Von dem Paradiese.
Funf und zwanzigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Der heilige Apostel Jacobus prüft den Dichter durch verschiedene Fragen, wie seine Hoffnung beschaffen sey. Dante beantwortet sie. Dann findet er den heiligen Johannes, der ihm offenbaret, daß sein Körper, als er gestorben, auf der Erde geblieben sey, und das nur Jesus Christus und die Jungfrau Maria sich mit ihren Leibern im Himmel befinden.

Sollte das heilige Gedicht, zu welchem mir Himmel und Erde Stoff und Hülfe dargereichet, und das mich auf viele Jahre entkräftet hat, noch einst die Grausamkeit besiegen, die mich aus 302 den schönen Hürden verschließt, wo ich sonst als ein zartes Lamm schlief, das von seinen Feinden, den Wölfen, verfolgt wird - so will ich mit einer andern Stimme und in einer andern Gestalt als Dichter zurückkehren, und auf dem heiligen Steine, wo ich die Taufe empfing, alsdenn die Lorbeerkrone empfangen. Denn daselbst weihte ich mich dem Glauben, der die Seelen in den Augen Gottes verherrlichet, und nachher die Ursache war, daß der heilige Petrus mich hier so liebreich umarmte.

Auf diese Umarmung näherte sich ein Licht gegen uns, das sich aus der seligen Schaar daher bewegte, aus welcher der Geist des Apostels hervorgetreten war, 182 den Christus einst als den Erstling seiner Statthalter zurückließ. O! schaue und betrachte, so rief itzt meine Führerinn voll heiliger Freuden, das ist der 303 herrliche Geist, um dessen Willen man auf der Erde Gallicien so häufig besuchet. So wie, wann eine Taube sich zu ihrem Gatten gesellet, beide durch ihre Bewegung im Kreise, und girrend ihre Zuneigung offenbaren - eben so liebreich sah ich diese beiden großen und glorreichen Fürsten des Himmels sich empfangen, indem sie zugleich durch ihre Lobeserhebungen die 304 Speise verherrlichten, welche man dort oben genießet. Sobald diese Freudenbezeigungen sich endigten, stellte sich ein jeder stillschweigend und so feuerflammend vor mich hin, daß mein Auge von solchem Glanze geblendet ward. Hierauf lächelte Beatrix, und redete also:

O herrliche Seele, die du einst die reichen Freuden unsrer triumphirenden Kirche so feyerlich 305 schildertest, o rede itzt in dieser seligen Höhe von der Hoffnung, die du so oft vorbildetest, und um so vorzüglicher kennest, je vorzüglicher Jesus sich einst vor seinen drey Jüngern verklärte!

So erhebe dein Angesicht, und schaue mir gesetzten Blicken. Denn was sich von der sterblichen Welt in diese Höhen erhebet, das muß an unsern Strahlen 183 erst reifen. - Diese Stärkung ertönte aus dem andern apostolischen Glanze in meine Ohren. Daher erhob ich meine Augen nach den Bergen, deren zu glänzendes Gewicht meine Blicke niederschlug. - Also will die Gnade unsers Beherrschers, so setzte das zweyte Licht seine Rede nun fort, daß du, als ein noch Sterblicher, in dem Innersten seines Pallastes, und vor den Edlen seines Reichs, erscheinest. Also sollst du die wahren Seligkeiten dieses Hofs schauen, damit die Hoffnung, die auf der Erde so heilsam zur Liebe reizet, sich dadurch in dir und in andern verstärke. Sage daher, was ist sie, die Hoffnung? - Wie ist deine Seele mit ihren Blüthen ausgeschmückt? - Und woher entstand sie in dir? - Hierauf kam die liebreiche Freundinn, die mich in solche Höhen führte, meiner Antwort zuvor, und redete also: Gegenwärtig hat die streitende Kirche keinen Sohn, den eine stärkere 306 Hoffnung belebte. Dieses sieht man in der Sonne geschrieben, die alle unsre seligen Schaaren bestrahlet. Daher ist ihm erlaubt, aus Aegypten und Jerusalem zu kommen, um hier, noch vor dem Ende seines streitenden Lebens, die Seligkeiten seiner Hoffnung zu schauen. Die andern beiden Fragen, welche nicht aus Wißbegierde, sondern deswegen an ihn ergangen sind, damit er einst wiedersage, wie sehr diese Tugend dir angenehm sey, solche überlasse ich seine eigene Beantwortung, die ihm weder schwer werden, noch ruhmräthig für ihn 184 ausfallen wird. Und die Gnade Gottes schenke ihm Kraft, auf solche nunmehr zu antworten.

Die Hoffnung ist ein ungezweifeltes Erwarten der zukünftigen Herrlichkeit, welches die göttliche Gnade und das vorhergehende Verdienst des Christen erzeugen. - Also antwortete ich unverzüglich, gleich einem Schüler, der seinem Lehrer das, was er weis, mit einer willigen Fertigkeit eröffnet, damit die Güte seines Naturells sich dadurch offenbare. - Von dem Glanze vieler 307 Sterne, so fuhr ich fort, entzündete sich das Licht der Hoffnung in meiner Seele. Allein jener erhabene Sänger des erhabensten Gottes flößte sie meinem Herzen zuerst ein. Es hoffen auf dich alle, die deinen Namen kenne, so singt er in seinem Psalmen zum Lobe Gottes. Und wie sollte ihn der nicht kennen, der den Glauben hat, der mich beseligt? Dann flößtest du sie mir mit seinen Reizen in deinem Briefe vorzüglich ein, und erfülltest mein Herz mit derselben so reichlich, daß euer Regen des Lebens sich von mir auch auf andere Seelen ergießet.

So lange ich redete, sah ich in dem Innersten des lebhaft entflammten Lichtes einen zitternden Glanz schnell und oft, gleich einem Blitze, leuchten. - Die in mir, so rief es nunmehr, noch immer brennende Liebe zu der Tugend, die mich von dem Kampfplatze bis zu den Siegespalmen begleitete, diese will, daß ich fortfahre, von ihr, als dem Gegenstande deines 185 Vergnügens, mit dir zu reden. Daher wird mir deine Rede angenehm seyn, wenn sie nun das verkündiget, was dir deine Hoffnung verheißet.

Die Schriften des neuen und alten Bundes, antwortete ich, setzen den Seelen, die sich Gott zu seinen Freundinnen erwählt hat, das Ziel ihrer Hoffnung, das sich nun selbst meinem Auge hier zeiget. Eine jede, sagt 308 Esaias, wird in ihrem Lande mit einem doppelten Gewande bekleidet seyn. Ihr Land ist dieses selige Leben. Und dein heiliger Bruder zeigt uns diese Offenbarung dort, wo er von den weißen Kleidern redet, in einem noch weit hellerm Lichte. - Nun hörte ich am Ende dieser Rede, so wie vor dem Anfange derselben, die Worte: Es hoffen auf dich, wieder über uns ertönen, denen alle sich dort umher bewegende Sphären freudigst antworteten.

Hierauf sah ich aus ihren seligen Schaaren ein Licht so hell hervorglänzen, daß, wenn der himmlische Krebs von einem so krystallnen Glanze strahlte, ein ganzer Monat im 309 Winter nur ein ununterbrochener 186 Tag seyn würde. So wie eine jugendliche Schöne an dem Feste einer Neuvermählten, nicht aus Eitelkeit, sondern nur der Braut zur Ehre, sich reizend von ihrem Sitze erhebt, mit feyerlichen Schritte dahintritt, und festlich froh tanzet - eben so anmuthsvoll sah ich das hellglänzende Licht den beiden Geistern sich nähern, die nach ihrer brennenden Liebe freudig sich im Kreise bewegten. Und hier vereinigte es sich, und sang mit ihnen in gleichen harmonischen Tönen. Meine Führerinn betrachtete sie mit unverwandten Blicken. So schweigend und so unbeweglich heftet nur eine neuvermählte Schöne ihren Blick auf ihren geliebten Gatten. - Das ist die Seele desjenigen 310, der einst an der Brust unsers Pelicans lag, und den jene von dem Kreuze herabtönende Stimme 311 einst wählte, die große Pflicht eines Kindes zu erfüllen. - Also sprach meine Führerinn. Allein dessen ungeachtet, blieb sie mit unbeweglichen Blicken, nach diesen Worten, wie vor denselben, ihrer aufmerksamen Betrachtung.

So wie demjenigen wird, der in die Sonne schauet, so, daß er sich einbildet, als sähe er, wie sie sich schon etwas verdunkle, und durch seine Blicke sein Auge so sehr blendet, daß er zuletzt gar nicht mehr sieht - eben so ward mir itzt bey dem Anschauen dieses letzten Glanzes, als eben eine Stimme rief: Warum blendest du deine Augen, um eine Sache zu sehen, die hier nicht Statt findet? Auf 187 der Erde befindet sich mein Körper. Und daselbst wird er mit den übrigen so lange bleiben, bis die wirkliche Anzahl 312 der Seligen der von Ewigkeit bestimmten Anzahl derselben gleich seyn wird. Nur 313 die beiden glänzenden Lichter allein, die sich kurz zuvor in die Höhe erhoben, befinden sich mit ihren Körpern in dem seligen Aufenthalte. Und hiervon kannst du den Sterblichen auf der Erde Nachricht ertheilen.

Auf diese Stimme verwandelte sich die flammende Bewegung und mit ihr die sanftertönende Harmonie dieses dreyfachen 314 Glanzes plötzlich in eine ruhige Stille. So still werden auf einmal alle ins Wasser laut arbeitende Ruder, sobald das Zeichen des Schiffers, entweder zur Ruhe von mühsamer Arbeit, oder zur Vermeidung einer Gefahr, ertönet. - Itzt wandten sich meine Blicke nach der Beatrix. Allein wie groß war mein Entsetzen, als ich sie nicht sehen konnte, ob ich mich gleich nahe bey ihr, und in der glückseligen Ewigkeit befand!

Sechs und zwanzigster Gesang

Anmerkungen:

P302 Aus Florenz.
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P303 Der heilige Jacobus, der in Compostella von den häufigen Wallfahrern verehrt wird.
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P304 Gott.
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P305 In seiner Epistel.
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P306 Als die Hoffnung ist, welche den Dante belebet.
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P307 Vieler heiligen Propheten und Lehrer.
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P308 S. den 7ten Vers des 61. Kap. Das doppelte Gewand ist entweder eine überschwengliche Seligkeit überhaupt, oder die Seligkeit der Seele und des Leibes. - Von den weißen Kleidern s. das 7te Kap. der Offenbar. Joh.
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P309 Wann die Sonne sich im Steinbocke befindet, bey deren täglichem Untergange das Zeichen des Krebses sich einen ganzen Monat hindurch zeiget. Daher schien das Licht, welches Dante sah, so hell, wie die Sonne.
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P310 Des Johannes, der an der Brust Christi lag.
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P311 Siehe, daß ist deine Mutter.
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P312 Welche Anzahl durch die allgemeine Auferstehung der Todten vollständig werden wird.
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P313 Nur Christus und Maria, nicht aber Johannes, von dem man solches auch glaubte. S. das 21. Kap. des Ev. Joh. den 22. und fg. V.
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P314 Des Petrus, des Jacobus, und des Johannes.
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