Von der Hölle.
Fünf und zwanzigster Gesang.


Übersicht

Inhalt.

Der Dichter erzählt, wie der verdammte Fucci auf eine schreckliche Art Gott schändete, und hernach davon floh. Ferner sieht er den Cacus in Gestalt eines Centaurs, der hinter sich eine ganze Last Schlangen, und auf den Achseln einen grausamen Drachen aufsitzen hatte. Endlich beschreibt er die seltsamen Verwandlungen, die mit einigen von den Staatsräubern daselbst vorgiengen.

Kaum hatte der Straßenräuber seine Rede geendiget, als er seine verfluchten Hände mit beiden zwischen den zween ersten Fingern schandbar herausgesteckten Daumen verächtlich gegen den Himmel aufhob und schrie: So, du Gott, siehe, so biete ich dir Trotz! - Deine Schlangen sind mir bisher recht lieb gewesen! - Hier fuhr ihm plötzlich eine um den Hals, als wenn sie ihm sagen wollte: Ich verbiete dir weiter zu reden. Und eine andre schlung sich ihm um die Arme, band ihm selbige von neuem, und verniedete sie vorne an den Händen so stark mit sich selbst, daß er nicht im Stande war, sie von sich zu schleudern.

Ach! Pistoja, Pistoja, o! warum veranstaltest du nicht, dich zu einem Aschenhaufen zu verbrennen, damit dein Daseyn gänzlich aufhöre, darum, daß du es deinen Vorfahren in Uebelthaten noch zuvor thust!

In allen den düstern Kreisen der ganzen Hölle fand ich überall keinen einzigen Geist, der sich so vermessen wider Gott empöret hätte. Nicht einmal der that es, 176 der in Theben 098 von den Mauern herunter stürzte. Und so verstockt, ohne weiter ein Wort zu reden, floh er davon.

Da sah ich einen Centauer voll Wut dahergeschossen kommen, welcher schrie: Wo ist, wo ist der harte Bösewicht? - Mehr Schlangen kann Maremma 099 auf seinem fruchtbaren Boden nicht haben, als dieser hinter sich bis da oben hinauf hatte, wo unsre Lippen sich anfangen. Und auf den Achseln hinten im Genicke lag ihm ein Drache mit ausgebreiteten Flügeln, der auf alle, die ihm begegneten, Feuer ausspie. Das ist Cacus, sagte mein Lehrer, der unter der Steinhöle des Aventinischen Berges zum öftern ganze Lachen unschuldiges Menschenblut vergoß. Er geht nicht mit seinen Mitbrüdern einen Weg, weil er einst den betrügerischen Diebstahl an der großen Viehheerde begieng, die sich damals in seiner Nachbarschaft befand, und weswegen seine betrügerischen Thaten unter der Keule des Herkules ein schreckliches Ende nahmen, der ihm wohl hundert Schläge damit gab, wovon er jedoch kaum zehne fühlte.

Indem er so redete, und jener vorbey jagte, kamen drey Geister unter uns hervor, die weder mein Führer, noch ich eher gewahr wurde, als da sie schrien: Wer seyd ihr? - Daher hielt unsre Erzählung inne, und wir waren hernach nur auf diese aufmerksam. Ich kannte sie nicht. Allein es fügte sich, so wie das oft zufälliger Weise zu geschehen pflegt, daß der eine dem andern 177 jemanden nennen mußte, und sagte: Wo mag Ciansa geblieben seyn? - Darum legte ich geschwind den Finger an das Kinn und aufwärts an die Nase hinauf, um dadurch meinen Führer still und aufmerksam zu machen.

Kein Wunder ist es, wenn du, mein Leser, anstehst, das zu glauben, was ich dir nunmehr sagen werde, da ich selbst, der ich es gesehen, mich doch kaum davon überzeugen kann.

So bald ich meine Augen auf sie hingerichtet hielt, so schoß ein sechsfüßige Schlange vor dem einen an ihn hinauf, die ihn ganz und gar umwickelte. Mit ihren mittlern Füßen umschlung sie ihm den Bauch und mit den Vorderfüßen ergriff sie seine Arme. Alsdenn biß sie ihm in beide Backen. Die Hinterfüße streckte sie an den Hüften von sich, und ihren Schwanz zwischen beiden hindurch, und hielt ihn hinten bei den Nieren in die Höhe. So innigst kann Epheu einen Baum nicht umschlingen, als dieses schreckliche Thier durch des andern Glieder die ihrigen herumschlung. Hernach klebten sie sich so fest an einander, als wenn sie von warmen Wachse gewesen wären, und vermischten ihre Farben, so genau mit einander, daß schon keines mehr dasjenige zu seyn schien, was ein jedes eigentlich war. So sieht man auf einem Papiere, ehe es in Brand geräth, die sterbende Weisse desselben sich in das dunkelste Braun verwandeln. Ein jeder von den beiden andern sah alles mit an, und schrie: O! Angolo, o! wie verwandelst du dich! - Siehe nur, schon bist du nicht zwey, auch nicht eins mehr! - Denn die beiden Köpfe waren schon da wie ein Kopf geworden, als zwo vermischte Gestalten in einem Gesichte erschienen, in welchem sich 178 zween Köpfe verloren hatten. Die beiden Arme wurden zu vier herumgehenden Banden. Die Schenkel mit den Beinen, der Bauch und die Brust wurden Glieder, die in der Welt noch je kein Mensch so gesehen hat. Ihr ganzes erstes Ansehn war nun völlig verschwunden. Das verwandelte Gesicht schien ein doppeltes Gesicht und auch kein Gesicht zu seyn; und so gieng diese Gestalt mit langsamen Schritten fort.


So wie unter der heissen Ruthe der Hundstage die grüne Eidex da, wann sie aus ihrer Zaunhöle über die Wege springt, wie ein Blitz scheinet - eben so schien eine kleine feurige und, gleich Pfefferkörnern, schwarzgelbliche Schlange, die den andern beiden Schatten gegen die Bäuche zufuhr, und dem einen von ihnen den Theil durchstach aus welchem der Mensch zuerst seine Nahrung herzieht, worauf der Verdammte vor ihr ausgestreckt zur Erden niederfiel. Der, welcher durchstochen ward, beschauete sie aufmerksam, sagte aber kein lautes Wort, verzog vielmehr die Füße und gähnte, als wenn ihn ein Schlaf oder ein Fieber überfallen hätte. Er sah die Schlange, und sie sah ihn an. Jener schnaubte aus der Wunde, und diese aus ihrem Maule einen starken Rauch heraus, der da zusammenstieß. So schweige Lukan nun da, wo er etwas von dem unglücklichen Sabellus 100 und vom Naßidius berühret, und höre aufmerksam auf das, was sogleich erschallen soll! - Auch schweige Ovid nunmehr von Cadmus und Aretusen! Immer dichte er jenen zu einer Schlange und 179 diese zu einer Quelle, ich beneide ihn nicht. - Denn zwo Naturen, Stirne gegen Stirne gerichtet, hat doch seine Dichtkunst nie so verwandelt, daß alle beide Gestalten bereit gewesen wären, ihr Wesen zu verändern. Sie verstanden sich nach solchen Maasregeln mit einander, daß die Schlange ihren Schwanz wie eine Gabel aufspalten, und der Verwundete zu gleicher Zeit die Spuren davon in sich durchzwingen sollte. Die Beine selbst mit den Schenkeln hiengen sich so fest an einander zusammen, daß in kurzem die Fugen nicht das geringste Zeichen einer Bewegung mehr spüren ließen. Der gespaltene Schwanz legte seine Figur ab, die sich hier verlor, und seine Haut wurde weich, jene menschliche hingegen wurde hart. Dann sah ich die Arme durch die Achseln hinein und hindurch gehen, und die beiden Füße des Thieres, die erst kurz waren, sich so verlängern, so wie sich jene Arme verkürzten. Hierauf wurden die zusammen und hinaufwärts gedrehten Hinterfüße dasjenige Glied, welches der Mensch verbirgt; und der elende Verdammte bekam von dem Seinigen zween Schlangefüße heraus. Unterdessen der Rauch beide mit neuer Farbe überzog., und an der Schlange Haare erzeugte, an dem Verdammten aber solche hinwegnahm, so erhob sich die menschgewordene Schlange, und der Verwandelte fiel hinunter, ohne darum die verruchten Augen zu verdrehen, unter denen ein jeder sein Gesicht verwandelte. Denn jene, die sich aufgerichtet hatte, zog ihr Gesicht gegen die Schläfe hinauf; und wegen zu häufiger Materie, die da geflossen kam, giengen ihr die Ohren von den noch ungestalteten Wangen hervor. Diejenige Materie, welche nicht hinterlief, sondern stehen blieb, bildete von diesem Ueberflusse am Gesichte die Nase, und die 180 Lippen so groß und stark, als sichs gehörte. Der Verdammte, welcher zu Boden lag, trieb die Schnauze hervor, und zog die Ohren in den Kopf zurück, so wie die Schnecke ihre Hörner einzieht. Die Zunge, welche er erst in sich ganz unzertheilt und zum Reden fähig und fertig hatte, spaltete sich, die Gabelgestalt in der andern schloß sich wieder zu, und der Rauch blieb. Die zum Thiere gewordenen Seele machte sich zischend in der Tiefe fort, und die zum Menschen gewordene Schlange sprudelte redend hinter ihr her. Hernach kehrte diese jener den neuen Rücken zu, und sagte zu ihr: Nun Buoso, lauf und krieche, so wie ich es zuvor gemacht habe, diesen Weg auch hin.

Und also sah ich die Veränderungen und Verwandlungen in dem siebenten Abgrunde, deren Seltsamkeit mich hier entschuldigen wird, wenn sich die Sprache in ihrer Beschreibung ganz verirret. Und wiewohl meine Augen in einige Verwirrung geriethen, und mein Geist vor Erstaunen ganz außer sich war, so konnten doch jene, so völlig zugeschlossen nicht forteilen, daß ich nicht den Puccio Sciancato ganz wohl hätte gewahr werden sollen. Dieser war der einzige von den drey 101 Gesellschaftsgeistern 181 die da zum Vorschein kamen, welcher unverwandelt blieb; und die schwarze Schlange war jener, über den du, Gaville, dort weinest.

Sechs und zwanzigster Gesang


Anmerkungen:

H098 Capaneus, der im vierzehnten Gesange beschrieben worden ist.
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H099 Maremma ist ein fruchtbares an dem Meere im Florentinischen gelegenes Feld.
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H100 Diese Personen waren durch Schlangen getödtet, und unglücklich geworden. Siehe hiervon das 9te B. des Lucan, und das 3te und 4te B. der Verwandlungen des Ovid.
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H101 Die drey Gesellschaftsseelen waren also Angolo, Buoso und Puccio, die sechsfüßige Schlange war Ciansa, und die schwarze Schlange war Cavalcante, der in Gaville, einem Marktflecken bey Florenz ermordet wurde, dessen Tod zu rächen, die Seinigen fast alle dasigen Einwohner umbringen ließen. Dieses unschuldige Blut wird um so vielmehr mit Recht beweinet, da der Ermordete sich seinen gewaltsamen Tod erraubt und erschändet hatte. Denn alle diese fünf Geister waren, als große Cavaliers und hohe Regierungsräthe von Florenz, keinen groben und gemeinen Straßenräuber, wie Vanni Fucci, sondern recht subtile und charakterisierte Geheimbetrüger, Staatsräuber und Landesblutygel, die durch unverantwortliche Projecte Auflagen und Gelderpressungen dem armen Florentinischen Volke das Mark aus den Adern saugten, und von dem Schweiße der armen Unterthanen sich bereicherten; die die öffentlichen Einkünfte mit Manier bestahlen, sich damit in die Höhe, und das Land herunterbrachten, und als vornehme Wollüstlinge, und als richterliche Ehren-, Gewissens- und Religionsschänder lebten, und denen leyder! die höchste Gewalt und die Handhabung der Gerechtigkeit anvertrauet war. Mit einem Worte, es waren Schlangen von List, Gift, Verführung, Schaden und Abscheu, und werden also auch in der Hölle gerechter Weise mit Schlangen bestrafet, und durch dergleichen entsetzliche innigste Vereinigung mit solchen vorzüglich abscheulichen Thieren in sie unwiderstehlich verwandelt.

Verflucht sey doch die Kunst, den Unterthan zu pressen!
  Gellert.
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