Von der Hölle.
Zwey und dreyßigster Gesang.
Inhalt. |
Der Dichter beschreibet den neunten und letzten Kreis der Hölle, und den daselbst gefrornen Thränensee Cocytus, in dessen Eislachen die Verräther, und zwar auf vier abgetheilten Bezirken, sich befinden. In dem ersten Bezirke, Caina genannt, findet er die Bösewichter, die ihre Eltern und Blutsverwandten verrathen haben. Von da gehet er in den andern Bezirk, der Antenora heißt, wo er die Verräther des Vaterlandes eingefroren sieht. O! hätte ich nun recht herbe und rauhe Worte, so wie sie für die traurige Tiefe sich schicken, über welcher alle die vorigen Felsenschlünde aufgebrückt sind, so wollte ich aus meinen Begriffen und Empfindungen die Kraft weit vollkommener heraus zu pressen suchen. Allein da mir solche fehlen, ist es wohl möglich, daß ich ohne Furcht eine Schilderung wage? Denn dem ganzen Erdkreise seinen tiefsten Abgrund zu beschreiben, das ist gewiß kein Unternehmen, an das man, als zu einem Scherz und Spiele, gehen kann: Eben so wenig ist es das Werk einer Sprache, die dazu nur lallende Ausdrücke herzugeben vermag. O ihr Musen, die ihr dem Amphion 140 dort bey Aufführung der Mauern von Theben so hülfreich zu 238 statten kamet, o! kommet dann auch meinen Reden gegenwärtig durch eure Hülfe zu statten, damit alle Ausdrücke ihren Gegenständen vollkommen angemessen seyn mögen! So bald wir in dem dunkeln Brunnen, und, unter den Füßen des Riesen, in einer von ihnen ziemlich entfernten Tiefe, hinunter waren, wo ich so im Gehen noch die hohe Mauer hinauf sah, hörte ich plötzlich eine Stimme, die auf mich zu rief: O! gieb auf deinen Gang Acht, und gehe so, daß du unsern hier so elenden und geplagten Mitbrüdern mit deinen Füßen nicht auf ihre Köpfe tretest. Hierauf wandte ich mich so fort um und sah vor mir und unter meinen Füßen einen See, der von Eise, nicht wie Wasser, sondern wie Glas aussah. Kein Winter kann jemals weder die strömende Donau in Oesterreich, noch dort unter jenem kalten mitternächtlichen 239 Himmel den Donfluß 141 mit einem so starken Eisschleyer überzogen haben, als derjenige ist, mit welchem dieser Thränensee hier überzogen, und welcher von einer solchen Stärke war, daß, wenn gleich Tabernick und Pietrapana auf ihn herab gestürzt wären, der Fall dieser ungeheuren Berge, auch nicht einmal an dem äußersten Rande, den mindesten Laut eines Bruchs verursacht haben würde. Und so wie die Frösche, bey ihrem Geschrey, mit den Schnauzen zu der Zeit aus dem Wasser hervorragen, wann die Bäuerinn oft von Aehrenlesen träumet - eben so ragten die in diesem Eise jammernden schwarzgelben Schatten aus demselben, bis dahin, wo bey dem Menschen die Schaamröthe aufsteiget, hervor, und klapperten, nach Art der Störche, mit den Zähnen. Ein jeder hielt das Gesicht niederwärts. Aus dem Munde drang der Frost, und aus den Augen die Marter des Herzens, durch die traurigsten Beweise, hervor. 247 O du, rief ich hier, der du durch ein so bestialisches Verfahren einen gräßlichen Haß wider den verräthst, den du so grausam zerfrißt, o! sage mir, warum du so wütest. Und ist deine Klage über in gerecht, und weiß ich nur erst sein Verbrechen, und wer ihr seyd, so verspreche ich dir, daß ich auf der obern Welt deinen Ruf dafür noch ändern will, wovon mich nichts, als der Tod des Werkzeugs, durch welches ich rede, abhalten soll. Anmerkungen: H140 Die alten Poeten dichten, Amphion habe so kunstreich und anmuthig auf seiner Harfe spielen können, daß er dadurch die Mauern von Theben erbauet habe, deren Steine nämlich durch den angenehmen Klang sich versammlet, in gehörige Ordnung zusammengesetzt und zu Stadtmauern sich aufgeführet hätten. Die Wahrheit in dieser poetischen Erzählung ist diese: Amphion hat, durch seine einnehmende Wohlredenheit und Beredtsamkeit, die hin und wieder, wie Steine, zerstreueten Menschen in eine Stadt und ordentliche Bürgerschaft zusammengebracht. H141 Der Donfluß ist der Tanais, der Rußland durchströmet. Und Tabernick und Pietrapana sind zween hohe Berge, jener in Sclavonien, und dieser in Toscana. H142 Diese beiden Brüder hintergiengen einer den andern so verrätherisch, daß sie sich am Ende schrecklich umbrachten. H143 Dieser Arthur war König von Engelland, dessen Prinz ihm verrätherisch nach dem Leben trachtete, und einst an einem verborgenen Orte auf ihn lauerte, daselbst ihn zu ermorden. Allein der Vater, hiervon benachrichtiget, kam ihm zuvor, und durchbohrte ihm mit einer Lanze seine verrätherische Brust, daß er seinen lieblosen Geist unverzüglich aufgeben mußte. Focaccia war aus dem adelichen Geschlechte der Cancellieri zu Pistoia, und ein Sohn von einem der drey Brüder, die im Jahr 1300. als Vornehme von Adel daselbst lebten, und die alle drey Familie hatten. Einst spielten die jungen Focaccia und andere fremde junge von Adel mit einander, wo der Vater des gedachten Focaccia einem seiner Neffen mit der Hand einen Schlag gab, weil er einem andern Kinde im Spiele zu viel gethan hatte. Der Bestrafte fand sich äuserst beleidiget, verbarg jedoch seine Rachbegierde unter einem sehr freundlichen Bezeigen, bis er eine Gelegenheit fand und seinem vermeynten Beleidiger winkte, als wolle er ihm etwas ins Ohr sagen, ihm aber im Herabneigen eine derbe Ohrfeige gab. Der Vater dieses jungen Bösewichts betrübte sich äuserst hierüber und schickte seinem Bruder dieses Kind im Haus, es dafür selbst nach Belieben abzustrafen, der es aber als ein Kind betrachtete, statt der Bestrafung küßte und so wieder zurückschickte. Allein oben gedachter junge Focaccia ward über die seinem Vater zugefügte Beleidigung äuserst aufgebracht, hieb seinem junge Vetter die Hand ab, und gieng in seiner Rache so weit, daß er auch zu dessen Vater, als seinem Oheime, hineilte, und diesen hinterlistiger Weise gar ermordete. Und diese Umstände sind die ursprünglichen Ursachen, woraus die beiden weltbekannten Parteyen der Weißen und Schwarzen kurz darauf entstanden, die in Toscana so viel Aufruhr, Blutvergießen, Einäscherungen und Verjagungen verursacht haben. H144 Bocca war aus der Familie der Abbati und ein Florentiner, und befand sich mit bey Monte Aperto, wo die Florentinischen Welfen von den Gibellinen, unter dem listigen Anerbieten, ihnen Siena in die Hände zu spielen, hingelockt, hier aber, wider Vermuthen, von den Sanesern angegriffen wurden, und von den Gibellinen eine gänzliche Niederlage erlitten. Bocca handelte überhaupt, und in dieser Schlacht vorzüglich, verrätherisch an seinem Vaterlande. Denn als die Florentiner die wie Löwen fochten, sich immer noch auf tapferste hielten, näherte sich dieser treulose und meineidige Bösewicht einem von Adel, der die Standarde führte, und hieb im hinterlistiger Weise die Hand ab, das jene mit dieser zur Erde fiel, welches eine gewaltige Unordnung verursachte, zumal, da gleich anfänglich viele Florentiner zu den Gibellinen bereits übergegangen waren. Der von Duera war Bosio und ein Gibelline, welcher sich anfänglich dem Einmarsche der Französischen Armee Carls des Ersten, in Neapel wider Manfreden, äuserst entgegen setzte, hernach aber sich mit Gelde bestechen ließ, und, als ein Verräther seines Vaterlandes, es dahin vermittelte, daß die Franzosen ihren Zweck erreichten. Der von Becchiera war ein Abt, und machte in Florenz landesverrätherische Anstalten , den Florentinischen Staat den Welfen zu entreissen, und ihn den Gibellinen in die Hände zu spielen, worüber ihm die Wut des Volks den weltlichen Kopf von seinem geistlichen Leibe auf öffentlicher Straße herunterriß. Johann Soldanieri war ein Gibelline und aus einer alten adelichen Gibellinischen Familie. Als einst die Gibellinen mit gewaffneter Hand die höchsten Richter von Florenz, die Welfen waren, absetzen wollten, so warf er sich zum Oberhaupt des Volks auf, und hintergieng seine eigene Partey so verrätherisch, daß er selbst sie nicht allein schlug, sondern auch aus Florenz verjagte, um nur dadurch in der Geschwindigkeit sich einen großen Namen zu erwerben. H145 Tydeus war im Thebanischen Kriege ein Held von der Armee des Polynices, und der Thebanische Held Menalippus befand sich unter der Armee des Eteocles, von denen einst, in einer schrecklichen Schlacht, jener Held diesem den Tod, und dieser jenem eine tödtliche Wunde zukämpfte. So bald diese Wunde dem Gefühle des Tydeus seinen unvermeidlichen Tod anmeldete, ließ er sich das todte Haupt des Menalippus vor seinem Ende noch reichen, welches er vor Unmuth und Rache grausam mishandelte, und mit seinen wütenden Zähnen, bis er darüber starb, gräßlich zernagte. |