Vom
dem Paradiese.
Zwey und zwanzigster Gesang.
Inhalt. |
Der heilige Benedictus redet mit dem Dichter, und sagt ihm, daß er den Namen Jesus Christus auf dem Berge Cassino gepredigt habe. Ferner giebt er ihm Nachricht von einigen Seligen, die sich daselbst befanden. Hierauf erhebt sich Dante mit seiner Führerinn zu der achten Sphäre in das Gestirn der Zwillinge empor, wo er sich umkehrt, um aus demselben die sieben untern Planeten und den Erdkreis zu betrachten. Ganz betäubt wandte ich mich nach meiner Führerinn, gleich einem Kinde, das stets zu der Person seine Zuflucht nimmt, auf die es vorzüglich sein Vertrauen setzet. Und so wie eine Mutter ihrem Kinde, das vor Furcht mit blassem Angesichte ängstlich athmet, plötzlich mit ihrem Zurufe zu Hülfe eilt, der es glücklich wiederherzustellen pflegt - eben so half mir Beatrix. Weißt du nicht, rief sie mir zu, daß du dich im Himmel befindest? Weißt du nicht, daß der ganze Himmel heilig ist? und das alle Erfolge daselbst Früchte eines seligen Eifers sind? O! wie würde dich hier der Gesang, wie würde dich hier, urtheile nun selbst, mein lachendes Auge verwandelt haben, da schon dieses Geschrey dich so außerordentlich bewegte! Dieß Geschrey, aus welchem, wenn du dessen flehende Bitte zu Gott verstanden hättest, dir nun schon die Rache bekannt seyn würde, die dein noch sterbliches Auge bald schauen wird. Gleichwohl richtet das Rachschwerdt des Himmels weder 160 zu frühzeitig, noch zu spät, sondern die Schläge desselben scheinen nur denen also zu erfolgen, die solche sehnlich wünschen oder fürchtend erwarten. Allein lenke nunmehr dein Auge auf andere Gegenstände. Denn du wirst sehr herrliche Geister sehen, dafern du, meinen Worten gemäs, deine Blicke von mir entfernest. Also richtete ich meine Augen dahin, wohin es ihr gefiel, und sah hundert kleine Sphären, die mit ihren gegenseitigen Strahlen sich alle weit herrlicher verschönerten. Itzt stand ich, wie ein Mensch, der sein dringendes Verlangen mit Gewalt zurückhält, und so sehr befürchtet, beschwerlich zu fallen, daß er sich nicht getrauet, nur einmal noch zu fragen. Daher näherte sich die größte und glänzendeste unter diesen himmlischen Perlen gegen mich, um die Sehnsucht meines Verlangens zu befriedigen. Dann hörte ich aus ihrer Sphäre folgende Worte ertönen: Die Zuneigung, antwortete ich diesem Geiste, welche du durch deine Unterredung mit mir offenbarest, und das heilige Ansehen, das ich an dir und an allen euren von Liebe entflammten Seelen bemerke, haben mir die Schranken meines Vertrauens so sehr erweitert, als nur die Sonne die Blätter einer Rose, wann sie vollkommen aufgeblüht ist, von einander auszubreiten pflegt. Schenke mir daher, als ein Vater, auf mein kindliches Bitten, einen zuverlässigen Unterricht, ob ich der vorzüglichen Gnade gewürdigt werden könne, dein Angesicht unverhüllt zu schauen? Also sprach er. Hierauf zog er sich nach seiner Versammlung zurück, die sich zugleich mit ihm fest zusammenzog. Und dann erhob sie sich plötzlich, gleich einem Wirbelwinde, wieder empor. Itzt trieb ein einziger Wink meiner reizenden Gebieterinn mich durch jene Höhen der Leiter hinter ihnen empor; also siegte ihre Kraft über das Unvermögen meiner Natur. Und nie brachte die Natur hier unten, wo man bald steigt, bald fällt, eine so geschwinde Bewegung zum Vorschein, daß solche mit meinem schnellen Fluge in 164 jene Höhen verglichen werden könnte. Denn so gewiß, mein Leser, ich glaube, noch einmal zu jenem ehrfurchtsvollem Triumphe zu gelangen, daher ich so oft meine Sünden beweine, und mir an meine Brust schlage, eben so gewiß kannst du glauben, daß ich in weniger Zeit, als du deinen Finger in das Feuer stecken und wieder herausziehen würdest, das 279 himmlische Zeichen, welches dem Stiere folgt, sah, und mich in demselben befand. O! ihr herrlichen Sterne, o! Licht, erfüllt mit großer Kraft, dem ich mein ganzes Genie, wie es auch beschaffen sey, zu danken habe! Unter euch ward ich gebohren, und mit euch verbarg damals jene 280 Mutter alles sterblichen Lebens ihr glänzendes Angesicht, als ich zum ersten Male in Toscana Luft schöpfte. Und als mir nachher die Gnade ertheilt ward, mich in eure erhabene Sphäre zu erheben, ward mir zugleich das Glück ertheilt, eure Gegend hindurchzugehen. Zu euch seufzet itzt meine Seele voll Ehrfurcht um Kraft zu dem wichtigen Schritte nach jener Höhe, deren Reiz sie dahin ziehet. Du bist, rief hier Beatrix, deinem letzten Heile so nahe, daß dein Auge nur mit seinen heitern und geschärften Blicken schauen darf. Allein ehe du weiter in dasselbe eindringest, so schaue noch einmal nach den untern Sphären hinab, und siehe, was für Weiten sich schon unter dir befinden, die dein Fuß überstiegen 165 hat. Also schaue, damit dein Herz erfüllt mit aller ihm nur möglichen Frölichkeit vor der triumphirenden Schaar erscheine, die auf dieser himmlischen Sphäre voll seliger Freuden einhertritt. Anmerkungen: P274 Ein Schloß in der Landschaft Terra di Lavoro. Auf diesem Berge befindet sich die berühmte Benedictinerabtey, wo ehedem ein Tempel des Apollo gestanden hat. Das betrogene Volk waren die Heiden. P275 Von heiliger Liebe, die Werke der Menschenliebe, Früchte des Glaubens hervorbringet. P276 In dem empireischen Himmel, der unbeweglich ist. P277 Die Geistlichkeit handelt verkehrt. P278 Das rothe Meer, durch welches die Israeliten hindurchgiengen. P279 Das Zeichen der Zwillinge. P280 Die Sonne. P281 Den Mond. P282 Hyperion ist der Vater der Sonne. Maja ist die Mutter des Merkurs, und Dione die Mutter der Venus. P283 Zwischen der Kälte des Saturns, seines Vaters, und den Flammen des Mars, seines Sohns. |