Die Hölle des Dante Alighieri. |
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Der siebenzehnte Gesang. |
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Nun kömmt das wilde Thier mit spitzgem Schweif, | |
das über Berge fährt, das Mauern bricht, | |
und Waffen. Sieh! da kömmt das Ungeheur, | |
Das mit Gestank die ganze Welt erfüllt! | |
So sprach Virgil, und gab ihm einen Wink, | |
daß es zum Rand des Marmelsteinern Wegs | |
herab käm. Und das häßliche Gespenst, | |
das des Betrugesbild ist, kam zum Rand, | |
doch nur mit Kopf und Rumpf; denn seinen Schweif | |
ließ es in freyer Luft. Sein Angesicht | |
war eines guten Mannes Antlitz; So | |
viel Freundlichkeit versprach die äußre Haut. | |
Das übrige glich einer Schlang. Zween Füß | |
und Krallen waren bis zum Schulterblatt | |
mit Haar bedeckt, die Seiten, Rück und Brust, | |
in bunte Ring und Glieder schön getheilt. | |
Nie hat des Tartars und des Türken Hand | |
im Grund und auf der Oberfläch' ein Tuch | |
mit so verschied'nen Farben ausgeschmückt. | |
Selbst vor Arachne war nie solcher Stoff | |
in Rahmen aufgespannt. Gleichwie sehr oft | |
der Biber, und in dem gefräßgen Land | |
der Teutschen auch die Otter, die sich bald | |
im Wasser bald auf Erde nähren, auf | |
dem Ufer stehn, bereit zum Fischfang; so | |
stand dieses arge Wild am steinern Rand | |
des Sandgefilds. Es schleudert hin und her | |
den zweigespaltnen Schweif in leerer Luft, | |
und wirft den giftgen Zweyzack, der die Spitz | |
gleich einem Skorpion, bewafnet, stets | |
empor. Da sprach mein Führer: itzt geziemt | |
es sich, daß wir dem bösen Thier, das dort | |
sich lagert, etwas abwärts näher gehn. | |
Drum stiegen wir zur Rechten auf den Rand | |
und hielten uns von Sand und Flamm zehn Schritt | |
entfernt. Ich war dem Ungeheuer nah, | |
als ich ein Volk nicht fern vom freyen Gang | |
im Sande sitzen sah. Da sprach Virgil: | |
Damit du volle Kenntnis von dem Kreis | |
erlang'st, so geh, und schau, wie sich dieß Volk | |
beträgt. Halt kurz Gespräch: bis du zurück | |
kehrst, werd' ich dieses Wild bereden, daß | |
es seinen starken Schultern uns verleih. | |
So gieng ich an dem End des Siebenten | |
der Kreise ganz allein hinan, wo ich | |
die unglückselgen Schatten sitzend fand. | |
Ihr Schmerz brach aus dem Aug, und jede Hand | |
kam ihrem Leib zu Hülf, und sucht' ihn hier | |
und da, bald vor dem Brand der Dünste, bald | |
vorm heißen Sand zu schützen. So beträgt | |
der Hund im Sommer sich, wenn er sich bald | |
mit Beißen, bald mit Kratzen vor dem Stich | |
der Flöh und Fliegen schüzt. Verschiedenen | |
sah ich ins Angesicht, worauf das Feu'r | |
herabfiel, und erkannte keinen. Doch | |
bemerkt' ich, daß an eines jeden Hals | |
ein Beutel mit gewissen Farben, und | |
mit Zeichen hing; dieß schien sein' Augenlust | |
zu seyn. Und da ich sie mit scharfem Blick | |
betrachte, find' ich einen gelben Sack | |
mit eines himmelblauen Löwens Bild; 1 | |
Und da ich mit dem Suchen weiter geh', | |
erblick ich einen Geldsack, roth wie Blut, | |
mit einer Butterweißen Gans. Hernach 2 | |
trug jemand einen weißen Sack am Hals, | |
worauf ein roth und blaues trächtig Schwein | |
gebildet war. Der sprach: was thustu hier, 3 | |
bey dieser Grube? Geh nur! doch weil du | |
noch lebst, so wisse daß Vitalian, 4 | |
mein Nachbar, einst bey mir zur linken Hand | |
hier sitzen wird. Ich bin von Padua, | |
und diese Florentiner um mich her | |
betäuben mich mit dem Geschrey; wo bleibt | |
der große Ritter, der die Tasche mit | |
drey Ziegenböcken trägt? Hier zerrte er 5 | |
das Maul, und warf die Zung heraus, wie wenn | |
sich eine Kuh die Nase leckt. Und ich | |
verließ die Unglückselgen hier, aus Furcht | |
den Führer zu beleidigen, der mir | |
befal, nicht lang zu zögeren. Er saß | |
schon auf dem Thier und sprach: Nun sey beherzt | |
und kühn! auf solchen Leitern steigt man hier | |
hinab. Sitz vor mir: ich will hinter dir | |
dich vor des Schweifes Geißel schützen. Da | |
ward mirs wie Einem, dem des Fiebers Frost | |
so nah ist, daß der Nagel ihm erstirbt; | |
er zittert, wenn er kühle Schatten nur | |
erblickt. Doch drohte mir die Furcht der Schand, | |
die jeden Knecht bey seinem guten Herrn | |
ermannt. Ich stieg aufs breite Schulterblatt | |
des Thiers, und hätte gern gar zu aufs Wort | |
des Führers ja gesagt, und ihn ersucht, | |
mich zu umfassen. Aber meine Stimm | |
gieng wider mein Vermuthen nicht hervor. | |
Doch half er mir, wie er gewohnt schon war, | |
und hub mich, da ich stieg, mit starkem Arm | |
empor, umfaßt' und hielt mich. Drauf sprach er: | |
Nun Gerion! steh auf, und flieg mit uns | |
in weiten Kreisen sanft hinab: Gedenk | |
der neuen Last, die du itzt trägst. Gleichwie | |
ein Schifflein nach und nach vom Land zurück | |
in See sticht; so zog sich das Thier vom Rand, | |
und da es Raum zur Wendung fand, kehrt' es | |
sich mit dem Schweif dahin, wo kurz vorher | |
die Brust war, streckt' ihn aus, und steuert' den Flug | |
damit, gleich einem Aal; indeß es mit | |
den Krallen ruderte. Dem Phaeton | |
war nicht so bange, da ihm das Lenkseil fiel, | |
wodurch der Himmel, wie die Spur noch zeigt, | |
entzündet ward; auch nicht dem Icarus, | |
nachdem das Wachs zerschmolzen, und die Hüft' | |
entflügelt waren, und sein Vater ihm | |
zurufte: Sohn! du fliegst zum Tod; als mir | |
war, da ich mich von allen Seiten her | |
mit Luft umgeben, und nichts vor mir sah, | |
als dieses großes Wild. Es schwamm und stieg | |
in Kreisen so gelind herab, daß ich's | |
nicht wahrnahm, wenn mirs nicht die rege Luft | |
im Angesicht und unter mir verrieth. | |
Ich hörte schon von weiten unter uns | |
zur rechten Hand das schreckliche Geräusch | |
des Schlunds, und streckte meinen Kopf hervor | |
hinab zu sehn. Da wurde mir der Sturz | |
des Strohms weit schrecklicher, weil ich auch Feur | |
erblickt', und weinen hört'; und kroch vor Furcht | |
zusammen. Endlich nahten überall | |
sich solche Ubel, daß ich izt nur gar | |
zu sehr von meiner sanften Abfahrt, und | |
dem Umkreis überzeuget war. Gleichwie | |
der Falk, der lang auf seine Flügel sich | |
gestützt, und weder einen Vogel, noch | |
das Lockaas sieht, dem Folkenier zum Schmerz | |
ermüdet, sich durch hundert Kreise schnell | |
herabläßt, und voll Unmuth und erboßt | |
sich fern von seinem Meister niedersetzt; | |
so setzt' uns Gerion dicht an dem Füß | |
des grob gehaunen Felsen auf den Grund; | |
und da er seiner Last entledigt war, | |
Verschwand er, wie ein abgeschoßner Pfeil. |
Erläuterungen:
1 Das Wappen eines Wuchers aus dem Florentinischen Geschlecht Gianfigliazzi.
2 Das Wappen des Geschlechts Ubriachi von Florenz
3 Das Wappen der Herrn Scrovigni zu Padua.
4 Vitaliano del Dente von Padua, ein Wucherer.
5 Johann Bujamonti, ein Florentinischer Edelmann, der größte Wucherer seiner Zeit.