Von dem Paradiese.
Vier und zwanzigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Beatrix ruft, zum Besten des Dichters, die apostolische Versammlung an. Dann bittet sie den heiligen Petrus, seinen Glauben zu untersuchen. Der große Apostel legt daher dem Dante verschiedene Fragen vor, welche dieser beantwortet. Und hierauf segnet er ihn, und billiget seinen Glauben.

O! heilige Versammlung, auserwählt zu dem großen Abendmahle des göttlichen Lammes, welches euch so herrlich speiset, daß eure seligen Begierden stets vollkommen gestillt werden. O! betrachtet die außerordentlichen Begierden desjenigen, der hier durch die Gnade Gottes noch vor der Zeit seines Todes die seligen Brosamen genießet die von eurer himmlischen Tafel herabfallen! Erquicket ihn daher ein wenig mit Thau aus eurer Höhe, ihr, die ihr stets aus der Quelle trinket, daher die Seligkeit entspringet, nach welcher sich seine Gedanken so sehnsuchtsvoll erheben!

Also bat Beatrix. Hierauf bewegten sich jene ewig frohen Seelen um uns, gleich Sphären um ihre unbeweglichen Pole, und glänzten stark, gleich flammenden Kometen. Und wie die Räder in einer Uhr sich bewegen, so, daß demjenigen, der ihren verschiedenen Umlauf betrachtet, das erste Rad zu ruhen, das letzte dagegen herum zu fliegen scheint - eben so verschieden und kunstreich bewegten sich 175 diese Geister in ihren Kreisen, und gäben mir durch ihren schnellen und langsamen Umlauf den größern und mindern Reichtum ihrer Seligkeit zu erkennen. Aus dem Kreise, den ich für den schönsten hielt, sah ich ein so glückseliges Feuer hervortreten, daß kein einziges unter allen von einer so vorzüglichen Klarheit glänzte. Dreymal bewegte es sich um die Beatrix, und sang so göttlich, daß ich mir diese Scene so reizend nicht wieder einbilden kann, daher mein Kiel sie nicht schildert, vielmehr über sie wegeilet. Denn zu einem mahlerischen Entwurfe solcher Falten ist unsre Einbildungskraft, geschweige unser Ausdruck, eine viel zu lebhafte Farbe. Nunmehr stand das heilige Feuer still, und ließ, indem es sich gegen die Beatrix wandte, folgende Worte ertönen: O! meine heilige Schwester, deine Bitte, die deine einbrünstige Zuneigung so ehrerbietig einkleidet, ist die würdige Ursache, daß ich mich aus meiner schönen Sphäre also entferne. - O du seliger Glanz des göttlichen Mannes, antwortete sie, dem einst unser Heiland die Schlüssel überließ, die er zu diesen wundervollen Freuden auf der Erde führte, o! prüfe diesen Sterblichen, nach deinem Gefallen, durch leichte und schwere Fragen, in dem Glauben, durch leichte und schwere Fragen, in dem Glauben, durch dessen Kraft deine Füße einst auf den Wellen des Meeres einhertraten! Dir ist es nicht verborgen, ob seine Liebe, seine Hoffnung, und sein Glaube ächt sey. Denn deine Augen schauen hier das Angesicht, in welchem sich alles deutlich offenbaret. Allein da dieses Reich seine Bürger um ihres wahren Glaubens willen und zur Verherrlichung desselben, aufgenommen 176 hat, so wird es ein heilsames Geschäffte seyn, dich von dem Glauben mit ihm zu unterreden.

So wie ein Baccalaur, so lange der vorsitzende Lehrer die streitigen Sätze vorträgt, nicht redet, und sich indessen nur zur Vertheidigung, nicht zur Entscheidung derselben waffnet - eben so waffnete ich mich unterdessen mit allen nur möglichen Gründen, so lange sie mich durch ihre Rede ermunterte, daß ich mich zur Beantwortung solcher Fragen und zu einem solchen Bekenntnisse gefaßt machen möchte.

Eröffne dann, als ein Christ. deine Gedanken, und sage mir, was ist der Glaube? - Auf diese Worte erhob ich mein Angesicht nach dem Glanze, daher sie ertönten. Dann wandte ich mich zu der Beatrix. Und schnell gebot mir ihre Mine, daß die Quelle meines Herzens sich nunmehr ergießen möchte.

Die Gnade, so fieng ich hierauf an, durch welche ich vor diesem erhabenen Glaubenshelden mein Bekenntniß ablege, begleite itzt alle Ausdrücke meiner Gedanken! Ich behaupte dann, mein Vater, was dein geliebter 299 Bruder einst schriftlich lehrte, als er mit dir Rom auf so heilsame Wege brachte. Nach diesem wahrhaften Unterrichte, ist der Glaube eine zuversichtliche Gewißheit von dem wirklichen Daseyn alles dessen, was ein Christ hoffet, und von der Wahrheit alles dessen, was er nicht sieht. Dieß 177 scheint mir die wahre Beschaffenheit desselben auszudrücken. - Dafern du, so hörte ich itzt rufen, deine Ausdrücke von dem Glauben recht verstehst, so denkst du richtig, weil du ihn unter die wirklichen Dinge, und unter die ungezweifelten Wahrheiten setzest. - Die geheimnißvollen Sachen, antwortete ich hierauf, deren Erscheinung hier meine Augen beseliget, sind den Augen auf der Erde so tief verborgen, daß sie daselbst blos Gegenstände des Glaubens sind, auf welchen die erhabene Hoffnung des Christen sich gründet. Daher nimmt der Glaube von den wirklichen Gegenständen desselben seine Kraft. Daher muß uns dieser Glaube, gleich den sichersten Vernunftschlüssen überzeugen, ohne eine nähere Einsicht davon zu besitzen. Und daher vertritt eine solche Kraft die Stelle der zuverlässigsten Beweise.

Wenn die Sterblichen auf der Erde, so hörte ich nun rufen, alle Wissenschaft, die sie daselbst durch Gelehrsamkeit erlangen, so gründlich verstünden, so würde unter ihnen der Witz der Sophisten nicht Statt finden. Also redete der Geist, entflammt von brennender Liebe. Bis hieher, fuhr er fort, ist der Gehalt und das Gewicht dieser herrlichen Münze sehr gut befunden worden. Allein itzt sage mir, ob du sie wirklich also besitzest? - Ja, antwortete ich, und von einem so glänzenden und so vollkommenen Gepräge, daß nichts in demselben mir den mindesten Zweifel erregt. Hierauf ertönten aus dem Innersten des daselbst glänzenden Lichtes folgende Worte: Wie gelangtest du aber zu diesem 178 theuren Kleinode, auf dessen Werth alle Tugenden sich gründen? Die gnadenreichen Lehren des heiligen Geistes, erwiederte ich, die sich auf allen Blättern des alten und neuen Testaments verbreiten, sind mir so bündige Beweise für die Wahrheit des Glaubens, daß mir alle andere Beweise gegen dieselben nur seichte Gründe zu seyn scheinen. Auf diese Antwort hörte ich rufen: Warum hältst du die Schriften des alten und neuen Bundes, die dich so fest überzeugen, für göttliche Aussprüche? - Die Gründe, versetzte ich, welche mir diese Wahrheit enthüllen, sind die großen Werke und Erfolge, zu welchen das Eisen nie in der Werkstatt der Natur glühend gemacht, noch durch ihren Hammer geschmiedet worden ist. Sage, ward mir hierauf geantwortet, wer versichert dich, daß die aufgezeichneten Werke wirklich so erfolgten, und so beschaffen waren, wie man erst beweisen muß? Denn niemand wird dir solches mit einem Eide bestätigen.+++ Wenn die Welt, sagte ich, sich ohne Wunderwerke zum Christenthume belehrt hat, so ist dieses allein ein so großes Wunderwerk, daß alle die übrigen nicht den hundertsten Theil desselben ausmachen. Denn wie arm, und wie enthaltsam tratst du nicht auf das Feld, um den Saamen der heilsamen 300 Pflanze auszusäen, die einst ein fruchtbarer Weinstock war, und nun ein wilder Dornstrauch worden ist!

Kaum hatte ich diese Worte geendiget, als der erhabene Hof dieses heiligen Himmels ein Herr Gott 179 dich loben wir in der Melodie, die man dort oben singt, seine Sphären hindurch ertönen ließ. Dann näherte der herrliche Geist, der mich durch seine prüfende Fragen von Stufe zu Stufe geführt hatte, sich nun mit mir den letzten Stufen, und erneuerte seine Rede also: Bis hieher hat die Gnade, dieses geliebte Freundinn deines Verstandes, dir den Mund so geöffnet, wie er sich öffnen sollte, daher ich alle seine Ausdrücke von dem Glauben billige. Allein itzt muß dein Mund das, was du glaubst, und die Ursache, warum er deine Glauben bekennet, ausdrücklich offenbaren. - O heiliger Vater, fieng ich hierauf an, o seliger Geist, der du her schauest, was du einst glaubtest, und durch deinen Glauben jenen Jüngern nach dem Grabe eilenden 301 Füßen damals zuvoreiltest, du verlangst, daß mein Mund das, was ich glaube, und zugleich die Ursache, warum ich solches glaube, itzt freimüthig vor dir offenbare. - Hier ist mein Bekenntniß:

Ich glaube an einen einigen, ewigen und unveränderlichen Gott, dessen Liebe, und dessen Wille den ganzen Himmel beweget. Und nicht blos die Gründe der Natur und der Vernunft, sondern auch die himmlischen Wahrheiten, offenbaret durch Mosen, durch die Propheten, durch die Psalmen, durch das Evangelium und durch euch, die ihr, beseelt durch den heiligen Geist, schriebet, sind die Ursachen, die mich dringen, 180 solches zu glauben. - Ich glaube an drey ewige Personen, die mein Glaube für ein so einiges und so dreyeiniges Wesen hält, daß es die beiden Ausdrücke, sind und ist, leidet. - Von der unergründlichen Beschaffenheit des göttlichen Wesens, das ich itzt nur berühre, macht die evangelische Lehre sehr oft tiefe Eindrücke auf meinen Verstand. Denn diese ist die Quelle des Lichts, das sich nachher in eine lebhafte Flamme ausbreitet, und glänzend, gleich einem Sterne am Himmel, in mir funkelt.

So wie ein Herr seinen Diener, aus dessen Munde er eine angenehme Nachricht vernimmt, sobald er schweigt, vor Freude über dieselbe, umarmet - eben so umarmte mich, so bald ich schwieg, das apostolische Licht, auf dessen Befehl ich geredet hatte, zu dreyen Malen, indem es singend mich zugleich segnete. Also gefiel ihm meine Rede.

Funf und zwanzigster Gesang

Anmerkungen:

P299
Der Apostel Paulus. S. das 11. Kap. der Ev. an die Hebräer. ["Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht."]
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P300 Die Kirche.
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P301 Petrus glaubte die Auferstehung Christi eher, als Johannes, obschon dieser eher zum Grabe kam. S. das 20. Kap des Ev. Joh.
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