Einleitung und 1. Capitel.
(Originaltext Seite I) Dante's göttliche Komödie bleibt ohne Kenntniß seines Lebens, und dieses wiederum ohne Kenntniß seines Zeitalters zum großen Theile unverständlich. Wenn man nun gleich das letztere dem ersteren allenfals einverleiben kann, wie es die meisten Biographen unsers Dichters von dem ältesten, Boccaccio, bis auf einen der neuesten, Orelli, gethan haben, so scheint es doch zweckmäßiger, beides von einander zu trennen und letzteres vorangehen zu lassen. Ich werde deshalb in dieser Einleitung zuerst einen Blick auf die politischen und religiösen Verhältnisse von Europa, Italien und Florenz vor und zu der Zeit Dante's, so wie auf die geistige Bildung oder den Zustand der Wissenschaften und Künste in jenen Jahrhunderten werfen, sodann das Leben des Dichters erzählen und endlich die Schriften desselben, besonders die göttliche Komödie im Allgemeinen betrachten. Eine Behandlung dieser Puncte in der Ausführlichkeit, (Text Seite II) mit der ich sie im vorigen Jahre an der hießigen Universität vorgetragen habe, würde freilich der Gegenstand einer eigenen Schrift seyn. Ich muß mich daher darauf beschränken, das Vorzüglichste herauszuheben.
Erstes
Capitel.
Politische
und religiöse Verhältnisse von Europa, Italien und Florenz vor und
zu Dante's Zeit.
Europa, wenigstens der größte Theil desselben, hatte im Mittelater zwei Oberherrscher, einen geistlichen und einen weltlichen, den Papst und den römisch-deutschen Kaiser. Aber diese beiden Machthaber zerfielen bald, (Fegefeuer 16, 106-112,) und es brachen die langwierigsten Uneinigkeiten und Kriege zwischen ihnen aus, welche das Ansehen beider untergruben. Zu Dantes Zeit war die Macht des Papstes schon im Sinken, aber immer noch in den Händen eines Bonifacius des achten sehr groß; die des Kaisers war ebenfalls geschwächt, blühte jedoch in dem Zeitgenossen Dante's, Heinrich dem siebenten, freilich für eine sehr kurze Zeit, von neuem auf. Die ganze römisch-katholische Christenheit nahm Theil an diesem großen Kampfe; die Partei des Papstes nannte sich die guelfische, die des Kaisers die ghibellinische. Deutschland, als der gewöhnliche Aufenthalt der Kaiser, Italien als der Sitz des Papstes, waren besonders der Schauplatz dieser Parteien; in Deutschland waren sie entstanden, in Italien wütheten sie länger und heftiger.
Italien wechselte seit dem Umsturze des weströmischen Reiches seine Herren; es ward zersplittert, mehre theilten sich darin. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts war der Kaiser nur noch dem Scheine nach der eigentlichen Besitzer; Neapel (Seite III) und Sicilien gingen gerade damals für ihn verloren und geriethen in die Hände französischer und spanischer Fürsten; in der Mitte hatte sich der Papst zum weltlichen Herrn des Kirchenstaats gemacht; Venedig war seit seinem Entstehen unabhängig gewesen, und die großen, mächtigen yund reichen Städte Toscana's und der Lombardei hatten sich bereits frei gemacht. In Toscana war Pisa das Haupt der Ghibellinen, Florenz das Haupt der Guelfen.
Florenz, eine von Römern erbaute, am Arno reizend gelegene Stadt, genoß nach manchen unglücklichen Schicksalen im zwölften Jahrhundert eines großen Wohlstandes und einer bürgerlichen Verfassung und hatte bisher am Parteienkampfe nicht Theil genommen. Ein Privatzwist im Jahr 1215 riß sie in denselben hinein. Da Dante auf denselben mehrmals, z. B. Paradies 16, 140, anspielt, verdient er eine etwas genauere Erwähnung. Die Berichte der Geschichtschreiber sind in den Hauptsachen durchaus übereinstimmend; ich gebe ihn hier größtentheils mit den Worten des Dino Compagni. Ein Jüngling in Florenz mit Namen Buondelmonte hatte einer Tochter des Oderigo Giantruffetti aus der Familie der Amideie aus der angesehenen Familie der Buondelmonti die Ehe versprochen. Eines Tages, als ihn sein Weg vor dem Häuse der Donati vorüberführte, stand die Frau des Hauses, Frau Aldruda, Gemahlin des Forteguerra Donati, mit ihren beiden schönen Töchtern auf dem Balkon ihres Palastes. Sie rief ihn, zeigte auf eine von ihren Töchtern und sagte: Welch eine Gattin hast Du Dir erwählt? Ich hob Dir diese auf. Als der Jüngling die Jungfrau betrachtete, gefiel sie ihm sehr und er antwortete: ich kann jetzt nicht anders. Frau Aldruda erwiederte: wohl kannst Du, und ich werde die Strafe für Dich bezahlen. Da antwortete Buondelmonte: und ich will sie. Und er nahm, sie zur Frau, indem er die verließ, welche er gewählt und mit der er sich verlobt hatte. Aber Herr Oderigo (IV) durch diesen Treubruch höchst gekränkt, berathschlagte mit seinen Freunden und Verwandten und sie beschlossen sich zu rächen und dem Beleidiger eine Schmach anzuthun dadurch, daß sie ihn schlügen. Die Uberti jedoch, eine sehr mächtige und angesehene Familie, stimmten dafür, daß man ihn tödte. Da sagte einer von der Versammlung, Namens Mosca Lamberti, dem die Berathschlagung zu lange dauerte: That hat Rath (cosa fatto capo ha). (Hölle 28,107). Und sie gingen hin und tödteten den Buondelmonte, als dieser sich am Ostermorgen auf der Straße blicken ließ, bei dem Standbilde des Mars, des alten Beschützers von Florenz. Die angesehenen Familien nahmen nun Partei für den Mörder oder für den Gemordeten: an der Spitze der ersten standen die Amidei, an der Spitze der andern die Donati; die erstere war für den Kaiser, die letztere für den Papst. Dies ist der Ursprung der Ghibellinen und Guelfen zu Florenz. - Bald kam es zu neuen blutigen Auftritten, und im Jahre 1248 mußtern die Guelfen zum ersten Mal und zwar nach öffentlichem Urtheil die Stadt verlassen. Die Ghibellinen herrschten nun, solange der mächtige hohenstaufische Kaiser Friedrich der zweite lebte, der von seinem Vater Heinrich dem sechsten oder vielmehr von seiner Mutter, Constantia, Neapel und Sicilien geerbt hatte und, zumal da er sich viel in Italien, besonders in seinen Erbländern aufhielt, eine große Stütze seiner Partei war. Aber er starb schon am 13. December 1250. Die Guelfen, welche kurz vorher zurückgerufen waren, wurden nun wieder die herrschende Partei, die aristokratische Verfassung der Stadt ging in eine demokratische über. Dem Podesta, dem obersten Beamten der Stadt, der dem Justiz- udn Polizeiwesen vorstand, und damals den Titel eines Capitano del popolo oder Volksobersten erhielt, ward eine Signoria, ein Rath von 12 Personen, zugesellt, dessen Mitglieder alle zwei Monate wechselten. In diesem Zustande blieb Florenz zehn Jahre und (V) man kann diese Zeit die heroische, die gute Zeit der Florentiner nennen. Denn auch der sittliche Zustand der Einwohner war damals sehr lobenswerth. Der Geschichtschreiber Villani schildert ihn im sechsten Buche seiner florentinischen Geschichte folgendermaßen: "Um diese Zeit lebten die Flotentiner mäßig; ihr Fleischvorrath war gemeinschaftlich, ihre Ausgaben geringe; mehre von ihren Gewohnheiten möchten uns ungeschlacht und roh scheinen; Männer und Frauen waren nur mit groben Stoffen bekleidet, mehre trugen sogar Häute ohne Unterfutter statt Kleider, Mützen auf den Köpfen und hölzerne Schuhe an den Füßen; die vornehmsten Damen dünkten sich geputzt mit einem Kleide von groben Scharlachtuch, das ein altväterlicher Metallgürtel zusammenhielt, und mit einem Pelzmantel, dessen Kappe den Kopf bedeckte, während die gemeinen Frauen Kleider von demselben Schnitt trugen, aber aus grobem, grünem Kammertuch; die gewöhnliche Ausstattung der Bräute bestand in hundert, höchstens zwei bis dreihundert Gulden; die meisten Mädchen heiratheten erst nach dem zwanzigsten Jahre. Bei diesen einfachen Sitten und -Gewohnheiten hatten die Florenzer ein redliches Gemüth; sie waren im Privatleben einer dem andern treu, und zeigten dieselbe Treue bei öffentlichen Angelegenheiten. Ungeachtet ihrer bäuerischen Lebensart und Armuth zeichneten sie sichj durch tugendhafte Handlungen aus und trugen mehr zur Ehre ihrer Familien und ihres Vaterlandes bei, als wir jetzt bei unserer Verfeinerung und Weichlichkeit." - So weit Villani, der nur etwa 50 Jahre nach jener Zeit lebte, und eine ähnliche Schilderung entwirft Dante hiervon im fünfzehnten Gesange des paradieses vom Vers 79 an.
Aber kaum hatten die Florentiner die demokratische Verfassung bei sich gegründet, so suchten sie auch ganz Toscana demokratisch und guelfisch zu machen. Und es gelang ihnen dieß in gewissem Grade. Sie führten mehre glückliche Kriege (VI) mit benachbarten Städten, und das Jahr 1254 war besonders ein Jahr des Sieges.
Im Jahre 1260 änderte sich der Zustand der Dinge in Florenz. Kaiser Friedrich der zweite hatte zwei rechtmäßige Söhne, Konrad, der schon bei Lebzeiten des Vaters zum König von Deutschland gekrönt war, und Heinrich, der seinem Bruder, falls er ohne Erben stürbe, in der Regierung folgen sollte, aber 1253 zu Melfi starb, - und drei uneheliche, von denen Manfred, Prinz von Tarent, dessen Mutter eine Markise Lancia war, die großen Eigenschaften seines Vaters vorzüglich geerbt hatte. Konrad setzte sich zwar in Besitz der italienischen Länder seines Vaters, starb aber schon nach vier Jahren 1254 und hinterließ ein unmündiges Kind, Konradin, als seinen Erben. Aus diesem Ereigniß suchte Papst Innocenz der vierte Vortheil zu ziehen und Unteritalien, welches er früher dem Bruder des französischen Königs Ludwig des heiligen, dem Grafen Karl von Anjou, hatte zuwenden wollen, dem päpstlichen Stuhl zu unterwerfen. Aber Manfred machte sich zum König von Neapel und Sicilien trotz der Anstrengungen des Papstes und wurde eine neue Stütze für die italienischen Ghibellinen. Die florentinischen Ghibellinen, welche 1258 wegen eines fehlgeschlagenen Versuches sich sich die vorige Macht wieder zu verschaffen aus der Stadt verbannt waren, baten ihn um Hülfe. Er gewährte sie, zuerst geringe, nachher etwas bedeutendere. Farinata, der Anführer der Verbannten, wußte darauf die Florentiner durch List zu einer Schlacht hervorzulocken, welche Dienstags, am vierten September 1260 vorfiel, am Fluß Arbia bei Montaperti, nach welchen beiden Namen sie genannt wird, siehe den zehnten, sechszehnten und zwei und dreißigsten Gesang der Hölle. Die Florentiner wurden besonders durch die Verrätherei des Bocca Abbati, der während des Gefechts zu den Feinden überging, (Hölle 32, 106.) von den Verbannten völlig in die Flucht geschlagen und zum großen (VII) Theil getödtet. Die Ghibellinen zogen ein und herrschten von nun an wieder in Toscana. Aber das Volk war guelfisch gesinnt; daher hielten die Ghibellinen es für das rathsamste, die Stadt zu zerstören. Florenz war am Rande des Untergangs. Da erhob sich Farinata von Uberti und nahm in einer kraftvollen Rede das Wort für die Erhaltiung seiner Vaterstadt. Sie ist und von einem Geschichtschreiber, Leonardo Aretino, aufbehalten, und der Schluß derselben lautet so: "Wisset ihr nicht, daß, wenn ich die Waffen geführt, wenn ich meine Feinde verfolgt habe, ich dennoch nie aufhörte mein Vaterland zu lieben? Nein, nimmer werde ich zugeben daß das, was unsere Feinde unangetastet ließen, von unsern Händen zerstört werde und das künftige Jahrhunderte unsern Feinden den Namen der Retter, uns den Namen der Zerstörer des Vaterlandes geben. Wisset! Ich, auch von allen verlassen und überstimmt, ich, der eine, werde es nie zugeben, daß meine Vaterstadt zerstört werde; und wenn ich tausendmal für sie sterben darf, bin ich bereit, tausendmal für sie zu sterben." Die Rede machten solchen Eindruck, daß niemand sich zu wiedersetzen wagte. Diese Großthat des Farinata hebt denn auch Dante hervor, Hölle 10, 91-93.
Die Obermacht der ghibellinischen Partei in Italien und besonders in Florenz dauerte nicht lange. Die Regierung des Papstes Alexander des vierten war ihnen günstig: aber dieser starb den 25. Mai 1261, und sein Nachfolger Urban der vierte, ein geborner Franzose, gab den italienischen Angelgenheiten bald eine neue Wendung. Er haßte den König Manfred und nahm den Plan seines Vorgängers, Innocentius des vierten wieder auf, die Krone von Neapel an den Bruder Ludwig des heiligen, den Grafen Karl von Ajou zu bringen. Dieser Graf war nach den Königen von Europa damals einer der reichsten, mächtigsten und ehrgeizigsten Fürsten. Seine Gemahlin Beatrix, eine Tochter des Grafen von Provence (VIII) Raimund Berlinghier (Paradies, 3,33,) übertraf ihn vielleicht noch an Ehrgeiz; sie strebte nach der Königswürde um so mehr, weil ihre drei Schwestern an Könige, die eine an Ludwig den heiligen von Frankreich, die andere an Heinrich von England und die dritte an den deutschen König Richard von Cornwallis, verheirathet waren. So ging den Karl von Anjou auf Antrieb des Papstes Urban im Jahr 1264, 46 Jahr alt, nach Italien, und das Glück begleitete ihn. Er ward das Jahr darauf, in welchem der ihm gleichfalls gewogene Papst, Clemens der vierte, den päpstlichen Stuhl bestieg, in Rom mit großer Freude aufgenommen. Manfred wagte eine Schlacht bei Benevent in der Ebene Grandella am Flusse Calore, ward in die Flucht geschlagen und in der Schlacht getödtet. Erst am dritten Tage nach der Schlacht ward sein Leichnam gefunden. Als Excommunicirter durfte er nicht in geweihter Erde begraben werden; man verscharrte ihn deshalb am Fuß der Brücke von Benevent. und jeder Soldat warf einen Stein auf das Grab. Aber dieß schien dem Papst noch zu ehrenvoll, weil Benevent zum Kirchenstaat gehörte. Der Erzbischof von Cosenza ließ den Leichnam wieder ausgraben und an die Gränze den Reichs auf die Ufer des Flusses Verde werfen. So starb eiheit gesetzt wurdeConstanza, nach ihrer Eltermutter, der Gemahlin Heinrichs des sechsten, so genannt, lebte er fort. Denn diese ward als Gemahlin des Königs Peter von Aragonien Mutter der nachmaligen Königs Friedrich von Sicilien, siehe Fegefeuer 3, 112.
Manfred war die Stütze der Ghibellinen in italien gewesen. Die guelfisch gesinnten Florentiner riefen Karl von Anjou um Beistand an. Er schickte ihnen auch Ostern 1267 unter Anführung des Grafen Guido von Montfort 800 französische Reiter. Die Ghibellinen verließen nun von selbst die Stadt und flohen nach Pisa und Siena. Karl ließ sich den (IX) Oberbefehl über die Stadt auf zehn Jahre geben; die eigentliche Regierung blieb in den Händen der Bürger, während er selbst Neapel einnahm und durch die Enthauptung des besiegten Conradin am 26. October 1268 sich zum unbestrittenen Könige beider Sicilien machte, obwohl er durch die sicilianische Vesper am 30. März 1282 Sicilien wieder einbüßte.
In diese Zeit fällt auch der Krieg zwischen Pisa und Genua, welcher durch zwei unglückliche Schlachten mit der gänzlichen Besiegung und Entkräftung der erstern Stadt endete und die Erhebung und den schauderhaften Tod des Ugolino zur Folge hatte. Dieser pisanische Graf hatte das gänzliche Verderben seiner Vaterstadt abgewandt, aber durch seine zunehmende Macht und den Stolz, welchen er blicken ließ, sich den Argwohn seiner Mitbürger und die Feindschaft einzelner Vornehmen zugezogen. Zu letzteren gehörte besonders der Erzbischof Ruggieri. Es kam endlich zu einem Aufstande, in welchem der Graf mit vier von seinen Söhnen und Enkeln zum Hungertode verdammt wurde. Dante hat diesen Gräuel durch die ergreifende, fürchterlichschöne Darstellung, welche er im 33sten Gesange der Hölle davon giebt, eine der bekanntesten in der ganzen göttlichen Comödie, verewigt.
Karl von Anjou, als König von Neapel der erste, starb 1285, ohne das Königreich Sicilien wieder erobert zu haben, und sein zweiter Sohn Karl Martel übernahm die Regierung, bis der Kronprinz, als König Karl der zweite oder der lahme, der damals von seinen Feinden, den Aragoniern und Siciliern gefangen genommen war, 1288 in Freiheit gesetzt wurde und seinem Vater in der Regierung folgte. Der florentinische Staat wuchs indessen, auch ohne fremde Hülfe, durch sich selbst an, indem auch im Jahre 1278 durch den Papst Nicolaus den dritten und den Kardinal Latino Frangipani eine, doch nicht dauerhafte, Aussöhnung beider Parteien zu Stande gekommen war, und gab sich im Jahre 1282 eine Verfassung, (X) welche der Hauptsache nach bis zum Untergange der Republik gedauert hat, und von der selbst gegenwärtig noch Spuren übrig seyn sollen. Man nahm sechs Hauptgewerbe an, wählte aus jedem derselben einen auf zwei Monate und vertraute diesen 6 Prioren, wie man sie nannte, die ausübende Gewalt an. Sie wurden durch das Loos gewählt, zuerst alle zwei Monate, späterhin die sämmtlichen zweimonatlichen während eines Jahres gleich auf einmal; erst nach Verlauf von zwei Jahren konnten dieselben wieder gewählt werden. Der Adel war ganz davon ausgeschlossen. - Die Ruhe von Florenz ward jetzt aber von neuem unterbrochen.
Pistoja, eine zwischen Florenz und Modena am Fuße der Apenninen gelegene, durch Zwietracht und Mordsucht berüchtigte Stadt, zeichnete sich gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts durch Mordscenen aus, welche an Barbarei gränzen, (Hölle, 25, 10-12). Auch hier hatten die Guelfen die Oberhand behalten. Aber bei einem Familienstreit theilten sich diese wieder in die Partei der Weißen und der Schwarzen, von welchen die ersteren sich den Ghibellinen zuneigten. Um die Ruhe herzustellen, übertrugen die Einwohner dieser Stadt die Verwaltung der Stadt den Florentinern auf drei Jahre. Aber diese nähere Berührung und die Aufnahme mehrer Familien von Pistoja in Florenz hatte für letztere Stadt die nachtheiligsten Folgen. Zwei welfische Familien in Florenz nahmen gleiche Parteinahmen an, die des Corso Donati den der schwarzen, die der Cerchi, eine neue durch Reichtum ausgezeichnete, den der weißen. Zu der letztern gehörten mehre auch wissenschaftlich namhafte Männer, z. B. Guido Cavalcanti, ein Dichter, (Hölle 10,) Dino Compagni, ein Geschichtschreiber, und Dante. Die Schwarzen, als unverdächtigere Guelfen, hatten mehr die Gunst des damaligen Papstes, Bonifacius des achten, den die Weißen um Vermittelung des Friedens ansprachen. Bonifacius ließ den Vieri, das Haupt der Weißen aus der Familie der (XI) Cerchi, nach Rom kommen und verlangte, daß er mit Corso Donati Frieden machen solle. Aber Vieri behauptete, er habe mit keinem Menschen Streit und es bedürfe der Friedensstiftung nicht. Der Papst schickte darauf den Cardinal von Acquasparta im Junius des Jahres 1300, um welche Zeit Dante einer der Prioren war, nach Florenz; dieser richtete jedoch nichts aus und belegte die Stadt bei seiner Abreise mit dem Interdict. Die Signorie suchte sich nun selbst zu helfen und schickte im Januar 1301 beide Parteien aus der Stadt, die Schwarzen in die Gegend von Perugia, die Weißen nach Sarzana an die Gränzen von Genua. Leider kamen nur die Prioren in den Verdacht der Parteilichkeit. Denn als Guido Cavalcanti in Sarzana krank wurde, erlaubte man den Weißen unter dem Vorwande, daß jene Gegend ungesund sey, zurückzukehren. Corso Donati begab sich nun nach Rom und brachte den Papst dahin, einem Fürsten die Bestrafung der Florentiner aufzutragen. Der von ihm gewählte Fürst sollte nicht bloß die guelfische Partei in ihrer Reinheit zu Florenz wiederherstellen, sondern auch Sicilien wieder erobern. Die Wahl fiel wieder auf einen französichen Prinzen, auf den Bruder Philipps des Schönen Königs von Frankreich, den Karl von Valois. Um ihn und den Papst zu besänftigen, hatte man sehr gemäßigt denkende Prioren gewählt. Man öffnete ihm auf Bedingungen die Thore und er hielt am 1. November 1301 einen glänzenden Einzug, aber zum Verderben der armen Stadt. (Fegefeuer 20, 74.) Ungeachtet er sich durch einen Schwur verbindlich gemacht hatte, die Gesetze und Verordnungen der Republik heilig zu halten, erlaubte er nicht bloß den Schwarzen zurückzukehren, sondern ließ auch mehre der Weißen in's Gefängniß werfen. Mord und Plünderung herrschte. Die Schwarzen bedienten sich ihrer Obermacht. Comte dei Gabrielli d'Agobbio wurde Podesta, beschatzte die Stadt während fünf Monate, theils aus eigner Gewinnsucht, theils um (XII) den französischen Prinzen zu befriedigen, und schickte dann mehre Mitglieder der Weißen in die Verbannung. Dante, der sich um diese Zeit als Gesandter in Rom befand, war unter ihnen.
Am vierten April 1302 verließ Karl das unglückliche Florenz, um den zweiten Auftrag des Papstes, die Eroberung von Sicilien, zu vollziehen. Aber dieser Zug mißlang völlig, und er erhielt daher den Beinahmen Ohneland. Auch der Papst Bonifacius stürzte sich durch seine Leidenschaftlichkeit und Rachsucht in's Verderben. Nachdem er die römische Familie der Colonna allenthalben verfolgt und die Stadt Palestrina bei dieser Gelegenheit durch den Rath des Guido von Montefeltro erobert hatte, (Hölle, 27,) gerieth er endlich in Streit mit Philipp dem Schönen von Frankreich, wäre zu Anagni beinahe um's Leben gekommen, (Fegefeuer, 20,) und starb am zwölften October 1303 in Wahnsinn. Im neunzehnten Gesange der Hölle wird er von einem seiner Vorgänger, Nikolaus dem dritten, einem Simonisten, erwartet, um wegen seiner Sünden bestraft zu werden.
Der Nachfolger des Bonifacius, Papst Benedict der elfte, versuchte die Aussöhnung der beiden florentinischen Parteien durch den Cardinal da Prato im Junius 1304, ohne sie jedoch zu Stande zu bringen. Die verbannten Weißen drangen darauf unter Anführung des Baschiera della Tosa am 20. Julius desselben Jahres bewaffnet in die Stadt, während die bedeutendsten Guelfen zu einer Zusammenkunft nach Perugia gereist waren, fanden aber zu wenige Anhänger und mußten, von Durst und Hitze geplagt, Florenz wieder verlassen. Die Schwarzen zeigten vielmehr ihre Uebermacht anderthalb Jahre nachher durch die Einnahme von Pistoja, am 10. April 1306, wo damals die Weißen herrschten; Corso Donati aber, das Haupt der Schwarzen, fiel endlich in Verdacht und ward am 15. September 1307 erschlagen.
Um diese Zeit nun waren die Städte von Toscana frei (XIII) und der größte Theil guelfisch, obgleich die Ghibellinen nur unterdrückt, nicht ausgerottet waren. In der Lombardei waren dagegen mehre Städte schon wieder in die Gewalt eines Alleinherrschers aus ihrer Mitte gerathen. Doch war ganz Oberitalien wie Toscana unabhängig vom deutschen Kaiser. Plötzlich veränderte sich jedoch die Gestalt der Dinge, obwohl nur auf kurze Zeit. Der Graf Heinrich von Luxemburg ward am 25. oder 27. November 1308 zum Kaiser erwählt, ein sehr ritterlicher, frommer, von seinen kaiserlichen Rechten auf Italien völlig überzeugter Mann. Er beschloß deshalb sofort nach Italien zu gehen, um dort das kaiserliche Ansehen wiederherzustellen. Im Sommer 1310 traf er in Lausanne ein; alle Ghibellinen strömten ihm zu und als er im September über die savoyenschen Alpen ging, unterwarfen sie ihm die einzelnen Machthaber, so wie die meisten freien Städte der Lombardei. Am 6ten Januar 1311 setzte er sich in Mailand die eiserne Krone auf. Durch den Widerstand von Brescia zurückgehalten, kam er erst im Oktober nach Genua, und im Frühjahr 1312 nach Pisa, einer Stadt, die von jeher den Kaiser höchst ergeben gewesen war und sich für Heinrich jetzt fast ganz ausopferte. Der größte Theil von Toscana stand jetzt gegen den Kaiser auf, Florenz an der Spitze, welches sich mit dem König Robert von Neapel verband und selbst Frankreich um Hülfe bat; deswegen hielt es Heinrich für das beste, zuerst nach Rom zu gehen. Aber auch Rom fand er getheilt: die Neapolitaner hatten den Vatican inne; er konnte sie nicht daraus vertreiben und mußte sich daher von drei Cardinälen, da der Papst in Avignon war, am 29. Junius 1312 im Lateran krönen lassen. Von hier wandte er sich zur Belagerung von Florenz. Es gelang ihm jedoch nicht diese Stadt einzunehmen; er zog sich am 6ten Januar 1313 nach Pisa zurück, und als er sich von hier auf den Weg gegen Neapel machte, starb er unterweges plötzlich am 24. August 1313 zu (XIV) Buonconvento und ward im Dom zu Pisa begraben, wo sein Denkmal noch zu sehen ist.
So endigte dieser Zug. Es war die letzte Anstrengung, welche ein deutscher Kaiser machte, um die Herrschaft über Italien wiederherzustellen. Italien war nun freilich von Deutschland unabhängig, aber die meisten Städte, besonders in Oberitalien, geriethen bald wieder in die Gewalt kleiner Machthaber, Florenz stand schon zu Heinrichs Lebzeiten unter dem Einfluß und Oberbefehl Roberts, des Sohns Karls des zweiten von Neapel; auch Bologna und Padua verloren ihre Freiheit. Die Städte wurden von den wechselnden Tyrannen sehr gedrückt. Doch machten einige diese Alleinherrscher ihre Macht schon erblich, wie das Haus Este in Ferrara, die Visconti in Mailand, die Herren de la Scala oder Scaligeri in Verona, unter denen Can, mit dem Beinamen der große, sich durch Schutz der Wissenschaften und der Gelehrten auszeichnete, wie denn auch Dante dessen Gastfreiheit mehre Jahre genoß; endlich auch die Herzoge von Polenta in Ravenna, bei deren einem, dem Guido Novello, Dante sein Leben beschloß.