Der vier und dreyßigste Gesang. |
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Nun kommt die Fahn des Höllen-Königs uns | |
entgegen; schau nun grade vor dir hin, | |
und sieh, ob du ihn kennst. So sprach Virgil. | |
Wie wenn ein dichter Nebel durch die Luft | |
fährt, oder wenn den harten Erdenball | |
die Nacht bezieht, und eine Windmühl uns | |
von fern erscheint, so glaubt' ich damals ein | |
Gebäud zu sehn. Drauf barg ich vor dem Wind | |
mich hinter meinen Lehrer, weil sich hier | |
kein andrer Winkel fand. Schon war ich (Wer | |
kann dieses ohne Furcht beschreiben) wo | |
die Schatten ganz von Eis bedeckt sind, und | |
durchscheinen, wie ein Splitter durch das Glas. | |
Ein Theil von ihnen liegt, ein andrer steht, | |
hier auf dem Kopf, dort auf dem Fuß; ein Theil | |
krümmt sich, gleich einem Bogen, daß der Fuß | |
das Angesicht berührt. Da wir so weit | |
gekommen waren, daß es nun Virgil | |
vor gut erachtete, des Schöpfers Werk, | |
das sonst so schön war, mir zu zeigen, trat | |
er vor mir weg und hieß mich stille stehn, | |
und sprach: Sieh! da ist Pluto, da der Ort, | |
wo du mit Starkmuth dich bewafnen mußt. | |
Frag nicht, o Leser, ob ich sprachlos, ob | |
ich da im Eis verwandelt ward. Es ist | |
nicht möglich zu beschreiben, was ich hier | |
empfand: ich war nicht todt, und lebt' auch nicht. | |
Wie mir halb Todten, und halb Lebenden | |
zu Muth war, das begreift nur, wer hierzu | |
Vernunft und Witz in reichem Maaß besitzt. | |
Des martervollen Reichs Beherrscher ragt | |
bis an die Mitte seiner breiten Brust | |
aus tiefem Eis hervor. Ich gleiche mehr | |
dem größten aller Riesen, als ein Ries | |
nur einem seiner Arme gleicht. Nun denk, | |
wie groß das Ganze sey, wozu ein Theil | |
von solcher Größe paßt. War er so schön, | |
als er itzt häßlich ist, und hob sein Stolz | |
sich wider seinen Schöpfer auf, so ists | |
kein Wunder, daß er aller Uebel Quell | |
geworden ist. O wie erstaunt ich, da | |
ich drey Gesichter an ihm sah, eins vorn, | |
das roth war; über jeder Schulter eins, | |
die sich zum vordern fügten, und am Kamm | |
vereinten. Das zur rechten Hand war weiß | |
mit Gelb vermischt, und das zur linken wie | |
der Aethiopen Angesicht gefärbt. | |
Zween Flügel hoben aus den Schultern sich | |
hervor, so groß, wie es das Ebenmaß | |
in einem Vogel solcher Größe heischt. | |
Ich hab kein Schif von solchen Segeln je | |
gesehn. Sie waren wie die Fittige | |
der Fledermaus gebaut, und federlos. | |
Er schwung sie hin und her, woraus drey Wind' | |
entstanden und Cocyt zu Eis gefror. | |
Sechs Augen gossen Thränen aus, die sich | |
mit blutgem Geifer mischten, und von drey | |
beschmutzten Bärten tropften. Jeder Mund | |
zerbrach, wie eine Breche dürren Flachs, | |
der Sünder Einen mit den Zähnen; so | |
daß ihrer drey zugleich gepeinigt sind. | |
Dem vordern war das Kratzen ärger, als | |
der Biß; denn oft ward ihm der Rücken ganz | |
von Haut entblößt. Die Seele, sprach Virgil, | |
die da so sehr gemartert wird, die mit | |
dem Kopf im Rachen steckt, und außerhalb | |
mit Füßen zappelt, ist Ischariot; | |
von jenen deren Kopf herabwärts hängt, | |
ist einer, den die schwarze Schnautze trägt, | |
der weltbekannte Brutus. Sieh, wie er | |
sich krümmt, und dennoch schweigt. Der andere | |
von starkem Gliederbau, ist Cassius. | |
Nun, Lieber! stellt die Nacht sich wieder ein; | |
es ziemet sich, von hier zu scheiden; denn | |
wir haben nun die ganze Höll gesehn. | |
Er hieß mich seinen Hals mit meinem Arm | |
umschlingen, merkte Zeit und Ort; und da | |
die Flügel weit genug sich öfneten, | |
schlupft' er mit mir darunter, hielt sich an, | |
den rauchen Ribben, und stieg zwischen Haar | |
und Schollen Eis von Fell zu Fell hinab. | |
Da wir gelangten, wo der Schenkel sich | |
ans dicke Hüftbein schließt, wandt nun sein Haupt | |
der Dichter, wo bisher sein Fuß war, mit | |
sehr großer Müh' und Angst, und kletterte | |
nunmehr hinaufwärts an dem dichten Haar, | |
so, daß mirs schien, als stieg ich wieder in | |
die Hölle. Halt dich fest, ermahnte mich | |
mein Lehrer, schnaubend wie ein matter Mann; | |
denn diesem Sammelplatz der Uebel kann | |
man nur auf solchen Leitern sich entziehn. | |
Drauf führt uns eines Felsen Loch hervor, | |
wo mich mein Lehrer auf den Rand absetzt' | |
und nachher selbst auch zu mir trat. Ich hub | |
alsdenn die Augen auf, und glaubte, wie | |
vorher den Lucifer zu sehn, und sah | |
von ihm die aufgereckten Füß. Wie ich | |
bey diesem Angesicht bekümmert war, | |
das fühlt am besten der gemeine Mann, | |
der jenen Punkt, durch den ich kam, nicht kennt. | |
Steh auf! Der Weg ist lang und böß; es hat | |
Die Sonn die Hälfte schon der dritten Stund | |
erreichet, sprach Virgil. Es war kein Saal, | |
wo wir uns fanden; eine Höhl war es, | |
von der Natur gebaut, wo es an Licht, | |
und sicherm Tritt gebrach. Ich hub mich auf, | |
und sprach: Bevor ich von dem Abgrund mich | |
entferne, lieber Lehrer, bitt' ich dich, | |
mich aufzuklären. Wo ist nun das Eis? | |
Wie kommt es, daß nun dieser hier die Bein' | |
hinaufwärts streckt? Wie hat die Sonn so bald | |
vom Abend bis zum Morgen ihren Lauf | |
vollbracht? Du stehst, erwiedert' er, im Wahn, | |
auf jener Seite noch des Mittelpunkts | |
zu seyn, wo ich herab mich ließ am Haar | |
des bösen Wurmes, der die Erd durchbohrt. | |
So viel ich abwärts stieg, so weit warst du | |
auf jener Seite von der Mitt' entfernt. | |
Wo ich mich umwandt, war der Punkt, wohin | |
von allen Seiten her, was schwer ist, zielt. | |
Nun bist du unter jenem Himmelskreis, | |
deß Gegenpart den trocknen Theil der Erd | |
bedeckt, und unter dessen Mittelpunkt | |
der Mann, der ohne Sünd gebohren, und | |
unschuldig lebte, starb. Des Judas Kreis | |
steht diesem Ort, den itzt dein Fuß betrit, | |
genüber. Diesseits geht der Tag auf, wenn | |
er jenseits untergeht; und dieser hier, | |
des Zotten uns zur Leiter dienten, steckt | |
noch wie zuvor. Er stürzte diesseits von | |
dem Himmel, und die Erde, die vorher | |
sich aus dem Wasser hier erhob, verbarg | |
aus banger Furcht vor ihm sich unterm Meer, | |
und drang in unserm Himmelskreis hervor. | |
Es wich sogar der Theil, wohin er fiel, | |
ihm aus, erhob sich jenseits und ließ hier | |
den hohlen tiefen Raum. An einem Ort | |
da unten, der von Lucifer so weit | |
entfernet ist, als sich sein Grab erstreckt, | |
entsteht ein Bach, der zwar unsichtbar ist, | |
jedoch sich durchs Geräusch verräth, und hier | |
durch einen Fels, den er durch langen Lauf | |
durchhöhlet hat, sich schlänglend und nicht steil | |
herabfällt. Diesen dunkeln Pfad betrat | |
mit mir mein Lehrer, in die lichte Welt | |
zurück zu kehren; und ohn' uns um Ruh | |
zu kümmern, stiegen wir hinan, er vor | |
mir her, und ich ihm eilend nach, bis uns | |
ein Theil der Schönheit, die am Himmel prangt, | |
durch einen runden Spalt vor Augen kam. | |
Durch diesen giengen wir hervor, uns bey | |
dem süßen Blick des Sternen-Heers zu freun. | |