Von der Hölle.
Vier und dreyßigster Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Endlich gehen die Dichter in den Judaischen, oder in den vierten und letzten Bezirk des neunten und letzten Kreises der Hölle hinunter, in welchem die verruchten Seelen gestraft werden, die ihre Wohlthäter auf eine verrätherische Art hintergangen haben. In der Mitten dieses tiefsten Abgrundes befindet sich Lucifer. Von hier brechen sie, gegen die Abendstunde, zur Abreise aus der Hölle auf, begeben sich über den Mittelpunkt der Erde fort, und steigen dann durch eine Höle nach der andern Halbkugel heraus, wo sie endlich den gestirnten Himmel wieder erblicken.

Nun kommen, uns gegenüber, die höllischen Flaggen zum Vorschein. Richte also dein Gesicht vor dich hin, und siehe, ob du ihn, den König der Hölle, mit deinen Augen entdecken kannst. So sprach mein Lehrer zu mir. Allein, so wie, wann ein starker Nebel fällt, oder wann auf unsrer Halbkugel die Nacht herein bricht, von weitem ein Mühlwerk sich zeiget, das der Wind herum treibet - eben ein solches Gebäude glaubten meine Augen hier zu erblicken. Hierauf mußte ich mich wegen des Windes, vor Frost, ganz hinter meinem Führer zusammen schmiegen, weil irgend eine andre Zufluchtshöle, als hinter ihm, da nirgends zu finden war.

259 Schon war ich nunmehr da angelanget, wo alle Schatten - ich zittre vor Furcht, indem ich diesen Anblick beschreibe - ganz im Eise verschlossen waren, und wie ein Halm im Glase durchschienen. Ein Theil davon lag auf dem Boden, ein andrer stand aufgerichtet. Hier standen einige auf den Köpfen, dort andre auf den Füßen, und noch andre waren, wie ein Bogen, mit ihrem Gesichte bis zu den Füßen hinabgebeugt.

So bald wir endlich bis dahin fortgegangen waren, wo es meinem Lehrer gefiel, mir die Creatur zu zeigen, die ursprünglich mit so schönglänzendem Ansehen prangte, nahm er mich hinter sich hervor, ließ mich vor sich hin treten, und sagte darauf zu mir: Hier siehst du nun den Monarchen der Hölle, und hier ist der Ort, wo du dich itzt mit Muth und Tapferkeit waffnen mußt. Wie ich nunmehr vor Kälte erstarrte, und wie sprachlos ich bey diesem Anblicke wurde, o! verlange es nicht, mein Leser, daß ich dir diese Lage meiner Empfindungen beschreiben soll, weil doch alle Ausdrücke und Reden viel zu wenig sagen würden. Ich starb nicht, und blieb nicht lebendig. Nun sammle den Kern deines Verstandes und Witzes, und denke dir selbst den Zustand, in den ich, bey so einer Beraubung des Lebens und des Todes, unumgänglich gerathen mußte.

Bis an die Mitte der Brust stand der höllische Beherrscher dieses traurigen Reichs aus dem Eissee heraus. Und ich getraue mich, in Ansehung der Größe, mich allezeit eher mit einem Riesen zu vergleichen, als die ungeheuren Riesen, nur mit seinen Armen sich 260 vergleichen können. Urtheile nun, wie groß der, seiner ganzen Länge nach, seyn müsse, dessen einem Theile eine so ungeheure Riesengröße nicht einmal beykömmt. Und war dieser Engel ursprünglich so schön, als häßlich er nun ist, und erhob er seine stolze Augen so rebellisch wider seinen allmächtigen Schöpfer; so muß wohl von ihm alles Weh der ganzen Welt herkommen.

O! was für ein großes Wunder schien es nicht für meine Augen, als sie drey Gesichter an seinem Kopfe sahen! Das vordere Gesicht war feuerroth, und die andern beyden Seitengesichter, die diesem mitten über jeder Achsel angefugt waren, und bis oben an den Kamm hinauf reichten, sahen, das zur Rechten bleichgelb, und das zur Linken wie jene Gesichter aus, die von der Gegend herkommen, wo der Nil in Egyptens Tiefen hinabfließet. Unter einem jeden giengen zween große Flügel hervor, so wie sie für einen so ungeheuren Cherub sie schickten, und so groß ich noch nie Schiffssegel auf dem Meere gesehen habe. Sie hatten keine gewöhnlichen Federn, sondern waren von der Art, wie das Gefieder der Fledermäuse. Und mit solchen flatterte er blos, doch so, daß dadurch drey Winde ursprünglich von ihm, dem Lucifer, sich erhoben, von denen der ganze Cocyt überfelsenhart zufror. Aus sechs Augen weinte er, und sein dreyfaches Kinn triefte von abscheulichen Thränen und blutigem Geifer. Ein jeder Rachen zermalmte mit seinen Hauern, wie mit einer Hanfbreche, einen Sünder, daß also drey Verdammte zugleich von ihm so schmerzlich zugerichtet wurden. Das schreckliche Zubeissen des vordern Rachens auf 261 den ersten Sünder schien wie nichts gegen die Grausamkeit mit der die Zähne über ihn herstreiften, so, daß zuweilen der ganze Rücken völlig enthäutet blieb. Dieser elende Schatten, sagte hier mein Lehrer, der mit dem Kopfe in dem Rachen steckt, und mit den Beinen außer demselben einen solchen Jammer treibt, und eine so vorzügliche Strafe leidet, ist Judas Ischarioth. Von den andern beiden, die mit den Köpfen unterwärts hängen, ist der, welcher aus der schwarzen Schnauze herabhängt, Brutus 152. Siehe nur, wie er sich nun zerdrehet, und nicht den mindesten Laut von sich giebt. Und der dritte, der so stark von Gliedern scheint, ist Caßius. Allein wie ich sehe, so steigt die Nacht schon wieder herauf, und der Zeitpunkt unsrer unverzüglichen Abreise aus der Hölle ist nun endlich erschienen. Denn nunmehr haben wir alles gesehen.

So schlung ich dann meinem Führer und Lehrer, nach seinem gütigen Verlangen, meine Arme um den Hals. Hierauf nahm er die rechte Zeit und den gehörigen Ort sehr wohl in Acht. Denn so bald er die Flügel Lucifers weit gnug ausgebreitet sah, hieng er sich mit einem Male an seinen zotigten Seitengefieder an, und stieg hernach zwischen dem dicken Haar und den gefrornen Hautrinden von einem rauchen Ort zum andern an ihm so herunter. Als wir endlich dahin waren, wo die Oberschenkel gerade in das dicke Fleisch 262 herumgehen, da wandte mein Führer mühsam und ängstlich den Kopf nach der Stelle herum, wo er die Beine hatte, und hielt sich an dem Haar fest an, wie ein Mensch, der in die Höhe steigt, so, daß ich wieder in die Hölle zurück zu kehren glaubte. Halt dich nun wohl an, so sagte hier, unter schwerem Athemholen, gleich einem ermatteten Menschen, mein Lehrer zu mir, denn auf so gestalteten Stufen muß man von so großen Uebeln sich endlich entfernen. Hierauf fuhr er zuletzt durch eine Steinhöle heraus, und setzte mich daselbst auf den äußersten Rand nieder, zeigte mir auch hernach den, nicht ohne kluge Vorsicht, gewagten Schritt umständlich.

Nun schlug ich meine Augen auf, und bildete mir ein, den Lucifer noch so zu sehen, wie ich ihn verlassen zu haben glaubte, sah aber, daß er vielmehr ganz umgekehrt mit den Beinen in die Höhe stand. Und ob dieses mir eine unruhige Verwunderung verursachte, solches mag das Nachdenken ungelehrter Personen entscheiden, welche die Natur des centralischen Punkts nicht kennen, über welchen gerade hinüber ich herausgefahren war. So erhebe dich denn, sagte darauf mein Lehrer, und tritt nun wieder auf deine Füße. Denn wir haben noch eine lange Reise und einen sehr bösen Weg vor uns, und die Sonne kömmt auch schon wieder dort oben auf diese Halbkugel zurück. Es waren auch wirklich da, wo wir uns befanden, kein erleuchtete Gallerien, wie in Schlössern oder Pallästen, sondern eine blos natürliche Wildniß von einem ganz unwegsamen Boden war diese lichtbedürftige Gegend.

263 Allein, mein Lehrer, sagte ich, als ich schon aufgerichtet stand, zu ihm, ehe ich hier von dem Abgrunde der Hölle mich gänzlich entfernen muß, so gieb mir nur noch einige Erläuterung auf wenige Fragen, um mir aus einiger Ungewißheit herauszuhelfen. Wo ist das Eis? - Warum steht Lucifer so ganz umgekehrt? - Und wie hat die Sonne ihren Lauf vom Abend bis zum Morgen in so weniger Zeit vollbracht?

Vermuthlich glaubst du, antwortete er mir, noch jenseit des Mittelpunkts zu seyn, da, wo ich mich an dem zotigten Haar des ungeheuren Höllenwurms anhieng, der die Welt so durchhöhlet. Du warest so lange noch jenseits, so lange ich hinabstieg. Als ich mich aber umwandte, giengst du über den Punkt hinüber, nach welchem sich alle Schwere von allen Seiten hinabsenkt. Also befindest du dich nunmehr unter dem halben Himmelskreise, der demjenigen gerade entgegen steht, welcher ebenfalls, gleich einer schwebenden Decke, sich über jene große Sandwüste 153 herum ausbreitet, 264 unter deren gewölbter Höhe der Mensch, welcher ohne Sünde gebohren ward, und ohne Sünde lebte, umgebracht 265 wurde. Und du stehst itzt mit deinen Füßen auf dem kleinen Oberkreise, dessen untere jenseitige Gegenfläche die Oberfläche des Judaischen 154 Bezirks ausmacht. 266 Und eben hier oben ist es Morgen, wenn es jenseits dort unten Abend ist. Endlich befindet sich derjenige, dessen Haare uns statt der Stufen dienten, noch unverändert in eben der Stellung, so wie wir ihn zuvor gesehen haben. Allein hier auf dieser Seite fiel er einst vom Himmel also gestaltet herunter. Und die Erde, die sich anfänglich hier herum überall ausbreitete, bedeckte sich, aus Furcht vor ihm, mit dem Meere, wie mit einem Schleyer, und flüchtete gerade nach unsrer Halbkugel hin. Und, allem Vermuthen nach, ließ sie auch damals, auf der ängstlichen Flucht vor ihm, hier 267 diese Höle zurück, und erhob sich jenseits in jene auf unsrer Oberwelt sichtbare Berghöhe 155 heraus.

Ganz unten in dieser Höle befand sich endlich ein Ort, der so weit vom Beelzebub entfernt ist, so weit sich das ganze lange düstre Grab erstreckt, und der sich nicht dem Gesichte, sondern blos dem Gehöre, durch das rauschende Getöse eines kleinen Flusses, zu erkennen giebt, welcher hier durch die Oeffnung eines Felsensteins herabfließet, den er mit seinem herumschlängelnden und wenig abschößigem Laufe ganz durchhölet hat. Diesen verborgenen Weg giengen mein Lehrer und ich immer fort, um durch denselben in die heitre Welt zurück zu kehren. Und ohne an die geringste Erholung zu denken, stiegen wir, mein Lehrer voran und ich ihm nach, so lange aufwärts, bis meine Augen einen Theil der schönen Sachen, mit denen der Himmel pranget, plötzlich durch eine runde Oeffnung erblickten, durch welche wir endlich auf jene Oberwelt heraustraten, wo der freye Anblick ihrer gestirnten Höhe uns wieder entzückte 156.

Anmerkungen:

H152 Brutus und Caßius waren jene Römer, die den Julius Cäsar, ungeachtet seiner Gnade, auf eine verrätherische, mörderische und grausame Art umbrachten.
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H153 Diese große Sandwüste ist das Land der bosheitsvollen Juden, wo der Heiland der Welt gekreuziget wurde.
Christus ward, kraft der ewigen Liebe Gottes zu den Menschen, zur bestimmten Zeit ohne Sünde gebohren, und trat hernach, zu ihrem wahren Wohl, unter ihnen auf. Seine Lehre von Gott, der Welt und der Ewigkeit ist so natürlich, als vernünftig. Er selbst erfüllete ihre Pflichten durch ein vernünftig gottesdienstliches, vollkommen tugendhaftes und wohlthätiges Leben. Diese heilige Leben, um dessen willen selbst heidnische Kaiser ihn als einen Gott verehret und angebetet haben, und diese göttliche Lehre, deren Wahrheit er noch mit Wundern bestätigte, waren schon unstreitige Beweise, das er der große Gesandte des unerschaffenen Jehovah sey. Allein um hiervon die Menschen aufs vollständigste zu überzeugen, und eine höchstverkehrt denkende und lebende Welt zur Annehmung und Ausübung seiner Lehre zu bringen, so gab er ihnen noch die Versicherung, daß seine gottliche Sendung und Lehre so gewiß wären, als alle die Erfolge, die er ihnen vorherverkündigte, sich wirklich und gehörig zeigen würden, welche auch, einer nach dem andern, so zum Vorschein kamen. Ja, er sah die Nothwendigkeit seiner schmähligen Leiden und Todesmartern, als eine unausbleibliche Folge der herrschenden Vorurtheile und Laster voraus, von denen sich die erhabenen priesterlichen und obrigkeitlichen Ungeheuer seiner Feinde wider seinen ganzen heiligen Charakter dahin reissen ließen. Dennoch entfloh er, der heiligste und unschuldigste Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, seinem Blutgerichte nicht. Standhaft, und unter den erhabensten Aussichten nach Gottes Liebe und dem Heile der Welt, erwartete er es vielmehr, und starb, aus feurigster und großmüthigster Menschenliebe, und in den zuverläßigsten, herrlichsten und unendlich seligen Hoffnungen, freywillig, um, nach der unveränderlichen Absicht des mit wunderbarer Weisheit regierenden Gottes, Menschen glücklich zu machen, welche der Allmächtige, als ihr gütigster Schöpfer, zu ihrem Glücke hervorgebracht hat. Erkühnen sich also noch Menschen, ihren göttlichen Erlöser so gar zu schmähen, so verhindert sie blos ihr ausschweifendes und böses Herz, als christliche Menschen zu denken, zu leben und zu sterben.

Und nur sinnliche, unruhige und Gottes Gericht befürchtende Spötter zweifeln an dem Daseyn ihrer Seele, deren Unsterblichkeit Christus gelehret und außer allem Zweifel gesetzt hat.

Der Schwarm der Spötter leugnet sie;
Du lehrst die Welt, daß sie dir fehle,
Und stirbst und fühlst sie, la Mettrie!
  Cramer

Zweifelst du aber, verwegenes Geschöpf, gar an dem Daseyn eines höchsten Wesens, in dessen Namen Christus erschien:

So höre Gott im Donner schelten;
Er spricht aus seinem Bau der Welten;
Der Ewige spricht laut: Ich bin!
- - - - -
Laßt dann die Spötter sich erfrechen,
Gott und dem Sohne Hohn zu sprechen;
Bald bricht ihr Todestag herein:
Dann wird Gericht, Gericht wird seyn!
  Cramer.

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H154 Der Judaische Bezirk führt diese Benennung von dem großten Sünder des ganzen Erdkreises, vom Judas Ischarioth, diesem lieblosesten Verräther seines liebreichsten Herrn und Wohlthäters. Der Ptolomäische Bezirk vom Ptolomäus, der den Hohenpriester und Fürsten der Juden, seinen Schwiegervater und vertrauten Freund, den Simon, und dessen beide Prinzen und ganzes Gefolge verrätherisch umbrachte, wovon das letzte Kap. des ersten B. der Maccabäer umständliche Nachricht ertheilet. Der Antenorische Bezirk von dem Trojanischen Prinzen, Antenor, der sein Vaterland verrathen haben soll. Und der Cainische Bezirk vom Cain, der als der erste Brudermörder bekannt ist.
Diese alles Feuers der Liebe beraubten und gegen alle Menschlichkeit eiskalten Verräther verdienen, mit allem Rechte, in einem ewigen Eise gemartert und gestraft zu werden. Und ein Verräther gesalbter Häupter, dieser Götter der Erden, o! einen solchen größten Sünder der Welt müsse auch nur der größte Sünder des Himmels, selbst Lucifer müsse ein solches Ungeheur bestrafen!

Ein Fürstenmörder ists, den ihre Rächer suchen,
Und ein Rebell vor Gott, dem alle Himmel fluchen.
  Gellert.

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H155 Diese Höhe ist der Berg Zion, welcher in gerader Linie dieser leeren Höle entgegen stehen soll, deren Erde, nach der witzigen Beschreibung der Dante, er anfänglich war, die aber vor Schrecken über den durchdringenden Fall Lucifers, der sie dort unmittelbar traf, in sich zurück schoß, und, in einer solchen bergigten Gestalt, auf die Oberfläche unsrer Halbkugel heraustrat.
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H156 So ruft dann Italiens großer Dichter, in diesem lehrreichen Gedichte von der unseligen Ewigkeit, der ganzen Welt die großten Wahrheiten und Pflichten, edeldenkend und tugendhaft ruft er ihr zu:

O Menschen, fliehet das Laster, es hat die traurigsten Folgen! Der Zustand eines Lasterhaften ist schon hier seine Hölle! Ueberwindet euch dann mit eurem ganzen Geiste! Nehmet Vernunft, Religion und Erfahrung zu euren Führern und Lehrern! Schränket damit eure sinnlichen Begierden gehörig ein! Und so durchreiset die düstern Grüfte der Unwissenheit, des Irrthums, des Aberglaubens, der Bosheit und aller menschlichen Unordnungen, und machet von ihren höchstunglücklichen Folgen, zu eurer höchsten Glückseligkeit, zu eurem Himmel, einen vernünftigen Gebrauch! Dienet eurem Schöpfer, seyd menschlich, und führet ein tugendhaftes Leben! Dieß, dieß mache euer wahres Glück, eure wahre Ehre, und euch zu nützlichen und würdigen Zierden der Menschheit.

Und eben so ruft auch Deutschlands großer Dichter, als ein vorzüglicher Beförderer des wahren Glücks der Menschen, der Welt noch itzt edeldenkend und tugendhaft zu:

Kein Mensch ist edel und frey, der den Begierden gehorchet,
Noch groß, wofern er dem Schöpfer nicht dient;
Er sey das Wunder der Welt, er sey der König der Helden,
Stets ist er ohne die Tugend ein Knecht.
  Gellert.

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