Die Hölle des Dante Alighieri. |
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Zwölfter Gesang. |
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Der Ort, wohin wir kamen, in das Thal | |
hinabzugehn, war wilder Fels, und was | |
sich da noch fand, war jedem Aug' ein Greul. | |
Wie jenseits von Trient der Felsen Schutt, | |
an deren Seite sonst der Etsch-Strohm floß, | |
und die durch einen Erdstoß, oder Bruch | |
der Stütze fielen, von dem Gipfel, wo | |
der Fall den Anfang nahm, bis auf dem Grund | |
so steil sich senkt, daß mit genauer Noth | |
herabzukommen ist; so war der Weg | |
in diesen Abgrund. Auf der Spitze lag | |
die Schande der Cretenser ausgestreckt, | |
in einer falschen Kuh gezeugt. Da er 1 | |
uns sah, biß er sich selbst, wie jene thun, | |
die rasend sind. Dann schrie der weise Mann | |
Virgil: Du glaubst vielleicht vor dir zu sehn | |
den Herzog von Athen, der auf der Welt | |
dich tödtete? Entweich du Unthier! Denn 2 | |
der Mann, den du hier siehst, kömmt nicht, belehrt | |
von deiner Schwester, sondern eure Qual 3 | |
zu sehn. Gleichwie der Stier im Augenblick, | |
wenn ihn die Keule tödtlich trifft, empor | |
schießt, und, den Fuß zu brauchen ungeschickt, | |
bald hier bald dahin kurze Sprünge thut; | |
so that der Minotaur. Da schrie Virgil | |
mir klüglich zu: Lauf durch den Paß, und eil' | |
hinab. Indeß er wüthete, begab | |
ein jeder sich den Felsenschutt hinab, | |
wo mancher Stein von ungewohnter Last | |
gedrückt, sich unter meinem Fuß bewog. | |
Ich gieng Gedankenvoll, als jener sprach: | |
Du denkst vielleicht des Berges Trümmern nach, | |
die jener vieh'sche Zorn, den ich gedämpft, bewacht. | |
Nun wisse, daß das erstemal, als ich | |
im tiefen Grund der Hölle war, der Fels | |
noch nicht zertrümmert war. Dieß trug sich zu, | |
wenn ich mich recht entsinne, kurz zuvor, | |
eh jener kam, der aus dem ersten Kreis | |
dem Lucifer die große Beute nahm. | |
Da bebte überall das mit Gestank | |
erfüllte tiefe Thal, so daß ich fast | |
der Meinung war, das Weltgebäude wär | |
in Lieb' vereint, wodurch, wie jemand glaubt, 4 | |
die Welt schon oft ins erste Chaos ist | |
zurückgekehrt. Zu dieser Zeit geschah's, | |
daß dieser alte Fels so umgestürzt | |
und so verwüstet ward. Nun schau ins Thal | |
hinab. Es nähert sich der Blutstrohm, wo, | |
die mit Gewalt dem Nächsten Schaden thun, | |
gesotten werden. O der blinden Sucht! | |
Des tollen Zorns! die uns im kurzen Raum | |
des Lebens so sehr spornen, und hernach | |
im Ewigen ein so betrübtes Bad | |
bereiten. Ein sehr weiter Graben, der | |
im Kreis sich schloß, und um das ganze Thal | |
erstreckte, kam mir zu Gesicht, gleichwie | |
mein Führer mir's vorausgesagt. Am Fuß | |
des Bergs lief um den Graben reihenweis | |
ein Heer Centauren, wohl versehn mit Pfeil | |
und Bogen, wie sie auf der Jagd das Wild | |
ehdem verfolgten. Da sie uns den Berg | |
herab gehn sah'n, blieb jeder stehn; und Drey | |
von ihnen sonderten sich von der Schaar | |
mit Bogen und wohl ausgesuchtem Pfeil. | |
Der Eine schrie von fern: Zu welcher Qual | |
kommt ihr den Berg hinab? Sagt's auf der Stell'! | |
wo nicht; so schieß ich los. Da sprach Virgil: | |
Dem Chiron wollen wir dort in der Näh | |
die Antwort geben. Du warst immer rasch | |
in deine Lüsten. Drauf berührt' er mich, | |
und sprach: Sieh, da ist Nessus, der ehdem | |
für Dejanirens Schönheit starb, und selbst | |
sich an dem Mörder roch. Der Mittlere, | |
der seine Brust beschau't, ist Chiron. Er | |
erzog Achill. Der Dritte, der von Zorn | |
so sehr entbrannt', ist Pholus. Um den See | |
gehn sie zu Tausenden, und schießen, die | |
sich weiter aus dem Blute winden, als | |
der Schuld gemäß. Wir nahten uns beherzt | |
dem raschen Wild, als Chiron einen Pfeil | |
ergrif, und mit desselben Einschnitt, da | |
er seinen Bogen spannt', den Bart zurück | |
bis an die Ohren schob. Nachdem hierdurch | |
sein großes Maul entblößt hervor schien, sagt' | |
er seinen Spießgesellen: Nehmt ihr wahr, | |
wie jener, welcher hinten geht, vom Ort | |
bewegt, was er berührt? So thut kein Fuß | |
der Todten. Freylich lebt er, sprach Virgil, | |
der sich schon bey der Brust, wo beiderley | |
Natur sich paart, befand; und mir geziemt's, | |
ihn ganz allein im finstern Thal herum | |
zu führen. Kein Vergnügen, nur die Noth | |
verleitet ihn. Wer mir dieß neue Amt | |
auflegte, kam vom Halleluja Chor | |
herab. Er ist kein Räuber, und ich bin | |
auch keines Diebes Seel. Drum bitt' ich dich | |
bey jener Macht, die auf so wildem Weg | |
mich leitet, gieb uns von den Deinigen, | |
der uns begleite, und den Uebergang | |
belehr', und auf dem Rücken Diesen hier | |
hinübertrage; denn er ist kein Geist, | |
und geht nicht durch die leichte Luft. Da wandt | |
sich Chiron zu der rechten Seit', und sprach | |
zu Nessus: Geh und führe sie, wie er | |
es wünscht; und trefft ihr auf ein' andre Schaar, | |
so sich're sie davor. So giengen wir | |
mit unserm treuen Führer längst dem Rand | |
des rothen Suds, wo die Gesottenen | |
laut schrie'n, und mancher Schatten bis ans Aug | |
im Blut war. Der Centaur sprach: Seht! Hier sind | |
Tyrannen, die dem Menschen Gut und Blut | |
entrißen. Sie beweinen hier umsonst | |
die harten Plünd'rungen. Hier findet sich | |
bey Alexandern Dionysius | |
der Grausame, der in Sicilien | |
so schmerzenvolle Jahre stiftete; | |
und jene Stirn, die ein so schwarzes Haar | |
bedeckt, ist Ezzelin. Der blonde Kopf | |
ist Obizo von Este, der fürwahr | |
von einem schlechten Sohn ermordet ward. | |
Da wandt' ich mich zum Dichter; und er sprach: | |
Dein erster Führer sey jetzt Dieser; Ich | |
der Zweite. Kurz darauf blieb der Centaur | |
bey andern Sündern stehn, die bis zum Hals | |
im Blutes-Strudel steckten; und er wies | |
uns einen Schatten, der ganz einsam war; 5 | |
und sprach: Der spaltete in Gottes Schoos | |
das Herz, das man verehrt an der Themse. | |
Dann sah ich Leute, die den ganzen Kopf, | |
und Andre, die die Brust auch, aus dem Bach | |
erhuben. Ihrer viele waren mir bekannt. | |
Das Blutbad wurde immer niedriger, | |
bis daß er nur die Füße deckt'. Hier war | |
des breiten Grabens Durchgang. Wie du siehst, | |
daß hier der Blutstrohm seichter wird, so nimmt | |
er auf der andern Seit' an Tiefe zu, | |
sprach der Centaur, bis er gelangt, wo sich | |
Tyrannen grämen. Da wird Attila | |
der Erde Geißel, da wird Pyrrhus, und | |
der Römer Sextus von der göttlichen | |
Gerechtigkeit gequält. Da preßt' sie stets | |
dem cornetaner Rinier, und dem, | |
der aus dem Florentinischen Geschlecht | |
der Pazzi auch so heißt, die Thränen aus, | |
die sie in diesen Straßenräubern durch | |
den Blut-Sud auflößt. Drauf wandt' er sich um | |
und kehrte durch des Grabens Furth zurück. |
Erläuterungen:
1 Der Minotauer.
2 Theseus.
3 Ariadne.
4 Empedocles lehrte, die Welt gienge zu Grund, wenn ihre Bestandtheile zu einer vollkommenen Einigkeit gelangten.
5 Graf Guido von Montfort, des Neapolitanischen Königs Karl von Anjou Statthalter in Toskana, ermordete in der Kirche zu Viterbo den Prinz Heinrich von England, des Königs Richards Sohn, den schändlichen verdienten Tod seines Vaters Simon zu rächen, welcher von Eduard, Vetter des unglücklichen Prinzen, in England öffentlich hingerichtet worden war. Das Herz des Prinzen wurde einbalsamirt nach London geschickt.