Index

Das Fegfeuer
Das Paradies


Johann Nikolaus Meinhard:
Versuche über den Charakter und die Werke der besten italienischen Dichter. Erster Band. Braunschweig 1763.

Von der Comödie des Dante.
( Teil-Übersetzung )

Die Hölle

43 Dieses ist das grosse Werk unsers Dichters, das seinen Namen unsterblich gemacht hat. Seine Oden und Sonnette, die er vorher geschrieben, sind diesem Gedichte nicht zu vergleichen. Muratori findet sie zwar nicht weniger schön; es ist aber schwer zu begreifen, wie ein Kunstrichter von so vielem Geschmacke, als Muratori war, dieses Urtheil hat fällen können. Man muß, in der That, für dunkle Allegorien, für übertriebene Schilderungen einer romanischen Liebe, die hin und wieder mit einigen Sentenzen durchflochten sind, für einige neue Wendungen sehr eingenommen seyn, wenn man sie den grossen Zügen an die Seite setzen soll, die man in der Comödie findet. Muratori ist vermuthlich durch das Vorurtheil geblendet worden, welches so viele Italiener für diesen Dichter bis zur Ausschweifung treiben. Er hat geglaubt, seinen Ruhm zu vermehren, wenn er diesen 44 Poesien, die wenig mehr gelesen werden, einen gleichen Wehrt mit dem grössern Gedichte beylegte, dessen schöne Stellen alle Kenner der Dichtkunst in Italien auswendig wissen. Dante hat alle seine Kräfte, so zu sagen, zu diesem Gedichte gesammlet. Mit einer starken und feurigen Einbildungskraft, und mit einem Verstande, der mit allen Erkenntnissen seiner Zeit nur zu sehr angefüllet war, hatte er nichts geringers im Sinne, als alle Gegenstände der materialischen und der Geisterwelt in Einem Werke zu schildern. Er giebt es selbst zu erkennen, da er von seinem Gedichte sagt 1:

Che non è impresa, da pigliare a gabbo,
Descriver fondo a tutto l'universo.

"Daß es nicht eine Unternehmung sey, mit der zu scherzen wäre, das ganze Weltgebäude von Grund aus zu schildern." Eben dieses sagt er weit edler im Anfange des fünf und zwanzigsten Gesanges seines Paradieses:

"Se mai continga, che 'l poema sacro,
Al quale ha posto mano e Cielo e Terra,
Si che m'ha fatto per più anni macro,
Vinca la crudeltà, che fuor mi serra 45
Del bello ovile, ov'io dormî agnello

Nimico a' lupi, che gli danno guerra;

Con altra voce omai, con altro vello

Ritornerò Poëta, ed in su 'l fonte

Del mio battesmo prenderò 'l cappello.

"Wenn es jemals noch geschehen sollte, daß das heilige Gedicht zu welchem mir Himmel und Erde Stoff gegeben, so daß die Arbeit mich auf viele Jahre mager gemacht, die Grausamkeit überwinde, die mich aus den schönen Hürden verschließt, wo ich vordem als ein zartes Lamm, den Wölfen verhaßt, die mich verfolgen, geschlafen; alsdenn werde ich mit anderer Stimme, in anderer Gestalt, als Dichter zurückkehren, und auf der 2 Quelle meiner Taufe den Loorbeer um meine Schläfe schlingen."

Aber was für einen Plan machte er sich, sein Vorhaben auszuführen? Er wird selbst der Held seines Gedichtes, der unter der Anführung Virgils eine Reise durch die Hölle, das Fegfeuer, und den Himmel anstellt. Diese Reise, mit dem Herabsteigen in 46 die Tiefen der Hölle, mit dem Klettern auf die Anhöhen, die er im Fegfeuer antrifft, mit dem Schlafe, der ihn von Zeit zu Zeit überfällt, den seltsamen Fragen, die er Virgilen, und im Paradiese seiner Beatrix vorlegt, den Gesprächen, die er mit den Geistern hält, machen die Handlung dieser sonderbaren Epopee aus, deren Dauer der Erzbischoff Fontanini auf sieben Tage berechnet. Aber dabey findet der Dichter die Gelegenheit, weitläuftige Unterredungen über die Staatsgeschäffte seiner Landsleute, über allerhand philosophische und theologische Materien, kurz, über alles anzustellen, was er nur wußte; überdem alle Arten von Leidenschaften, Tugenden und Lastern, eine Menge Characktere, und woran ihm wohl am meisten gelegen war, seine Freunde und Feinde auf den Schauplatz zu bringen, um ihnen, nach seinem Gefallen, Lob oder Spott auszutheilen. Zu einer so großen Verschiedenheit von Materien waren ihm alle Gattungen des poetischen Stils nöthig, der tragische, der comische, der prächtige, der niedrige, der sanfte, und man findet in der That Meisterstücke von einem jeden in seinem Gedichte.

47 Unter den italienischen Sprachkünstlern ist lange Zeit ein grosser Streit gewesen, aus welcher Ursache Dante diesem Gedichte den Titel einer Comödie gegeben. Der Pater Rapin behauptet in seinen Betrachtungen über die Dichtkunst, daß dieser Titel nicht von Dante selbst, sondern erst nach seinem Tode von seinen Landesleuten gebraucht worden. Aber diese Meinung wird durch verschiedne Stellen des Gedichts widerlegt, wo es der Dichter selbst eine Comödie nennt. Der Titel einer göttlichen Comödie ist in der That von späterer Erfindung; denn in den ersten sieben Auflagen, die vom Jahre 1472. bis 1478. im Drucke erschienen, heißt das Gedicht schlechtweg eine Comödie. Eben diesen Titel führt es in den Handschriften, die vor der Erfindung der Druckerey davon gemacht worden sind, von denen eine im Vatican, auf Pergament geschrieben, verwahrt wird, die von einer seltenen Schönheit und auf jeder Seite mit Miniaturen ausgeziert ist, welche einem großen Mahler in dieser Art auch zu unsern Zeiten Ehre machen würden. Der Erzbischoff Fontanini, dessen gelehrtes Werk von der italienischen Beredsamkeit mit vieler Gründlichkeit 48 und mit einer weitläuftigen Belesenheit geschrieben ist, glaubt, daß Dante diesen Titel von der Schreibart des Gedichts hergenommen habe, weil er in seiner Schrift de vulgari eloquentia den poetischen Stil in drey Arten unterscheidet, in den tragischen, oder den erhabnen, den Stil der Elegie, wie er den niedrigen nennt, und den comischen, für welchen er den vermischten annimmt. So gezwungen auch diese Erklärung scheint, so ist sie doch dem Geschmacke der damaligen Zeiten und den Ideen des Dante ganz gemäß, der an einer andern Stelle, und vermuthlich aus einer gleichen Ursache, die Aeneis eine Tragödie nennt. Man findet schon im neunten Jahrhundert ein lateinisches Gedicht in vier Büchern, von einen gewissen Ermoldus Nigellus, über die Thaten des Kaysers Ludwigs des Frommen. Dieses Gedicht führt den Titel einer Elegie, aus keiner andern Ursache, als weil es in der Versart der Elegie geschrieben ist.

Doch ohne uns länger beym Titel aufzuhalten, wollen wir suchen, das Gedicht selbst genauer kennen zu lernen. Die Oerter, 49 die der Dichter durchreiset, theilen sein Werk in drey Haupttheile, die Hölle, das Fegfeuer, und das Paradies. Jeder dieser Theile enthält drey und dreyßig Gesänge, die alle nur hundert und vierzig bis fünfzig Verse stark sind. Ein Gesang, der dem ganzen Gedichte zur Einleitung dient, macht die Zahl von hundert Gesängen vollständig. Man sieht wohl, daß diese Eintheilung in einem sehr gothischen Geschmacke erzwungen ist. Wir wollen nunmehr den Anfang des Gedichtes hören. Ich werde darauf dem Laufe der Fabel in der Ordnung folgen, und bey denen Stellen mich aufhalten, die mir die meiste Aufmerksamkeit zu verdienen scheinen. Dieser Anfang ist ganz allegorisch. Sie werden bemerken, daß unter dem dunkeln, wilden Wald die Irrthümer verstanden werden, in die uns die Leidenschaften stürzen. Die Sonne bedeutet die Vernunft; der Weg, den nie Jemand lebend verlassen, das menschliche Leben. Die wilden Thiere endlich, die dem Dichter begegnen, stellen die drey herrschenden Leidenschaften, Wollust, Hochmuth und Geiz vor. 50

Sehen Sie also, wie unser Dichter anhebt:

"Auf der Hälfte der Laufbahn dieses Lebens fand ich mich in einen dunkeln Wald vertieft, denn ich hatte mich vom rechten Wege verirret. Wie rauh, wie dicht dieser wilde Wald gewesen, der in Gedanken noch meine Furcht erneuert, würde mir nicht weniger traurig als schwer seyn, zu beschreiben; selbst die Empfindung des Todes würde mir kaum bitterer seyn. Aber um das Glück zu beschreiben, das ich in demselben fand, werde ich von andern Dingen reden, die ich darinnen entdeckte.

Nel mezzo del cammin di nostra vita

Mi ritrovai per una selva oscura,

Che la diritta via era smarrita:

E quanto a dir qual'era, è cosa dura,

Questa selva selvaggia, ed aspra, e forte,

Che nel pensier rinnuova la paura;

Tanto è amara, che poco è più morte.

Ma per trattar del ben ch' i' vi trovai,

Dirò dell' altre cose, ch' i' v'ho scorte.

51 "Ich kann nicht wohl sagen, wie ich dahin gekommen bin; so voll von Schlaf war ich zu der Zeit, da ich mich vom wahren Weg entfernte. Aber als ich an den Fuß eines Berges kam, wo dieses Thal sich endigte, das mein Herz mit Furcht gepeinigt hatte, hob ich die Augen in die Höhe, und sah schon seine Schultern mit den Strahlen des Planeten bekleidet, der uns allenthalben den rechten Weg führet. Darauf stillte sich die Furcht ein wenig, welche in dem innersten meines Herzens die ganze Nacht hindurch gedauert, die ich in so vieler 52 Qual zugebracht hatte."

I' non so ben ridir com' i' v'entrai,

Tant' era pien di sonno in su quel punto,

Che la verace via abbandonai.

Ma po' ch' i' fui appiè d' un colle giunto,

Là ove terminava quella valle,

Che m'avea di paura il cuor compunto,

Guarda' in alto, e vidi le sue spalle

Vestite già de' raggi del pianeta,

Che mena dritto altrui per ogni calle.

Allor fù la paura un poco queta,

Che nel lago del cuor m'era durata

La notte, ch'i' passai con tanta pieta.

"Und wie derjenige, der mit unterdrücktem Athem keichend aus dem Meere an das Ufer entschwommen, auf die gefährlichen Fluthen zurücksieht, und staunet; so kehrte meine Seele, die noch floh, sich zurück, den Weg zu übersehen, den noch nie Jemand lebend verlassen hat. Nachdem ich meinem müden Körper die nöthige Ruhe gegeben, setzte ich meinen Weg auf diesen wüsten Höhen kletternd fort, indem ich beständig auf den niedrigern Fuß mich stützte."

3

E come quei, che con lena affannata

 

Uscito fuor del pelago alla riva,

 

Si volge all' acqua perigliosa, e guata:

 

Così l'animo mio, ch'ancor fuggiva,

 

Si volse 'ndietro a rimirar lo passo,

 

Che non lasciò giammai persona viva.

 

Poi ch' ebbi riposato 'l corpo lasso,

 

Ripresi via per la piaggia diserta,

 

Sì che 'l piè fermo sempre era 'l piú basso.

"Und auf einmal zeigte 53 sich fast beym Anfang der Anhöhe ein leichtes und schnelles Panther, das mit einem gefleckten Felle bedeckt war. Dieses wich mir nicht vor dem Gesichte, sondern versperrte mir so lange den Weg, daß ich schon verschiednemale mich umwandte, zurückzukehren. Es war noch die erste Stunde des Morgens, und die Sonne erhub sich in Gesellschaft jener Gestirne, welche sie damals begleiteten, als die ewige Liebe alle diese Schönheiten zuerst hervorrief. Das bunte Fell des Thieres, die Stunde des Tages und die sanfte Jahrszeit neigten mein Herz zur Hoffnung;"

Ed ecco quasi al comminciar dell' erta

Una lonza leggiera e presta molto,

Che di pel maculato era coperta.

E non mi si partìa dinanzi al volto:

Anzi 'mpediva tanto il mio cammino,

Ch' i' fui per ritornar più volte volto.

Temp' era dal principio del mattino,

E 'l sol montava 'n su con quelle stelle,

Ch'eran con lui, quando l'amor divino

Mosse da prima quelle cose belle;

Sì ch' a bene sperar m'era cagione

Di quella fera la gajetta pelle,

L'ora del tempo e la dolce stagione,

54 "doch nicht so sehr, daß mich der Anblick eines Löwen nicht noch erschreckte, der mir erschien. Er kam wider mich mit erhabnem Kopfe, und mit wütendem Hunger; die Luft, die ihn umgab, schien sich vor ihm zu fürchten. Und ein Wolf, der bey seiner Magerkeit aller Begierden voll schien, und so vielen ihr Leben mit Bitterkeit erfüllet hatte, ängstigte mich so sehr durch die Furcht, die aus seinen Augen blickte, daß ich schon die Hoffnung verlohr, die Höhe zu erreichen."

Ma non sì, che paura non mi desse

La vista, che m'apparve, d' un leone.

Questi parea, che contra me venesse

Con la test' alta, e con rabbiosa fame,

Sì che parea, che l' aer ne temesse.

Ed una lupa, che di tutte brame

Sembrava carca con la sua magrezza

E molte genti fè già viver grame.

Questa mi porse tanto di gravezza

Con la paura, ch' uscia di sua vista,

Ch' i' perde' la speranza dell' altezza.

"Wie derjenige, der voll Begierde, etwas zu erlangen, 55 den Augenblick siehet, der es ihm entreisset, in allen seinen Gedanken weinet und sich betrübet, so ward mir bey diesem Thier ohne Frieden, das mir entgegen kam, und mich, nach und nach, wieder dahin trieb, wo die Sonne schweiget. Da ich noch in die Tiefe hinabstürzte, zeigte sich meinen Augen eine Person, deren Stimme durch langes Stillschweigen geschwächt schien. So bald ich sie in der weiten Wüste erblickte, rief ich aus: Erbarme dich meiner, wer du auch seyn magst, ein Schatten, oder ein würklicher Mensch."
u. s. w.

E quale è quei, che volentieri acquista,

E giugne 'l tempo, che perder lo face,

Che 'n tutti i suoi pensier piange e s'attrista:

Tal mi fece la bestia senza pace,

Che venendomi 'ncontro, a poco a poco

Mi ripingeva là dove 'l sol tace.

Mentre ch' i' rovinava in basso loco,

Dinanzi agli occhi mi si fu offerto,

Chi per lungo silenzio parea fioco.

Quando i' vidi costui nel gran diserto;

Miserere di me, gridai a lui,

Qual che tu sii, od ombra, od uomo certo.

(Canto I.)

56 Ich zweifle nicht, daß Sie auch in dieser schwachen Uebersetzung die starken, mahlerischen Züge in den Bildern unseres Dichters, die glückliche Kühnheit seiner Figuren, überhaupt den Ausdruck unterscheiden werden, der den Poeten bezeichnet. Ich will Ihnen nicht weiter übersetzen, wie das Gespenst, das dem Dichter hier erscheinet, auf seine Frage antwortet, daß es der Geist Virgils sey, und daß seine Eltern Lombarden gewesen, welches so viel ist, sagt Herr von Voltaire, als wenn Homer sich für einen Türken ausgäbe. Dante macht ihm ein sehr edles Compliment: "Bist du der Virgil", sagt er ihm, "du die Quelle, die einen so reichen Strom der Beredsamkeit ergossen? O Licht und Ehre aller Dichter! wirf einen günstigen Blick auf denjenigen, der mit so anhaltendem Fleisse, und mit so begierigem Verlangen deine Schriften gesuchet. 57 Du bist mein Lehrer, du bist mein Dichter, du bist allein derjenige, von dem ich die schöne Kunst genommen, die mir so viel Ehre gemacht."

Or se' tu quel Virgilio e quella fonte,

Che spande di parlar sì largo fiume?

O degli altri Poëti onore e lume!

Vagliami 'l lungo studio, e 'l grande amore,

Che m' han fatto cercar lo tuo volume.

Tu se' lo mio maestro, e'l mio autore,

Tu se' solo colui, da cu' io tolsi

Lo bello stile, che m' ha fatto onore.

Unser Dichter bezeugt hier dem Virgil eine Dankbarkeit, die er ihm nicht schuldig war; denn er hat, in der That, nur gar zu wenig von ihm gelernet. Es scheint seltsam, daß derjenige, der den Virgil, den regelmäßigsten, den correctesten Dichter so stark gelesen, ein so wildes, unregelmäßiges und ungleiches Gedicht habe hervorbringen können. Aber es ist vielleicht gewiß, daß man die wahren Verdienste der Alten nicht recht empfinden kann, wenn man sie nicht mit einem Geschmacke liest, der schon ziemlich gebildet ist. Man muß überzeugt seyn, und fühlen, daß die grosse Schönheit der Poesie allein in der richtigen und wahren Vorstellung der Natur besteht, ausser daß die grosse Entfernung ihrer Sprache, Sitten, Gebräuche, Religion von den unsrigen einen Schleyer über ihre Schönheiten 58 zieht, der schon eine geschickte Hand erfordert, ihn wegzuziehen.

C'est avoir profité que de savoir s'y plaire, sagt Boileau vom Homer, und kann von allen guten Dichtern des Alterthums gesagt werden. Zur Entschuldigung des Dante könnte man anführen, daß sein Genie, welches ganz original war, ihn zur Nachahmung ungeschickt machte. Er hatte seine eigne Manier, die Sachen zu sehen, und sie auszudrücken. Seine Fehler kann man größtentheils auf die Rechnung seiner Zeit schreiben, aber seine grossen Schönheiten hat er ohne Zweifel seinen Genie allein zu danken; er hat sie so wenig, als seine Ausschweifungen, im Virgil gefunden. Aber wir wollen wieder in die göttlichen Comödie zurückkehren. Virgil sagt unserem Dichter, daß er einen andern Weg nehmen muß, wenn er den wilden Thieren entgehen will, die ihn so sehr geschreckt hatten; er schlägt ihm vor, eine Reise durch die Reiche der Ewigkeit mit ihm zu thun. Dante wird bey diesem Vorschlage zaghaft, und traut seinen Kräften nicht. Ich weiß wohl, sagt er ihm, 59 daß Aeneas, noch sterblich, in diese ewigen Wohnungen gedrungen, aber dieses geschah den Päbsten zu gefallen, für welche Rom erbaut werden mußte, und dazu war es nothwendig, wie Sie wohl sehen, das Aeneas das Reich der Todten durchwanderte. Auch Paulus kam nachgehends dahin; aber was hilft dieses unserm Dichter? Jo non Enea, jo non Paolo sono, ich bin weder Aeneas, sagt er, noch Paulus. Um ihm Muth zu machen, erzählt ihm Virgil, daß ein himmlisches Frauenzimmer, welches er nicht nennt, aus Erbarmen über seinen betrübten Zustand, von der Lucia, oder der erleuchtenden Gnade, Hülfe für ihn gesucht habe; daß auf diese Vorbitte Lucia seiner geliebten Beatrix, welche die göttliche Weisheit vorstellen soll, und die eben damals mit Rahel in Gesellschaft war, den Befehl gegeben, ihm Virgilen zur Hülfe zu senden. Aus diesem schönen Gespräche können Sie wenigstens sehen, daß unser Dichter nicht auf dem halben Wege bleibt, wenn er ungereimt seyn will, so wenig als in seinen glücklichen Schwüngen, die wir ihn in der Folge werden nehmen sehen. 60 Inzwischen geben ihm die Sachen, die Virgil ihm hier gesagt hat, den nöthigen Muth zu seiner Reise, welches er durch ein Gleichniß schildert, das in seiner Sprache mit einer ungemeinen Annehmlichkeit und Wahrheit ausgedrückt ist:

Quale i fioretti dal notturno gelo

Chinati e chiusi, poichè 'l Sol gl' imbianca,

Si drizzan tutti aperti in loro stelo.

"Wie die Blumen, die ein nächtlicher Frost niedergebeugt und geschlossen, vor den Strahlen der Sonne, die sie vergüldet, sich ganz offen auf ihren Stengeln in die Höhe richten; so erhob sich meine ermattete Tugend." Ohne alle Furcht folgt er nunmehr seinem Führer durch den tiefen, waldigten Weg, und kömmt bis an die Pforten der Hölle. Wir wollen ihn hier selbst hören:

"Dies ist der Weg in die Stadt des Traurens: dies ist der Weg zu der ewigen Qual: dies ist der Weg zu dem verlohrnen Geschlechte. 61 Die Gerechtigkeit bewog meinen erhabnen Schöpfer; mich vollendeten die göttliche Allmacht, die höchste Weisheit, und die ursprüngliche Liebe. Vor mir waren keine geschaffnen Dinge, alles war ewig, und ich daure ewig. Lasset alle Hoffnung zurück, o ihr, die ihr herein tretet. Diese Worte sah ich mit schwarzer Farbe an die Höhe eines Thores geschrieben. Ich sagte zu meinem Führer: Der Sinn dieser Worte scheint mir hart. Er, der meine Furcht sogleich merkte, versetzte mir: Hier mußt du allen Argwohn verbannen, 62 alle Zaghaftigkeit muß hier getödtet werden."

Per me si va nella città dolente:

Per me si va nell'eterno dolore:

Per me si va tra la perduta gente.

Giustizia mosse 'l mio alto fattore,

Fecemi la divina potestate,

La somma sapienza, e' il primo amore.

Dinanzi a me non fur cose create,

Se non eterne, ed io eterno duro:

Lasciate ogni speranza, o voi, che' ntrate!

Queste parole di colore oscuro

Vid'io scritte al sommo d'una porta:

Perch'io, Maestro, il senso lor m' è duro.

Ed egli a me, come persona accorta,

Qui si convien lasciare ogni sospetto:

Ogni viltà convien, che qui sia morta.

"Wir sind an den Ort gekommen, von dem ich dir gesagt habe, wo du die traurigen Geschlechter sehen wirst, die das Glück der Vernunft verlohren haben. Darauf reichte er seine Hand der meinigen mit einem fröhlichen Gesichte, welches mich wieder aufrichtete, und führte mich in das Innere der geheimen Dinge. Hier tönten Seufzer, Klagen, und lautes Jammern durch diese Luft, die nie von Gestirnen erhellt wird, worüber ich anfangs mich der Thränen nicht enthalten konnte. Verschiedne Sprachen, schreckliche Reden, Worte 63 des Schmerzens, Töne des Zorns, laute hohle Stimmen, und das Geräusch ringender Hände machten ein Getöse, welches sich durch diese ewig schwarze Luft im Kreise drehet, wie der Staub, den ein Wirbelwind erhebet."

Noi sem venuti al luogo, ov' i' t'ho detto,

Che tu vedrai le genti dolorose,

Ch'hanno perduto 'l ben dello 'ntelletto.

E poichè la sua mano alla mia pose

Con lieto volto, ond' i' mi confortai,

Mi mise dentro alle segrete cose.

Quivi sospiri, pianti ed alti guai

Risonavan per l'aer senza stelle,

Perch'io al cominciar ne lagrimai.

Diverse lingue, orribili favelle,

Parole di dolore, accenti d'ira,

Voci alte fioche, e suon di man con elle,

Facevano un tumulto, il qual s'aggira

Sempre 'n quell aria senza tempo tinta,

Come la rena, quando'l turbo spira.

Canto III.

Diese Stelle gehört unter diejenigen, die von allen Kennern unter den Italienern vorzüglich bewundert werden. Sie glauben, daß die Dichtkunst keine stärkern Farben habe, das Schreckliche zu schildern, welches in den zusammengehäuften Bildern am Ende der Beschreibung herrschet, noch daß man dem Schrecklichen mehr Hoheit, mehr Feyerliches geben könne, als es in der Aufschrift an der Pforte hat, welche zu diesem Schauplatz ewiger Strafen führet. Bey dem Eingange finden sich die Seelen derjenigen, die in ihrem Leben nichts Böses, aber 64 auch nichts Gutes gethan haben; sie sind mit dem Chore der gefallenen Engel vermengt, die bey Lucifers Aufruhr es weder mit ihm, noch mit GOtt hielten, sondern neutral bleiben wollten;

Cacciarli i ciel per non esser men belli,

Ne lo profondo inferno gli riceve,

Ch' alcuna gloria i rei avrebber d' elli.

"Der Himmel verjagte sie, um sich nicht durch sie zu beflecken, und die tiefe Hölle nimmt sie nicht auf, weil ihre Gesellschaft den Schuldigen noch zu rühmlich seyn würde."

Diese unthätigen Sünder werden zur Strafe von grossen Mücken und Wespen ganz blutig gestochen; das Blut fließt, mit ihren Thränen vermischt, zu ihren Füssen hin, wo es von eckelhaften Würmern verzehrt wird.

Von hier kommen unsere Dichter an das Ufer des Acherons, an welches ihnen Charon, "mit grauen Haaren bedeckt, mit Augen gleich glühenden Kohlen, um welche sich Räder von Flammen drehen", entgegen kömmt. Nach einem kurzen Streite mit diesem Schiffer des fahlen Sumpfes, der 65 den Dante, als einen lebenden Menschen, nicht übersetzen will,

................... ..... la buja campagna

Tremò sì forte, che dello spavento

La mente di sudor ancor mi bagna.

La terra lagrimosa diede vento,

Che balenò una luce vermiglia,

Laqual mi vinse ciascun sentimento,

E caddi, come l'uom cui sonno piglia.

"Zitterte die finstere Gegend so heftig, daß der Schrecken mein Gesicht noch mit Angstschweiß benetzet. Das trauervolle Land riß von einander, und durch die Spaltung blitzte ein röthliches Feuer, welches alle meine Empfindungen besiegte, und ich fiel zu Boden, wie ein Mensch, den der Schlaf überwältigt."

Aus diesem Schlafe wird Dante durch einen schweren Donnerschlag aufgeweckt, und findet sich schon an der andern Seite des Höllenstroms und am Rande des Abgrundes. Er schildert ihn:

Oscura, profond'era, e nebulosa,

Tanto, che per ficcar lo viso al fondo,

I' non vi discernea veruna cosa.

"Dunkel, tief war er, und neblicht, so sehr, 66 daß ob ich gleich meine Augen in die Tiefe heftete, ich dennoch nichts darinnen unterschied."

Diesen höllischen Abgrund theilt der Dichter in neun Kreise, welche stuffenweise in die Tiefe hinab gehen. Diese Kreise sind wieder in kleinere Kreise unterschieden; sie sind mit Mauren, mit Seen von Blut, von heissem Wasser, von kochendem Peche, mit Wäldern, mit brennendem Sande, mit Morästen versehen; und in verschiedenen Ausgaben des Gedichtes hat man nicht ermangelt, dem Leser eine Charte dieser Hölle vorzulegen, die der Dichter in dem Mittelpunkte der Erde angelegt hat. In dem ersten Kreise, in den er itzt hinab steigt, findet er die Seelen derjenigen, die sonst zwar ohne Schuld, aber ausser dem Schoosse der katholischen Kirche gelebt haben. Diese befinden sich hier in einem mittlern Zustande zwischen der Traurigkeit und der Freude. Hier waren vordem die Seelen der Patriarchen, aber kurz nach Virgils Ankunft in der Hölle kam "ein Gewaltiger, mit den Zeichen des Sieges bekrönt", der sie herauszog. Dante erblickt von fern ein Feuer, 67 welches die Dunkelheit dieses Kreises erleuchtet; er hört eine Stimme, welche ausruft:

Onorate l'altissimo Poeta!

L'ombra sua torna ch'era dipartita.

"Verehrt den erhabensten Dichter! sein Geist kehrt zurück, der sich von uns entfernet hatte." Da er dem Feuer näher kömmt, sieht er Homeren mit Horaz, Ovid, und Lucan in Gesellschaft; "Homer geht als Vater vor ihnen her, mit dem Degen in der Hand, oder schwebt über ihnen, als ein Adler." Diese bringen unsere Reisenden nach einem Schlosse, das in diesem Kreise liegt, welches siebenmal mit hohen Mauren umringt ist, und rings umher von einem schönen Flusse beströmt wird. In der Mitte ist eine Wiese, mit grünem Schmelze bedeckt, und von einem hellen Lichte erleuchtet. Hier finden sie die Helden, und die Weisen des Alterthums,

Genti v'eran con occhi tardi e gravi,

Di grandi autorità ne' lor sembianti,

Parlavan rado con voci soavi.

"Hier waren Personen mit langsamen und ernsthaften Augen, voll grossen Ansehens 68 in ihren Geberden; sie sprachen selten und mit lieblichen Stimmen." Da der Dichter seine Augen mehr in die Höhe richtet, erblickt er

.............. il maestro di color, che sanno,

Seder tra filosofica famiglia

den Aristoteles, "den Meister derjenigen, die wissen, unter seinem philosophischen Geschlechte sitzend." Virgil und Dante trennen sich von dieser schönen Gesellschaft, um in den zweyten Kreis hinab zu steigen, der weniger Raum, aber destomehr nagenden Schmerz enthält. Das erste, was sie in demselben sehen, ist Minos, der Richter der Hölle. Hier verfällt der Dichter auf eine seiner seltsamsten Grillen. Wenn Minos die Verbrechen der Schuldigen vernommen, so weiset er ihnen, nach dem Verhältnisse ihrer Uebelthaten, einen der neun Kreise zu ihrer Züchtigung an. Aber auf welche Art sollten Sie glauben, daß er dieses thut? So viele Kreise er einen Verdammten in die Hölle will hinabstürzen lassen, so viele male schlingt er seinen Schweif, der, wie Sie sehen, ziemlich lang seyn muß, sich um den Leib herum; 69 denn Minos hat einen Schweif, und vermuthlich auch Hörner, wie ein katholischer Teufel. Diese Art, Urtheil zu sprechen, ist gewiß nicht in der Würde eines so grossen Richters. Merken Sie noch dabey an, daß, so oft es unserem Dichter begegnet, eine Thorheit vorzubringen, er sie gewiß allemal in der seltsamsten Sprache und in der härtesten Versen sagt, die man erdenken kann. Die Commentatoren, die alle die Geheimnisse ihrer Kunst über dieses Gedicht verschwendet haben, (und niemals hat sie ein Dichter in grösserer Anzahl, noch unsinniger gehabt, als Dante) finden grosse Schönheiten in allen dergleichen Ausschweifungen, indem sie dieselben allegorisiren. So verstehen sie hier unter dem Minos das Gewissen, und dadurch begreift man auf einmal, warum er einen so langen Schweif hat, und warum er sich ihn um den Leib schlingt, wenn er die Sünder verdammet. Aber hören Sie, in welchem Tone unser Dichter fortfährt. Ich will den ganzen Rest dieses Gesanges übersetzen, der sehr grosse Schönheiten enthält. Nichts ist rührender, als die Geschichte 70 der Herzoginn 4 Francisca von Rimini, die durch die Hand ihres Gemahls, der ihre Liebe gegen seinen Bruder entdeckt hatte, mit diesem zusammen das Leben verlohr.

"O du, der du dich in den Aufenthalt der Marter wagest, sagte mir Minos, so bald er mich erblickte, (indem er die Verrichtungen seines grossen Amtes unterbrach,) betrachte, wie du herein kömmst, und wem du dich vertrauest; laß dich nicht die Weite des Einganges betrügen."

O tu, che vieni al doloroso ospizio,

Disse Minos a me, quando mi vide,

Lasciando l'atto di cotanto ufizio,

Guarda, com' entri, e di cui tu ti fide:

Non t'inganni l' ampiezza dell' entrare.

71 "Ihm versetzte mein Führer: Wozu dienen diese Worte? Verhindere nicht seine vom Himmel verhängte Reise; sie ist der Wille desjenigen, bey dem Wollen und Vermögen unzertrennlich sind. Verlange nichts weiter zu wissen. Hier erheben sich die Stimmen der Qual vor meinen Ohren; jetzt bin ich dahin gekommen, wo mich Klagen von allen Seiten verwunden. Ich kam an einen Ort, der alles 5 Lichtes beraubt ist;"

E 'l duca mio a lui: perchè pur gride?

Non impedir lo suo fatale andare:

Vuolsi così colà, dove si puote

Ciò che si vuole: e più non dimandare.

Ora incomincian le dolenti note

A farmisi sentire; or son venuto

Là dove molto pianto mi percuote.

I' venni in luogo d' ogni luce muto,

"hier 72 hört man ein Gebrülle, gleich dem Brausen eines stürmenden Meeres, wenn es von uneinigen Winden bestritten wird. Mit Schnee und Regen beladen, führt der höllische Wirbelwind, der niemals rastet, die Geister im Raube dahin; er dreht sie, er schlägt sie, er ängstigt sie von allen Seiten. Wenn sie an den Rand des Abgrundes kommen, alsdenn erheben sie das Geschrey, das Jammern, das Wehklagen, alsdenn lästern sie die Kraft des Allerhöchsten. - "

Che mugghia, come fa mar per tempesta,

Se da contrari venti è combattuto.

La bufera infernal, che mai non resta,

Mena gli spirti con la sua rapina,

Voltando e percotendo gli molesta.

Quando giungon davanti alla ruina;

Quivi le strida, il compianto, e 'l lamento,

Bestemmian quivi la virtù divina.

73 "Ich vernahm, daß zu dergleichen Martern die fleischlichen Sünder verdammt sind, welche die Vernunft der sinnlichen Lust unterwerfen. Wie die Stahren zur Zeit der Kälte in breiten und vollen Zügen auf ihren Flügeln dahin getragen werden; so reißt dieser Wind die bösen Geister bald nach dieser, bald nach jener Seite, in die Höhe und in die Tiefe. Keine Hoffnung einer geringern Qual, geschweige denn einiger Ruhe, tröstet sie jemals. Und wie die Kraniche ihre Klaglieder anstimmen, wenn sie in langen Reihen durch die Luft ziehen, so sah ich hier Geister, vom Sturme vorbeygeführt, die laut über ihr Elend 74 jammerten."

Intesi, ch' a così fatto tormento
Eran dannati i peccator carnali,

Che la ragion sommettono al talento.

E come gli stornei ne portan l'ali

Nel freddo tempo a schiera larga e piena,

Così quel fiato gli spiriti mali

Di qua, di là, di giù, di su gli mena:

Nulla speranza gli conforta mai

Non che di posa, ma di minor pena.

E come i grù van cantando lor lai,

Facendo in aer di se lunga riga,

Così vid' io venir, traendo guai,

Ombre portate dalla detta briga.

"Ich fragte deswegen meinen Lehrer: Wer sind diese Seelen, welche der schwarze Sturm so sehr züchtiget? Die erste von denen, sprach er hierauf, von welchen du Nachricht verlangst, war Beherrscherinn vieler Völker von verschiedenen Sprachen. Dem Laster der Schwelgerey war sie so sehr ergeben, daß in ihrem Gesetze Recht war, was ihr gefiel, um die Schande zu vernichten, in die sie sich stürzte. Sie ist Semiramis, die Nachfolgerinn des Ninus, dessen Gemahlinn sie war, sie besaß die Länder, die jetzt der Sultan beherrschet."

Perch'io dissi: Maestro, chi son quelle

Genti, che l'aer nero sì gastiga?

La prima di color, di cui novelle

Tu vuo' saper, mi disse quegli allotta,

Fu Imperatrice di molte favelle,

A vizio di lussuria fu sì rotta,

Che libito fe' licito in sua legge,

Per torre il biasmo, in che era condotta.

Ell' è Semiramis, di cui si legge,

Che succedette a Nino, e fu sua sposa:

Tenne la terra, che l'Soldan corregge.

75 "Die andere ist diejenige, die vor Liebe wütend sich selbst das Leben nahm, und die Treue brach, die sie der Asche des Sichäus schuldig war. Ihr folgt die wollüstige Cleopatra. Hier sah ich Helenen, die Stifterinn so vieles Unglückes, und den grossen Achill, der zuletzt noch mit der Liebe kämpfte. Ich sah den Paris, Tristan; und mehr als tausend andere Geister zeigte mir mein Führer mit dem Finger, und nannte sie bey ihren Namen, denen allen die Liebe das Leben geraubt. Nachdem ich von so vielen unglücklichen Schönen und Rittern der alten Zeiten gehört hatte, bemächtigte sich das Mitleid meiner Seele, und ich stund wie verwirrt."

L'altra è colei, che s'ancise amorosa,

E ruppe fede al cener di Sicheo;

Poi è Cleopatras lussuriosa.

Elena vidi, per cui tanto reo

Tempo si volse: e vidi 'l grande Achille,

Che con amore al fine combatteo.

Vidi Paris, Tristano; e più di mille

Ombre mostrommi, e nominolle a dito,

Ch' amor di nostra vita dipartille.

Poscia ch' i' ebbi il mio dottore udito

Nomar le donne antiche, e i cavalieri,

Pietà mi vinse, e fui quasi smarrito.

76 "Endlich fieng ich wieder an: O mein Führer! wie gern möchte ich mit jenen beyden sprechen, die so vereinigt einander zur Seite gehn, und die der Sturm so leicht vor sich her treibet. Er sagte mir: beobachte, wenn sie und näher seyn werden; alsdenn beschwöre sie bey der Liebe, die sie beherrschet, so werden sie zu dir kommen. So bald der Wind sie zu uns trieb, erhob ich die Stimme: O beängstigte Seelen! rief ich, kommt hieher, mit uns zu reden, wenn eine höhere Gewalt es nicht verbietet."

I' cominciai: Poeta, volentieri

Parlerei a que' duo, che 'nsieme vanno,

E pajon sì al vento esser leggieri.

Ed egli a me: Vedrai, quando saranno

Più presso a noi: e tu allor gli prega

Per quell' amor ch'ei mena: e quei verranno.

Si tosto come 'l vento a noi gli piega,

Mossi la voce: O anime affannate,

Venite a noi parlar, s'altri no'l niega.

77 "Wie wenn von der Stimme der Liebe gerufen, die zärtliche Taube mit ausgespannten Flügeln, die unverändert nach dem geliebten Neste gerichtet sind, von ihrer Sehnsucht geführt durch die Luft dahin flieget, so eilten diese Geister aus der Schaar der Dido uns durch den grausamen Sturm entgegen; so mächtig war der liebreiche Zuruf gewesen. O leutseliges, o gütiges Geschöpfe, das in diesen finstern Wohnungen gedrungen, uns zu besuchen, die wir vordem eure Welt mit unserem Blute gefärbet! Wenn der Beherrscher aller Dinge unser Flehen erhörte, so würden wir zu ihm für deine Ruhe beten da dich noch unser verkehrtes Schicksal zum Mitleid beweget."

Quali colombe, dal disio chiamate,

Con l' ali aperte e ferme al dolce nido,

Volan per l'aer dal voler portate;

Cotali uscir della schiera, ov' è Dido,

A noi venendo per l'aer maligno;

Si forte fu l'affettuoso grido.

O animal grazioso e benigno!

Che visitando vai per l'aer perso

Noi che tignemmo 'l mondo di sanguigno.

Se fosse amico il Re dell'universo,

Noi pregheremmo lui per la tua pace,

Poc' hai pietà del nostro mal perverso.

78 "Sage, was du zu hören, und mit uns zu reden wünschest: wir werden hören und mit euch reden, so lange dieser Sturm, wie jetzt noch, schweiget. Das Land, in dem ich bin gebohren worden, liegt an der Küste, wo der Po mit den Strömen, die ihm folgen, sich in das Meer ergiesset, und von seinem Laufe ruht. Die Liebe, welche die edelsten Herzen am ehsten entzündet, bezwang meinen Gefährten durch den schönen Körper, der mir auf eine Art entrissen worden, die noch itzt meinen Unwillen erreget. Die Liebe, die uns nie erlaubt, ungerührt geliebt zu werden,"

Di quel ch' udire, e che parlar ti piace:

Noi udiremo, e parleremo a vui,

Mentre che'l vento, come fa, si tace.

Siede la terra, dove nata fui,

Su la marina, dove 'l Po discende,

Per aver pace co' seguaci sui.

Amor, ch'al cor gentil ratto s'apprende,

Prese costui della bella persona,

Che mi fu tolta, e'l modo ancor m'offende.

Amor, ch'anull' amato amar perdona,

79 "nahm mein Herz durch seinen Reiz so siegreich ein, daß sie noch, wie du siehst, mich nicht verläßt. Die Liebe führte uns zu gleichem Tode; aber der Strafort der Mörder erwartet denjenigen, der uns das Leben geraubet. Dies war alles, was sie sagte. Von der Zeit an, da ich diese unglücklichen Seelen hörte, schlug ich die Augen nieder, und blieb in dieser Stellung, bis mein Führer zu mir sagte: Was denkst du? Ich rief aus, o Schmerz! 6 welche reizende Vorstellungen, welche Wünsche führten diese zu ihrem grausamen Ende?"

Mi prese del costui piacer sì forte,

Che, come vedi, ancor non m' abbandona.

Amor condusse noi ad una morte:

Caina attende, chi 'n vita ci spense.

Queste parole da lor ci fur porte.

Da ch' io 'ntesi quell' anime offense,

Chinai 'l viso, e tanto 'l tenni basso,

Fin che 'l poeta mi disse: Che pense?

Quando risposi, cominciai: O lasso,

Quanti dolci pensier, quanto disio

Menò costoro al doloroso passo!

80 " Ich wandte mich darauf zu ihnen und sagte: O Franciska, deine Martern zwingen mich, vor Mitleid und Wehmuth zu weinen. Aber sage mir, an welchen Merkmahlen und auf welche Art gab euch die Liebe zur Zeit eurer sanften Seufzer die zweifelhaften Begierden zu erkennen? Sie versetzte: Keine Qual ist größer, als in seinem Elende sich glücklicher Zeiten zu erinnern; 7 dieses weiß dein Lehrer."

Po' mi rivolsi a loro, e parla' io;

E cominciai: Francesca, i tuoi martiri

a lagrimar mi fanno tristo e pio.

Ma dimmi, al tempo de' dolci sospiri,

A che, e come concedette amore,

Che conosceste i dubbiosi desiri?

Ed ella a me: Nessun maggior dolore,

Che ricordarsi del tempo felice

Nella miseria, e ciò sa 'l tuo dottore.

"Allein, wenn du so viel 81 Verlangen hast, den ersten Ursprung unserer Liebe zu wissen, so vernimm, was Worte, mit Thränen unterbrochen, dir werden erklären können. Wir lasen an einem Tage zum Zeitvertreibe 8 in Lanzelots Geschichte, wie ihn die Liebe bezwungen. Wir waren allein, und ohne etwas Uebles zu argwöhnen. In der Empfindung über dasjenige, was wir lasen, begegneten unsere Blicke sich öfters einander, und unsere Wangen veränderten die Farbe."

Ma s'a conoscer la prima radice

Del nostro amor tu hai cotanto affetto,

Farò, come colui, che piange e dice.

Noi leggiavamo un giorno, per diletto,

Di Lancilotto, come Amor lo strinse:

Soli eravamo, e senza alcun sospetto.

Per più fiate gli occhi ci sospinse

Quella lettura, e scolorocci'l viso,

82 "Aber nur ein Augenblick war es, der uns überwand. Als wir lasen, wie das erwünschte Lächeln der Schönen von einem so grossen Liebhaber geküßt wurde, so küßte dieser, der niemals mehr von mir wird getrennt werden, ganz zitternd meine Lippen. Das Buch und sein Verfasser waren die Unterhändler unserer Liebe. 9 Seit diesem Tage lasen wir nicht weiter darinnen. 83 Indem der eine Geist dieses sagte, weinte der andere so heftig, daß mich vor Mitleid eine Ohnmacht überfiel, die dem Tode ähnlich war, und ich sank zu Boden, wie ein todter Körper niederfällt."

Ma solo un punto fu quel, che ci vinse.

Quandi leggemmo il disiato riso

Esser baciato da cotanto amante;

Questi, che mai da me non sia diviso,

La bocca mi baciò tutto tremante:

Galeotto fu il libro, e chi lo scrisse:

Quel giorno più non vi leggemmo avante.

Mentre che l' uno spirto questo disse,
L'altro piangeva sì, che di pietade
I' venni men, così com'io morisse.
E caddi, come corpo morto cade.
Canto V.

Ich weiß nicht, ob sich der Affect des Originals in der Uebersetzung erhalten hat. Aber Sie können wenigstens bemerken, wie meisterhaft der Dichter das Aergerliche einer Liebe, die sich der Blutschande näherte, aus dem Gesichte zu entfernen weiß; wie er sie als eine unvermuthete Würkung eines gleichgültigen Zufalles von einer Seite zeigt, wo sie nur Mitleid erregen kann; wie geschickt er diejenigen Umstände wählet, die den Anfang und den Fortgang einer starken Leidenschaft vornehmlich bezeichnen. Er drückt sie endlich in seiner Sprache mit der naiven Kürze aus, mit der die Empfindung spricht. Man sieht 84 nirgends Zierrathen, und überall die Sprache der Leidenschaft.

Von hier kommen wir in den dritten Kreis, wo die Unmäßigen bestraft werden. Sie stecken tief in den Morast versenkt.

"Dicker Hagel, trübes Wasser und Schnee stürzt durch die finstere Luft herab; die Erde stinkt, die ihn empfängt. Cerberus, ein grausames und mannichfaches Ungeheuer, bellt hündisch mit drey Schlünden auf das Volk, das hier im Sumpfe steckt."

Unter diesen findet Dante ein Florentiner, mit dem er sich in ein Gespräch über die Parteyen der Neri und der Bianchi einläßt.

Grandine grossa, e acqua tinta e neve

Per l'aer tenebroso si riversa:

Pute la terra, che questo riceve.

Cerbero fiera crudele, e diversa,

Con tre gole caninamente latra

Sovra la gente, che quivi è sommersa.

Canto VI.

Im vierten Kreise zeigt sich Pluto, der bey der Ankunft unserer Reisenden in eine griechisch-hebräische Exclamation ausbricht, Pape Satan, Pape Satan, aleppe! Virgil nennt 85 ihn einen verfluchten Wolf, und räth ihm, sich innerlich mit seiner Wut zu verzehren. Er sagt ihm, daß sie auf Befehl des Himmels hieher kommen. Hierauf,

Quali dal vento le gonfiate vele

Caggiono avvolte, poi chè l'alber fiacca,

Tal cadde a terra la fiera crudele.

"wie die vom Winde aufgeblasenen Segel zusammengerollt niederfallen, wenn der Mast bricht; so fiel das grausame Ungeheur zu Boden." In diesem Kreise sind die Geizigen und die Verschwender, die zur Strafe, von entgegen gesetzten Seiten, einander schwere Lasten zuwälzen müssen. Virgil sagt unserem Dichter: "Hier kannst du, mein Sohn, die Eitelkeit der Güter sehen, die dem Glücke anvertraut sind, um welche das menschliche Geschlecht in Aufruhr wider sich selbst ist. Alle das Gold, das unter dem Monde ist, oder das vordem 86 diesen ermatteten Seelen zugehörte, würde nicht einer unter ihnen die Ruhe verschaffen können."

Or puoi, figliuol, veder la corta buffa

De' ben, che son comessi alla fortuna,

Perchè l'umana gente si rabbuffa.

Che tutto l'oro, ch' è sotto la luna,

O che già fu di quest' anime stanche,

Non potrebbe farne posar una.

Canto VII.

Dante ist begierig zu wissen, was das Glück denn eigentlich sey, von dem Virgil ihm gesagt hat, und dieser versetzt ihm:

"Derjenige, dessen Weisheit alles übersteigt, schuf die Himmel, und gab jedem den Geist, der ihn nach dem Maasse beweget, daß mit einer gleichen Vertheilung des Lichtes jeder dem andern seinen Glanz mittheilet. Auf gleiche Weise stellte er über die schimmernden Güter der Welt das Glück als ersten Gebieter, der zur gehörigen Zeit die eitlen Schätze von einem Volke zum andern, und von einem Geschlechte zum andern, 87 über die Anschläge der menschlichen Vernunft erhaben, versetzte. Nach seinen Gerichten, welche, wie die Schlange zwischen den Blumen, verborgen liegen, herrschet itzt dieses Volk, indem ein anderes schmachtet." u. s. w.

Colui, lo cui saver tutto trascende,
Fece li cieli; e diè lor chi conduce,
Sì, ch' ogni parte ad ogni parte splende,
Distribuendo ugualmente la luce:
Similmente agli splendor mondani
Ordinò general ministra e duce,
Che permutasse a tempo li ben vani
Di gente in gente, e d'uno in altro sangue,
Oltre la difension de' senni umani:
Perch' una gente impera e l'altra langue,
Seguendo lo giudicio di costei,

Ched è occulto, com' in erba l'angue.

Canto VII.

Im fünften Kreise ist der Styx, in welchem die Zornigen und die Trägen gepeiniget werden. Hier kömmt der Dichter in die Residenz der Hölle, wo die Ketzer in glühenden Särgen liegen. Die Furien, die auf der Mauer, in Gestalt hoher, spitziger Flammen, die Wache halten, verwehren unsern Reisenden den Eingang, bis ein Bote des Himmels erscheint, der alle Geister der Hölle in die Flucht treibt. Das Gleichniß, durch welches seine Ankunft geschildert wird, ist sehr mahlerisch und sehr edel.

88 "Schon kam über die trüben Gewässer ein schreckenvolles Geräusch herauf, welches die beyden Ufer des stygischen Sumpfes erschütterte. Nicht anders, als wenn ein wütender Wind, dessen Stärke von entgegenstehenden Flammen verdoppelt wird, unaufhaltsam in die Wälder stürzt. Er zersplittert die Zweige, schlägt die Blätter ab, und führt sie mit sich fort. Stolz läuft er im Staube voraus, und treibt das Gewild und die Schäfer."

E già venia su per le torbid' onde
Un fracasso d'un suon pien di spavento,
Per cui tremavono amendue le sponde.
Non altrimenti fatto, che d'un vento
Impetuoso per gli avversi ardori,
Che fier la selva senza alcun rattento:
Gli rami schianta, abbatte e porta i fiori:
Dinanzi polveroso va superbo,
E fa fuggir le fiere e gli pastori.
Canto IX.

Unter den Ketzern findet der Dichter zween Florentiner, die ihm Gelegenheit geben, seinen Unwillen wider seine Feinde auszulassen.

In den letzten drey Kreisen werden Gewaltsamkeit, Betrug und Wucher gestraft. 89 Unter den Gewaltsamen sind die Selbstmörder, deren Seelen in rauhe knotigte Bäume eines dicken Waldes eingeschlossen sind. Das Laub dieser Bäume ist beständig fahl, ihre Früchte sind giftig, in ihren Zweigen nisten die Harpyen, unter ihnen hört man ein Geseufze, ohne daß man sieht, woher es kömmt. Dante reißt einen Zweig ab, und Blut fließt aus demselben; eine Stimme kömmt aus dem Stamme, die sich über diese Verletzung beklaget; sie sagt ihm, daß künftig noch der Körper jedes Selbstmörders an dem Baume werde aufgehangen werden, in dem sich seine Seele befindet. Unter die Gewaltsamen setzt der Dichter auch diejenigen, die er Gewaltsame wider die Natur nennt; eine schändliche und unnatürliche Art von Sündern, unter denen sich der Sprachlehrer Priscian, und der berühmte Rechtsgelehrte Franz von Accorso befinden. Unter diesen sieht Dante auch seinen alten Lehrer Brunetto Latini, der ihm seine künftige Verbannung aus Florenz prophezeyt.

"Wenn du deinem Gestirne folgest," sagt er ihm, "so kannst du 90 den ruhmvollen Hafen nicht verfehlen; aber jenes undankbare, boshafte 10 Volk, das vor alten Zeiten von Fesole herabgekommen, und noch die Natur des Berges und des Felsen an sich hat, wird wegen deiner guten Handlungen dein Feind werden." Dante antwortet hierauf: "Ich begnüge mich zu zeigen, daß ich zu jedem Glücke bereit bin, wo nur mein Gewissen nicht mit mir hadert."

- - - - Se tu segui tua stella
Non puoi fallire a glorioso porto;
Ma quello 'ngrato popolo maligno,
Che discese di Fiesole ab antico
E tiene ancor del monte en del macigno,
Ti si farà per tuo ben far nimico.
- - - - -
Tanto vogl'io, che vi sia manifesto,
Pur che mia coscienza non mi garra,
Ch'alla fortuna, come vuol, son presto.
Canto XV.

Unter den Betrügern sind diejenigen, die sich des Lasters der Simonie schuldig 91 gemacht haben. Zur Strafe stecken sie mit dem Kopfe unterwärts in den Felslöchern, die in diesem Kreise sind, so daß nichts als die Füsse bis an die Knie hervorragen; die Fußsohlen werden ihnen beständig mit brennendem Feuer gesengt. Der erste von diesen Uebelthätern, den der Dichter entdeckt, ist der Pabst Nicolaus III. Er redet ihn an: "O wer du auch seyn magst, die du den obern Theil unterwärts kehrest, traurige Seele, wie ein Pfahl eingegraben, rede, wenn du kannst."

O qual che se', che'l di su tien di sotto,

Anima trista, come pal commessa,

- - - - - , se puoi fa motto.

Hierauf läßt er ihn boshafter weise ein lustig Versehen begehen. Der Pabst stellt sich nämlich vor, daß Dante, der ihn angeredet, sein Nachfolger Bonifaz VIII. sey, der damals noch lebte. In dieser Einbildung antwortet er ihm:

"Stehst du schon hier so fertig, stehst du schon hier, mein Bonifaz? - Bist 92 du schon so bald der Schätze satt, denen zu gefallen du kein Bedenken trugst, die 11 schöne Braut durch Betrug zu entführen, und sie nachher zu schänden?"

Se' tu già costì ritto,
Se' tu gia costì ritto Bonifazio? -
Se' tu si tosto di quell' aver fazio,
Per loqual non temesti torre a'nganno
La bella donna, e di poi farne strazio?

Dante geräth in eine gewaltige Verwirrung über dieses quid pro quo, bis ihm Virgil gebeut, daß er ihm hurtig sagen soll, er sey es nicht. Die Kühnheit unseres Dichters geht in der That sehr weit, einen noch lebensvollen und regierenden Pabst auf diese Art lächerlich zu machen; aber dieser Pabst war auch der Urheber alles seines Unglücks, und er begegnet ihm noch weit schlimmer in der Geschichte des Grafen von Montefeltro, die ich Ihnen bald vorlegen werde. Nachdem also Dante den Pabst Nicolaus den dritten aus seinem Irrthum gesetzt, so hält er folgende Anrede an ihn: "Sage mir, ich bitte dich, welche Schätze verlangte CHristus vom heiligen Peter 93 da er ihm die Schlüssel vertraute? Gewiß forderte er nichts anders von ihm, als, folge mir nach. Auch Peter und die andern verlangten weder Gold noch Silber vom Matthäus, da sie ihn in den Platz aufnahmen, den der Verräther verlohren hatte. Deswegen bleib du nur hier, denn du wirst mit Recht gezüchtigt, und bewache dein übel erworbenes Geld, welches dich wider 12 Carln so verwegen 94 machte. Und hielte mich nicht die Ehrfurcht für die höchsten Schlüssel zurück, die du in dem fröhlichen Leben besassest, so würde ich weit härtere Worte gebrauchen: Denn euer Geiz setzt die Welt in Trauern, unterdrückt die Rechtschaffnen, und erhebt die Bösewichter. Von euch, ihr Hirten, sprach der Evangelist, da er diejenige, die an den Wassern sitzt, mit den Königen buhlen sah. - Ihr habt euch einen Gott aus Gold und Silber gemacht; und welcher Unterschied ist zwischen euch und andern Götzendienern, als daß jene einen Hauptgötzen, ihr aber ihrer hundert anbetet? 95 O Constantin, wie viel Unglück gebahr, nicht deine Bekehrung, sondern jene Mitgift, die der erste reiche Vater von dir empfing!"

Deh! or dimmi, quanto tesoro volle

Nostro Signore in prima da Santa Pietro,
Che ponesse le chiavi in sua balia?
Certo non chiese, se non, Viemmi dietro.
Ne Pier ne gli altri chiesero a Mattia
Oro, o argento, quando fu sortito
Nel luogo, che perdè l'anima ria.
Però ti sta, che tu se' ben punito,
E guarda ben la mal tolta moneta,
Ch' esser ti fece contra Carlo ardito;
E se non fosse, ch' ancor lo mi vieta
La reverenzia delle somme chiavi,
Che tu tenesti nella vita lieta,
I'userei parole ancor più gravi;
Che la vostra avarizia il mondo attrista,
Calcando i buoni e sollevando i pravi.
Di voi, Pastor, s'accorse'l Vangelista,
Quando colei, che siede sovra l'acque,
Puttaneggiar co'regi a lui fu vista: -
Fatto v'avete Dio d'oro e d'argento:
E che altro è da voi all'idolatre,
Se non, ch' egli uno, e voi n'orate cento?
Ahi Constantin, di quanto mal fu matre
Non la tua conversion, ma quella dote,
Che da te prese il primo ricco patre!
Canto XIX.

Das Geschlecht der Betrüger ist das zahlreichste in dieser Hölle, wie vermuthlich auch in der wahren. Zu ihnen gehören die Heuchler, die zur Strafe schwere bleyerne Kappen tragen müssen, die von aussen vergoldet sind; die falschen Propheten, denen der Kopf umgedreht ist, und die mit den Thränen, die sie beständig vergiessen, einen Theil des Leibes beströmen, den der Dichter ganz gerade heraus nennet. In diese Classe setzt er auch die bösen Rahtgeber grosser Herren, unter denen der Graf Guido von Montefeltro erscheint, dessen Geschichte der Herr von Voltaire übersetzt hat, um eine Probe von der Poesie des Dante zu geben. In der Absicht, die er hatte, den Dichter von einer lächerlichen Seite zu zeigen, konnte er kein besser Stück wählen; 96 denn es ist ganz comisch, und man kann es sogar, in der Sprache des Dichters, als ein Meisterstück des comischen Stils betrachten. Aber so wenig seine Uebersetzung, die mehr ein schönes Original ist, das Stück kennen lehrt, das er hat übersetzen wollen; so wenig kann dieses Stück, und das ganze Capitel des Herrn von Voltaire, über den Dante, einen Begriff von diesem Dichter geben. Er sagt, daß kein einziger Italiener ihn mehr verstünde; daß auf ihren hohen Schulen besondere Lectorate gestiftet wären, ihn zu erklären, von denen ich auf keiner Universität durch ganz Italien eine Spur habe finden können. Das erste aber wird allein durch die letzten Auflagen des Gedichtes widerlegt, die mit einem Commentar versehen sind, der alle die Dunkelheiten desselben vollkommen aufklärt, die entweder aus der alten Sprache des Dichters, oder aus Anspielungen auf besondere Begebenheiten, oder endlich aus den angebrachten Kunstwörtern der scholastischen Lehrer entstehen; denn diese sind alle die Dunkelheiten, die man darinnen findet. Der ungenannte Verfasser dieses Commentars, 97 der zuerst im Jahre 1732 zu Lucca herausgekommen, unterscheidet sich sehr von den alten unsinnigen Auslegern dieses Dichters, von einem Vellutello, Landino, Benvenuto von Imola, und einem Daniello. Seine Arbeit zeigt sehr viele Belesenheit, gesunde Critik und feine Satire, sowohl über die Ausschweifungen des Dichters, als die Rasereyen seiner abgöttischen Ausleger. Mit diesem Commentar, den man mit verschiedenen Anmerkungen des berühmten Marquis Maffei vermehrt hat, ist das Gedicht wieder in diesen letzten Jahren zu Verona sehr sauber in drey Octavbänden gedruckt worden.

Aber wir wollen auf den Grafen Guido zurückkommen. In der Einbildung, daß Dante nicht mehr in die obere Welt zurückkehren werde, wo er seine Schande offenbaren könnte, macht er ihm folgende vertrauliche Erzählung:

"Ich war anfangs Soldat, und vertauschte nachher den Degen mit der Kutte des heiligen 98 Franciscus, in der Einbildung, daß ich in dieser Tracht meine Sünden büssen würde. Dieses war in der That meine völlige Meinung, und alles wäre gut gegangen, wenn der 13 Hohepriester nicht gewesen wäre, den die Strafe davor treffen möge, welcher mich wieder in meine vorigen Laster zurückstürzte. Wie und warum dieses geschehen, sollst du jetzt vernehmen. So lang ich in Fleisch und Knochen steckte, die mir meine Mutter gegeben hatte, war ich in allen meinen Werken mehr ein Fuchs, als ein Löwe. Die schlauen Ränke, und die heimlichen Wege waren mir alle bekannt, und ich wußte ihre Kunst so geschickt zu 99 brauchen, daß endlich der Ruf meiner Fähigkeit sich durch die Länder ausbreitete.

I' fui uom d'arme, e poi fu' cordigliero,
Credendomi, sì cinto, fare ammenda:
E certo il creder mio veniva intero,
Se non fosse 'l gran Prete, a cui mal prenda,
Che mi rimise nelle prime colpe:
E come, e quare, voglio che m'intenda.
Mentre che io forma fui d'ossa e di polpe,
Che la madre mi dìe; l'opere mie
Non furon leonine, ma di volpe.
Gli accorgimenti, e le coperte vie
I'seppi tutte, e sì menai lor' arte,
Ch'al fine della terra il suono uscie.

"Da ich an den Theil meines Lebens kam, wo Jeder die Segel niederlassen, und die Taue zusammennehmen sollte, that mir dasjenige leid, was mir vorher gefallen hatte. Ich bereute und beichtete meine Sünden. Ach, ich armer Elender! dieß wäre sehr gut gewesen. Aber der Fürst der neuen Pharisäer hatte Krieg in der Nähe seines Laterans, nicht mit Saracenen, nicht mit Juden; 14 denn alle seine Feinde 100 waren Christen,"

Quando mi vidi giunto in quella parte
Di mia età, dove ciascun dovrebbe
Calar le vele, e raccoglier le farte;
Ciò, che pria mi piaceva, allor m'increbbe,
E pentuto e confesso mi rendei,
Ahi miser lasso! e giovato sarebbe.
Lo principe de' nuovi Farisei
Avendo guerra presso a Laterano,
E non con Saracin, nè con Giudei;
Che ciascun suo nimico era Christiano,

"und keiner hatte an der Eroberung von 15 Acri Theil gehabt, keiner hatte in den Ländern des Sultans gehandelt. Dieser achtete weder das Hohepriesteramt und den heiligen Orden bey sich selbst, noch den Strick 16, den ich trug, der ehemals die Bäuche, die er umgürtete, magerer zu machen pflegte; sondern wie vordem Constantin zu 17 Siratti beym heiligen Silvester Hülfe suchte, von 101 seinem Aussatze zu genesen,"

E nessuno era stato a vincere Acri,
Nè mercatante in terra di Soldano:
Nè sommo ufficio, nè ordini sacri
Guardò in se, nè in me quel capestro,
Che solea far li suoi cinti più macri.
Ma come Constantin chiese Silvestro
Dentro Siratti a guarir delle lebbre, 101

"so wählte dieser mich zu seinem Arzte, der sein Hochmuthsfieber heilen sollte. Er verlangte meinen Rath, und ich schwieg still, weil ich seine Reden für Reden eines Betrunkenen hielt. Aber er fügte hinzu: lasse dein Herz nichts Uebles besorgen; bis hieher spreche ich dich von aller Schuld frey, wo du mir nur einen Weg zeigst, 18 Palästrina zu Boden zu werfen. Den Himmel kan ich versperren und wieder aufschliessen,"

Così mi chiese questi per Maestro,
A guarir della sua superba febbre:
Domandommi consiglio, ed io tacetti,
Perchè le sue parole parvero ebbre:
E poi mi disse: tuo cuor non sospetti:
Finor t'assolvo, e tu m'insegni fare,
Sì come Penestrino in terra getti.
Lo ciel poss'io serrare, e disserare,

102 "wie du wohl weißt; dazu sind die zween Schlüssel, aus denen mein 19 Vorfahr sich so wenig machte. Diese wichtigen Bewegungsgründe trieben mich endlich zu reden, da ich glaubte, daß das Schweigen die schlimmste Partey für mich seyn würde. Ich sagte zu ihm: Heilige Vater, da du mich denn von der Sünde wieder waschen willst, in die ich itzo fallen soll; so wisse, mit vielen Versprechen, und wenigem Vorsatze, sie zu halten, wirst du auf deinem hohen Stuhle triumphiren. Nachher, als ich starb, kam Franciscus"

Come tu sai: Però son duo le chiavi,
Che'l mio antecessor non ebbe care.
Allor mi pinser gli argomenti gravi,
Là ve'l tacer mi fu avviso il peggio,
E dissi: Padre, da che tu mi lavi
Di quel peccato, ove mo cader deggio;
Lunga promessa con l'attender corto
Ti farà trionfar nell'alto seggio.
Francesco venne poi, com'i'fu'morto,

103 "nach meiner Seele; aber einer der schwarzen Cherubinen sagte ihm: Bring ihn nicht weg, thue mir kein Unrecht. Er muß zu meiner verdammten Schaar herab, weil er den betrügerischen Rath gegeben hat. Von der Zeit an habe ich ihm die Hand in den Haaren gehabt: denn derjenige kann nicht absolviret werden, der seine Sünden nicht bereuet; und etwas bereuen und zugleich wollen, ist nicht möglich, denn der Widerspruch erlaubt es nicht. O ich Elender! wie fuhr ich zusammen, als er mich packte, und zu mir sagte: du dachtest wohl nicht, daß ich die Logik verstünde."

Per me: ma un de' neri Cherubini
Gli disse: Nol portar, non mi far torto.
Venir se ne dee giù tra' miei meschini,
Perchè diede 'l consiglio frodolente,
Dal quale in qua stato gli sono a' crini:
Ch'assolver non si può chi non si pente:
Nè pentere e volere insieme puossi
Per la Contraddizion, che no'l consente.
O me dolente, come mi riscossi,
Quando mi prese, dicendomi: Forse
Tu non pensavi, ch'io Loico fossi.

104 "So bracht er mich vor den Minos, und dieser schlung 20 achtmal den Schweif um seinen harten Rücken, und nachdem er vor grossem Zorn darein gebissen, sprach er: Dieser gehört zu den Uebelthätern, die mit Feuer gepeinigt werden."

A Minos mi portò: e quegli attorse
Otto volte la coda al dosso duro,
E, poichè per gran rabbia la si morse,
Disse; Questi è de' rei del foco furo
Canto XXVII.

Aber wir wollen unsern Dichter seine Cothurnen wieder nehmen lassen, auf denen er mit weit stärkerem Schritte gehet.

In dem neunten Kreise findet er zween Sünder 21 in einer abscheulichen Stellung.

105 Der eine hat den Kopf des andern mit den Zähnen gefaßt, und frißt sein Gehirn heraus, "nicht anders, als wie man das Brodt in grossem Hunger verzehret." Dante verlangt, die Ursache dieser barbarischen Wut zu wissen, und hierauf folgt die Stelle, die ich hier übersetzen will. Ich überlasse Ihrer Empfindung das Urtheil darüber. 106

"Dieser Sünder erhob den Mund von den grausamen Frasse, indem er ihn an den Haaren des Kopfes trocknete, den er zernagt hatte. Darauf fieng er an: du verlangst, daß ich den äussersten Schmerz erneure, der mein Herz itzo schon ängstiget, da ich nur daran denke, noch eh ich davon rede. Aber können meine Worte zum Saamen werden, der dem Verräther, den ich nage, Schimpf hervorbringe, so sollst du mich zu gleicher Zeit reden und weinen sehen. Ich weiß nicht, wer du bist, noch wie du hier herabgekommen; aber nach deiner Sprache scheinst du mir ein Florentiner zu seyn. "

La bocca sollevò dal fiero pasto
Quel peccator, forbendola a' capelli
Del capo, ch'egli avea diretro guasto:
Poì cominciò; tu vuoi ch'i'rinnovelli
Disperato dolor, che'l cuor mi preme
Giá pur pensando, pria ch'i'ne favelli.
Ma se le mie parole esser den seme,
Che frutti infamia al traditor ch' i'rodo,
Parlare e lagrimar mi vedra' insieme.
I'non so, chi tu sie, nè per che modo
Venuto se' quaggiù: ma Fiorentino
Mi sembri veramente, quand' i't' odo.

107 "Wisse denn, daß ich der Graf Ugolino, und dieser hier der Erzbischof Ruggieri gewesen. Itzt werde ich dir sagen, warum ich für ihn ein solcher Nachbar bin. Daß ich durch eine Würkung seiner boshaften Anschläge, zu einer Zeit, da ich mich ihm vertraute, gefangen genommen und hernach ums Leben gebracht worden, ist nicht nöthig zu erwähnen. Aber was du nicht gehört haben magst, wie grausam die Art meines Todes gewesen, das sollst du vernehmen, und sollst erkennen, ob er mich beleidigt hat. "

Tu de' saper, ch' i' fu 'l Conte Ugolino,
E questi l'Arcivescovo Ruggieri:
Or ti dirò, perch'i' son tal vicino.
Che per l'effetto de suo' ma' pensieri,
Fidandomi di lui, io fossi preso,
E poscia morto, dir non è mestieri.
Però quel, che non puoi avere inteso,
Cioè, come la morte mia fu cruda,
Udirai, e saprai, se m'ha offeso.

"Eine kleine Spalte in dem Kerker, der durch mich noch 108 den Namen des Hungerkerkers führt, hatte mir durch ihre Oeffnung schon verschiedene Monden gezeiget, als ich den unglücklichen Traum hatte, der den Schleyer der Zukunft vor meinen Augen zerriß. Dieser erschien mir auf einer Jagd, als Herr und Befehlshaber. Er jagte einen Wolf mit seinen Jungen nach dem Gebürge 22 zu, welches die Pisaner verhindert, Lucca zu sehen. Mit magern, gierigen Hunden stund vor ihm Gualandi, nebst Sismondi, und Lanfranchi."

Breve pertugio dentro dalla muda,
La qual per me ha 'l titol della fame,
E 'n che conviene ancor, ch' altri si chiuda,
M'avea mostrato per lo suo forame
Più lune già, quand' i' feci 'l mal sonno,
Che del futuro mi squarciò 'l velame.
Questi pareva a me maestro e donno,
Cacciando'l lupo e i lupicini al monte,
Perchè i Pisani veder Lucca non ponno.
Con cagne magre, studiose, e conte,
Gualandi, con Sismondi, e con Lanfranchi
S'avea messi dinanzi dalla fronte.

"Nach einem kleinen Laufe 109 schien mir der Wolf mit seinen Jungen schon ermattet. Schon schien es mir, daß ich ihnen von den spitzigen Zähnen der Hunde die Seiten zerfleischen sah. Als ich vor Anbruch des Tages erwachte, hörte ich meine Kinder, die mit mir im Kerker waren, im Schlafe weinen, und nach Brodt rufen. Du bist wohl grausam, wenn du dir vorstellest, was meinem Herzen ahnte, ohne dich zu betrüben; und weinst du nicht hierüber, worüber pflegst du zu weinen? Schon waren wir alle erwacht; die Stunde kam, in der uns die Speise pflegte gebracht zu werden;"

In picciol corso mi pareano stanchi
Lo padre e i figli, e con l'acute scane
Mi parea lor veder fender li fianchi.
Quando fui desto innanzi la dimane,
Pianger sentì fra'l sonno i miei figliuoli,
Ch'eran con meco, e dimandar del pane.
Ben se' crudel, se tu già non ti duoli,
Pensando ciò, ch' al mio cuor s'annunziava;
E se non piangi, di che pianger suoli?
Già erám desti, e l'ora s'appressava,
Che 'l cibo ne soleva essere addotto,

"und jeder war wegen seines 110 Traums in Furcht, als ich die untere Thür des schrecklichen Thurns verschliessen hörte. Ich sah darüber meinen Kindern ins Gesicht, ohne ein Wort zu reden. Ich weinte nicht, so sehr ward mein Herz versteinert. Sie weinten, und mein Anselmo sprach: Du siehst so starr, mein Vater: was fehlt dir? Dennoch vergoß ich keine Thräne, und antwortete nichts diesen ganzen Tag, noch die Nacht darauf, bis die Sonne zum zweytenmal hervorstieg. Als ein wenig Licht in den martervollen Kerker drang, und ich in vier abgehärmten Gesichtern mein eignes erblickte,"

E per suo sogno ciascun dubitava,
Ed io sentî chiavar l' uscio di sotto
All'orribile torre: ond'io guardai
Nel viso a' miei figliuoi senza far motto:
I' non piangeva, sì dentro impietrai.
Piangevan elli; ed Anselmuccio mio
Disse: tu guardi sì, padre: che hai?
Però non lagrimai, nè rispos'io
Tutto quel giorno nè la notte appresso
Infin che l'altro sol nel mondo uscío.
Com'un poco di raggio si fu messo
Nel doloroso carcere, ed io scorsi
Per quattro visi il mio aspetto stesso; 111

"nagte ich meine beyden Hände für Qual: und sie, welche glaubten, daß der Hunger mich dazu trieb, stunden plötzlich auf und sagten: Ach Vater! der Schmerz wird weit geringer für uns seyn, wenn du uns verzehrest: du hast uns mit diesem elenden Fleische bekleidet, nimm du es uns wieder. Ich blieb hierauf ruhig, um sie nicht noch mehr zu ängstigen. Diesen und den folgenden Tag waren wir alle sprachlos. Grausame Erde, warum verschlangst du uns nicht?"

Ambo le mani per dolor mi morsi:
E quei pensando, ch' i' l fessi per voglia
Di manicar, di subito levorsi,
E disser: Padre, assai ci sia men doglia,
Se tu mangi di noi: tu ne vestiti
Queste misere carni, e tu le spoglia.
Quetámi allor, per non fargli più tristi.
Quel dì e l'altro stemmo tutti muti;
Ahi dura terra, perchè non t'apristi?

"Nachdem wir bis zum vierten Tag gekommen waren, warf Gaddo sich ausgestreckt vor 112 meine Füsse hin, und rief aus: Ach mein Vater, warum hilfst du mir nicht? Hier starb er. Und wie du mich hier siehst, sah ich die übrigen drey, einen nach dem andern, zwischen dem fünften und sechsten Tage, vor mir hinfallen. Nachher, da ich, vor Schwachheit schon blind, sie nicht mehr sehen konnte, kroch ich noch auf sie zu und tastete nach ihren Leichnamen; ich rief sie noch drey Tage, nachdem sie gestorben waren: und dann gab mir der Hunger den Tod, den mir die Schmerz nicht hatte geben können."

Poscia chè fummo al quarto dì venuti
Gaddo mi si gittò disteso a' piedi,
Dicendo, padre mio, che non m'ajuti?
Quivi morì: e come tu mi vedi,
Vid'io cascar li tre, ad uno ad uno,
Fra'l quinto dì e 'l sesto: ond i' mi diedi
Già cieco a brancolar sovra ciascuno,
E tre dì gli chiamai, poich' e' fur morti:
Poscia più che 'l dolor potè 'l digiuno.
Canto XXXIII.

Der Dichter bricht darauf in der Stärke seiner Empfindung in folgende Verwünschung wider die Pisaner, die Urheber dieser Grausamkeit, aus:

113 "O Pisa! Schande der Völker, die das schöne Land bewohnen, wo man unsere Sprache redet; da deine Nachbarn noch zögern, dich zu züchtigen, so erhebe sich 23 Capraja und Gorgona, und setze sich vor die Mündung des Arno, damit seine Fluthen auf dich zurücktreten, und jede lebende Seele in deinen Mauern ersäufen?"

Ahi Pisa, vituperio delle genti
Del bel paese là, dove 'l sì suona
Poichè i vicini a te punir son lenti,
Muovasi la Capraja e la Gorgona,
E faccian siepe ad Arno in su la foce,
Sì ch' egli annieghi in te ogni persona.

Ich wollte Sie bey diesem vortrefflichen Stücke, welches ohne Zweifel in die Reihe der stärksten gehört, die man in irgend einem Dichter findet, bloß Ihrer Empfindung überlassen, die ohne Zweifel die beste Critik ist; aber ich kann mich nicht enthalten, diejenigen Schönheiten noch anzumerken, 114 welche mich vornehmlich gerührt haben. In welchem hohen Grade sowohl Mitleid als Schrecken erregt wird, ist unnöthig, Ihnen zu sagen, und wäre vergebens, demjenigen zu erklären, der es nicht fühlet. Aber durch welche Mittel bringt der Dichter so grosse Würkungen hervor? Man findet keine beredten Beschreibungen des grossen Unglücks, des Schmerzens, der Verzweiflung, worinnen sich die Personen befinden, die er auf den Schauplatz bringt. Er läßt Affecten, die ihrer Natur nach stumm sind, oder, in einer Art von Verzuckung, nur kurze, unterbrochne Ausrufungen hervorbringen, sich nicht in schönen Tiraden, in rollenden Versen ausdrücken, er will die Natur nicht verschönern, oder übertreiben, um sie etwa, wie einige glauben, fühlbarer zu machen; sondern (und dieses ist ohne Zweifel weit besser) er will sie zeigen, wie sie ist. Die grosse Sorgfalt, welche unsere meisten neuern Dichter, und sonderlich die französischen, brauchen, der Natur Zierrathen zu leyhen, die sie nicht nöthig hat, ist nicht nur der falschen Delicatesse unserer Sitten, sondern vielleicht 115 noch mehr der grossen Schwierigkeit zuzuschreiben, diese wahre und richtige Natur, diesen schweren Mittelweg zwischen dem platten stumpfen, und dem gekünstelten zu finden. Wie glücklich hat ihn hier unser Dichter getroffen? Man betrachte folgende Züge: "Ich sah dabey meinen Kindern ins Gesicht, ohne ein Wort zu reden; ich weinte nicht. - Sie weinten. - Die Frage des Kindes: Du siehst so starr, mein Vater, was fehlt dir? - Diesen und den folgenden Tag waren wir alle sprachlos." Die Ausrufung, die so am rechten Orte angebracht wird: "Grausame Erde, warum thatst du dich nicht auf!" - - Wer denkt hiebey nicht unendlich mehr, als alles, was der Dichter hätte sagen können? Wer sieht, wer fühlt nicht den ganzen abscheulichen Zustand eines Vaters, der sich gezwungen sieht, ohne einige Hülfe, durch einen grausamen und langsamen Tod mit seinen Kindern umzukommen? Bemerken Sie endlich, wie der Affect bis an das Ende beständig schwillt, und in eben dem Maasse steigt, nachdem der Zustand der leidenden Personen 116 schrecklicher wird. Welch eine rührende Ahnung giebt nicht der Traum des Vaters, das Weinen des Kindes im Schlafe? Was muß er nicht fühlen, da er den Thurn versperren hört? da er sein Elend in den Gesichtern seiner Kinder liest? Durch welche Beredsamkeit hätte der Dichter sein Leiden stärker schildern können, als da er ihn die Hände sich vor Schmerz nagen läßt? Die Kinder, welche glauben, daß er es aus Hunger thut, die sich ihm selbst zur Speise anbieten; - das eine unter ihnen, welches in seiner äussersten Noth sich vor den Vater hinwirft, um Hülfe fleht, und stirbt; - der Vater endlich, der vor Schwachheit und Elend das Gesicht verliehrt, der seine todten Kinder betastet, da er sie nicht mehr sehen kann; - alle diese so ungekünstelten, so wahren Züge sind aus dem Innersten der Natur hervorgesucht, und machen die grosse Schönheit, das wahre Erhabne in den nachahmenden Künsten. Wenn man sie mit den rührenden Scenen im Homer, in den tragischen Dichtern der Griechen, im Shakespear vergleichet, so findet man eine 117 grosse Aehnlichkeit in der Manier dieser Genies, die Affecten arbeiten zu lassen. Man sieht immer mehr, daß dieses die Vollkommenheit der Kunst ist.

In einer kleinen Sammlung sehr witziger kritischer Briefe, die vor kurzem in Italien herausgekommen sind, worinnen unser Dichter sehr hart beurtheilet wird, kann der Verfasser sich gleichwohl nicht enthalten, dieser Stelle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Er dichtet, daß Virgil in Gesellschaft der andern Dichter des Alterthums in den Elisäischen Feldern eine Musterung der italienischen Dichter anstellt. Dante erscheint zuerst. Nachdem seine Fehler mit einer strengen Critik beleuchtet worden, so kommen sie auf diese Stelle. "Wir lasen die Geschichte des Ugolin mehr als einmal," sagt Virgil; "der eine weinte, dieser suchte sie in eine Elegie zu bringen, jener wollte sie ins Griechische, ein anderer ins Lateinische übersetzen; aber vergebens. Jeder bekannte, daß ein so originales Stück, ein Stück, das durch den Affect und durch den Ausdruck so 118 poetisch ist, keiner der schönsten Stellen in einer andern Sprache wiche, und daß die italienische eine so männliche Stärke hier zeigte, und in einem so rührenden Tone seufzte, daß sie vielleicht fähig wäre, jeder andern den Vorzug streitig zu machen."

Wir haben nunmehr bald die Hölle mit unsrem Dichter durchgewandert. In diesem letzten Kreise sind noch die Undankbaren, die zu einer grimmigen Kälte verdammt sind. Sie stecken beständig in Eis vergraben; die Thränen, die sie vordem weinten, sind in ihren Augen gefroren, und haben eine Schale darüber gezogen, wodurch diejenigen, die sie noch immer gern vergiessen wollten, auf ihr Herz zurückgetrieben werden, um die Qual desselben zu vermehren. Unter diesen Sündern hat der Dichter dem Lucifer mit Recht seinen Platz gegeben. Das Bild, das er von ihm macht, ist ziemlich grotesk, und Milton hat ihn nachher auf eine ganz andere Art zu schildern gewußt. Aber die Begriffe, die man zu Miltons Zeit, und in seinem Vaterlande von der Religion hatte, 119 waren auch eben so sehr von denjenigen unterschieden, die Dante zu der seinigen haben konnte. Virgil ruft ihm auf einmal zu: "Hier ist der Gott der Hölle, hier ist der Ort, wo du dich mit Muth bewaffnen mußt."

Ecco Dite, - ed ecco il loco
Ove convien, che di fortezza t'armi.

Unser Dichter geräth darüber in einen Zustand, den er selbst nicht beschreiben kann. "Ich starb nicht," sagt er, "und ich blieb auch nicht lebend."

I' non morî, e non rimasi vivo.

Dieser Vers wird von den Italienern sehr bewundert. Darauf fährt er fort: "Der Kayser des martervollen Reiches ragte mit der halben Brust aus dem Eise hervor; nicht so groß ist der Unterschied zwischen mir und einem Riesen, als er zwischen einem Riesen und einem seiner Arme sein würde. 120 - Welch ein Wunder schien es mir, da ich drey Gesichter an seinem Kopfe sah! das eine vorwärts, und dieses war roth: die andern beyden schlossen sich an dieses auf der Hälfte jeder Schulter, und vereinigten sich an der Stelle des Scheitels. Das rechte schien von einer Farbe zwischen der weissen und der gelben: das linke war denen ähnlich, die aus den Ländern kommen, welche der Nil beströmet. Unter jedem ragten zween grosse Flügel hervor, wie sie für einen solchen Vogel gehörten. Niemals habe ich Segel von solcher Grösse gesehen. 121 - Aus sechs Augen vergoß er Thränen, und von drey Bärten tropften diese mit blutigem Geifer vermischt herab: In jedem Munde zerriß er mit den Zähnen einen Sünder. -"

Lo'mperador del doloroso regno
Da mezzo 'l petto uscía fuor della ghiaccia:
E più con un gigante i' mi convegno,
Che i giganti non fan con le sue braccia. -
O quanto parve a me gran meraviglia,
Quando vidi tre facce alle sua testa?
L'una dinanzi, e quella era vermiglia:
L'altre eran due, che s' aggiungéno a questa
Sovr' esso l' mezzo di ciascuna spalla,
E si giungéno al luogo della cresta:
E la destra parea tra bianca e gialla:
La sinistra a vedere era tal, quali
Vengon di là, ove 'l Nilo s'avalla.
Sotto ciascuna uscivan duo grand' ali,
Quando si conveniva a tant' ucello:
Vele di mar non vid'io mai cotali. -
Con sei occhi piangeva, e per tre menti
Gocciava 'l pianto, e sanguinosa bava.
Da ogni bocca dirompea co' denti
Un peccatore. -
Canto XXXIV.

Zween von den Sündern, die auf diese Art gepeinigt werden, sind Brutus und Caßius. Virgil erinnert hier unsern Dichter, daß es Zeit zur Abreise ist. Sie finden ein Loch in einem Steine, welches ihnen einen Weg zu dem Fegfeuer eröffnet. Um dahin zu kommen, klettern sie in einer seltsamen Stellung über den Lucifer, von seinem Kopf nach der Brust zu, weil sie hier Antipoden von den Bewohnern des Fegfeuers sind. Wir wollen also hier den Vorhang vor diese Hölle fallen lassen. Ich habe Sie nicht durch alle Scenen derselben geführt; aber ich hoffe, keine übergangen zu haben, die entweder wegen ihrer Schönheit, oder wegen des Sonderbaren, oder wegen der Fehler selbst, die den Charakter des Dichters mehr bezeichnen konnten, einige Aufmerksamkeit verdiente.

Von den übrigen beyden Theilen des Gedichtes sollen Sie in meinem nächsten Briefe Nachricht bekommen.


Anmerkungen:

1 Im XXXII Gesang der Hölle.

2 In der Kirche Johann des Täufers, des Schutzheiligen von Florenz.

3 E come quei - e guata. Das Gemählde, das in diesen drey Versen enthalten ist, bekommt durch den übereinstimmenden Klang der Worte eine ungemeine Stärke. In dem Verse e come quei &c. hören die Italiener einen Menschen würklich keichen.

4 Sie war die Tochter Guidons von Polenta, Herzogs von Ravenna, und war an Lanzellot von Malatesta, Herzogen von Rimini, einen sehr braven, aber sehr ungestalten Herrn, verheyrathet. Sein Bruder, Paul von Malatesta, fand den Zugang zu ihrem Herzen durch die Annehmlichkeit seiner Manieren, und durch die Schönheit seiner Gestalt. Er wurde in der Handlung des Ehebruchs selbst mit ihr zugleich von seinem Bruder ermordet.

5 alles Lichtes beraubt - d' ogni luce muto, von allem Lichte stumm, sagt der Dichter. Er liebt die Kühnheit der orientalischen Figuren, und dieser Ausdruck ist völlig in ihrem Geschmacke.

6 Wie fein, und wie rührend ist diese Anmerkung.

7 Man glaubt, daß hier nicht Virgil, sondern Boethius, ein anderer Lieblingsautor des Dante, gemeint werde, der die traurige Wahrheit gesagt hat: In omni adversitate fortunae infelicissimum genus infortunii est fuisse felicem. De cons. Phil. lib. II.

8 Im Roman der Ritter von der runden Tafel, der zur Zeit des Dante in grossem Werthe war.

9 Der Pater Aquin, der dieses Gedicht in schöne lateinische Verse gebracht hat, umschreibt diese Stelle sehr glücklich:
                    Distulimus post haec fontes evolvere chartas,
                    Sontes? heu miseram! gravius nocuere remotae.

10 Die Florentiner. Sie stammen von Fesole, einer Stadt, die auf den felsigten Gebürgen nach der Mittagsseite von Florenz lag, die aber heut zu Tage ein blosses Dorf ist.

11 Die päbstliche Würde.

12 Carl I. König von Sicilien, wider den dieser Pabst sehr erbittert war, weil er ihm seine Tochter, die er für einen seiner Nepoten verlangt hatte, auf eine verrächtliche Art weigerte. Aus Rachbegierde nährte der Pabst die Rebellion, die wider diesen König angesponnen wurde, und die im Jahre 1282, in der so bekannten und so schrecklichen sicilianischen Vesper, ausbrach.

13 Der Pabst Bonifaz VIII.

14 Mit den Fürsten von Colonna, welche die Partey der Gibellinen hielten.

15 Acri oder Ptolemais, der einzige Ort, der nach dem Verluste des Königreiches zu Jerusalem noch in den Händen der christen geblieben war, und den zuletzt die Türken durch eine Verrätherey abgefallner Christen in die Hände bekamen.

16 Der Gürtel der Franciskaner.

17 Das alte Soracte, dessen Horaz erwähnt, oder Sant-Oresto, wie es heut zu Tage gennent wird, ein Gebürge zwischen Rom und Loretto, wo der Pabst Silvester in einer Höhle residirte.

18 Oder Präneste, wie es bey den Alten heißt, welche damals in den Händen derer vom Hause Colonna war.

19 Der heilige Cölestin, welcher der päbstlichen Würde entsagte.

20 Man sehe S. 68.

21 Diese waren der Graf Ugolino von Gherardescha, ein edler Pisaner, und der Erzbischof von Pisa, Ruggieri, aus dem Geschlechte der Ubaldini. Der Graf hatte sich mit dem Erzbischofe verbunden, den damalige Oberherrn von Pisa zu verjagen. Das Vorhaben gelung ihnen, aber der Graf maßte sich darauf selbst der obersten Gewalt an, die der Erzbischof für sich gesucht hatte, der deswegen von der Zeit an ein unversöhnlicher Feind des Grafen wurde, sich insgeheym mit drey mächtigen pisanischen Familien, den Gualandi, Sismondi, und Lanfranchi, die des Grafen Feinde waren, vereinigte, den größten Theil des Volks auf seine Seite brachte, und endlich den Grafen mit bewaffneter Hand, indem er das Kreuz vor sich her tragen ließ, in seinem Hause überfiel, ihn der Verrätherey beschuldigte, und mit seinen vier unmündigen Söhnen zusammen in Verhaft bringen ließ. Man steckte sie in einen Thurn, der auf dem Platze der Aeltesten zu Pisa stund, und weil man sie darinnen wollte Hungers sterben lassen, so warf man die Schlüssel des Thurns in den Arno, der durch Pisa fliesset. Joh. Villani im VII Buche seiner Geschichte im 120 und 127 Cap.

22 Der Berg St. Julian, der sich zwischen Lucca und Pisa erhebet.

23 Zwo Inseln im tyrrhenischen Meere, nahe bey der Mündung des Arno.