Von
dem Paradiese.
Dreyßigster Gesang.
Inhalt. |
Dante erhebt sich mit der Beatrix in den empireischen Himmel, wo sie sich mit einer unaussprechlich reizenden Schönheit schmücket. Hier gelangt der Dichter, nach einem geheimnißvollen Gesichte, zum Anschauen des Triumphs der Engel und der seligen Seelen. Und hierauf zeigt ihm seine Führerinn die zahlreiche Menge der Auserwählten, und die Größe der heiligen Stadt Gottes. Wann ungefähr funfzehn hundert Meilen von uns entfernt der Mittag 354 dort glänzet, so sieht man schon die herabsinkenden Schatten dieser Halbkugel sich trennend auf ihre Oberfläche verbreiten, indem die gewölbte Himmelshöhe anfängt, sich so dämmernd zu erheitern, daß bereits einige Sterne ihren Schein bis auf die Tiefe unsrer Erde verlieren. So wie alsdenn die lichteste Dienerinn der Sonne weiter hervortritt, so sieht man einen Stern nach dem andern bis auf den 355 schönsten unter allen sich vor unsern Blicken verschließen. Eben so sah ich die triumphirenden Engel nach und nach vor meinen Blicken verschwinden, sie, die voll der seligsten Freuden sich stets um den Punkt bewegen, dessen Glanz 217 mein Auge göttlich besiegte, und der von den Hierarchien eingeschlossen schien, welche seine Unendlichkeit in sich schließt. Daher kehrten meine Augen, die nichts weiter erblickten, voll dringender Liebe, nach der Beatrix zurück. Allein wenn ich gleich alle meine einzelnen Schilderungen ihrer Reize itzt zusammenfaßte, so würden sie alle vereinigt dieses Mal zu wenig seyn, das Gemählde ihrer Anmuth zu vollenden. Die Schönheit, die ich sah, ist nicht nur über alle unsre Begriffe erhaben, sondern ich behaupte auch für gewiß, daß nur ihr Schöpfer also sie ganz besitzen könne. Dieser Umstand schränkt mich siegreicher ein, als jemals die Wichtigkeit eines Inhalts irgend einen Dichter eingeschränkt hat. Denn das Andenken ihrer lachenden Anmuth macht mein Gedächtniß so kraftlos, als der Glanz der Sonne ein vorzüglich zitterndes Auge entkräftet. Seit dem ersten Tage, als ich in diesem Leben ihr Angesicht sah, bis auf diesen Anblick ward mir nie das Vermögen geraubt, sie zu besingen. Allein itzt muß ich, gleich einem Künstler, wann er seine Kunst nicht höher treiben kann, aufhören, ihre Schönheit fernerhin dichterisch zu schildern. In solchem Glanze ihrer Schönheit, deren Schilderung ich vollkommneren Tönen überlassen muß, als die meinigen sind, welche sich dem Ende ihres wichtigen Gedichts nähern, erneuerte sie in der Stellung und mit der Stimme eines geschickten Führers, ihre Rede also: Itzt sah ich einen Fluß von Licht, dessen blitzender Glanz zwischen zwey Ufern, gemahlt von einem 219 wunderbaren Frühlinge, daherströmte. Aus solchem Flusse flogen lebhaft blitzende Funken, und setzten sich auf allen Seiten umher in die Blumen, wo sie, gleich in Gold gefaßten Rubinen, glänzten. Nachher, gleichsam berauscht von der Anmuth ihrer Gerüche senkten sie sich wieder in den wunderbaren Strom, aus welchem, sobald sie sich hineinsenkten, andere hervorflogen. Das erhabene Verlangen, welches dich itzt entflammt und dringet, von dem, was du siehst, eine nähere Nachricht zu haben, gefällt mir um desto mehr, je mehr es in dir wächst. Allein von diesem Wasser mußt du zuvor trinken, ehe ein so großer Durst in dir gestillet wird. - Also sprach 357 die Sonne meiner Augen zu mir. - Der Fluß, fügte sie noch hinzu, die glänzenden Funken, die sich in ihn versenken, und aus ihm hervorfliegen, und die lachenden Blumen sind nur vorläufige Schattenbilder ihrer wahren Beschaffenheit. Nicht, als wären diese Gegenstände an sich noch unreife Früchte. Nein, sondern das Mangelhafte befindet sich auf deiner Seite. Denn deine Augen schauen noch nicht in einem so erhabenen Grade. O Glanz Gottes, durch dessen Kraft ich den erhabenen Triumph des wahrhaften Reichs sah, o! schenke mir auch die Kraft, zu schildern, wie ich ihn sah! Licht glänzt dort oben, das dem Schöpfer dem Geschöpfe sichtbar macht, welches nur in dem Anschauen desselben seine höchste Ruhe genießt. Solches verbreitet sich so weit im Kreise umher, das sein Umfang 221 zu weit seyn würde, die Sonne zu umgürten. Sein ganzer Schein entsteht aus einem Strahle, der nach der höchsten Seite des ersten sich bewegenden Himmels zurückglänzt, daher dieser Leben und Kraft empfängt. So wie ein abschössiges Ufer von seiner Tiefe bis in seine Höhe sich in seinem Flusse spiegelt, um sich gleichsam in dem reichen Schmucke seines Grüns und seiner Blumen zu beschauen - eben so sah ich über dem strömenden Lichte mehr, als tausend Sitze mit so vielen menschlichen Seelen, als bereits in jene selige Höhe zurückgekehrt waren, sich von allen Seiten umher spiegeln. Und faßt der niedrigste Grad schon einen so großen Bezirk von Licht in sich, o! wie weit ist nicht der Umfang dieser herrlichen Rose an ihren äusersten Blättern! Meine Blicke verloren sich weder in der Weite, noch in der Höhe, sondern übersahen die ganze Größe und Beschaffenheit dieser seligen Freuden, dort, wo die Nähe dem Auge keinen Gegenstand deutlicher, und die Entfernung keinen undeutlicher darstellt. Denn da, wo Gott unmittelbar regiert, dort sind die Gesetze der Natur von keiner Wirkung.
Anmerkungen: P354 Wann es in den orientalischen Ländern Mittag ist, so bricht in Italien die Morgenröthe hervor, welche Dante die lichteste Dienerin der Sonne nennet. P355 Den Morgenstern. P356 Die Schaar der seligen Seelen der einst in der streitenden Kirche lebenden Menschen. Die andre Schaar war die ganze Anzahl der Gott treu gebliebenen Engel. P357 Beatrix, als ein Bild der göttlichen Weisheit, die seinen Verstand erleuchtete. P358 Durch die Länge dieses Stroms, oder des Wassers der Gnade, der Seligkeit und des Lebens, wird angezeigt, daß es sich ursprünglich aus Gott auf die Geschöpfe ergieße. Und durch den runden Bezirk desselben, daß es wieder nach Gott, als seiner ursprünglichen Quelle, zurückfließe. P359 Auf Verlangen des Pabst Clemens, des fünften, sollte der Kaiser Heinrich, der siebente, erst Gesandten nach dem unruhigen Italien schicken, um die wütenden Parteyen der Welfen und Gibellinen zu vereinigen. Dieß geschah. Allein sobald Heinrich sah, das alles fruchtlos war, gieng er selbst nach Italien, um persönlich den Frieden wiederherzustellen. Er griff es mit Macht an, der sich aber der Pabst widersetzte, welcher, aus Geiz und Gewinnsucht, nichts anders suchte, als das streitige Italien in Uneinigkeit zu erhalten, und die guten Absichten des Kaisers zu vereiteln. P360 In den Abgrund der Simonisten, in welchem sich der Pabst Nicolaus, der dritte, befand, und wo der Pabst Clemens, der fünfte, den Pabst Bonifaz, den achten, antreffen und ablösen würde. S. den 19. Ges. des Ged. von der Hölle. |