Von
dem Paradiese.
Ein und dreyßigster Gesang.
Inhalt. |
Der Dichter bemerkt mit dem äusersten Erstaunen die Herrlichkeit der Seligen. Dann kehrt er sich zur Beatrix, die auf ihrem Throne sitzt, und dankt ihr für die großen Wohlthaten, welche sie ihm erzeigt hat. Zuletzt betrachtet er, auf Unterricht des heiligen Bernhard, die Königinn des Himmels, welche von dem schönsten Glanze umher funkelnd. mitten unter den feyerlichen Freuden und Gesängen der Engel, ihre Seligkeit genoß. Gebildet wie eine weiße Rose, zeigte sich mir also die heilige Schaar, mit der sich Christus durch sein Blut einst vermählte. Allein die andre schauet und singt, umherfliegend, die Herrlichkeit desjenigen, der ihre Liebe reizet, und die göttliche Güte, die sie so herrlich machte. Gleich einer Schaar Bienen, welche erst in die Blumen fliegt, und dann dahin zurückkehrt, wo ihre süße Arbeit bereitet wird, also sah ich solche auf die große Blume, die mit so unzähligen Blättern prangt, herabfliegen, und dann sich in den ewigen Aufenthalt ihrer Liebe zurück erheben. Alle hatten Gesichter von lebender Flamme, Flügel von Golde, und ihre übrige Gestalt glänzte von einer Weiße, die über alle Weiße des Schnees erhaben war. Als sie die Blume von Sitz zu Sitz hinabflogen, weheten sie, durch die sanfte Bewegung ihrer Fittige, den Seelen Seligkeiten des göttlichen 225 Friedens und flammender Liebe zu. Und diese zwischen der Höhe und der Blume fliegende Fülle verhinderte keinesweges das Anschauen und den Glanz Gottes. Denn das göttliche Licht dringt alle Theile des Weltgebäudes, nach den Graden ihrer Fähigkeiten, hindurch, so, daß nichts den Glanz desselben verhindern kann. Daher flammte die ganze zahlreiche Menge aller 361 ältern und neuern Gliedern dieses sichern und freudenvollen Reichs von Liebe und Blicken nach einem allgemeinen Ziele. O du dreyeiniges Licht, dessen Glanz funkelnd aus einem einzigen Sterne, alle jene Blicke so göttlich beruhiget, o! schaue auf unser irrdisches und unruhvolles Leben! Zur endlichen Befriedigung deines Verlangens, antwortete er mir, entfernte mich Beatrix von meinem Sitze. Schaue nach dem dritten Kreise der höchsten Seligkeit empor, dort wirst du sie auf dem Throne wiedersehen, der ihr wegen ihre Verdienste zugetheilt ward. - Ohne zu antworten, hob ich meine Augen empor, und sah sie aus den von ihr zurückglänzenden Strahlen des Ewigen sich eine Krone bilden. Auch der Sterbliche, welcher sich in den tiefsten Abgrund des Meers hinabsenkte, würde sich daselbst nicht in einem so weiten Abstande von jener vorzüglichen Höhe der Gegend befinden, in welcher der Donner ertönet, als mein Auge von der seligen Höhe, in welcher Beatrix thronte, entfernt war. Allein diese Weite war meinen Blicken nicht nachtheilig. Denn ihr Angesicht glänzte mir nicht vermittelst eines durchscheinenden Gewebes, sondern unmittelbar in die Augen. O meine Gebieterinn, du Kraft und Stärke meiner Hoffnung, deren Huld zu meinem Heile, den Weg nach der Hölle 364 mit deinen Fußtapfen bezeichnete, deine Macht und deine Güte erkenne ich als die Quellen der Gnade und der Kraft, durch welche ich die ganze Reihe meiner heilsamen Erfahrungen 228 erlangt habe. Du hast mich durch alle die Wege, durch alle die Mittel, die, mich zu beseligen, vermögend waren, aus der Sclaverey in die Freyheit gesetzet. Erhalte mir dann deine herrliche Güte, damit meine durch dich genesene Seele sich einst, dir wohlgefällig, von ihrem Körper entfessele! - Also bat ich. Lächelnd sah sie mich dort, so weit sie entfernt schien, an, und hierauf wandte sie ihr Angesicht nach der ewigen Quelle aller Gnaden. So wie das Herz eines Pilgrims beschaffen ist, der aus Croatien kömmt, um unser heiliges Schweißtuch 365 zu sehen, so, daß er dasselbe, wegen seines alten Rufs, nicht gnugsam betrachten kann, und, so lange man ihm solches zeigt, in seinen Gedanken ruft: O mein Herr Jesus Christus, du wahrhafter 229 Gott, also war dein Angesicht einst gebildet? - eben so fühlte sich mein Herz, als ich die lebhafte Liebe desjenigen schauete, den schon auf der Erde, in seinen heiligen Betrachtungen ein Vorschmack jenes himmlischen Friedens beseligte. Sohn der Gnade, fieng er wieder an, also, mit blos niedergeschlagenen Augen, wirst du die Anmuth dieses Himmels nicht kennen lernen. Schaue nach jenen Kreisen empor. Dringe bis zu der entferntesten Höhe hindurch, bis du die Königinn auf ihrem Throne erblickest, welche dieses Reich als seine Regentinn verehret. Anmerkungen: P361 Aller Engel und menschlicher Seelen, von denen jene, in Absicht auf diese, ältere Bewohner des Himmels sind. P362 Aus der mitternächtlichen Gegend, wo Helice, oder Callisto, oder das Gestirn des großen Bärs, und ihr geliebter Sohn, d. i. Beotes, oder der auf den Heerwagen folgende Stern, stets sichtbar sind. P363 Den er in auswärtigen Ländern zu besuchen, ein Gelübde gethan hat. P364 Als Beatrix nach der Vorhölle hinabstieg, und den Virgil, zu meiner Rettung, an mich sandte. S. den 2ten Ges. des Ged. von der Hölle. P365 Dieses Schweißtuch, welches im Grabe über dem Gesichte Christus gelegen haben, und auf welchem sich der Abdruck desselben befinden soll, wird in Rom verwahrt und gezeiget. P366 Wann die Sonne in der Gegend des Morgens aufgeht. |