
    gel Schauen - Angesicht zu Ang.

 

Nun haben wir zwar ein Recht, bei der Erklärung eines Werkes, das Dante selbst ein vielsinniges nennt, die Hauptallegorie darauf anzusehen, ob nicht "unter dem Schleier der fremdartigen Verse (H. 9, 61-63)", ein mehrfacher Sinn verborgen liege; ja wir haben auch aus einigen Andeutungen im Gedichte den oben angegebenen dreifachen Sinn der Allegorie einigermaßen gerechtfertigt: dennoch bekennen wir gern, daß diese unsre Erklärung weiter nichts als den Titel eines Versuches ansprechen kann; am allerwenigsten aber möchten wir behaupten, daß der Dichter jenen dreifachen Sinn sich mit völlig klarem Bewußtsein gerade so zurechtgelegt habe, und wir müssen schon zufrieden sein, wenn das, was wir explicite auseinandergesetzt haben, implicite in der Allegorie enthalten ist. Das aber kaum Niemand läugnen, daß das wahre künstlerische Genie in seine Producte mehr hineinlegt, als es weiß und will, und daß eine Erklärung des Dante, die auf der Oberfläche bleibt, von vornherein eben so wenig sich empfiehlt, als eine Religion, die keine Mysterien kennt.

2) Fast alle Ausleger haben bis jetzt den Panther als Symbol der Wollust, den Löwen als Symbol des Ehrgeizes und die Wölfin als Symbol der Habgier aufgefaßt. Für diese Ansicht sprechen gewichtige Gründe. Erstens paßt die Ordnung der Thiere sehr gut zu dieser Erklärung, denn das jugendliche Alter ist vorzüglich der Versuchung zur Wollust, das Mannesalter zum Ehrgeiz und das Greisenalter zum Geldsammeln ausgesetzt. Zweitens aber sind die drei angegebenen Sünden die Wurzeln aller andern (wie auch Th. A. nach Vorgang von Joh. 2, 16 sagt: Drei Wurzeln der Sünden lassen sich annehmen: Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben), vor allen aber die letztere, der Geiz, der ja auch von der Schrift die Wurzel alles Uebels genannt wird, weßhalb es denn ganz angemessen erscheint, daß der Dichter die beiden andern am Ende ganz fallen läßt. - Deßungeachtet können wir uns nicht entschließen, diese unbesehnes als richtig angenommene und gewissermaßen vererbte Erklärung ohne Weiteres zu unterschreiben. Die ganze Schilderung des Panthers paßt vielmehr auf Augenlust, als Fleischeslust, und die Schilderung der Wölfin in diesem Gegensatze vielmehr auf Fleischeslust, als auf Augenlust; es müßten demnach die beiden Thiere ihre Bedeutungen vertauschen, und das würde dann wenigstens die obenbesprochene sinnige Ordnung wieder zerstören, indem dann Augenlust (Habgier) zuerst, hoffärtiges Leben (Ehrgeiz) zuzweit und Fleischeslust (Wollust) zudritt käme. Ferner paßt die Wollust nicht recht zur politischen Bedeutung, da in der Wollust kein Moment liegt, das den politischen Zustand Italiens unmittelbar verwirren konnte, indem die Wollust ein Privatlaster ist. Endlich aber, und das ist das Entscheidende, der Panther kann schwerlich Sinnbild der Wollust sein, da der eigentliche Charakter desselben anerkannterweise die List ist; das Sinnbild müßte denn sehr oberflächlich bloß von seiner äußern Erscheinung hergekommen sein, was doch bei den zwei andern Thieren nicht der Fall ist, wo Aeußeres und Inneres in offenbarer Beziehung stehen. Wir fassen ihn daher seinem Charakter gemäß als Sinnbild der Arglist, wozu denn auch seine äußere Erscheinung vortrefflich paßt, das gleißende Fell nämlich und die Behendigkeit seiner Glieder. Dazu kommt, daß H. 16, 106 der Panther mit dem bemalten Felle (bemalte, äußerlich gleißende Kappen tragen ja auch die Heuchler, H. 23, 58. 64) offenbar in eine gewisse Parallele gestellt wird mit Geryon, dem Sinnbilde der List, dessen Aeußeres ebenfalls als ein gleißendes dargestellt (H. 17, 10-11) und dem ebenfalls eine große Behendigkeit beigelegt wird (H. 17, 136). Noch mehr. Es heißt kurz vorher (H. 16, 106-108), daß Dante den bemalten Panther zu wiederholten Malen zu fangen gedacht hatte mittelst eines Strickes, gleichfalls Symbols der List. Abgesehen von der allegorischen Bedeutung dieser Stelle, ist doch wohl der nächste Sinn der, daß er den listigen Panther mit Gegenlist habe fangen wollen, wie er denn auch in der Wirklichkeit nie anders als mit List gefangen wird.

Wenn aber der Panther Symbol der List ist, so müssen auch der Löwe und die Wölfin etwas Anderes bedeuten, als man bisher angenommen. Da nun der Panther der dritten Höllenabtheilung, der Arglist, entspricht, so glaubte ich, der Löwe und die Wölfin könnten vielleicht den zwei ersten entsprechen, der Gewaltthätigkeit und der Unenthaltsamkeit. Wirklich scheint auch Frankreich, das ja von dem Löwen im politischen Sinne repräsentirt wird, Hölle 6, 69 Gewaltthätigkeit beigelegt zu werden (s. An. z. H. 1, 44), und Kopisch hat, ohne sich auf diese Stelle zu stützen, von der gangbaren Erklärung der Thiere wenigstens in diesem Punkte abweichend, den Löwen bereits als Symbol der Gewaltthätigkeit gefaßt, (vergl. auch H. 27, 75 u. Anm.). Daß aber die Wölfin, die im engern Sinne allerdings Symbol der Habsucht ist (vergl. H. 7, 8 und F. 20, 10), im weiteren Sinne Sinnbild der irdischen Gier im Allgemeinen, also der Unenthaltsamkeit sein könne, deren drei Spezies nach Dante Wollust, Schlemmerei und Habsucht sind und deren Mittelpunkt eben die Habsucht ist, scheint mit keinem Zweifel zu unterliegen, denn der Habsüchtige begehrt oft nur dazu, daß er das Erraffte in seinen Wollüsten verzehre (Jac. 4,3), und darum heißt es auch von der Wölfin, daß sie mit jeglichen Gelüst beladen gewesen.

Wie trefflich aber die drei Thiere der Hölle zu dem Thale des Todes, aus dem es in die Hölle hinabgeht, passen, bedarf keiner weitern Erklärung.

3) Wenn der Wald nachher mit dem Bild des Thales vergesellschaftet wird, so brauchen wir mit Kopisch nicht gerade auf Ps. 84, 7 (oder Ps. 23, 4) zurückzugehen. Das Gleiche gilt von der richtigen Straße, verglichen mit Jes. 35, 8, obgleich sich nicht bestimmt läugnen läßt, daß der Dichter an die letztere Stelle gedacht habe, indem gleich darauf vom Löwen und vom Berge Zion die Rede ist. Es ist allerdings keinem Zweifel unterworfen, daß alle diese Bilder aus einem mit der Bibelsprache getränkten Geiste geflossen sind; aber wem wird es doch einfallen, jede biblische Wendung in den Erzeugnissen unserer Liederdichter nachzuweisen. Besonders unangenehm ist uns jene Alles bunt durcheinander wirrende Mosaik, jene die Ideen nach der geringsten Aehnlichkeit traumartig an einanderrührende Manier, die, weil der Ausgangspunkt des Dante P. 25, 55 Aegypten genannt wird, in dem finstern Wald mit seinen erschreckenden Thieren nun wieder eine Anspielung auf die "falschen Schreckbilder der ägyptischen Sündenfinsterniß" findet, wie sie Weish. 17 schildert. So können wir auch in Ps. 35, 5, wo es nach der Vulgata heißt: "Astitit omni viae non bonae", keine Gewähr dafür finden, daß der Wald der Haufe der Gottlosen sei, der auf den Wegen des Unrechts gleichsam wurzelt und keinen Schritt zum göttlichen Licht und Leben thut, erstens, weil an jener Stelle das Bild des Waldes fehlt, zweitens, weil in dem Wurzeln gar nichts Charakteristisches liegt, da es dem Weinberge ebenfalls zukommt.