Zurueck

 

Die Hölle des Dante Alighieri.

Dritter Gesang.

  "Durch mich geht man zur trauervollen Stadt!
  Durch mich geht man zur ew'gen Qual und Pein!
  Durch mich geht man zu dem verlornen Volk!
  Gerechtigkeit war meines Schöpfers Ziel.
  Mich schuf sein unermäßne Macht. Ich bin
  der Weisheit und der ersten Liebe Werk.
  Vor mir war nichts, als was unsterblich ist,
  erschaffen, und ich daure ewiglich.
  Wer durchgeht, lege alle Hoffnung ab!"
  Das sind die Worte, die mit dunkler Schrift
  geschrieben standen über einem Thor.
            Mein Lehrer! sprach ich, dieser Sinn ist mir
  zu hart. Er aber, als ein kluger Mann,
  antwortete: Hier mußt du alle Furcht
  und Kleinmuth in dir tödten. Wir sind nah
  bey jenem Lande, wo, wie ich gesagt,
  du das betrübte Volk antreffen wirst,
  das des Verstandes Wohl verloren hat.
  Drauf faßte er mich bey der Hand, und sah
  mich freundlich an, wodurch ich Muth bekam;
  und zog der Heimlichkeiten Vorhang auf.
            Hier tönten Seufzer, und ein hohes Klaggeschrey
  durch sternenlose Luft; das mir sogleich
  die Augen übergiengen. Ein Gemisch
  von fürchterlichen Sprachen, Ach und Weh,
  des Zornes Laut, ein hell und heisch Geheul
  und Händeklatschen, machten ein Getös,
  das immerfort durch diesen Luftkreis , der
  ohn' allen Wetter-Wechsel dunkel ist,
  wie Sand im Wirbelwind sich welzt. Und ich
  deß Haupt mit Grausen war umschlossen, sprach:
  Was hör' ich da, o Lehrer! welches Volk
  wird so gefoltert? Er erwiederte:
  In diesem Elend finden sich diejenigen,
  die ohn Verdienst und Ruhm gelebt. Sie sind
  mit jenem bösen Engel-Chor vermischt,
  die weder Gott getreu verblieben, noch
  empörisch widerstrebten, und sich selbst
  mit Götzen dieneten. Der Himmel schließt
  sie aus, durch sie nicht minder schön zu seyn;
  die tief're Höll empfängt sie nicht, damit
  sie den verschuldten Seelen nicht zum Ruhm
  gereichen. Welches Drangsal, fragte ich,
  preßt ihnen wohl so laute Klagen aus?
  Sie haben, sprach er, keine Hoffnung mehr
  zum Tod. Ihr blindes Leben ist so sehr
  verächtlich, daß sie jedes andern Loos
  beneiden. Ruhm verstattet ihnen nicht
  die Welt. Erbarmung und Gerechtigkeit
  verschmäht sie. G'nug von ihnen! Schau sie an,
  und geh vorbey.
                                Indem ich dieses that,
  erblickt' ich eine Fahne, die so schnell
  im Kreise fortlief, daß sie sich der Ruh
  zu schämen schien; und ein so langer Zug
  von Menschen folgt' ihr, daß ich nie geglaubt
  des Todes Arm sey fähig, solches Heer
  von Menschen zu bezwingen. Einige
  erkannte ich; worunter sich auch fand
  der Schatten, der aus Niederträchtigkeit
  der höchsten Ehrenstelle sich begab. 1
  Dabey bemerkte ich, und war gewiß,
  dieß sey die böse Sekte, die von Gott
  und jedem Gottesfeind verabscheut wird.
  Die Unglückseligen, die nie gelebt,
  sind nacket, und von einem Wespen-Schwarm
  und dicken Fliegen immerdar geplagt.
  Sie decken ihr Gesicht mit Blute; das
  mit ausgepreßter Thränenfluth vermischt,
  von einem eckelhaften Madenheer
  vor ihren Füßen aufgefangen wird.
            Drauf schritt ich weiter fort zu sehn, und sah
  viel Volk am Ufer eines großen Strohms,
  und sprach: Mein Lehrer! sag, welch Schattenvolk
  ist dort, das sich zur Ueberfahrt so drengt,
  wie mirs der todte Schimmer zeigt? Er sprach:
  Geduld! du wirst es schon erfahren, wenn
  wir an den Rand des traur'gen Acherons
  gelanget sind. Da schämt ich mich, und schlug
  die Augen nieder; denn ich fürchtete,
  durch vieles Fragen ihm zur Last zu seyn;
  und schwieg bis an den Rand des Strohms.
  Da kam entgegen uns ein Greis zu Schiff,
  deß Haar schneeweiß vom hohen Alter war;
  und schrie: weh euch bösen Seelen! weh!
  legt alle Hoffnung ab, das Himmelreich
  zu schaun. Ich führe euch ans andre Land
  in ew'ge Finsterniß, in Feuer und Eis!
 

Und du lebend'ge Seele da! Geh weg

  von denen, die gestorben sind! Und da
  er sah, daß ich nicht von der Stelle gieng,
  sprach er: durch andern Weg, in andrer Bahn
  kannst du ans Land gelangen; hier nur nicht.
  Das Boot, worin du fährst, muß leichter seyn.
  O Charon! sprach Virgil, sey unbesorgt!
  Da oben, wo man kann, was man nur will,
  verlangt mans so; und frage weiter nicht!
            Da stillte sich das wollicht-rauhe Kinn
  des Schiffers auf dem schwarzen Sumpfe, der
  um beiden Augen Flammen-Räder hat.
  Die Schatten, die da standen nackt und matt,
  verfärbten sich bey jenem harten Spruch,
  und klapperten mit ihren Zähnen laut;
  verfluchten Gott, das menschliche Geschlecht,
  ihr' Eltern, ihrer Zeugung Saamen, Ort
  und Zeit, da sie zur Welt gekommen sind.
  Drauf zog, erschröcklich weinend insgesammt,
  der ganze Schwarm aufs böse Ufer, das
  auf alle Gottvergeßne Menschen laurt.
  Der Teufel, Charon, ruft sie mit dem Wink
  der feuer'gen Augen all' herbey, und schlägt,
  Wer später kömmt, mit seinem Ruderbaum.
            Gleichwie im Herbst das Laub sich nach und nach
  vom Baume lößt, bis er sein ganzes Kleid
  zu Boden sieht; so stürzt auch allgemach
  der böse Saame Adams auf den Wink,
  wie Vögel auf den Lockpfif, in das Boot.
  Dann gehn sie auf den schwarzen Wogen fort,
  und eh' sie jenseits angeländet sind,
  versammelt diesseits sich ein neues Heer.
            Mein Sohn! sprach hier mein Lehrer; alle, die
  der Tod in Gottes Ungenade raft,
  die kommen hier von allen Seiten her.
  Von göttlicher Gerechtigkeit gespornt,
  verwandeln sie die Furcht in Sehnsucht, und
  beweisen sich zur Ueberfahrt bereit.
  Weil nie ein guter Schatten diese Fahrt
  versucht, so weist du auch den Grund, warum
  sich Charon gegen dich unwillig zeigt.
            Er sprach noch, als das finst're Land umher
  so gräslich bebete, daß, wenn mein Geist
  daran gedenkt, der Angstschweiß aus mir bricht.
  Aus thränennasser Erde sauste Wind
  und ein feuerrother Blitz, der mir sogleich
  mein ganz Gefühl betäubte; und ich fiel
  wie Einer, den der Schlaf schnell überrascht.

Vierter Gesang

Erläuterungen:

1  Pabst Cälestinus.

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