Von der Hölle.
Ein und zwanzigster Gesang.

Uebersicht

Inhalt.

Die Dichter kommen zum fünften Abgrunde, welcher ganz finster und mit siedendem Peche angefüllet ist. Darinnen befinden sich die Betrugspieler, welche von Teufeln daselbst bewacht werden. Diese kommen dem Virgilius in voller Wut entgegen. Allein er redet mit Malacoda, und erhält die Erlaubniß, weiter zu gehen.

Also giengen wir von einer Brücke über die andere, und redeten von Sachen, die jedoch kein Gegenstand meines Gedichts sind, bis wir endlich ganz zu oberst hinauf kamen. Hier standen wir stille, um die andre gespaltene Abtheilung von Malebolge, und die andern vergeblichen Thränen darinnen in Augenschein zu nehmen. Allein wie wunderbar dunkel und finster war sie nicht!

So wie in dem Zeughause zu Venedig im Winter das harte Pech siedet, wann sie ihre schadhaften Schiffe, welche die See nicht mehr halten können, wieder in Stand setzen, und auf demselben Platze, der eine sein Schiff von neuem bauet, der andre dem, das mehr Reisen gethan hat, die Seiten wieder ausbessert; dieser an dem Vordertheile, und jener am Hintertheile schlägt und arbeitet; der hier Ruder zimmert, ein andrer dort Seile drehet, und noch ein andrer kleine und große Seegel ausflicket - eben so siedete da unten, nicht durch ein Feuer, sondern durch ein göttliches Kunstwerk ein dickfließendes Pech, welches das Ufer auf allen Seiten mit einem Harze überzog.

147 Ich sah den Pechfluß, sah aber in demselben weiter nichts, als Blasen in die Höhe sieden, und ihn bald ganz in die Höhe gähren, bald, zusammen gefallen, sich wieder setzen. Indem ich nun so starr da hinunter schaute, zog mich mein Führer mit den Worten: siehe, siehe! von dem Orte, wo ich stand, zu sich hin. Hierauf wandte ich mich um, wie ein Mensch, dem die Zeit lang wird, das zu sehen, wovor er fliehen soll, und dem eine plötzliche Furcht den Muth ganz danieder schlägt, so, daß er nun, des Sehens wegen, das Fortgehen nicht länger aufschiebt. Und ich sah hinter uns einen schwarzen Teufel über die Klippe gelaufen kommen. O! wie trotzig war seine Mine, und wie leicht schien er mir in der widrigen Stellung mit den ausgebreiteten Flügeln, und auf den schnellen Füßen! Auf seinen spitzigen und stolzen Schultern saß ein Sünder mit beiden Lenden, und der Teufel hielt ihn bey den beyden Oberschenkeln unterwärts fest. Hier, ihr Malebranken von unsrer Brücke, schrie er, da habt ihr einen Rathsherrn 084 aus der heiligen Jungfernstadt. Bringt ihn hinunter, denn ich kehre gleich wieder in das Land zurück, das mit dergleichen Gerechtigkeitshändlern so gut versehen ist. O! 148 da ist fast ein jeder ein weltlicher Simonist, ausgenommen Bonturo. Aus Nein macht man da fürs Geld Ja, und aus Ja Nein. Und hiermit warf er ihn hinunter. Drauf kehrte er so fort auf der harten Klippe um, und jagte so geschwind davon, als wohl noch nie ein losgelassener Kettenhund, den Dieb zu verfolgen, fortgelaufen ist. Der Ratsherr sank nun unter, kam aber noch einmal mit erbärmlichen Verzuckungen wieder in die Höhe. Allein die Teufel, die von der Brücke bedeckt waren, schrien: O! hier findet das heilige Gesicht nicht statt! Hier schwimmt man ganz anders, als in dem Serchioflusse. Willst du also nicht in unsre Klauen gerathen, so mache dich nicht zu weit aus dem Peche hervor. Hernach faßten sie ihn mit mehr, als hundert Haken und schrien: Verdeckt muß du hier tanzen, und so, wenn du kannst, so kannst du nun auch hier verstohlner Weise rauben. Nicht anders lassen die Köche ihre Küchenbedienten das Fleisch mit den Fleischgabeln mitten in den Kessel hinunter tauchen, damit es nicht obenauf und in die Höhe schwimme.

Hier sagte mein Lehrer zu mir: Damit es nicht so bald offenbar werde, daß du hier bist, so bücke dich hinter einem Felsensplitter hinunter, daß du sicher seyst. Und laß dich keine Beleidigung, die mir auch geschehen möchte, anfechten, und fürchte dich nicht, denn ich weiß alle die Sachen, weil ich schon einmal in diesem Zank- und Streitloche gewesen bin.

Hierauf gieng er jenseit des Auftritts auf die Brücke fort; und als er den Fuß auf das sechste Ufer hinsetzte, so war es wohl nöthig, daß er eine gesetzte Mine annahm. Denn mit der Wut, und mit dem Ungestüm, als Bauernhunde herausfahren, und einen armen 149 Menschen anfallen, der aber so fort, wo er stehen bleibt, um etwas bittet - eben so schossen die Teufel unter der Brücke hervor, und kehrten alle ihre Haken wider ihn. Allein er schrie: Unterstehe sich keiner von euch, und falle mich vor der Zeit mit seinen Haken an, sondern es trete erst einer von euch hervor, der mich anhöre, und hernach haltet Rath, wie ihr mich auf die Haken fassen wollet.

Geh, Malacoda, schrien sie alle. Also machte sich einer auf; und da indessen die andern stille standen, kam dieser zu ihm und sagte: Tritt her zum Ufer. Glaubst du wohl, Malacoda, so sagte mein Lehrer, glaubst du wohl, mich hier zu sehen, wenn ich, obschon sicher von allen eurernStreichen, doch ohne göttlichen Willen, und ohne Grund und Ursache hieher kommen sollte? Laß mich gehen. Es ist der Wille des Himmels, daß ich einem andern diesen wilden Weg zeigen soll. - Hierauf fiel dem Malabranken sein Hochmuth dermaßen, daß er seinen Haken zu seinen Füßen niederfallen ließ, und zu den andern sagte: Nun rühre ihn niemand an! - Dann rief mein Führer mir zu. O! du, der du dort zwischen den Felsensplittern ganz niedergebückt sitzet, nunmehr komm sicher wieder hervor und zu mir her. Daher machte ich mit so fort auf und geschwind zu ihm hin. Da kamen die Teufel alle erst recht zum Vorschein, so, daß ich befürchtete, sie würden den Vergleich nicht halten. Eben so sah ich einst die Infanterie, die auf Capitulation aus Caprona 085 herauszog, sich fürchten, als sie sich 150 unter so viel drohenden Feinden sah. Ich trat mit ganzem Leibe dicht an die Seite meines Lehrers, und verwandte kein Auge von ihren Gesichtern und Minen, die nichts Gutes zu prophezeyen schienen. Sie machten allerhand Bewegungen mit den langen Haken, und eine sagte zum andern: Soll ich? - Soll ich ihm eins hinten aufs Kreuz geben? - und antworteten sich einander: Ja, ja, mache nur, und versetze ihm eins. - Allein der Teufel, der mit meinem Führer geredet hatte, wandte sich geschwind um und sagte: Stille, stille, Scarmilione! Alsdenn sagte er zu uns: Weiter vor werdet ihr auf dieser Klippe nicht gehen können; denn der sechste Bogen liegt im Grunde ganz zerfallen danieder. Wollet ihr aber doch gerne vorwärts gehen, so geht hier durch diese Grotte hinauf. Nahe dabey ist eine andre Felsenklippe, welche euch zum Wege dienen kann. Gestern fünf Stunden eher, als um diese Zeit, waren es eben ein Tausend zweyhundert und sechs und sechzig volle Jahre, 086 als dieser Weg hier so zerrüttet ward. Ich schicke eben einige von meinen Leuten nach dieser Gegend hin, um Acht zu haben, ob sich etwa einer davon macht. Geht mit ihnen, sie werden euch nichts thun. Hervor, so fieng er nun an zu commandiren, hervor Alikino, Calcabrina, Cangazzo, - und du, Barbariccia, 151 sollst dieß Commando von zehn Mann aufführen; - Libiocco, Dragingazzo, heraus, her, du Ciriotto mit den Hauern, Graffiacane, Farfarello, und du, toller Rubicante - halt - Geht herum, und durchsucht die siedenden Harzufer. Und diese hier laßt frey und sicher bis zur andern Felsenklippe mit euch gehen, die ganz und unverletzt über die Gruben hinübergeht.

O! mein Lehrer sagte ich, was sehe ich, und was soll das werden? Laß uns doch lieber ohne Geleite allein gehen, wenn du den Weg weißt; ich für mich verlange das nicht. Du bist ja sonst so vorsichtig; siehst du denn nicht, wie sie die Zähne herweisen, und wie sie mit den Augen 087 lauter Unglück drohen? - Laß dich doch nichts schrecken, antwortete er mir, und laß sie immerhin nach ihrem Belieben mit den Zähnen knirschen. Das thun sie blos wegen der Elenden, die hier gesotten werden, und so leiden und jammern.

Darauf schwenkten sie sich nach dem linken Damme zu. Allein vorher hielten ein jeder die Zunge gezwungen mit den Zähnen zurück, und alle sahen, winkend, nach ihrem Anführer hin, der mit einem Male aufbrach, und seltsam trompetete: Marsch!

Zwey und zwanzigster Gesang

Anmerkungen:

H084 Diese obrigkeitliche Person war aus dem großen Rathe zu Lucca, in welcher Stadt das Frauenzimmer wegen ihrer besondern Keuschheit vorzüglich berühmt war.

Weltliche Simonie ist, kurz zu sagen, ein Gerechtigkeits- und Aemterhandel für Geld und gute Worte, oder ein feines Pharaospiel unter obrigkeitlichen Personen, nicht um Geld, sondern für Geld und Presente, auch oft für eine Thais, ums Recht, um Gewissen, um Ehre, und folglich um das wahre Wohl eines Landes.
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H085 Caprona war ein Schloß der Pisaner, das von den Lukkesern belagert wurde, und sich auf Capitulation ergeben mußte.
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H086 Diese Zerrüttung bezieht sich auf den Tod Christi, als die Felsen zersprungen. Wenn man nun diese 1266 Jahren noch 34 hinzufügt, die der Heiland der Welt, von seiner Empfängniß an zu rechnen, auf der Erde gelebt hat, so erhellet hieraus, daß Dante seine Reise durch die Ewigkeit im Jahre nach Christi Geburt 1300 geschrieben habe. Und da er 1265 geboren worden, so ist er damals eben 35 Jahre alt gewesen.
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H087 Diese Minen und Geberden waren Zeichen, die sie ihrem Capitain gaben, daß sie den Betrug ganz wohl verstanden hätten, der den Dichtern gespielt werden sollte. Denn der Felsen war keineswegs ganz und unzerstückt.
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