Vorrede und Einleitung zu Der Hölle, Ausgabe 1825
(Originaltext "Vorrede" Seite IX)
Das Bedürfniß
einer zweiten Auflage meiner Uebersetzung der göttlichen Komödie des
Dante, von welcher der dritte Theil erst vor drei Jahren im Druck erschien,
hat meinen Eifer für dieses Werk erhöht. Ich habe die beiden Beurtheilungen
in dem Conversationsblatte und in der leipziger Literaturzeitung, - die einzigen,
welche mir zu Gesichte gekommen sind, und von denen die erstere eben so nachsichtig
und aufmunternd wie belehrend, die letztere zwar scharf, aber nicht minder belehrend
war, - sowie alle mir zu Gebote stehenden (Original Seite X) Hülfsmittel für die Erklärung,
gewissenhaft benutzt und es überhaupt nicht an Mühe fehlen lassen,
um meine frühere Arbeit zu vervollkommnen. Die Hölle, welche freilich
der bessernden Hand am meisten bedurfte, ist vielleicht zum dritten oder vierten
Theil umgearbeitet; das Fegefeuer und das Paradies waren etwas weniger mißrathen,
doch hat auch hier öfters halbe und ganze Seiten hindurch das Alte dem
Neuen weichen müssen; der siebente Gesang des Paradieses erscheint in ganz
verwandelter Gestalt; überhaupt aber ist kein einziger Gesang unverändert
geblieben. Möchten denn die Veränderungen, wenn nicht alle, doch die
meisten, zugleich Verbesserungen seyn!
Einige einzelnen Bemerkungen mögen hier noch Platz finden. Zu dem Charakter der divina Commedia gehört ein Lakonismus, eine gewisse Dunkelheit und Rauhigkeit des Ausdrucks, und ich habe diese Eigenschaften der Leichtigkeit und Lesbarkeit zu Gunst nicht verwischen mögen. - Dem Grundsatze, weibliche (XI) und männliche Reime zu mischen, doch so, daß die erstern vorherrschen, bin ich fortwährend treu geblieben. - Abweichungen von dem reinen jambischen Sylbenmaaß habe ich mir noch mehr erlaubt, als früherhin, und ich halte diese theils durch den Reiz der Abwechslung, theils durch die Prosodie des Originals und der italienenischen oder der südwest-europäischen Poesie überhaupt, gerechtfertigt. Die Zahl der Sylben aber durch Anapäste zu vermehren, so ungemein erleichternd dieß gewesen seyn würde, habe ich nicht gewagt, sondern mich an die Elf- und Zehnsylbigkeit strenge gehalten. - Die lateinischen Worte der Urschrift sind in der neuen Auflage beibehalten. Die Stelle in provenzalischer Sprache am Ende des sechs und zwanzigsten Gesanges des Fegefeuers habe ich in der altdeutschen Sprache des Minnegesanges übersetzt, oder vielmehr nur einzelne dergleichen Wörter eingemischt.
Während der Ausarbeitung des Commentars sind noch mehrere Verbesserungen der Uebersetzung (XII) entstanden, welche ich nebst den Druckfehlern jedem Theile des Werkes beifüge und nicht zu übersehen bitte.
Bei der Einleitung
sowie bei der Erklärung habe ich mich bestrebt, die Mitte zu halten zwischen
der Weitschweifigkeit einiger, besonders italienischer, und der Kargheit anderer
Commentatoren; und durch die gefälligen Mittheilungen des mit dem Dante
innig vertrauten Hrn. Professors Witte, der den Angfang der Uebersetzung und
den ganzen Commentar durchzusehen die Güte gehabt hat, und dem ich die
beigefügte von ihm entworfene Paradieskarte, sowie die Berechnung der Zeitdauer
von Dante's poetischer Reise verdanke, darf ich hoffen, daß besonders
manchen historische und astronomische Irrthümer berichtigt sind, wie ich
denn auch in der Erklärung des Allegorischen in vielen Puncten von meinen
Vorgängern abgewichen bin. - Zur Verdeutlichung des Oertlichen in der Hoelle
und besonders des Weges, welchen Dante nimmt, habe ich die geometrische Darstellung,
welche Brait Delamathe seiner (XIII)im vorigen Jahre erschienenen Uebersetzung
der Hölle beigefügt hat, der gewöhnlichen trichterförmigen
vorgezogen. - Für das Fegefeuer schien eine bildliche Darstellung weniger
nöthig. Statt deren hat das Werk eine andere Zierde erhalten, das Bild
des Dante. Es giebt nämlich zu Florenz eine über der Leiche des Dichters
abgenommene Wachsmaske, diese ist von Professor Rauch abgeformt und in dessen
Werkstätte zu Berlin vorhanden; hienach ist die Zeichnung gemacht, für
welche ich dem hießigen Maler, Herrn Siegert, verpflichtet bin.
Das Publicum hat
meine erste unvollkommene Arbeit freundlich aufgenommen, und so darf ich das
verbesserte, wie unvollkommen die Uebersetzung auch noch immer seyn mag, und
durch den Commentar ergänzte Werk wohl einer gleich günstigen Aufnahme
würdig halten, und mir die Hoffnugn machen, das Studium des Dante, des
tiefsinnigsten unter allen Dichtern, ein Studium, das für deutsche Art
und Kunst so wichtig (XIV) ist, werde auch durch
diese meine Arbeit einigermaßen befördert und mehr verbreitet werden.
Dann werden freilich neue Uebersetzer und Erklärer aufstehen. Aber wie
sehr sie mich auch übertreffen mögen, sie werden mir den bescheidenen
Ruhm lassen müssen, daß ich nach Bachenschwanz, dessen Uebersetzung
fast ganz im Dunkeln geblieben ist, den ersten Versuch gemacht, die ganze divina
Commedia in's deutsche Publicum einzuführen, und die Bahn gebrochen
habe, auf der nach mir Mehrere und - wie sollte ich es nicht wünschen?
- glücklicher fortwandeln werden.
Breslau, im November 1824.
Kannegießer.
Einleitung