Die Hölle des Dante Alighieri. |
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in der Übersetzung von Christian Joseph Jagemann |
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Erster Gesang. |
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Auf unsers Lebens halbem Wege fand | |
ich mich in einem düstern Wald, verirrt | |
von rechter Bahn. Zu schildern diesen Wald, | |
wie wild, wie rauh, wie fürchterlich er war, | |
das ist zu hart. Denn denk' ich nur daran, | |
so steiget mir das Haar zu Berge, und | |
der Tod kann selbst nur wenig bittrer seyn. | |
Doch um des Guten willen, das ich fand, | |
will ich erzählen, was ich sonst noch sah. | |
Ich weiß nicht mehr, wie ich hinein gerieth; | |
so tief schlief ich, da ich den Weg verlor. | |
Nachdem ich aber eines Berges Fuß | |
erreicht, die Grenze jenes finstern Tahls, | |
wo mir die bange Furcht das Herz durchdrang; | |
erhub ich mein Gesicht hinan, und sah | |
sein Haupt geschmückt mit des Planeten Strahl 1 | |
der sonst die Menschen grades Weges führt. | |
Da nahm die Furcht ein wenig ab, die mich | |
auf meines Herzens See so jämmerlich | |
die ganze Nacht hindurch bestürmete. | |
Wie Einer, der mit harter Noth dem Meer | |
entgangen, ächzend auf dem Ufer steht, | |
und die Gefahr des Wassers überschaut; | |
so wandt sich meine Seel, noch fliehend, um, | |
den Paß, durch den kein Mensch je lebend kam, | |
zu übersehn. Drauf ruht' ich aus, und schritt | |
hernach auf wüster Anhöh' fort, so daß | |
ein jeder niedre Fuß der fest're war; | |
und hatte kaum des Berges steilern Hang | |
erreicht, als mir ein schneller Leopard, | |
mit schön geflecktem Haar bedeckt, erschien, | |
der nie mir aus den Augen gieng, und gar, | |
den Schritt so sehr erschwerte, daß ich oft | |
zurückzugehn mich hatte umgewandt. | |
Der Tag brach an. Die Sonne stieg empor | |
mit jenem Sternen-Heer, das bey ihm war, | |
da Gottes Hand dieß schöne Weltall schuf. | |
Die sanfte Jahrszeit, Stunde und der Glanz | |
des bunten Thiers versprachen mir viel Glück; | |
doch wurde mir der Trost durch Furcht vergällt | |
beym Anblick eines Löwen, der auf mich | |
zu zielen schien, und seinen stolzen Hals | |
so hoch trug, und so wüthend hungrig sah, | |
daß selbst die Luft vor ihm erzitterte; | |
und einer Wölfin, deren Hagerkeit | |
bewies, daß sie, voll Habsucht aller Art, | |
schon mancher Menschen Unglück stiftete. | |
Die Furcht, die aus des Thieres Augen fuhr, | |
beschwerte mich so sehr, daß mir der Muth | |
den Berg zu übersteigen, ganz verschwand. | |
Wie ein gewinnsuchtsvoller Mensch sich grämt, | |
und härmt, wenn des Verlustes Zeit sich naht; | |
in solches Herzeleid versetzte mich | |
das friedenlose Thier, das allgemach | |
mich näher kam, bis es mich endlich gar | |
zurückstieß, wo kein Sonnenstrahl hindringt. | |
Indem ich schnell hinab ins Tiefe schoß, | |
da stand vor mir ein Mann, der, wie es schien, | |
vom langen Schweigen heiser worden war. 2 | |
Und da ich ihn in solcher Wüste sah, | |
ruft' ich: erbarme dich, wer du auch bist, | |
ein Schatten oder Mensch! | |
Ich bin kein Mensch: | |
in alten Zeiten war ich es, sprach er. | |
Mein' Eltern waren aus der Lombardey, | |
und beider Vaterstadt war Mantua. | |
Sie zeugten mich zu Cäsars zeit, obgleich | |
er zu der Herrschaft später kam; und da | |
August, der Gute, herrschte, lebte ich | |
in Rom zur Zeit des falschen Götzendiensts. | |
Als Dichter sang ich vom gerechten Sohn | |
Anchisens, der von Troja kam, nachdem | |
das stolze Ilion in Asche lag. | |
Du aber sage mir, warum zurück | |
in solches Leid? warum nicht auf dem Berg, | |
der aller Wonne Grund und Anfang ist? | |
So bist du denn Virgil, der reiche Quell, | |
woraus Beredsamkeit in vollem Strohm | |
entspringt, sagt' ich beschämt; der Dichter Ehr | |
und Licht! O rechne mir den langen Fleiß, | |
dein Buch zu forschen, zum Verdienst! du bist | |
mein Lehrer, und das Urbild meines Stils, | |
der mich mit Ruhm bekränzt. Du siehst das Thier, | |
vor dem ich flieh; errette mich davon, | |
berühmter weiser Mann! es zittern mir | |
die Adern und der Puls vor ihm. | |
Er sprach, | |
da er mich ängstlich weinen sah; du mußt | |
ein' andre Straße wählen, wenn du sonst | |
aus dieser Wüsteney dich retten willst. | |
Das Thier, weshalben du um Hülfe schrei'st, |
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Läßt keinen Menschen gehn, auf seinem Weg, | |
und quälet ihn, so lang er Odem schöpft. | |
Es ist so bös, so schädlich von Natur, | |
Daß seine Habsucht nie ersättigt wird, | |
und nach dem Mahl mehr hungert als zuvor. | |
Der Thiere, die sich zu ihr gatten, sind | |
so viel', und werden ihrer viele seyn, | |
bis zur bestimmten Zeit der Jagdhund kömmt, 3 | |
der sie mit Angst und Weh hinrichten wird. | |
Er nährt sich nicht mit Erde und Metall; 4 | |
an Liebe, Weisheit, Tugend labt er sich. | |
Und eine Stadt, die zwischen Feltro liegt | |
und Feltro, ist sein Vaterland. Er wird 5 | |
das niedrige Italien befreyen, | |
für welches Turnus und Eurialus | |
und Nisus und Camilla wundenvoll | |
gestorben sind. Er wird von Stadt zu Stadt | |
das Unthier treiben, bis er es der Höll, | |
woraus der Neid es führte, wiedergiebt. | |
Drum acht' ich es zu deiner Wohlfahrt gut, | |
daß du mir folgst. Ich werde dich von hier | |
erretten, und ins Land der Ewigkeit | |
begleiten, daß du der Verzweifelten | |
Gekreisch vernehmest, und die traur'ge Schaar | |
der alten Geister schaust, die sehnsuchtsvoll | |
den zweyten Tod zu Hülfe ruft. Du wirst | |
auch andre sehn, die sich im Feu'r erfreun | |
aus süßer Hoffnung zu den Seligen | |
zu kommen, sey es, wann es will. Und wenn | |
du dahinan auch willst, so wird dazu | |
ein' andre Seele seyn, viel würdiger, als ich; 6 | |
der überlaß ich dich, und geh' zurück. | |
Der Kaiser, der da oben herrscht, und deß | |
Gesetz ich nicht gefolgt, vergönnt mir nicht, | |
daß ich bis dahin jemands Führer sey, | |
Sein Reich erstreckt sich überall; doch hier | |
regiert er; hier sind seine Stadt und Thron. | |
O dreymal selig, wer hier Bürger ist! | |
Da sprach ich: Dichter, ich beschwöre dich | |
bey Gott, den du verkanntest, mache, daß | |
ich diesem Uebel, und was ärgers noch | |
entstehen kann, in aller Eil entflieh! | |
Und leite mich, wohin du sprachst, daß ich | |
des heil'gen Petrus Thüre seh, und die, | |
wovon du ein so traurig Bild entwirfst. | |
Nun schritt er fort und ich verfolgte ihn. |
Erläuterungen:
1 Die Sonne.
2 Er deutet entweder auf die damalige schlechte Beschaffenheit der lateinischen Sprache, oder auf die bis dahin ungelesenen Gedicht des Virgils.
3 Hier deutet der Dichter auf Cane della Scala, Herrn zu Verona, welcher ihm, da er von Florenz verwiesen war, sehr viele Wohltaten bewies. Er kam 1312 in seinem 20sten Jahr zur Regierung, war an Geist und Leibesgestalt vortrefflich gebildet, sehr großmüthig, tapfer, edel und treu in Beobachtung seines Versprechens. Er war einer der stärksten Anhänger der kaiserlichen Partey oder der Gibellinen, und begleitete den Kaiser Ludwig von Bayern, da dieser in Italien war, mit 2000 Reutern und 5000 Mann zu Fuß, die er auf seine Unkosten unterhielt. Darauf wurde er zum Oberhaupt der Gibellinen in der Lombardey erwählt, entriß den Welfen die Städte Vicenza, Padua, Cividal del Friuli, Feltro und Treviso, und starb im 38sten Jahr seines Alters. Man hatte damals ein so hohen Begrif von seiner Tapferkeit, Macht und Klugheit, daß man davor hielt, er würde sich zu einem König Italiens erhoben haben, wenn er nicht so frühzeitig gestorben wäre. Dante legt daher dem Virgil in den Mund, was Cane della Scala theils zu seinen Zeiten schon gethan hatte, theils wahrscheinlicher Weise noch gethan haben würde, die Welfische Partey (die er unter der Wölfin verstehet, und von der er aus seinem Vaterland vertrieben worden war) gänzlich zu vertilgen. Es geschiehet oft, daß Dante mehr als einen allegorischen Verstand unter seinen Worten verbirgt, um seiner satyrischen Laune oder andern Absichten, genüge zu thun.
4 Er geitzt nicht nach Geld und Gütern.
5 Verona, zwischen Feltro, 25 italienische Meilen über Treviso gegen Trient zu, und einem andern Städtgen dieses Namens in der Romagna, nicht weit von Urbino.
6 Beatrice, ehedem seine Geliebte.