Der drey und zwanzigste Gesang. |
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Wir flohen ohne das Geleit' so still, | |
wie Franciscanermönche, wenn sie durch | |
die Straßen gehen, fort. Bey diesem Kampf | |
fiel mir Aesopens Fabel von dem Frosch | |
und von dem Mäusgen ein. Nichts ähnlichers | |
läßt sich erdenken, wenn man den Erfolg | |
mit dem Bewegungsgrund vergleicht. Und weil | |
aus einem Sinnbild strachs ein and'res sich | |
enthüllt, so kam ein neuer Einfall mir | |
in Sinn, der meine Furcht verdoppelte. | |
Wir haben, dacht' ich, dieser Schaar Verlust | |
und ärgerlichen Hohn gebracht. Wenn sich | |
daher der Zorn mit ihrem Groll vereint, | |
so wird sie grausamer, als je ein Hund | |
mit einem Hasen, den er hungervoll | |
erschnappt, mit uns verfahren. Schon stieg mir | |
das Haar aus Furcht zu Berg; ich sah besorgt | |
mich um, und sprach: Mein Lehrer, wenn du dich | |
und mich nicht gleich verbirgst, so werden wir | |
der bösen Häscher-Schaar zum Raub. Sie sind | |
schon hinter uns; mich deucht ich fühl' und seh | |
sie schon. Er sprach: wenn ich ein Spiegel wär, | |
so würd' ich nicht so bald dein äuß'res Bild, | |
als mir dein innerstes im Geiste schwebt, | |
entwerfen. Gleich geberdet, gleich gesinnt | |
kam dein Gedanken zu dem Meinen, und | |
ich unterwarf sie beide einem Rath. | |
Wenn hier zur rechten Hand das Ufer so | |
sich krümmet, daß es in die sechste Bucht | |
hinabzugehn erlaubt, so werden wir | |
den Häschern, die wir fürchten, leicht entgehn. | |
Er sprach noch als ich sie in vollem Flug | |
uns näher kommen sah. Den Augenblick | |
umfaßte mich Virgil, der Mutter gleich, | |
die, durchs Getös vom Schlaf erwacht das Feur | |
in vollen Flammen neben sich erblickt, | |
das Kind ergreift, mit ihm entfliehet, und | |
aus Mutterliebe sich so ganz vergißt, | |
daß sie die Zeit nicht nimmt, sich in ein Hembd | |
zu hüllen. So ergriff mein Lehrer mich, | |
und ließ sich mit mir rücklings an dem Hang | |
des harten Felsen, der dem sechsten Kreis | |
zur Wand dient, grad hinab. Kein Mühlstrom fließt | |
in seinem engen Bett so schnell, wenn er | |
des Rades Schaufel näher kommt, als er | |
gleich einem Vater mit dem Sohn, mit mir | |
auf banger Brust beladen, von dem Rand | |
hinabschoß. Kaum hatt' er den Grund erreicht, | |
als auf des Hügels Spitze über uns | |
die böse Schaar erschien, doch ohn Gefahr; | |
denn da sie Gottes Rath zur fünften Bucht | |
bestimmte, nahm er ihnen die Gewalt, | |
sich weiter auszubreiten. Dieser Grund | |
enthielt ein übertünchtes Volk, das hier | |
und da mit schwerem Schritt umher gieng, gleich | |
den Büssern weinend, im Gesicht erblaßt | |
und abgehärmt. Sie trugen Mäntel mit | |
tief ins Gesicht gezogener Kapuz, | |
nach langem Schnitt, wie sie der Köllner Mönch | |
zu tragen pflegt. Von aussen waren sie | |
so glänzend überguldet, daß das Aug' | |
dadurch geblendet ward; von innen war | |
das ganze Kleid von Bley, viel schwerer, als | |
die Martermäntel Kaysers Friederich. | |
O ewig drückendes Geschleppe! Wir | |
verfolgten ihren Weg zur Linken, das | |
betrübte Weinen näher einzusehn. | |
Das matte Volk schleppt sich von Bley gedrückt, | |
so langsam fort, daß uns bey jedem Schritt | |
ein neuer Mitgefährt begleitete. | |
Da sprach ich: Lieber! schau umher, und zeig | |
mir Einen Schatten, der mir kennbar sey | |
durch seine Thaten. Einer hinter uns, | |
der mich toskanisch sprechen hörte, rief: | |
Steht still zu zween, die ihr die schwarze Luft | |
so schnell durchlauft! Vielleicht wirstu durch mich | |
erfahren, was du wissen willst. Da sah | |
Virgil sich um, und rieth mir, still zu stehn, | |
und langsam mit dem Schattenbilde fort | |
zu schreiten. Ich gehorcht' ihm und nahm wahr, | |
daß zween von ihnen in dem Angesicht | |
die Lust, zu mir zu eilen, äusserten, | |
indeß vom engen Raum und schweren Last | |
ihr Fuß gefesselt war. Da sie zu uns | |
gelangten, sahn sie eine Weil' erstummt, | |
mit scheelem Blick mich an, und Einer sprach | |
zum Andern: Deucht dir nicht, daß dieser hier, | |
der Odem schöpft, noch lebt? und sind sie todt, | |
so weiß ich nicht, warum sie nicht, wie uns | |
der schwere Mantel deckt. Drauf sprachen sie | |
zu mir: O Tuscier! der du zur Zunft | |
der traur'gen Gleisner kommst, sag, wer du bist, | |
und halt uns deiner Achtung werth. Ich sprach: | |
die große Stadt, die an dem Arno liegt, | |
gebar und zog mich auf, und diesen Leib, | |
den ihr hier seht, hab' ich mit mir zur Welt | |
gebracht. Und ihr, aus deren Augen, wie | |
ich seh, der Schmerz so viele Thränen preßt, | |
sagt, wer ihr seyd, und welche Folter tragt | |
ihr im Gemüth verborgen, die euch quält. | |
Der Eine sprach: Daß unerträgliche | |
Gewand ist von so dickem Bley, daß vom | |
Gewicht die Wage klirrt. Wir waren einst | |
Gaudenten Brüder, und Bononien | |
bracht' uns zur Welt. Mein Nam ist Catalan, | |
und Loderingo heißt mein Mitgesell. | |
Die bürgerliche Ruh der Stadt, die dich | |
gebar, zu schützen, wurden wir zugleich | |
zum höchsten Richteramt gewählt, das sonst | |
von Einem nur verwaltet wird, und wie 1 | |
wie uns in diesem Amt betrugen, zeugt | |
Gardingo offenbar. Da hub ich an: 2 | |
O Brüder! eu're Qual. Mehr sagt' ich nicht; | |
denn plötzlich riß ein Geist mein Auge auf sich, | |
der mit drey spitzen Pfählen auf die Erd | |
geheftet lag. Als er mich sah, krümmt' er | |
sich wie ein Wurm, und seufzend bließ | |
er durch den Bart. Und Bruder Catalan, | |
der dieses sah, sprach: der Gekreutzigte, | |
den du hier auf der Erde siehest, gab | |
der Pharisäer-Zunft den Rath, für's Heil | |
des Volkes einen Mann zu kreutzigen. | |
Er liegt hier nakt und blos wie du wohl siehst, | |
zwerchs über den gemeinen Weg, damit | |
er eines jeden, der vorübergeht, | |
und ihn betrit, hart drückendes Gewicht | |
erfahre. So wird auch in diesem Grund | |
sein Schwiegervater mit den übrigen | |
des Raths, die zu der Jüden Untergang | |
den ersten Grund gelegt, gepeiniget. | |
Virgil verstummte vor Verwunderung, | |
die Marter dieses Sünders, der in Form | |
des Kreutzes so verächtlich ausgestreckt, | |
und ewig von den übrigen getrennt, | |
so liegen muß, zu seh'n. Drauf wandt' er sich | |
zu Bruder Catalan, und sprach. Ists euch | |
erlaubt, so sagt uns, ob hier rechter Hand | |
ein' Oefnung ist; damit wir ohn Geleit | |
der Teufel diesem Ort entgehn. Du bist, | |
erwiedert' er, dem Ausgang näher, als | |
du glaubst. Du nah'st dich einem Felsen, der | |
vom größten Kreis den Anfang nimmt, und sich | |
durch alle Graben streckt, nur daß er hier | |
zerrissen ist, und keinen Bogen hat. | |
Doch könnet ihr ihn leicht auf Trummern, die | |
ein' Anhöh bilden, und nicht bis zum Grund | |
zerrüttet sind, besteigen. Da Virgil | |
dieß hörte, stand er eine Weil, das Haupt | |
geneigt, und brach in diese Worte aus. | |
Wie schlecht hat uns der Geist gerathen, der | |
die Seelen jenseits mit dem Haaken quält! | |
Vom Teufel, sprach der Bruder, hab ich zu | |
Bononien nebst vielen Lastern auch | |
gehört, daß er der Lüge Vater ist. | |
Hier gieng mein Führer, etwas aufgebracht, | |
mit großen Schritten fort; daher verließ | |
ich das gedrükte Paar, und folgt ihm nach. |
Erläuterungen:
1 Sie wurden zu Potestà gewählt, die Ruhe zwischen den Guelfen und Gibellinen herzustellen, vereinten sich aber mit den Guelfen.
2 Sie unterdrükten die Gibellinen, wie die Ruinen des Geschlecht Ueberti bei Gardingo beweisen.