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Meine Grundsätze bei der Uebersetzung und
Erklärung der göttlichen Komödie.
     Gedanke und Styl sind die beiden Bestandtheile eines jeden Sprachkunstwerks; dazu kommt bei einem dichterischen Sprachkunstwerke noch der Vers. Jeder dieser drei Bestandtheile kann nach drei Seiten hin betrachtet werden.
1. Gedanke.
 
2. Styl.
 
3. Vers.
a) Richtigkeit   a) Ausdruck  
a) Maß
b) Vollständigkeit   b) Ton   b) Reim
c) Deutlichkeit   c) Wortgefüge   c) Bau.

     Handelt es sich nun um die Uebersetzung eines dichterischen Sprachkunstwerks, so giebt es demnach 1) eine logische Treue, die in der richtigen und vollständigen Wiedergabe des Inhalts besteht (1, a und b); 2) eine stylistische Treue, die durch die Festhaltung des Ausdrucks, der eigentlich oder bildlich sein kann, und des eigentlichen Tones, der naiv, launig, ernst, wehmüthig, erhaben u. s. w. sein kann, zu Stande kommt (2, a und b); 3) eine musikalische Treue, die durch Beibehaltung desselben Versmaßes und derselben Reimverschlingungen hervorgebracht wird (3, a und b). Vermöge der logischen Treue macht die Uebersetzung den gleichen Eindruck auf den Verstand, vermöge der stylistischen auf den innern und vermöge der musikalischen auf den äußern Sinn.

     Da aber die Uebersetzung eines dichterischen Sprach- und Kunstwerks nur insofern als gelungen betrachtet werden kann, als sie einen selbstständigen Kunstgenuß gewährt, so daß man das Original allenfalls darüber vergißt, so muß eigene Vollendung der zu der Treue hinzukommen und diese ist dem übrigen Schema gemäß wieder eine dreifache; 1) eine logische, wobei es (S. XVI) auf selbständige Deutlichkeit (1. c.); 2) eine stylistische, wobei es auf sprach- und inhaltsgemäßes Wortgefüge (2 c.): 3) eine musicalische, wobei es auf regel- und sinngemäßen Versbau ankommt. (3. c.).

     Es sind also vorerst neun wesentliche Puncte, die ein Uebersetzer der göttlichen Komödie zu beobachten hat. Kopisch und Philaletes haben sich dem Reim entzogen, um die andern acht Stücke sorgfältiger in Obacht zu nehmen; allein in dem Reim liegt der Blüthenstaub der Poesie, und es war eine große Einseitigkeit von Milton und Klopstock, die aus einer mißverstandenen Geistigkeit hervorging, ihn als geistlos über Bord zu werfen: denn daß ihm eine gewisse Nothwendigkeit beiwohne, bezeugt eine große Menge deutsche Sprüchwörter, wo sich ein Reim wie von selbst macht, als "Gut und Blut", "recht und schlecht", "Kraft und Saft", "Hülle und Fülle" u. s. w. In der Terzine vollends ist der Reim so wesentlich, daß er erst die Terzine macht, denn daß der Dichter in Terzinen gedacht hat, worauf sich Kopisch beruft, will nicht viel sagen, hat er doch eben in gereimten Terzinen gedacht, d. h. in solchen, die sich gegenseitig durch den Reim aufnehmend, gar nichts für sich Bestehendes sind. Die Terzinenabtheilung bei Aufgabe des Reims ist mithin von sehr geringer ästhetischer Bedeutung; ja es fragt sich, ob sie nicht besser wegbliebe, da ja nun in dem Versmaße selber kein Grund mehr liegt, nach der dritten Zeile eine Pause zu machen, und das Ganze dadurch nur zerhackt und zerstückelt wird. Wenn einmal die Kette durch Auseinandernehmung der Ringe gestört ist, warum die Ringe unverbunden neben einander legen und sie nicht lieber zu einem fortlaufenden Faden verarbeiten?

     Kannegießer, Guseck und Streckfuß haben statt des Reims das Maß zwar nicht weggeworfen, aber doch insofern verändert, als die beiden erstern mit männlichen und weiblichen Reimen willkürlich abwechseln, der andere dagegen regelmäßig eine Terzine männlich, die andere weiblich baut. Das erstere Verfahren läßt sich doch wohl auf keine Weise rechtfertigen, indem es den Charakter des Epischen, der in einem gleichmäßigen Fortschritt besteht, von Grund aus zerstört. Das zweite Verfahren, das doch auch den (S. XVII) gleichmäßigen Fortschritt, wenn auch nach einer gewissen Regel, stört, ist wenigstens sehr problematisch. Die unveränderte Beibehaltung des Originalmetrums ist, wenn es der Geist der Sprache irgendwie erlaubt, unbesehens Pflicht des Uebersetzers, denn je classischer ein Kunstwerk ist, um so inniger hat sich Geist und Form durchdrungen, jener in diese sich hinengebildet, nicht wie in ein Gewand, nein, wie in einen Leib, weil, wie Görhe sagt, Natur weder Kern noch Schale ist, und obgleich dieß Wort zunächst bloß in Bezug auf die Schöpfung Gottes gesprochen ist, so kann es doch auch auf die Nachschöpfung von Seiten des menschlichen Dichters bezogen werden.

     Wende man nun nicht ein, die durchgängige Weiblichkeit der Reime war bei Dante das Werk äußerer Nothwendigkeit, womit sich auch Streckfuß entschuldigt. Freiheit und Nothwendigkeit sind für das Genie eins; man lese sich nur einmal einen Gesang von Anfang bis zu Ende vor und frage sich dann, ob man dieses wahrhaft epische Gleichmaß irgendwie unterbrochen wünschte. Ermüdend kann es eben so wenig sein, als das unabsehbare Meer, auf welchem eine Welle die andere drängt in ewigem Steigen und Fallen, besonders wenn man, wie, auf dem Danteschen Versgewässer, eine Küstenfahrt macht, auf der man von Zeit zu Zeit mit noch schwankendem Fuß an das Ufer steigt. Sollte es aber doch ermüdend sein, nun so müßte die Iliade, Odysse und Aeneide auch ermüdend sein, und die erst recht, indem ja dort die Gesänge zuweilen zwei- bis dreimal so lang sind. Denn was bei Homer und Virgil der Hexameter, das ist bei Dante, dem Geiste nach, die durchgängig weibliche Terzine, die Distichen dagegen entsprechen einigermaßen den abwechselnd männlich und weiblich gebauten Terzinen. Beide Versmaße, Hexameter und Distichon, sind schön, das läßt sich nicht läugnen, aber doch würde kein Grieche und kein Römer den Mißgriff gethan haben, den Hexameter etwa zu elegischen und das Distichon zu epischen Sachen zu gebrauchen. Eher läßt sich bei den ottave rime mit männlichen und weiblichen Reimen abwechseln wenn nur die beiden Schlußverse durchgängig weiblich gehalten (XVIII) werden, denn die Ottave ist lyrisch und kommt nach jedem achten Verse zum Abschluß, um immer wieder von neuem anzuheben; die Dantesche Terzine aber ist episch, und indem der Sinn nicht immer mit dem Ende der Terzine zu Ende geht und überhaupt eine Terzine mit der andern durch die Reimverschlingung in der innigsten Verbindung steht, kommt sie erst nach Verlauf des Gesanges zur völligen Ruhe: ein Beweis, wie genau die ganze Terzinenverkettung zusammenhängt, und wie gewagt es ist, eine Terzine mit der andern gewissermaßen in Gegensatz zu stellen, indem man die eine männlich und die andere weiblich baut. Doch genug davon. Ich glaube kaum, daß Jemand, der wirklichen Kunstsinn besitzt, der Danteschen Terzine um der äußern Nothwendigkeit willen die innere absprechen und die Verpflichtung des Uebersetzers, sie wo möglich unverändert beizubehalten, läugnen dürfte. Es frägt sich nur, ist es möglich und klingt es wohl im Deutschen? Die Möglichkeit verneint wohl Niemand, wenn er auch eine große Schwierigkeit nicht in Abrede stellt. Darüber kein Wort: Ich habe mich von der Schwierigkeit nicht abschrecken lassen und glaube mir doch in anderer Hinsicht eben keine größere Freiheit gestattet zu haben, als Streckfuß und Kannegießer. Den etwaigen Beurtheiler bitte ich daher zu vergleichen , statt, wie das in unsern Tagen häufig der Fall ist, a priori über die unüberwindlichen Schwierigkeiten zu sprechen. Eben so bitte ich ihn, den Klang der durchgängig weiblichen Terzinen im Deutschen an meiner Uebersetzung zu prüfen, ehe er lang und breit auseinandersetzt, warum derselbe im Deutschen nicht angenehm sein könne. So viel weiß ich, daß alle, denen ich einzelne Gesänge aus meiner Uebersetzung vorgelesen, nichts Unharmonisches, Schleppendes und Ermüdendes in der durchgängigen Weiblichkeit gefunden, und daß sie am Ende gar nicht zu dem Bewußtsein gekommen sind, lauter weibliche Terzinen gehört zu haben. Man legt auch in der That ein zu großes Gewicht auf das matte e in den weiblichen Schlußsilben; denn es ist zu bedenken, 1) daß man im Deutschen unter keiner Bedingung einen gleichen vocalischen Wohlklang erwarten kann, (S. XIX) mag man auch mit männlichen und weiblichen Reimen abwechseln, 2) daß unsere Sprache, weil eine geistigere, durch eine gleiche materienhafte Ueppigkeit verlieren, statt gewinnen dürfte, und daß ihr mithin der vocalische Wohlklang bei weitem nicht so wesentlich ist, als der italienischen; 3) daß uns das matte e am Schlusse der weiblichen Reime weniger auffällt, weil die übrigen Worte im Verse die größte im Deutschen nur erreichbare Mannigfaltigkeit in der Mitte und im Ausgange haben können; ; 4) daß auch bei Dante im Durchschnitt das Drittel der Reime ein mattes e hat und zwar stets ohne schließenden Consonanten, während wir doch en, er, est, el, u. s. w. haben (Hölle 1, 38 geht es sogar durch 4 Terzinen hintereinander); 5) daß die weiblichen Ausgänge im Deutschen nicht durchaus auf e, en, er u. s. w. beschränkt sind; daß im Deutschen eine größere vocalische Mannigfaltigkeit in den reimenden Silben herrscht, indem wir außer den einfachen Vocalen a, e, i o, u noch Doppellauter haben; 7) daß der Accent im Deutschen stets auf die reimende Wurzel fällt, was im Italienischen nicht immer der Fall ist, wo mindestens ein Drittel der Reimsilben kraftlose Biegungssilben sind. Dadurch gewinnen wir nämlich für unsere weiblichen Reime den Vortheil, daß das schwache e als Klang gar nicht bemerkt wird und nur als Maß einen gewissen rythmischen Eindruck auf unser Ohr macht. Ueberhaupt glaubte ich das Maß, das doch einen bei weitem geistigern Charakter hat, auf keine Weise dem mehr materiellen musikalischen Klange aufopfern zu dürfen. Dazu kommt, daß ich mir nur sehr selten denselben reimende Vocal in zwei aufeinander folgenden Terzinen erlaubt habe, um das Ohr für das matte e im Ausgange, wenn es ja etwas dadurch verloren hat, einigermaßen zu entschädigen.

     Hier sogleich noch einige Bemerkungen über den Reim. An eine Beibehaltung des jedesmaligen reimenden Vocals habe ich aus begreiflichen Gründen nicht gedacht; dafüir würde man mir, wenn sie ja möglich gewesen wäre, kaum gedankt haben. Daß ich aber dunkle und helle Vocale, so viel als möglich, zu unterscheiden (S. XX) für meine Pflicht gehalten, bedarf keiner Rechtfertigung. Auch möchte es schwerlich möglich, aber auch nur nöthig sein, den Reim auf dasselbe Wort fallen zu lassen, als im Italienischen. Daß ich aber nicht jedes beliebige Wort in den Reim gesetzt habe, wird mir jeder aufmerksame Leser bezeugen können. Es ist allerdings ein großer Unterschied, ob ich sage: "Schmerz machte mir, was Freude mir verliehen" oder "Was ich sonst suchte, fing ich an zu fliehen". Und warum? Weil das accentlose "verliehen" statt des durch den Gegensatz markirten "Freude" in den Reim kommt. Die Reime müssen aber, so viel als möglich, von der Art sein, daß man einen gewissen Accent darauf legen kann.

     Ich habe überhaupt eine besondere Sorgfalt auf die Reime verwandt. Der Leser wird nur eine sehr geringe Anzahlt unächter oder auch reicher Reime finden, während Streckfuß und Kannegießer deren eine große Menge mitunter laufen lassen; und wo sich ja ein reicher Reim findet, habe ich ihn fast nie, wenn überhaupt je, unmittelbar auf seinen Vorgänger folgen lassen: ein Gesetz, an das sich Dante selber nicht bindet. Auch habe ich der Mannigfaltigkeit wegen zuweilen umgekehrte Reime gebraucht, solche nämlich, worin die vorletzten Silben ganz gleich und die letzten die eigentlich reimenden sind, als z. B. "absehn, abgehn, hinabwehn". Man wird über diese genommene Freiheit hoffentlich nicht aus aprioristischen Gründen, sondern nach genauer Prüfung mit dem Ohr urtheilen. Erst die Kunst, dann die Regel.

     Was den Ausdruck anbetrifft, so habe ich mich bemüht, die Tropen nicht zu verwichen und etwa, wie es bei Streckfuß vorkommt, cemmetatorenartig zu übersetzen. So habe ich, um nur ein Beispiel anzuführen, es nicht über mich gewinnen können, das mugne

     Was den Ausdruck anbetrifft, so habe och mich bemüht, die Tropen nicht zu verwischen und etwa, wie es bei Streckfuß vorkommt, commentatorenartig zu übersetzen. So habe ich, um nur ein Beispiel anzuführen, es nicht über mich gewinnen können, das mugne H. 12, 135 mit "entpreßt", statt mit "melkt" zu übersetzen. Man wende hier nicht ein, daß das dem Geiste unserer Sprache zuwider sei; der italienischen sind diese Metaphern an und für sich auch nicht eigen, und sie klingen dort eben so ungewohnt. Dante hat kein ungewöhnliches Wort auch in den (XXI) Reim ohne Bedacht gesetzt, wie der Verfasser des Ottimo Comento aus seinem Munde gehört zu haben versichert, und wir verkürzen die Phantasie an dem guten Rechte, das sie an jedem Kunstwerke hat, wenn wir dem Gedanken die sinnliche Hülle abstreifen, unter der er allein auf sie wirken kann. Daß ich die Metapher zuweilen etwas modeln mußte, versteht sich wohl von selbst; der Grund var theils ein innerer, insofern jede Sprache dem aus einer fremden in sie Uebertragenen ihre eigenthümliche Farbe mehr oder minder mittheilt, theils auch ein äußerer, indem ich die unbedeutende Nüancirung eines Ausdrucks für zweckmäßiger hielt, als einen holprigen Vers. So z. B. habe ich H. 3, 40; "Der Himmel stieß die häßlichen Gesellen als Makel aus" statt "Der Himmel verjagte sie, um nicht weniger schön zu sein" gesetzt. - In dem Bestreben, das Tropische der Ausdrücke nicht zu verwischen, kann man freilich zu weit gehen und eine bereits abgeschwächte Metapher zu emphatisch übersetzen. Das würde z. B. der Fall sein, wenn man "Dissoluto" wörtlich mit "aufgelöst" übersetzen wollte, da es offenbar eine abgeschwächte Metapher ist und ungefähr so klingt, wie unser "locker". Ich kann nicht dafür stehen, daß ich nicht vielleicht hier und da einen ähnlichen Mißgriff gethan habe; indeß kann ich es nicht als einen so großen Schaden betrachten, wenn hie und da eine abgeschwächte Metapher der Originalsprache durch dieselbe emphatische Metapher der andern wiedergegeben wird. So habe ich "Opere biece" (H. 25, 31) etwas zaghaft mit "scheele Werke" übersetzt und bin noch zweifelhaft, ob ich es nicht besser durch "verkehrte Werke" gegeben hätte. Das Lexicon freilich führt oft irre, indem es vermöge der beigesetzten unfigürlichen Erklärung die Meinung veranlaßt, als sei diese oder jene Metapher eine abgeschwächte.

     Ueber den Ton ist wenig zu sagen. Ich habe mich eben so sehr bemüht, denselben nicht zu überspannen, als auch ihn nicht in die abgeschliffene conventionelle Sprache herabzuziehen, was ein früherer Rezensent an Streckfuß auszusetzen gefunden hat. Uebrigens sind mir die einfachsten Stellen am schwersten (XXII) geworden, weil sie, ich möchte sagen, zu wenig Gährungsstoff enthalten, um im eigenen Innern lebendig zu werden. Auch ist bei solchen Stellen die Versuchung am größten, den Ton ein wenig hinaufzuspannen. Der 11. Gesang der Hölle ist mir in dieser Hinsicht besonders schwierig gewesen, weil er in dürrer Dialektik den scholastischen Grundriß zur Hölleneintheilung enthält. Wer übrigens weiß, in wie vielfachem Tone der göttliche Dichter zu reden gewohnt ist, wird es für keine geringe Schwierigkeit halten, denselben jedemal zu treffen, zumal er so oft und schnell und mit so feinen Nüancen wechselt.

     In Bezug auf die Richtigkeit des Gedankens, die sich von selbst versteht, so lange von einer Uebersetzung und nicht von einer Umbildung die Rede ist, habe ich nichts hinzuzufügen. Anders verhält es sich mit der Vollständigkeit. Obgleich wir es natürlich für einen Vorzug ansehen müssen, wenn bei der Uebersetzung auch nicht der kleinste Zug verloren geht oder hinzukommt, so ist es doch meine Meinung, daß die Weglassung oder Hinzufügung eines kleinen Zuges, wofern es nur im Geiste des Originals geschieht, bei weitem besser ist, als ein klappriger Vers, der den Genuß des ganzen Gedankens bis auf den Grund verdirbt. Es handelt sich hier ja nicht um Copirung von Actenstücken, wo jedes, auch das kleinste Einzelne von Gewicht ist, sondern um ein Kunstwerk, wo Alles auf den Gesammteindruck hinausgeht. Solche Hinzufügungen freilich (wie sie sich bei Streckfuß allzuhäufig finden), welche sie Sätze auspolstern und zerdehnen und in sogenannten schmückenden Beiwörtern oder in Ciceronianischen Verdoppelungen bestehen, sind entschieden zurückzuweisen; denn darin liegt weder ein besonderer Nachdruck, noch ein wirklicher Fortschritt, und sie sind mithin völlig müßig. Wenn ich aber zu "Daraus der Neid sie trieb" (1, 111) hinzugesetzt habe, "die nimmer stille", so wird es, glaube ich, so sehr nicht zu tadeln sein, da es erstens sehr wohl paßt, indem dasselbe Thier vorher ein Thier ohne Frieden genannt wird, und in dem kleinen, dem Geiste des Gedichtes gemäß gemachten Zusatze nichts Müßiges liegt, indem er auf den innern Grund hinweist, warum (XXIII) es getrieben wurde. Uebrigens werden sich wenige Stellen finden, wo ich mir eine ähnliche Freiheit verstattet habe.

     Nachdem ich mich über die sechs Stücke, die bei der Treue in Betracht kommen, ausgesprochen, nur noch einige Worte über die drei Puncte, die zur selbständigen Vollendung gehören. Die Deutlichkeit ist ein sehr bezüglicher Begriff; es giebt Dinge, die einmal nicht ganz deutlich gesagt werden können, oder, wenn ja, für gewisse Personen doch dunkel bleiben. Der Kern der göttlichen Komödie drehet sich nun aber um dergleichen geheimnißvolle Dinge; darum bittet auch der Dichter im Eingange zum Paradiese diejenigen, die das Brot der Engel nicht gekostet, d. h. die Kraft der zukünftigen Welt nicht geschmeckt, die Barke, in der sie lauschend seinem Schiffe bisher gefolgt, an das Ufer zurückzurudern. Nimmt man nun hinzu, daß die göttliche Komödie ihre Wurzeln in alle Künste und Wissenschaften treibt, und in eine längst entschwundene, uns fremdartige Zeit sich mit jeder Faser einsaugt, so liegt es vollends am Tage, daß sie durchaus kein Werk für die Fassungskraft der Menge ist, indem zu ihrem Verständniß außer gewissen innern Erfahrungen eine allgemeine Durchbildung und außerdem Specialstudien gehören. Man wird daher von einer Uebersetzung dieses in sich selber schwer verständlichen Werks keine unbedingte Deutlichkeit erwarten, wie man das von keinem Werke des menschlichen Geistes kann.

     Was nun endlich das Wortgefüge und den Versbau betrifft, so möchte ich den Leser bitten, es nicht auf Rechnung der Nachlässigkeit zu setzen, wenn Wortstellung und Rhytmus nicht immer gleichmäßig glatt über die Lippen gehen. Wo der Stoff herbe ist, muß es auch die Form werden. Fluß ist nicht an allen Stellen angebracht. Der Leser muß von Zeit zu Zeit einen Stoß bekommen, damit er nicht durch allzugleichmäßige Bewegung eingeschläfert werde; nur verstehe man mich nicht so, als wollte ich holprigen Versen das Wort reden. Diese unharmonische Harmonie vermisse ich im allgemeinen bei Streckfuß. - Ich füge nur noch hinzu, daß ich fast jeden Gesang, ehe ich ihn niedergeschrieben, (XXIV) im Kopfe mit mir umhergetragen und ihn immer wieder laut hersagend, jede nach meinem Urtheile wirklich tadelnswerthe Härte herauszubringen keine Mühe und Arbeit gescheut, daß ich aber auf der andern Seite allzuglatte und hüpfende Stellen mit eben so anhaltendem Ernste zu entfernen gesucht habe.

     Bisher nun ist auseinandergesetzt worden, was wir unter einer treuen Uebersetzung zu verstehen haben, und wie sie beschaffen sein müsse, wenn sie in gewissem Sinne den Namen eines selbständigen Kunstwerke ansprechen will. Das obige Schema freilich enthält noch nicht Alles; es heißt hier auch "Da hat er die Theile in seiner Hand, Fehlt leider nur das geistige Band"; es muß noch etewas hinzukommen, das sich aller zergliedernden Beschreibung entzieht, und das ist der eigenthümliche urkräftige Hauch "der die Herzen aller Hörer zwingt", gewissermaßen der Nervenäther, der die verschiednen Theile des Kunstwerks zu einem organischen Ganzen verbindet und aus dem todten Machwerk ein lebendiges Schöpferwerk macht. Mit einem Worte, der Uebersetzer muß Weib und Mann zugleich sein, er muß in Einer Person empfangen und zeugen; die Verse müssen im Innern umgeschmolzen und so mit neuem und doch altem Gepräge wiedergegeben werden.

     Zum Schluß noch ein Wort über die falsche Treue. Diese besteht nämlich in der sclavischen Anschließung an gewisse Spracheigenthümlickeiten des Originals, wie wenn z. B. Kopisch übersetzt: "Doch also nicht, daß mir nicht Furcht gegeben (paura non mi desse)". Treue ist in keinem Sinne ohne Freiheit möglich; der Knechtssinn steht auch der Sprache übel an.

     Ich will nun kürzlich den Standpunct angeben, von dem ich bei meiner Erklärung der göttlichen Komödie ausgegangen bin. Im Allgemeinen läßt sich ein fünffacher Standpunct denken: der philologische, der ästhetische, der fachliche, der ideeliche und der kritische oder, die beiden letztern zusammengenommen, der theologische. Was den philosophischen anlangt, so ist nicht zu läugnen, daß die göttliche Komödie, als das erste im Vulgardialecte geschriebene geniale Werk, eine reiche Ausbeute liefert, besonders in so fern, (XXV) als sie die Hervorbildung des Italienischen aus dem Lateinischen aufweist, und sie hat in dieser Hinsicht eine ähnliche Bedeutung wie Luther's Bibelübersetzung. Eine von diesem Standpuncte aus unternommene Erklärung schikt sich indeß eher für einen Commentar zum Originaltexte, als für eine Uebersetzung; weßhalb denn auch die bisherigen Uebersetzer keine der Art geliefert haben, wiewohl überhaupt noch Keiner sich an eine Bearbeitung des Dante von dieser Seite her gemacht hat. Nicht minder interessant ist der ästetische Standpunct, von dem aus, abgesehen von der Würdigung des Ganzen wie des Einzelnen, allgemeine Fragen, wie diese, zu erörtern wären: welches der unterscheidende Charakter der antiken und modernen Poesie sei, an deren Eingange Dante als Heros steht; zu welcher Gattung der Poesie die göttliche Komödie gehöre; wie es sich zu andern Werken ähnlichen Inhalts verhalte u.s.w. Eine durchgreifende Behandlung der göttlichen Komödie unter diesem Gesichtspuncte ist noch nicht unternommen worden; lesenswerthe Vorarbeiten dazu haben Abeken [Bernhard Rudolf Abeken, 1. Dezember 1789, 24. Februar 1866, "Beiträge zum Studium der göttlichen Comödie Dante's", 1826], Witte und Blanc, so wie der Italiener Cesari geliefert. Der sachliche Standpunct eröffnet ebenfalls ein großes Feld wissenschaftlicher, besonders geschichtlicher Untersuchungen, die so äußerst wichtig für das Verständniß des Gedichtes sind, weil die ganze damalige Zeit in dem wunderbaren Gedichte leibt und lebt, und dabei so schwierig, weil sie ein Studium jener Zeit bis in's kleinste Detail voraussetzen. Die Erklärungen, die Philaletes seiner Uebersetzung beigegeben, beziehen sich dem größern Theile nach auf den sachlichen Standpunct. Wichtiger aber als alle vorhergehenden ist der Standpunct, der auf eine Entwicklung des Ideeninhalts der göttlichen Komödie hinausgeht. Das bloße Studium der Bibel kann zu diesem Zwecke nicht genügen, denn die göttliche Komödie ist nicht sowohl eine plastische Darstellung der Bibellehre an und für sich, als vielmehr der damaligen Kirchenlehre, die auf der durch Aristoteles und seiner Erklärer Schriften vielfach gemodelten Bibellehre ruht. Es muß daher zum Studium der Bibel vor allem das Studium des Thomas Aquinas, als des eigentlichen Kirchentheologen damaliger Zeit, hinzukommen. (XXVI) Bei Streckfuß vermissen wir das eine, wie das andere; bei Kopisch finden wird wenigstens das erstere, nur daß er Alles, statt chemisch zu verbinden, in Atome auflöst.

     Wir kommen nun zu dem allerletzten Standpunct, den ich den kritischen genannt habe. Dieses Standpunctes, der ohne den vorhergehenden gar nicht möglich ist, kann sich kein Erklärer der göttlichen Komödie gänzlich entschlagen; denn da dieselbe nicht das Spiel einer müßigen Einbildungskraft ist, sondern den Charakter eines Lehrgedichtes offen an der Stirn trägt, so fordert sie jeden, der nicht in skeptischer Gleichgültigkeit befangen ist, geradezu heraus, sein Glaubenssystem an das ihre zu halten und so zu kritisiren. Hier tritt nun ein großer Uebelstand ein. Der Glaubens- oder vielmehr der Unglaubenssysteme ist Legio und jedes tritt, auf die Autorität der Vernunft sich berufend, mit dem Anspruche auf Allgemeingültigkeit auf. Welche Vernunft soll nun die göttliche Komödie kritisiren? Die Kantische? Die Hegelsche? Die Fichtesche? Man wird vielleicht sagen, die gesunde Vernunft. Versteht man darunter die hausbackenen, die in drei Hauptbegriffen, als Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, von allem, was im Himmel und auf Erden ist, die Quintessenz zu geben meint, und sich um Philosophie und Offenbarung gerade so viel kümmert, als falle die Wahrheit dem Menschen im Schlafe bei, während er doch sein Stückchen Brot im Schweiße seines Angesichtes verdienen muß, so legen wir feierlichen Protest ein. Versteht man aber die christliche Vernunft darunter, die, ihre Blindheit über Gott und göttliche Dinge erkennend, sich hat gesund machen lassen durch das heilsame Wort Gottes, so sind wir von Herzen einverstanden. Wir haben uns daher gefreut, daß Kopisch das Verhältniß der göttlichen Komödie zur Bibel, nachzuweisen versucht hat. Freilich ist seine Nachweisung keine gründliche; denn was ist damit gewonnen, wenn die Uebereinstimmung dieses oder jenes Gedankens mit dieser oder jener Stelle in der Bibel, und das sehr oft nur dem Buchstaben nach, aufgezeigt wird? Zudem har es uns sehr geschmerzt, daß bei dem Kritiker selbst kein (XXVII) unbedingter Glaube an den Maßstab seiner Kritik zu spüren ist; hätte er diesen, so könnte er sich mit jenem oberflächlichen Verfahren ja auch schwerlich begnügen. Wer das materielle Prinzip der Reformation "die Rechtfertigung aus dem Glauben" nicht fest hat, dem verkehrt sich auch das formelle "die Bibel" unter den Händen; daß aber Kopisch das erstere nicht besitze, darüber kann kein Zweifel obwalten. Und hier nun, auf den zwei Grundprinzipien unserer theuren Kirchelehre, fassen wir Posto und erklären feierlich, daß wir keinen höhern Standpunct kennen, von dem aus die göttliche Komödie könnte betrachtet werden; wir fürchten uns ganz und gar nicht vor dem Geschrei jener hausbackenen, noch auch jener angeblich absoluten, um allen geschichtlichen Sinn gekommenen Vernunft, wiewohl wir demselben zu entgehen schwerlich hoffen dürfen. Dante selbst ermahnt seine Leser, dem moralischen Sinne am eifrigsten nachzuspüren, und wir haben daher nicht bloß ein gutes Recht, sondern auch noch eine dringende Verpflichtung zu diesem unsern Standpuncte, um so mehr, da wir die übrigen Standpuncte geradezu vernachlässigt zu haben uns nicht bewußt sind.


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