Von dem Fegfeuer.
Dritter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Die Dichter nehmen ihren Weg nach dem hohen Berge des Fegfeuers zu. Bey ihrer Ankunft am Fuße desselben sahen sie die, zwar im Kirchenbanne, jedoch mit Reue, abgeschiedenen Seelen. Eine von denselben unterhält sich mit dem Dante, und beschreibt ihm, wie diejenigen, welche in der Kirchenbuße ihr Leben geendiget haben, nun daselbst erst eine gewisse Zeit warten müssen, ehe sie den Gang zu ihrer Reinigung antreten dürfen.

Obschon die schleunige Flucht jene Seelen auf dem Felde herum nach dem Berge hin zerstreuete, da, wo Gerechtigkeit und Vernunft sie hintrieb, so hielt ich mich dessen ungeachtet dicht an die Seite meines treuen Begleiters. Wie hätte ich auch ohne ihn dahin eilen können. Wer würde mir wohl den Berg hinauf geholfen haben? - Allein wie von sich selbst beunruhiget schien er mich nicht! O! Du reines und würdiges Gewissen, o! wie wird ein kleiner Fehltritt dir ein so empfindlich nagender Wurm!

Sobald seine Füße die Eilfertigkeit fahren ließen, welche einer jeden Handlung die Anständigkeit entzieht, so ließ meine anfänglich beklemmte Brust nun ihrer Sehnsucht wieder freyen Lauf. Sogleich eilten meine Blicke nach dem Hügel, welcher sich aus seiner Ebene in die vorzüglichste Berghöhe, bis zum Himmel empor ausbreitet. Die Sonne, welche hinter mir feuerroth flammte, ward vor meiner Gestalt her in ihrem Schein 19 unterbrochen, weil sich ihre Strahlen an meinem dichten Körper brachen. Allein da ich nur vor mir allein die Erde verdunkelt sah, wandte ich mich plötzlich, wegen der fürchterlichen Einbildung, ich sey verlassen worden, auf die Seite herum. Was fürchtest du? Mit diesen Worten suchte mein Lehrer, ganz gegen mich herumgewandt, mich wieder anzufrischen. Glaubst du etwa, ich sey nicht mehr bey dir, ich sey dein Führer nicht mehr? - Schon ist es itzt dort Abend, da, wo der Leib begraben liegt, in welchem auch ich ehedem seine Schatten sah. Neapolis verwahrt ihn, und Brindisi nahm mir ihn. Wenn daher vor mir kein Schatten erscheint, so verwundre dich hierüber nicht mehr, als über jene Himmel, die einer dem andern ihr Licht durch keine Schatten verdunkeln. Die Allmacht ists, die unsre Körper bereitet, daß sie Frost und Hitze und Marter leiden können. Und sie will keinesweges, daß die Art und Weise, wie sie handelt, uns aufgeklärt werde. Thörichtes Geschöpf, welches sogar die Hoffnung waget, daß unsre Vernunft jene unendliche Straße durchreisen könne, auf welcher ein Wesen in dreyen Personen einher wandelt! - O! menschliches Geschlecht, schränke deine Wißbegierde aus jene große Ursache, auf das wohlgefallen Gottes, gehörig ein! Denn hätte dein sterbliches Auge alles sehen können, so war es nicht nöthig, daß Maria gebahr. Und jene, welche du nur fruchtlos seufzen sahst, waren so große Weisen, daß ihnen ihr sehnsuchtvolles Verlangen gewiß würde gestillt worden seyn, welches ihnen nun zu ihrer ewigen Betrübniß zugeeignet ist. Aristoteles, Plato, und noch viele andere sind es, von denen ich rede. Hier schlug er die Augen nieder, sagte weiter nichts, und blieb in 20 einer unruhigen Verlegenheit. Indessen kamen wir an den Fuß des Berges. Hier fanden wir den Felsen so steil, daß alle Fertigkeit der Füsse vergebens war. Die ödeste und einsamste Straße zwischen 016 Lerici und Turbia ist gegen diese ein bequemer und freyer Weg in die Höhe.

Wer weis nunmehr, sagte mein Lehrer, indem er mit dem Fuße anhielt, auf was für eine Seite die Küste ein wenig abfällt, so, daß wer keine Flügel hat, dieselbe ersteigen könne? - Hier standen wir. Er sah vor sich nieder, und gieng wegen des Weges mit seinem Verstande zu Rathe. Ich hingegen schauete mit langen Blicken oben auf dem Steinfelsen umher. Allein unvermuthet erschien meine Augen linker Hand eine Schaar Seelen, welche ihre Füße zwar gegen uns bewegten, jedoch so langsam daher kamen, daß sie sich kaum zu bewegen schienen. Erhebe deine Augen! So rief ich meinem Lehrer zu. Siehe, wer kömmt hier? Vielleicht geben uns die einen Rath, im Fall du dir nicht selbst zu rathen weißt. Hierauf sah er mich an und machte eine freye Mine. So laß uns, antwortete er alsdenn, dahin gehen. Sie kommen sehr langsam. Und stehe du, mein liebster Sohn, nur fest in deiner Hoffnung. Schon waren wir über tausend Schritte gegangen. Jene Schaar hingegen war wohl noch so weit entfernet, als ein geschickter Schleuderer 21 zu schleudern pflegt. Allein auf einmal drängten sie sich alle an die harten Steine des hohen Ufers hinan, und blieben ganz dicht zusammen still stehen, so wie ein Mensch im Gehen an einer Sache zweifelnd stehen bleibt, und nach ihr hinsieht.

O! ihr glücklich abgeschiedenen und ewig schon auserwählten Geister, so rief ihnen Virgil entgegen, um jener seligen Ruhe willen, die ihr ohne Zweifel alle erwartet, bitte ich euch, o! saget uns, wo der Berg ein wenig ebener sich abneiget, daß die Ersteigung desselben nur möglich sey! Denn je mehr man den Werth der Zeit kennt, je mehr misfällt aller Verlust derselben.

So wie Schafe, einzeln, zu zweyen, und zu dreyen, aus dem Stalle herausgehen, unterdessen die übrigen mit zur Erde gekehrten Augen und Gesichtern in ihrer blöden Unschuld da stehen, und, wenn das erste stehen bleibt, die andern alle, sich hinter demselben dicht anschließend, ihm alles, ohne zu wissen, warum, einfältig und gelassen nachtun - eben so sah ich das Haupt jener glückseligen Heerde, und diese hinter ihm, mit schaamhaft niedergeschlagenen Gesichtern und mit anständigen Schritten aufbrechen und daher gezogen kommen. Sobald die Vorhergehenden den Schein auf der Erde, neben mir zur Rechten, durch meinen Schatten nach dem Berge zu, unterbrochen sahen, hielten sie an, zogen sich ein wenig zurück, und alle die übrigen, die hinter ihnen kamen, thaten alsbald, ohne die Ursache davon zu wissen, ein Gleiches.

Ich komme eurer Frage zuvor, und gestehe euch frey, daß dieser, den ihr hier sehet, noch ein lebendiger Mensch ist. Eben daher wird durch den Schatten seines 22 Körpers der Schein der Sonne auf der Erde unterbrochen. Allein wundert euch nicht. Glaubet vielmehr, daß er, und zwar mit vom Himmel auf ihn herabsteigender Kraft, diese hohe Scheidewand, zu übersteigen sucht. Also mein Lehrer. So kehret dann wieder um, antwortete hierauf jenes würdige Volk, und gehet, - hier bezeichnete es zugleich den Weg mit dem Rücken der Hände - immer so vor uns her. O! wer du auch seyst, fieng alsdenn einer von ihnen an, kehre dich, nur so im Gehen, mit deinem Gesichte um, und besinne dich, ob du mich nicht ehedem gesehen hast. Hierauf wandte ich mich nach ihm um, und sah ihn mit unverwandten Blicken an. Er war blond, schön, und zeigte eine edle Bildung und Mine. Allein das eine von den Augenbraunen war ihm von einer Schmarre getheilet.

Als ich ihm auf eine ehrerbietige Art verneint hatte, ihn irgend jemals gesehen zu haben, so sagte er zu mir: Wohlan, so siehe hieher! Hier zeigte er mir eine Wunde oben auf seiner Brust. Ich bin, so fuhr er alsdenn lächelnd in seiner Rede fort, ich bin 017 Manfred, 23 ein Enkel der Kaiserinn Constantia. Daher bitte ich dich, gehe, wann du wieder zurückkömmst, zu meiner schönen Tochter, jener Mutter des Ruhms und des Glücks für Sicilien und Arragonien, und sage ihr meinen wahren Aufenthalt, im Fall ein falscher Ruf sich von mir verbreitet hätte. Denn als damals mein Körper zwo tödtliche Wunden empfangen hatte, so 24 ergab ich mich mit Thränen dem Gott, der gerne verzeyhet. Zwar waren meine Sünden erschrecklich. Allein die unendliche Güte reicht so weit, daß sie auch die größten Sünder, die sich in ihre Arme werfen, aufnimmt. Hätte der Seelenhirte von Cosenza, den Clemens, nach meiner Niederlage, abgesandt hatte, damals jene Seite in dem Worte Gottes wohlbedächtig gelesen, so lägen die Gebeine meines Körpers, an dem Auftritte der Brücke bey Benevento, unter der Wache des schwer belasteten Steinhaufens, noch immer beerdiget. So aber sind sie ein Opfer des Regens, und ein Raub des Windes, welcher sie, längst des Verdeflußes, wo er, der Erzbischoff, unter Auslöschung der Kerze, sie ausgegraben hin verlegte, nach und nach aus dem Reiche verjaget. Allein durch ihre Verbannungen geht man keinesweges so verloren, daß die Liebe des Ewigen, so lange der Baum der Hoffnung etwas Grünes noch zeigt, gar nicht wiederkommen könnte. Gleichwohl ist es andem, daß wer in äuserlichem Ungehorsam gegen die heilige Kirche dahin stirbt, ungeachtet er sich vor seinem Ende noch bekehret, dennoch für die Zeit seines Ungehorsams eine dreyßigfache Zeit bey diesem Ufer außerhalb des Berges besonders büßen muß, wofern diese gesetzliche Zeit nicht durch wahre Vorbitten verkürzet wird. So siehe dann zu, ob du auch mich erfreuen kannst. Offenbare dereinst meiner guten Constantia, wie du mich gesehen hast, auch offenbare ihr das gesetzliche Verbot. Denn durch jene wird uns hier sehr fortgeholfen.

Vierter Gesang

Noten:

F016 Diese beiden Schlösser sind die äußersten Grenzörter des Genuesischen Gebietes, Lerici gegen Morgen, und Turbia gegen Abend. Die Straße von dem einen zu dem andern ist unwegsam und fast unersteiglich.
Zurück

F017 Manfred, König von Sicilien, war des Kaisers, Friedrichs, des Zweeten, natürlicher Sohn, und ein Enkel der Constantia, der Gemahlinn des Kaisers, Heinrichs, des Sechsten. Manfreds Tochter hieß auch Constantia, und war die Gemahlinn Peters, Königs von Arragonien, und die würdige Mutter Friedrichs, Königs von Sicilien, und Jacobs, Königs von Arragonien. Carl von Anjou überwand Manfreden in einem Treffen, in welchem dieser sein Leben verlor. Carl ließ ihn neben einer Kirche an der Brücke bey Benevento begraben, und über sein Grab einen hohen Steinhaufen, statt eines Grabmals, von seinen Soldaten aufthürmen. Allein der Cardinal, Erzbischoff von Cosenza, damaliger Legat des Pabsts, Clemens, des Vierten, ließ ihn, als einen von der Kirche Verbannten, hier wieder ausgraben, und seinen Körper auf die freye Straße an den Fluß Verde hinwerfen. Denn dieser große Seelenhirte hatte einen Schwur gethan, den König aus dem Reiche zu verjagen. Daher wütete seine Rache noch wider den todten Körper. Und wann einer durch den großen Kirchenbann von der Römischen Kirche gänzlich ausgeschlossen wird, daß so gar kein Römischer Christ mit ihm reden darf, so wirft der Geistliche eine brennende Kerze von sich, daß sie verlischt, um anzuzeigen, daß ein solcher dadurch alles Antheils an den Rechten und Vorzügen der Kirche verlustig wird. Hätte also, sagt Manfred, der Bischoff in dem Worte Gottes gelesen, daß Gott sich auch des größten Sünders, wenn er wahre Buße thut, noch in den letzten Augenblicken seines Lebens, erbarme, so würde er meine todten Gebeine nicht ausgegraben und so gemishandelt haben.

Grausamer Wüterich, verfluchter blinder Eifer!
Dich zeugte nicht die Höll aus Cerbers gelbem Geifer,
Nein, Heilge zeugten dich, du gährst im Priesterblut,
Sie lehren nichts, als Lieb und zeigen nichts, als Wut.
  Haller.

zurück

10.06.2006