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Allgemeiner Standpunct einer Uebersetzung
und Erklärung der göttlichen Komödie.

Deutschland, das, in dem Herzen von Europa liegend, fast zu allen politischen Zwistigkeiten in neuerer Zeit den Schauplatz hergegeben hat, scheint zugleich der Freihafen geworden zu sein, wo alle Völker ohne Unterschied ihre geistigen Erzeugnisse zu Markte bringen. "Weltpoesie ist Weltversöhnung!" hat der Uebersetzerfürst gewissermaßen als Ueberschrift gesetzt über den großen Garten, wo die melancholischen Palmen Indiens, die pikanten Gewürze Arabiens und die heitern Rosen Persiens mit den Gewächsen des Nordens bunt durcheinander stehn. Daran aber, daß die Weltpoesie eine wahre Weltversöhnung zu Stande zu bringe vermöchte, glauben wir nicht: "Ach Traum ist leider Alles und Gedichte." Die Versöhnung der Welt mit sich selbst kann zuerst nur von dem Buche ausgehen, das die Welt mit Gott versöhnt, von jenem Buche, das Göthe nicht ein Volksbuch, nein, das Buch der Völker und das wir das Buch der Menschen nennen möchten, weil es einem jeden Menschen, er sei vornehm oder gering, gelehrt oder ungelehrt, sein trotziges und versagtes Herz gerade so abschildert, wie es ist. Wenn es aber nach der Bibel ein Kunstwerk giebt, welches Eigenthum aller Völker zu werden verdient, so steht Dante's göttliche Komödie oben an, die, auf dem Buche der Bücher ruhend, ein Spiegel der Zeit Dante's und doch aller Zeiten, ein Abdruck des Herzens Dante's und doch aller Herzen ist, das aus dem Zeitlichen in das Ewige und aus dem Ewigen in das Zeitliche hinüber und herüber spielt und auf diese Weise Himmel und Erde mit einander verknüpft.

     Wenn es ferner ein Volk giebt, das Dante, der in seinem leiblichen Vaterlande fremdes Brot essen und fremde Treppen steigen mußte (Parad. 17, 58), den seinen im höhern Sinne des Wortes zu nennen berechtigt ist, so ist es wiederum das deutsche Volk, in (XIV) dessen Mitte der Mann Gottes aufstand, den der prophetische Dante zu schauen begehrt hatte, und durch dessen Hände die Reinigung des entweiheten Tempels zu Stande kam, in welchem der eifernde Dichter zuerst die Geißel geschwungen hatte.

      Und wenn es nun endlich einen Mann giebt, der vor allen berufen ist, den dichterisch-prophetischen Vorläufer der Reformation dem Herzen und dem Verständniß unseres Volkes durch Uebersetzung und Erklärung nahe zu bringen, so müßte es unstreitig ein solcher sein, der, abgesehen von den zu einem solchen Werke erforderlichen allgemeinen Talenten, in den Bekenntnißschriften unserer Kirche wurzelt: denn nur von dem Standpunkte der Erfüllung aus kann das Werk Dante's, das ein Werk der Weissagung ist, gehörig verstanden werden. Schade, daß ein Rückert keinen Beruf gefühlt hat, diese Weltpoesie im wahren Sinne des Wortes zum Mittelpuncte seiner poetischen Weltversöhnungsbestrebungen zu machen.

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