Von
dem Paradiese.
Ein und zwanzigster Gesang.
Inhalt. |
Dante erhebt sich mit der Beatrix in den Saturn, wo die Seelen derer sich befinden, die einst ihr Leben der Betrachtung gewidmet haben. In diesem Planeten sieht er eine goldene Leiter, auf deren Sprossen unzählige Geister der Seligen auf und niederstiegen. Hierauf läßt sich der Dichter mit dem heiligen Petrus Damian in eine Unterredung ein. Dieser beantwortet ihm zuerst einige Fragen. Dann sagt er ihm, wer er sey, und schildert ihm, wie er sein geistliches Leben einst auf der Welt geführt habe. Schon hatte ich meine Augen und Gedanken, beide von allen andern Gegenständen entfesselt, wieder nach dem Angesichte meiner Gebieterinn gewandt. Allein itzt äuserte sie keine lachenden Blicke. Dafern mein Auge, sagte sie vielmehr, itzt lachte, so würdest du eben das Schicksal haben, das Semele 264 hatte, als sie einst plötzlich zu Asche ward. Denn meine Schönheit, wird auf den Stufen, welche zu dem Pallaste des Ewigen führen, wie du bisher gesehen hast, immer glänzender, je höher wir uns erheben. Wenn sie daher sich itzt nicht mäßigte, so würde sie in einen Glanz ausbrechen, an dessen Blitze dein sterbliches Auge, gleich einem Baume, den der Donner zerschmettert, scheitern müßte. Wir sind zu 153 dem Glanze des siebenten 265 Planeten erhoben, der unter dem Zeichen des brennenden Löwens itzt die Kraft seiner gemischten Ausflüsse auf die Erde hinabstrahlet. Und nunmehr betrachte mit Aufmerksamkeit das Bild, das in diesem glänzenden Gestirne deinen Augen erscheinen wird. Dein Ohr, antwortete er mir, ist, wie dein Auge, von sterblichem Stoffe. Daher singt man aus 155 der Ursache hier nicht, warum Beatrix keine lachenden Blicke hier äusert. Auf den Sprossen der heiligen Leiter stieg ich nur allein zu dir herab, um mit meiner Rede, und mit dem Lichte, das mich umglänzt, dich zu erfreuen. Nicht ein Gefühl vorzüglicher Liebe war die Ursache meiner vorzüglichen Eilfertigkeit. Nein. Denn hier oben wallet in vielen Seelen eine gleiche, in vielen eine noch weit größere Liebe, so wie dir solches der funkelnde Glanz offenbaret. Jene erhabene Liebe, die uns zu eilfertigen Dienerinnen der Vorsehung macht, welche die Welt regiert, diese ist es vielmehr, die hier, wie du siehst, einer jeden Seele das Loos ihrer Geschäffte ertheilet. Ich sehe wohl, heiliger Glanz, erwiederte ich, daß ihr an diesem himmlischen Hofe aus freyer Liebe die Befehle der ewigen Vorsehung hinreichend befolget. Allein warum du, vorzüglich vor den übrigen Seelen deiner Gesellschaft, zu diesem Geschäffte, mich zu erfreuen, auserwählt wardst, dieß scheint meiner Einsicht eine schwer begreifliche Sache zu seyn. - Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als das glänzende Licht schon anfieng, sich, gleich einem schnell herumlaufenden Mühlrade, um seinen Mittelpunkt zu bewegen. Hierauf antwortete die Liebe aus demselben also: Also lehrte mich seine Rede. Daher verließ ich diese hohe Frage, und schränkte meine Wißbegierde so sehr ein, daß ich diesen Geist nur noch demüthig fragte, wer er wäre. Zwischen jenen beiden 267 Meeren Italiens, so fieng er zum dritten Male an zu reden, dort, nicht weit von deinem Vaterlande, erheben sich 268 Berge 157 so hoch empor, daß weit unter ihren Spitzen die Donner ertönen. Auf ihrem Rücken befindet sich eine Anhöhe, welche den Namen Catria führet. Unter dieser liegt eine heilige Einsiedeley, 269 die nur zur Verehrung des einigen wahren Gottes eingerichtet ist. Hier war es, wo ich in dem Dienste Gottes so gesetzt wurde, daß ich, unter dem Genusse blos mit Oehl zubereiteter Speisen, Frost und Hitze gelassen ertrug, und in forschenden Betrachtungen meines Geistes stets zufrieden lebte. Sonst pflegte solche geistliche Einöde diesen Himmeln reiche Früchte zu tragen. Allein itzt steht sie so entblößt von ursprünglicher Heiligkeit, daß die Rache Gottes solches bald offenbaren muß. In diesem Orte war ich Petrus 270 Damian, und in dem 271 Marienkloster an dem adriatischen Meere war ich noch Petrus, der Sünder. Nur eine kurze Zeit war mir von meinem sterblichen Leben noch übrig, als ich zu der Würde eines Cardinals berufen und gezwungen ward, deren unscheinbares Ansehen sich stets verschlimmert. Jener geistliche 272 Fels und jenes auserwählte Werkzeug des heiligen Geistes, beide traten einst mit magerm Gesichte und ohne Schuhe einher, und empfiengen ihren Lebensunterhalt vor fremden Thüren. Allein itzt verlangen die 158 neuern 273 Seelenhirten, daß man sie stütze, führe und hebe, so schwer ist ihnen ihr Ansehen. Sie bedecken die Pferde mit ihren Mänteln, so, daß zwey Thiere unter einem Umhange gehen. O! Gott, wie groß ist deine Langmuth! Anmerkungen: P264 Als sie Jupiter in dem Glanze seiner Herrlichkeit besuchte, dessen Strahlen sie verzehrten. P265 Des Saturns. P266 Von dem Könige Saturnus, der in dem goldnen Zeitalter regierte. P267 Zwischen dem tyrrhenischen und adriatischen Meere. P268 Die Apenninischen. P269 Gegenwärtig la Badia di S. Croce. P270 Abt, Bischoff und Cardinal. P271 Zu Ravenna P272 Petrus und Paulus. P273 Die römischen Prälaten. Ueberhaupt finden sich in allen Religionen unzählige Geistliche, die ihr stolzes und eitles Herz so unverantwortlich und so widerchristlich verrathen, daß ein jeder, der sie und ihre Handlungen sieht, ausrufen muß: O! Gott, wie groß ist deine Langmuth! |