Von dem Fegfeuer.
Eilfter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Dante erklärt das Gebeth, welches die Seelen der Hochmüthigen mit lauter Stimme verrichteten. Virgil erkundiget sich bey ihnen nach dem besten Ort zur Ersteigung der Höhe. Hierauf bringen sie die Dichter auf den Weg. Und diese unterhalten sich unterweges mit den Seelen des Omberto und des Oderisi, von denen der letzte wider den Ruhm und die weltliche Ehre seine Gedanken äusert.

O! Vater der Menschen, der du in den Himmeln, nicht eingeschränkt, sondern um der vorzüglichen Liebe willen daselbst thronest, welche du gegen deine erstgebohrnen Kinder dort oben äuserst! Preiß sey deinem heiligen Namen! Preiß sey deiner herrlichen Macht! Auf eine würdige Art rühme dich deine ganze Schöpfung! Auch opfre sie deiner wohlthätigen Liebe den würdigsten Dank! Sende du den Frieden deines Reichs zu uns herab! Denn wir, wenn du ihn nicht sendest, sind von uns selbst mit unserm ganzen Verstande und Witze nicht vermögend, zu demselben zu gelangen. Deine Engeln opfern dir ihren Willen und singen dir Hosianna. O! möchte der Mensch ein gleiches Opfer dir bringen! Gieb uns heute das tägliche Manna! Denn ohne solches gehen Wanderer durch diese rauhe Wüste nur zurück, so ängstlich sie sich auch in ihren Schritten bearbeiten. So wie wir alles erlittne Unrecht einem jeden verzeyhen, so verzeyhe auch du, Gütigster, uns Sündern, und siehe nicht auf unser Verdienst! Unsre 79 Tugend, die so leicht scheitert, o! prüfe sie nicht durch den alten Widersacher! Setze sie vielmehr vor ihm in Freyheit, vor dem, der sie so feindlich versuchet! Herr, und Gott der Liebe, um diese letzte Gnade flehen wir dich, nicht für uns, weil wir derselben nicht mehr bedürfen, sondern für alle diejenigen, welche hinter uns zurückgeblieben sind!

Also bethend für sich und für uns um eine glückliche Reise in die Ewigkeit, giengen jene Schatten, unter dem Drucke ihrer Lasten, welcher dem gleichet, den das Herz zuweilen im Traume empfindet, alle, ungleich geängstiget und ermattet, in dem ersten Kreise herum, um ihre Seelen von jener schwarzen Blindheit der Welt zu reinigen. So bethet man dort beständig für unser Wohl. Und hier sollten die für jene nicht bethen und wohlthun, die, welche solches zu wollen guten Grund haben? Billig muß man ihnen die Fehler, die sie hier in der Welt äuserten, ausbüßen helfen, so, daß sie rein und frey zu den gestirnten Kreisen empor steigen können.

Ach! möchte Gerechtigkeit und Mitleiden euch bald entlästigen! Möchtet ihr bald die Flügel bewegen können, um eurem sehnsuchtsvollen Verlangen gemäs euch zu erheben. Allein unterrichtet uns doch, auf welcher Hand man am nächsten nach der Straße zugeht, welche in die Höhe führet! Und sind mehr Wege, o! so zeiget uns den, welcher nicht so steil, als die übrigen, abfällt! Denn der hier mit mir kömmt, ist wegen der schweren Bürde des adamitischen Fleisches, dieses Kleides seiner Seele, zur Ersteigung solcher Höhen, wider seinen Willen zu träge und zu langsam. - Der Schall der Worte, welche sie diesen Worten meines 80 Führers zur Antwort gaben, entdeckte unsern Augen den nicht, von dem solche herschallten. Allein dieß sagten sie: Geht rechter Hand an dem Ufer dieser Ebene mit uns fort, so werdet ihr den Weg finden, den ein noch lebendiger Sterblicher ersteigen kann. Und verhinderte mich nicht der Stein, der nun meinen stolzen Nacken hier zähmet, daß ich das Gesicht niederwärts tragen muß, so würde ich diesen ungenannten Lebendigen ungesäumt anschauen. Vielleicht wäre er mir bekannt. Und vielleicht wäre ich, so belastet, im Stande, Mitleiden in ihm zu erregen. Ich war ein Italiäner, und der Sohn eines großen Toskaners. Wilhelm Aldobrandesco war mein Vater. Ich weis nicht, ob sein Name euch jemals zu Ohren gekommen sey. Das alte Geschlecht, und die reizende Pracht meiner Vorfahren verleitete mich zu einem so übertriebenen Stolze, daß ich demselben das Andenken der gemeinschaftlichen Mutter aller Menschen aufopferte. Ich begegnete einem jeden Menschen mit Verachtung, und gieng in meinem Uebermuthe so weit, daß er mir das Leben kostete. Die Saneser wissen es. Jedes Kind in Campagnatico weis solches. Ich bin 076 Omberto. Und nicht mir allein gereichte der Hochmuth zum Schaden. Auch alle meines Geschlechts hat er ins Verderben gestürzet. Er ist die Ursache, daß ich nun diese schwere Last hier tragen muß. Ach! warum demüthigte ich mich nicht unter den Lebendigen! Daher muß ich unter den Todten und so lange hier büßen, bis Gott sich zufrieden erkläret.

81 Mit zur Erde gebeugtem Angesichte hatte ich dieses angehöret. Nun krümmte sich, nicht dieser, welcher seine Rede geendigt hatte, sondern ein andrer von ihnen unter der ihm beschwerlichen Last hervor. Er sah mich an, kannte mich, und rief, die Augen mühsam auf mich gehefftet, daß ich ganz niedergebückt mit ihm gehen möchte. O! sagte ich zu ihm, bist du nicht Oderisi, die Ehre Agobbiens, und die Zierde der Kunst, welche Paris mit dem Namen der Miniaturmahlerey bezeichnet? - Mein Bruder, antwortete er, weit mehr Anmuth lacht aus der Mahlerey, in welcher der Pinsel des bolognesischen Franco herrschet. Ihm gebührt itzt der Ruhm ganz, und mir nur zum Theil. Eine so große Bescheidenheit würde mir wohl in meinem Leben das große Verlangen nach einem berühmten Namen nicht erlaubt haben, nach welchem mein Herz so begierig strebte. Allein für dergleichen Hochmuth wird hier der Lohn ausgezahlt. Auch wäre ich nicht einmal hier, wofern ich mich, bey jener Freyheit zu sündigen, nicht noch zu Gott bekehrt hätte. O! eitler Ruhm menschlicher Künste und Wissenschaften, von was für einer kurzen Dauer ist die Blüthe auf deinem höchsten Gipfel, wenn nicht Zeiten grober Unwissenheit erfolgen! Cimabue glaubte, in der Mahlerkunst das Feld zu behalten. Itzt fliegt der Ruf dem Giotto zu, der nun schon den Ruhm jenes Künstlers verdunkelt. Eben so hat der eine 077 Guido dem andern den Ruhm des Vorzugs in der Sprache der Dichter entzogen. 82 Und vielleicht ist der schon gebohren, der beide aus dem Felde schlagen wird. Der Ruf in der Welt ist nichts anders, als ein Hauch des Windes, der bald hieher, bald dorthin fähret, und mit Veränderung seiner Gegend auch seinen Namen verändert. Um wie viel wird dein Ruf, wenn Alter von deinem Fleische dich trennet, wohl größer seyn, als wenn du, ehe du die Nahrung und die Spiele der Kindheit fahren ließest, gestorben wärest? Ja, was sind tausend Jahre auf Erden? Ein ungleich kürzerer Zeitpunkt gegen die Ewigkeit, als ein schneller Augenblick gegen die langwierige Bewegung jenes 078 Himmels, welcher seinen Umlauf am spätesten vollendet. Bemerke itzt den, der hier vor mir so sparsam einhertritt. Ganz Toskana erschallte ehedem von seinem Rufe. Und gegenwärtig hört man kaum in Siena von ihm reden. Was für ein Herr war er nicht damals, als die Wut der Florentiner jene schreckliche Niederlage erlitt, der Florentiner, welche zu der Zeit sich stolz brüsteten, und nun niederträchtig einherkriechen! O! Mensch, dein Ruhm ist blos ein Grün des Grases, welches blühet und verblühet. Und die Sonne entfärbet es wieder dahin, welche es aus der Erde hervorreifte.

Deine wahren Reden, sagte ich hierauf, flößen meinem Herzen eine vorzügliche Demuth ein, und benehmen meiner Einbildung eine große Schwulst. Allein wer ist der, von dem du nur sprachest? Das ist, 83 antwortete er, Provenzan 079 Salvani. Seine stolze Einbildung, ganz Siena sich in die Hände zu spielen, ist die Ursache, warum er sich hier befindet. Also, und ohne die geringste Erholung, ist er seit dem Erfolge seines Todes einhergegangen. Und also müssen die hier büßen, welche dort zu viel wagen.

Allein, erwiederte ich, der Geist des Menschen, welcher erst im Angesichte des Todes seine Vergehungen bereuet, muß ja in jener Tiefe verweilen. Und zu dieser Höhe, wofern ihm nicht ein gültiges Gebeth zu statten kömmt, darf er ja nicht eher heraufsteigen, bis eine eben so lange Zeit, als er ehedem gelebt hat, verflossen ist. Wie ist ihm also die Freyheit geschenkt worden, hieher zu kommen? - Als Provenzan, versetzte er, in so vorzüglichem Ansehen lebte, stellte er sich einst frey, alle Schande besiegend, auf öffentlichem Platze in Siena hin. Hier ließ er, um seinen leidenden 080 Freund, Carls Kriegsgefangenen, zu befreyen, sich so sehr herab, daß ihm das Bluth in allen Adern zitterte. Ich sage nicht mehr, und weis, daß ich dunkel rede. 84 Allein bald wird die kurze Zeit verfließen, da deine Mitbürger so handeln werden, daß dein Zustand den seinigen 081 erläutern wird. Und eben diese That befreyete ihn von jenen entlegenen Grenzen.

Zwölfter Gesang

Anmerkungen:

F076 Ein Graf von Santafiora, der wegen seines übertriebnen Hochmuths von den Sanesern umgebracht ward.
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F077 Guido Cavalcanti, ein florentinischer Dichter, dem Guido Guinizelli, einem bolognesischen Dichter.
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F078 Der Himmel der unzähligen Fixsterne.
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F079 Er war einer der Vornehmsten von Adel und commandirender General in der Schlacht bey Monteaperto.
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F080 Carl, der Erste, König von Apulien wollte ihn enthaupten lassen, wenn er sich nicht binnen einer gewissen Zeit mit zehntausend Ducaten auslöste. Daher bat Provenzan das Volk in Siena öffentlich um dieses Geld. Und diese Demüthigung, aus Liebe zu seinem Freunde, war es, welche ihn von dem Vorfegfeuer befreyet hatte.
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F081 Auch du wirst bald, ins Elend verjagt, um Hülfe bitten müssen, und dann erfahren, wie empfindlich ein solcher Schritt einer Person sey, welche von edler Geburt ist, und in Ansehen steht.
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