Von dem Paradiese.
Zwölfter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Nach geendigter Rede des heiligen Thomas fieng der Kranz von glänzenden Geistern an, sich im Kreise zu bewegen. Um denselben her erschien ein größerer Kranz von andern Seligen. Unter solchen befand sich der heilige Bonaventura: Dieser erzählt dem Dante das Leben des heiligen Dominicus. Und hierauf giebt er ihm von sich, und von den übrigen Geistern seiner Gesellschaft Nachricht.

So bald der heilige Mund des flammenden Geistes das letzte Wort seiner Rede aussprach, fieng das selige Chor an, sich in seinem Umfange zu bewegen. Ehe es sich noch ganz in demselben herumgewandt hatte, ward es von einem andern Chore in seinem Kreise eingeschlossen. Ihre Bewegungen und Gesänge vereinigte die vollkommenste Harmonie. Gesänge, welche an Reiz und Anmuth die Poesie unsrer Musen, und die Stimmen unsrer Sirenen so vorzüglich übertreffen, als der unmittelbare Glanz seine zurückglänzenden Strahlen.

So wie, wann Juno ihrer 127 Dienerinn gebietet, zween Regenbogen, der äusere von dem 85 innern erzeugt, gleich dem Wiederhalle jener ausschweifenden Nymphe, welche einst von Liebe, wie Dünste von der Sonne, verzehrt ward, so wie dieselben sich parallel und gleichfärbig ihre zarte Wolke hindurchkrümmen, sie, die dem Menschen, durch den Bund Gottes mit dem Noah, die Zukunft aufschließen, das der Erdkreis nie wieder durch eine Sündfluth verschlungen werden solle - eben so krümmten sich die beiden Kränze von jenen ewig blühenden Rosen um uns herum, und eben so gleichförmig stimmte der äusere mit dem innern überein. Dann ward ihre kunstreiche Bewegung und das zweyte große Fest ihrer Gesänge und der gegenseitigen Erleuchtungen des einen Glanzes mit dem andern zugleich und einmüthig in eine freudenvolle und liebreiche Stille verwandelt. So einmüthig schließen und öffnen sich menschliche Augen nach dem Gefallen desjenigen, der sie beweget. Hierauf ertönte aus dem einen von den neuen Lichtern eine Stimme, welche mich, gleich einer Magnetnadel, die sich nach ihrem Polarsterne hinwendet, nach dem Orte hinwandte, woher solche erschallte. Sie redete also:

Die Liebe, diese selige Ursache meiner glänzenden Schönheit, reizt mich, den 128 andern Führer zu schildern, zu dessen Ehre man den meinigen so rühmlich hier schildert. Denn es gebührt sich, daß da, wo man sich gemeinschaftlich erleuchtet, ihr Ruhm 86 eben so gemeinschaftlich glänze, wie sie einst in der streitenden Kirche kämpften. Das Heer Christi, welches mit so theuren Kosten aufs Neue bewaffnet ward, zog langsam, zweifelhaft, und in geringer Anzahl hinter der Fahne des Kreuzes einher. Allein der ewig regierende Monarch sorgte für diese zweifelhaften Streiter, nicht wegen ihrer Würdigkeit, sondern aus bloßer Gnade. Er eilte, wie bereits gesagt, seiner Braut durch zween 129 Helden zur Hülfe, auf deren Thaten, auf deren Zuruf das verirrte Volk sich wieder versammlete. In 130 jener Gegend, wo der reizende Zephyr sich erhebt, um das junge Land aufzuschließen, in dessen Grün man Europens Fluren sich kleiden sieht, nicht weit von den ozeanischen Fluthen, hinter welchen die Sonne wegen ihres 131 langen Laufes sich zuweilen allen Menschen verbirgt, dort 132 liegt das glückselige Calaroga unter dem Schutze des großen Schildes, in welchem der Löwe sich herrschend und unterwürfig zeigt. Dieß ist der Ort, in dem der zärtliche Liebhaber des christlichen Glaubens, der göttliche Held, gütig gegen seine Freunde, und von einer heiligen Strenge gegen seine Feinde, gebohren ward. Als ihn Gott erschuf, erfüllte 87 er seinen Geist mit so lebendiger Kraft, daß er schon in dem Leibe seiner Mutter durch sie 133 weissagte. Dann ward die Verlobung mit ihm und dem Glauben durch die heilige Taufe vollzogen. Hier wechselte sie Geschenke zu ihrem 134 gemeinschaftlichen Heile. Schon sah die Taufzeuginn, welche für ihn angelobte , im Träume 135 die bewundernswürdigen Früchte welche dieser Heilige und die Erben seines Geistes hervorbringen sollten. Und damit er auch einen dem Character seines Geistes gemäßen Namen führen möchte, so ward er nach dem Worte Dominus, weil er ein Werkzeug des Herrn aller Herren war, Dominicus genannt. Daher rede ich von ihm, als von einem Weingärtner, den Christus zum Besten seines Weinberges erwählte. Er zeigte es deutlich, daß er ein Gesandter und ein Vertrauter Christi war. Denn die ersten Blicke der Liebe, welche er offenbarte, giengen nach jenem vorzüglichen 136 Rathe, den Christus 88 einst ertheilte. Wie oft fand ich seine Säugamme auf der Erde wachend, und in einem Stillschweigen, das zu sagen schien: Hierzu 137 bin ich in die Welt gekommen. - O! Felix, o! du schon deinem Namen nach, und in der That glückseliger 138 Vater, o! Johanna, o ! du schon deinem Namen nach und in der That vom Herrn begnadigte Mutter eines solchen Kindes! Nicht wegen weltlicher Vorzüge, nach denen man gegenwärtig im Gefolge des 139 Ostiense und des Taddeo so ängstlich strebet, nein, blos aus Liebe zu 140 dem wahrhaften Manna, ward er in kurzer Zeit ein großer Lehrer. Also eilte er, den Weinberg zu umzäunen, der bald erblasset, wenn der Weingärtner nachläßig ist. Dann bat er den apostolischen Stuhl, der sich einst gegen wahre Armen weit gütiger bezeigte, als er gegenwärtig, nicht durch seine Schuld, sondern durch die Schuld desjenigen verfährt, der auf demselben sitzet, und so unheilig ausartet, diesen bat er, nicht um Bewilligung des dritten Theiles 141 oder der 89 Hälfte seines Vermögens, nicht um die erste die beste erledigte Pfründe, nicht um den Zehnten, welcher den Armen gehört, nein, blos um die Freyheit bat er, wider die irrende Welt mit der Kraft des 142 Saamens zu streiten, von welchem vier und zwanzig 143 Pflanzen dich hier umkränzen. Nun erhob er sich, gleich einem Gewässer, das seine erhabene Quelle hervorströmet, erfüllt mit göttlicher Lehre und heiliger Begierde, und bevollmächtiget mit dem apostolischen Amte. Da, wo der Widerstand am stärksten war, stießen die Fluthen seines Eifers desto lebhafter auf das wurzellose Gesträuch der Ketzer. Und nachher ergoß sich dieser Strom in verschiedene Bäche, welche den Garten der rechtgläubigen Kirche so heilsam wässerten, daß seine Pflanzen weit lebhafter stehen und grünen. War also das eine Rad des Wagens, auf welchem die heilige Kirche sich vertheidigte, und das Schlachtfeld wider den ketzerischen Streit christlicher Bürger behauptete, von so vorzüglichem Werthe, so muß dir die Vortrefflichkeit des andern, das der heilige Thomas, ehe ich hieher kam, so gütig schilderte, mit vollem Glanze in die Augen leuchten. Allein das 144 Gleis, welches der vornehmste 90 Theil seines Umfangs machte, ward verlassen. Daher gewinnt es da, wo es anfänglich gut aussah, ein schlimmes Ansehen. Sonst folgte die Familie seines Ordens ihm in seinen Fußtapfen gerade nach. Itzt hat sie sich so abgewandt, daß sie auf einem ganz entgegengesetzten Wege einhertritt. Und bald wird man aus der Erndte den übelbestellten Acker erkennen, wann das Unkraut sich beschweren wird, daß man ihm die Scheune versage.

Sollte indessen jemand die Glieder unser Ordens einzeln durchsuchen, so behaupte ich, daß er noch manchen finden würde, in dessen heiligem Wandel er die Worte lesen wird: Ich beobachte die alte Vorschrift. Allein solche sind weder von Casale, noch von Acquasparta. Denn von diesen Orten kommen nur die, welche die Ordensregel entweder zu allgemein, oder zu besonders erklären. Ich bin die Seele des Bonaventura von Bagnarea, und hielt in der Verwaltung meiner großen 145 Aemter die irrdischen Sorgen stets eingeschränkt. Hier befinden sich Illuminatus und Augustinus. Diese zween der vorzüglichsten unter den armen Barfüßern, welche sich durch ihren Ordensgürtel zu Freunden Gottes machten. In ihrer Gesellschaft sind Hugo von S. Victor, Petrus Comestor, und Petrus Hispanus, dessen Ruhm auf der Erde in zwölf 146 Büchern noch glänzet, der 91 Prophet Nathan, der Patriarch Chrysostomus, Anselmus, und jener Donatus, der sich bis auf die niedrigste Stufe der Wissenschaften herabließ, und eine Sprachkunst schrieb. Hier ist 147 Raban, und neben mir glänzt der calabrische Abt 148 Giovacchino, der einen prophetischen Geist besaß. Und die von Liebe entflammte Großmuth und anständige Lobrede des heiligen Thomas sind die Ursachen welche mich und diese Gesellschaft bewogen, ihm nachzuahmen, und seinen gleichgroßen Glaubensheld gegenseitig zu preisen.

Dreyzehnter Gesang

Anmerkungen:

P127 Der Iris, nach der Fabel, welche, wie jene von der Nymphe Echo, bekannt ist, welche letztere Schöne, aus Liebe zu dem schönen, aber zu stolzen und gegen sie unempfindlichen Narcissus, sich so verzehrte, daß nichts, als ihre Stimme von übrig blieb.
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P128 Den heiligen Dominicus, den der heilige Bonaventura itzt schildert.
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P129 Durch den Franciscus und Dominicus.
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P130 Im Occidente.
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P131 Wann wir die längsten Tage haben.
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P132 Das Schloß Calaroga liegt in Altcastilien, dessen Wapen in dem einen Viertel einen Löwen und unter ihm ein Schloß, in dem andern dagegen ein Schloß und unter denselben einen Löwen führet.
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P133 Ihr träumte, als brächte sie einen weiß und schwarzen Hund mit einer brennenden Fackel im Maule zur Welt, welches die Ordenskleidung und den brennenden Eifer des Dominicus vorbildete.
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P134 Der Glaube schenkte ihm die Gnade Gottes, und er dem Glauben alle seine Kräfte zur Vertheidigung desselben.
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P135 Sie sah ihn im Traume mit zween Sternen ausgeziert. Der eine glänzte auf seiner Stirne, und erleuchtete den Orient, der andre im Nacken, und erleuchtete den Occident.
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P136 Verkaufe was du hast, gieb es den Armen, und folge mir nach. Denn noch sehr jung soll er in einer Theurung seine Bücher und was er im Vermögen hatte, verkauft, und das Geld unter die Armen ausgetheilt haben.
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P137 Zur Demuth und zum Gebethe.
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P138 Felix und Johanna hießen seine Eltern, deren Namen also erklärt und ausgelegt werden.
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P139 Des Ostiensis, eines berühmten Rechtsgelehrten, und des Taddeus, eines berühmten Arzneygelehrten.
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P140 Zu der evangelischen Gottesgelahrheit.
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P141 Wie oft geschah, das derjenige, welcher sein Vermögen unrechtmäßig erworben hatte oder besaß, den dritten Theil oder die Hälfte desselben zu heiligem Gebrauche darbot.
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P142 Des Glaubens.
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P143 Die beiden Kränze der Seligen.
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P144 Die Ordensregel des heiligen Franciscus, welche die mehresten Ordensglieder so exemplarisch befolgten, wird itzt vernachlässiget.
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P145 Er war Ordensgeneral, Cardinal und Bischoff. Bagnarea ist eine kleine Stadt, und liegt zwischen Orvieto und Viterbo.
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P146 Von der Dialectik.
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P147 Er war erst Abt zu Fulda, und nachher Erzbischoff zu Maynz.
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P148 Des Klosters Florense.
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