(Originaltext Seite XXVII)
Die Familie des Dante
war eine der ältesten und berühmtesten zu Florenz. Der Urältervater
des Dichters war Cacciaguida, (Parad. 15,) dessen Gemahlin einen ihrer Söhne
nach ihrem väterlichen Namen Aldighieri oder Alighieri nannte, welcher
dann der Familie verblieb. Der Vater war ein Rechtsgelehrter und starb 1275;
die Mutter hieß Bella und hatte nach Boccaccio kurz vor ihrer Entbindung
von unserm Dichter einen Traum, der ihr den künftigen Ruhm desselben anzeigte.
Er ward geboren 1265 im Mai, vielleicht am 27. Ob er gleich den Vater schon
im zehnten Jahre verlor, so erhielt er doch eine sorgsame Erziehung und studirte
sowohl die lateinischen Classiker, besonders die Dichter, den Virgil, Statius,
Horaz, Ovid und die neuern Lateiner Cassiodorus und Boëthius, als auch
die neuern Dichter, d. h. die Provenzalen, z. B. den Sordello und Arnald Daniel,
und die sicilianischen und italienischen Dichter, z. B. den Guido Guinizelli.
An dem florentinischen Stadtschreiber Brunetto Latini, der 1294 starb, hatte
er einen geschickten und väterlich gesinnten Lehrer. Einen nicht unbedeutenden
Einfluß auf seine dichterische Bildung hatten auch seine Freunde, z. B.
der Dichter Guido Cavalcanti, der ihn antrieb, nicht mehr in lateinischer, sondern
in italienischer Sprache zu dichten, die Maler Oderigi. Aber nicht bloß
der Poesie, sondern auch der Philosophie und Theologie ergab er sich mit dem
größten Eifer. Nach Benvenuto von Imola besuchte er die Universitäten
Bologna (XXVIII) und Padua, und war während
seiner Verbannung in Paris, wo er Disputationen hielt. Ob er in Oxford oder
gar in Deutschland gewesen sey, wie einige behaupten, ist wenigstens sehr zweifelhaft.
Aus Liebe zum Studiren war er kein besonderer Freund geselliger Zusammenkünfte,
und vertiefte sich bisweilen so beim Lesen und Denken, daß er alles darüber
vergaß. In Siena fing er einmal des Morgens auf der Straße an ein
Buch zu lesen und las es auf demselben Orte ganz durch bis an den Abend, ohne
zu wissen, was um ihn vorgegangen war. Daß er als Jüngling in den
Orden der Franciskaner getreten, vor dem Profeß aber wieder ausgetreten
sey, ist eine unverbürgte Nachricht.
Während er aber den Studien oblag, hatte die Liebe Eingang in sein Herz gefunden und zwar ungewöhnlich frühe. Das Entstehen dieser Jugendliebe erzählt Boccaccio folgendermaßen: Die Frühlingszeit war zu Florenz eine besonders festliche Zeit. So hatte Folco Portinari, ein vornehmer florentinischer Bürger einst am ersten Mai eine Gesellschaft von Freunden bei sich, unter ihnen auch den Vater des Dante, und der Sohn begleitete den Vater. Unter den jungen Mädchen bei diesem Feste zeichnete sich Bice (siehe Parad. 7, 14) oder Beatrice, Folco's Tochter, durch Schönheit und Sittigkeit aus. Dante hatte sie sonst schon gesehen, aber liebenswürdiger nie als an diesem Tage (Dante sagt dagegen selbst, daß er Beatrice im neunten Jahtre zum ersten Male gesehen habe. Auch erwähnt er in dem neuen Leben dieses Maifest gar nicht. Vielleicht ist die ganze Erzählung eine Erfindung des Boccaccio). Er war noch ein Knabe, erst 9 Jahre alt, Beatrice etwa 8 Jahre; dennoch war sein Herz schon reif für die Liebe und zwar für eine höchst edle und geistige Liebe, wie er selbst sie in seiner ersten Schrift, die er das neue Leben betitelt hat, beschreibt. Diese Liebesgeschichte ist höchst einfach; eine bescheidenere Liebe kann es nicht leicht geben, als die, welche sich (XXIX) mit dem Anblick der Geliebten, mit einem Gruße von ihr, ja endlich mit dem Preise derselben begnügt und darin Seligkeit findet. Beatrice ist für Dante gleich von Anfang weniger ein irdisches als ein verklärtes Wesen; aber er hat ein so weiches Herz zugleich, daß ihr Tod ihn auf's tiefste verwundet und ihn fast selbst tödtet. Sie starb, erst 24 Jahre alt, am neunten Junius 1290. Er suchte Trost bei der Philosophie, studirte den Boëthius und Cicero's Schrift über die Freundschaft; und er stellt die Philosophie, der er sich jetzt ganz ergab, als eine Tochter des Himmels, eine Königin des Weltalls und als ein schönes Mädchen, die ihn von dem Gedanken an Beatrice eine Weile fast zu sehr abgezogen habe, und sich als feurigen Liebhaber dar. Aber er fühlte endlich, daß auch die Philosophie ihm nicht genüge, und wandte sich zur göttlichen Weisheit oder zur Theologie, die er denn in seiner göttlichen Weisheit oder zur Theologie, die er denn in seiner göttlichen Comödie unter dem Bilde der Beatrice darstellte, und so bedeutet diese eben sowohl seine Jugendliebe oder erste Liebe, als seine dritte und letzte Liebe, die ihm dann Befriedigung und Ruhe gewährte. Wann dieser letzte Umschwung in dem Gemüthe und in den Studien des Dichters vorgegangen sey, ist nicht genau zu bestimmen. Aber der Umriß seines innern Lebens und der Hauptschlüssel zur divina commedia ist hiermit gegeben.
Was nun sein äußeres Leben betrifft, so verheirathete er sich 1291, als er 26 Jahre alt war, und wählte seine Frau aus dem vornehmen guelfischen Hause der Donati. Sie hieß Gemma und er erzeugte mit ihr fünf Söhne und eine Tochter, welche er Beatrice nannte. Die ältesten beiden Söhne sollen Commentare über das große Gedicht des Vaters geschrieben haben, doch ist es sehr zweifelhaft. Die Familie erlosch im Jahre 1550.
Noch ehe Dante heirathete, hatte er dem Staate im Kriege gedient. Er kämpfte im Jahr 1289 in der für Florenz glücklichen Schlacht von Campaldino gegen die Aretiner in der (XXX) vordersten Reihe sehr tapfer zu Pferde, und 1290 im August unter Anführung seines nachmaligen Beschützers, des Guido von Polenta gegen Pisa, in welchem Feldzug aber die Pisaner siegten und den festen Platz Caprona einnahmen, (Hölle 21, 94-96). Seitdem scheint sich Dante den Staatsgeschäften mit Eifer gewidmet und mehre Gesandschaften übernommen zu haben. Am wahrscheinlichsten sind unter den vierzehn, welche angegeben werden, die beiden an den König von Neapel, Carl den zweiten. Mit dem Sohne dieses Königs, Carl Martell, nachmaligem König von Ungarn, (Parad. 8 und 9,) und mit dem König Friedrich dem zweiten von Sicilien stand er in freundschaftlichem Verhältnisse. Boccaccio erzählt, daß man ihn im Jahre 1300 an den Papst Bonifacius wegen der Aufnahme Carls von Valois habe schicken wollen, und daß er damals gesagt habe: Wenn ich gehe, wer bleibt? Und wenn ich bleibe, wer geht? Ist diese Anekdote wahr, so zeugt sie von dem höchsten Selbstgefühle.
Im Jahre 1300 wurde Dante zu einem der 6 Prioren von Florenz auf zwei Monate erwählt, nämlich von der Mitte des Junius bis zur Mitte des August, und dies Priorat, die höchste Würde, welche seine Vaterstadt ertheilen konnte, nennt er selbst in einem Briefe die Ursache und den Anfang aller seiner Leiden. Um diese Zeit war der Streit zwischen der schwarzen und weißen Partei so lebhaft geworden, daß der Cardinal von Acquasparta vom Papst im Junius 1300 nach Florenz geschickt wurde, um beide Parteien zu versöhnen, aber unverrichteter Sache wieder abreiste. Dante war Anhänger der Weißen und machte sich, wahrscheinlich als kräftiger Vertreter seiner Partei, bei den Schwarzen sehr verhaßt. Erst im Januar des folgenden Jahres 1301 folgte das Exil beider Parteien, sodann die Zurückberufung der Weißen und am ersten November desselben Jahres der Einzug Carls von Valois. Dante hatte wahrscheinlich seinen Einfluß nicht verloren (XXXI) und war höchst wahrscheinlich gegen die Aufnahme Carls von Valois gewesen. Er war gerade in Rom, wohin er von seiner Partei geschickt war, um den Zorn des Papstes wegen der verunglückten Aussöhnung zu besänftigen, als die Verbannung über seine Partei in Florenz ausgesprochen wurde. Dies geschah am 27sten Januar 1302. Er ward mit drei andern von seinen Mitbürgern überdies zu einer Geldbuße verurtheilt, und im Fall der Nichtbezahlung sollten seine Güter confiscirt, jedenfalls aber die Verurtheilten auf zwei Jahre aus Toskana verbannt seyn. Am 10. März desselben Jahres ward diese Sentenz wiederholt, mit dem Zusatze, daß die Ergriffenen verbrannt würden.Die Beschuldigungen von Betrug und unerlaubter Bereicherung, mit welchen man dies Urtheil beschönigte, sind ohne Zweifel falsch. Dante's Haus ward der Plünderung des Pöbels überlassen. Im 17ten Gesange des Paradieses, V. 46-57, schreibt Cacciaguida diese Verbannung dem römischen Hofe zu und wohl nicht mit Unrecht.
Das Leben Dante's von dem Zeitpunkt seiner Verbannung bis an sein Ende von 1302 bis 1321, fast 20 Jahre lang, von seinem 37. bis 57. Lebensjahre, ist eine Irrfahrt in und außerhalb Italien; aber doch meistens in Italien, aber doch meistens in Italien, und besteht hauptsächlich aus Versuchen zur Rückkehr in die Vaterstadt und aus schriftstellerischen Arbeiten. Er hielt sich nämlich abwechselnd bei seinen Gönnern und Freunden auf, faßte aber nirgends einen festen Wohnsitz. Ungeduld und Stolz trieben ihn von einem Orte zum andern; er scheint dabei manches Ungemach ausgestanden zu haben, bisweilen selbst in Dürftigkeit gewesen zu seyn, wie er letzteres am Schlusse des Zueignungsbriefes an Can deutlich ausspricht. Am meisten quälten ihn jedoch Heimweh und Abhängigkeit. (Parad. 17, 55-60). Die Reihe seiner Aufenthaltsplätze nach der Zeitfolge zu bestimmen, ist vielen Schwierigkeiten unterworfen. Als er zu Rom von dem Verdammungsurtheile (XXXII) hörte, ging er zuerst nach Siena, von da nach Gorgonza bei Arezzo. Hier vereinigten sich die Weißen, wählten Alexander von Romena zum Anführer und einen Rath von 12 Mitgliedern, unter welchen Dante war, und gingen auf Florenz los. Die Sache ward schlecht ausgeführt, wie oben im ersten Capitel erwähnt ist. Dante ging darauf nach Padua. Bei dem zweiten Versuche der Weißen mit gewaffneter Hand zurückzukehren 1306 scheint Dantenicht gewesen zu seyn. Er sah schon damals die Fehler und Leidenschaftlichkeit seiner Partei ein, die er Parad. 17, 61-69 heftig tadelt. In diesem Jahre hielt er sich bei dem Marchese Maorello Malaspina in Lunigiana, einem von den Häuptern der schwarzen Partei, auf, und fand in dessen Gemahlin Alagia eine Beschützerin. (Fegfeuer 9, 124.) Um diese Zeit hatte sich Dante ziemlich in sein Schicksal ergeben. Auch verunglückte abermals im Jahre 1307 ein friedlicher Versuch der Weißen, durch Vermittlung des Papstes Clemens des fünften zurückzukehren. Dante's Aufenthalt zwischen 1307 und 1310 ist ungewiß. Vielleicht fällt sein Aufenthalt bei Guido da Castello von Reggio und seine Reise nach Paris in diese Zeit, so wie die Abfassung seiner Schrift, das Gastmahl. Mit dem Zuge Kaiser Heinrichs nach Italien am Ende des Jahrs 1310 gingen für die Ghibellinen und folglich auch für Dante neue Hoffnungen auf. Damals schrieb Dante einen italienischen Brief zu Gunsten Heinrichs mit der Aufschrift: An alle, sowohl jeden König von Itralien, als auch Senatoren von Rom und Herzoge, Markgrafen und Grafen und an alle Völkerschaften der demüthige und unverdient verbannte Italiener Dante. Von Toskanella, einer kleinen Stadt des Kirchenstaats, schrieb er unter dem 16. April 1311 einen zweiten Brief und zwar an den Kaiser selbst, in welchem er ihn zur Eile antreibt. Da heißt es unter anderem: "Florenz ist die Biper in dem Bauche der Mutter, die sie zu zerreißen sich (XXXIII) bemüht; sie wetzet das Horn der Empörung gegen Rom, welchen Ort sie zum Abbild und Ebenbild von sich selbst machte. So brich den ab den Verzug, hoher Sprößling Isai's, und schlage nieder diesen Goliath mit der Schleuder deiner Weisheit und mit dem Stein deiner Tapferkeit; denn mit seinem Falle wird der Schatten seiner Furcht das Heer der Philister bedecken; sie werden fliehen, die Philister, und Israel wird frei seyn. Dann wird unser Erbtheil, dessen Verlust wir ohne Aufhören beweinen, sofort uns hergestellt werden. Und wie wir jetzt bei dem Gedanken, daß wir, die Bewohner der heiligen Stadt Jerusalem, in der Verbannung zu Babylon sind, Thränen vergießen, so werden wir, Bürger alsdann und aufathmend in Friede und Freude, das Elend der Verwirrung verscheuchen." - Mit solcher Heftigkeit sprach er nicht sowohl gegen seine Vaterstadt, als gegen die herrschende Partei der Schwarzen und die Machthaber derselben. Es wurde ihm auch vergolten durch Baldo von Aguglione, den er Parad. 16,56 bitter bezeichnet; denn als dieser 1311 Prior geworden war, brachte er es dahin, daß Dante's Verbannung auf seine ganze Lebenszeit ausgedehnt wurde. Bei der Belagerung von Florenz war Dante aus Ehrfurcht vor seiner Vaterstadt wahrscheinlich nicht zugegen. Heinrich nahm Florenz nicht ein und starb im Jahr darauf, und mit seinem Tode erlosch die neue Hoffnung der Verbannten, ihre Rückkehr zu erzwingen. Unser Dichter zeigt seine Verehrung des Kaisers auch dadurch, daß er ihn in den höchsten, dem empyreischen Himmel versetzt. (Parad. 30,133.)
Von dieser Zeit an, und vielleicht noch bei Lebzeiten des Kaisers hielt sich Dante wahrscheinlich am Hofe des großen Can auf, und darauf bezieht sich die Prophezeiung, Parad. 17,70 - 90. Dieser Fürst zu Verona war 1290 geboren, zuerst Mitregent seines Bruders und nachher Alleinherrscher, ein eifriger Ghibellin, der deswegen auch vom Kaiser Heinrich zum kaiserlichen Stellvertreter in Italien, und 1318 von der (XXXIV) ghibellinischen Partei zum Oberanführer sämmtlicher Lombarden gegen die Guelfen und den Papst Johann den einundzwanzigsten ernannt wurde. Siehe Parad. 27,58. Deswegen wandten sich viele an ihn. Dante erhebt ihn ganz vorzüglich, z. B. Hölle 1 unter der Bezeichnung des Windhundes, Paradies 17, 72, Fegfeuer 13, 37, und hielt ihn wahrscheinlich für fähig, der Befreier und Ordner Italiens zu werden. Aber derTod raffte ihn in der Blüthe seiner Jahre hin, am 22. Julius 1320, acht Jahre nach dem Tode Dante's. Can grande della Scala war nach Boccaccios Versicherung nicht nur einer der tapfersten, sondern auch einer der freigebigsten Herren von Italien. Sein Hof war die gemeinschaftliche Freistatt für alle durch Geburt, oder Unternehmungen, oder Wissenschaft und Kunst berühmte Männer, welche durch ein ungünstiges Schicksal gezwungen wurden ihr Vaterland zu verlassen. Verschiedene Zimmer waren ihnen nach ihren verschiedenen Verhältnissen angewiesen, jeder hatte seine Bedienung und gute Tafel. Auf den Eingängen zu ihren Zimmern befanden sich Sinnbilder oder Sprüche, die auf ihre Lage Bezug hatten: z. B. die Sieger bezeichnete der Triumph, der Verbannten die Hoffnung, die Dichter der Musenhain, die Künstler Merkur, die Geistlichen das Paradies; bei Tische wurden sie unterhalten durch Musiker, Sänger und Gaukler. Die Wände ihrer Wohnungen waren auf's prächtigste mit Gemälden ausgeschmückt, welche die Unbeständigkeit des Schicksals darstellten. Bei diesem edelmüthigen Beschützer aller Unglücklichen hielt sich Dante einige Zeit auf, nicht als Hofmann und Schmeichler, sondern als Gesellschafter und Freund. Auch verstellte er sich niemals und liebte die Freiheit so sehr, daß er Verona nach einiger Zeit wieder verließ und seine Freimüthigkeit nicht zügelte, welches folgende Anekdote beweist. Eines Tages belustigte ein Spaßmacher den Can nebst seinen Gesellschaftern, und alle fanden Vergnügen an dieser Unterhaltung, nur Dante blieb ernst. (XXXV) Da fragte Can: Woher mag es kommen, daß dieser Narr bei Allen in Gunst ist, und Du, ein Weiser, es nicht bist? Dante antwortete: Das ist kein Wunder, denn die Menschen geben gewöhnlich ihres Gleichen den Vorzug. - Wahrscheinlich befand er sich dort noch, als man in Florenz beschloß den Verbannten die Rückkehr zu erlauben unter der Bedingung, daß sie eine Summe Geldes zahlten und sich feierlich begnadigen ließen am Altar der St. Johanneskirche. Ein Brief, welchen Dante damals an einen Geistlichen schrieb, giebt von seiner Unschuld wie von seinen Studien und seiner Seelengröße den besten Beweis. Es heißt darin: "Ist dieß der Ruhm, mit welchem man Dante Alighieri in das Vaterland zurückruft, nachdem er drei Lustra hindurch die Verbannung ertragen hat? Auf solche Weise belohnt man seine Unschuld, die niemand mehr verkennt? Auf solche Weise den Schweiß und die Arbeit, welche er auf Gelehrsamkeit verwandt hat? Fern sey von einem mit der Philosophie vertrauten Manne die unbesonnene Demüthigung eines irdisch-gesinnten Herzens, daß er nach Art eines Scheinweisen und Schaamlosen, gleichsam in Banden, es ertrüge sich zu stellen! Fern sey es von einem Manne, der die Gerechtigkeit predigt, daß er, der Beleidigte, seinen Beleidigern, als wären es seine Wohlthäter, Geld zahlte! Das ist nicht der Weg, mein Vater, in's Vaterland zurückzukehren. Aber wenn von euch oder von Andern ein andrer Weg aufgefunden wird, der dem Rufe Dante's, der seiner Ehre nicht nachtheilig ist, so werde ich nicht säumen ihn zu betreten. Wenn man nicht auf einem ehrenvollen Wege in Florenz eingehen kann, so werde ich nie wieder in Florenz eingehen. Und warum nicht? Werde ich nicht die Spiegel der Sonne und der Gestirne überall erblicken? Werde ich nicht überall unter dem Himmel den edelsten Wahrheiten nachforschen können, ohne daß ich mich ehrlos ond sogar schmachbeladen wieder darbiete dem Volke und der Stadt von (XXXVI) Florenz? Und auch Brot, hoffe ich,werde ich nicht weniger haben." - Es erfolgte endlich, wahrscheinlich wegen einiger bittern Briefe an das florentinische Volk, an den Papst und die Cardinäle, eine vierte und letzte Verbannung im October 1315, ausgesprochen durch den königlichen Stellvertreter der Stadt Florenz, Rainer von Zaccaria aus Orvieto.
In den nächsten Jahren soll Dante sich in Cremona, Romagna, Neapel, Udine und besonders im Schlosse von Tolmino in Friaul bei dem Erzbischof von Aquileja, Pagano della Torre, aufgehalten un deinen Theil seines großen Gedichts in dem Camaldolenser Kloster St. Croce di Fonte Avellana, das in einer rauhen Einöde im Gebiete von Gubbio liegt, gearbeitet haben. In diesem Kloster heißen noch jetzt einige Zimmer die des Dante; in einem Thurme des Grafen Falcucci zu Gubbio liest man die Inschrift: Hic mansit Dantes Alegherius poeta, et carmina scripsit. Im Jahr 1318 war Bosone Novello dei Raffaeli dorthin zurückgekehrt, und bei diesem alten Freunde fand der Dichter willkommene Aufnahme.
Der Beschützer Dante's in seinen letzten Jahren war der alte Gebieter
von Ravenna, Guido Novello von Polenta, ehemals ein Guelfe, nachher ein eifriger
Ghibellin, seit 1265 Gebieter dieser Stadt. Bei ihm blieb Dante bis an seinen
Tod. Ueber diesen und die demselben vorangehenden Umstände giebt der Geschichtschreiber
Villani folgende Nachricht: "Während Dante in Verona so große
Ehre genoß, geschah es, daß die Venediger ohne gerechte Ursache
Guido den Krieg erklärten, große Anstalten zu Wasser und zu Lande
machten und ihn mit Vernichtung bedrohten. Hierdurch wurde der Tod des Dichters
beschleunigt. Denn Guido, der sich in der unangenehmen Lage befand, seinen Streitkräften
nicht vertrauen zu können, glaubte, die Beredsamkeit und der Name des Dichters
werde den bevorstehenden Ueberfall von ihm abwenden, und schickte ihn deshalb
(XXXVII) als Gesandten nach Venedig, um den Frieden
zu unterhandeln. Er, der sich gern Dienstleistungen dieser Art unterzog, gelangte
nach viele Unangenehmlichkeiten in diese Stadt; aber die Venediger, als wenig
erfahren in der Kunst der Rede, aus Furcht, sie möchten durch Dantes's
Beredsamkeit, die sie als bewundernswürdig kannten, von ihrem stolzen Vorhaben
abgewendet werden, versagten ihm mehrmals die Erlaubniß, im Senat öffentlich
zu reden; und als er, müde so langer Verzögerungen und schon von einem
Fieber befallen, sie ersuchte, ihn zu Wasser nach Ravenna zurückzuschicken,
so schlugen sie, von noch größerer Raserei ergriffen, unbarmherzig
dies ihm ab, da er dem Admiral, mit dem er sich besprach und dem sie volle Gewalt
des Kriegs und des Friedens gegeben hatten, es nicht ausredete, Guido anzugreifen.
Nachdem er also zu Lande nach Ravenna zurückgekehrt war, ward er durch
die vielen ausgestandenen Mühseligkeiten krank und starb, nachdem er alle
Sacramente mit Frömmigkeit empfangen hatte, am heiligen Kreuztage, den
14. September 1321, nicht ohne Guido's und aller Bürger zu Ravenna tiefes
Bedauern." - Der hochherzige Ritter, fährt Boccaccio fort, ließ
den Leichnam auf dem Paradebette mit dichterischen Ehren schmücken, ihn
hierauf von den angesehensten Bürgern zu der Wohnung der Minoriten in Ravenna
tragen und ihn mit der Ehre, deren er eine solche Person würdig hielt,
in einen steinernen Sarg liegen, in welchem er noch ruht. Sodann ging er nach
dem Hause, welches Dante zuerst bewohnt hatte, und hielt dort nach der Sitte
Ravenna's, sowohl zum Preise der hohen Gelehrsamkeit und der Tugend der Verstorbenen
als zum Troste seiner Freunde, er selbst, eine schöne und lange Rede, und
wollte auch, wenn äußere Umstände und der Tod ihn nicht verhindert
hätten, ihm ein ehrenvolles Denkmal setzen. Viele Dichter Romagna's hatten
ihm Grabschriften zugeschickt, damit er diejenige auswählte, welche ihm
die beste schien, und die (XXXVIII) von Johann
von Virgilio erhielt den Vorzug. Aber Guido konnte sein Vorhaben nicht ausführen:
denn bald nach Dante's Tode ward er des Besitzes von Ravenna beraubt, floh nach
Bologna, ward dort 1322 Volkshauptmann und starb daselbst 1323. Obgleich Dante
keines äußern Denkmals bedurfte, so ließ ihm doch Bernhard
Bembo, Vater des Cardinals Peter Bembo, als ihn die Republik Venedig im Jahr
1483 zum Prätor Ravenna's ernannte, also 162 nach Dante's Tode, ein kostbares
Grabmal setzen, auf welchem man die von Dante selbst verfaßte lateinische
Grabschrift ließt:
S. V. F
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Jura monarchiae, superos, Phlegetonta lacusque |
Lustrando cecini, volverunt fata quosque; |
Sed quia pars cessit melioribus hospita castris, |
Auctoremque suum petiit felicior astris, |
Hic claudor Dante patriis extorris ab oris, |
Quem genuit parvi Florentia mater amoris. |
Hier in Ravenna sind seine Gebeine noch, obgleich die Republik Florenz Versuche machte, sie zurückzubekommen, zuerst im J. 1429 und sodann im J. 1519, wo sich die mediceische Akademie zu Florenz mit dieser Bitte an den Papst Leo den zehnten wandte. Der große Buonarotti hatte sich darin mit folgenden Worten unterschrieben: "Ich, Michael Angelo, Bildhauer, bitte eure Heiligkeit um dasselbe, und erbiete mich, dem göttlichen Dichter ein geziemendes Grabmal zu machen, und an einem ehrenvollen Ore in dieser Stadt." Dennoch ward auch diese nachdrückliche Bitte nicht erfüllt, und Florenz konnte also auch dem Todten nicht vergüten, was es dem Lebenden Leides zugefügt hatte.
Ueber das Aeußere, die Sitten und Gewohnheiten des Dichters drückt sich Boccaccio in seine leider nicht ganz zuverlässigen Biographie folgendermaßen aus: "Dante war von mittlerer Leibesgröße und hatte in männlichen Jahren einen etwas geneigten, aber ernsten und gelassenen Gang; sein Anzug (XXXIX) war sittsam und geziemend. Er hatte ein langes Gesicht, eine Adlernase, ziemlich große Augen, starke Kinnbacken und eine etwas überstehende Oberlippe; die Farbe war bräunlich, Kopf- und Barthaar dicht, schwarz und kraus, die Miene nachdenkend und düster. Sowohl im öffentlichen als im häuslichen Leben hatte er etwas ungemein Gesetzes und Bestimmtes; an Höflichkeit und Leutseligkeit kam ihm fast niemand gleich; in Speis' und Trank war er höchst mäßig. Selten sprach er ungefragt, und dann mit Nachdenken und mit einem der Sache angemessenen Tone. Nichts desto weniger konnte er, wenn es darauf ankam, sehr beredt seyn, und seine Aussprache war dann filißend und ausgezeichnet. Er fand großes Vergnügen an der Tonkunst und besonders am Gesange in seiner Jugend, und war ein Freund aller Tonkünstler und Sänger; in Ravenna verbreitete er die Liebe zur Dichtkunst, besonders in der Volkssprache. Er liebte die Einsamkeit, um in seinen Betrachtungen nicht unterbrochen zu werden, antwortete auch häufig bei Tische oder unterweges auf Fragen nicht eher, als bis er mit seiner Ueberlegung zu Ende war. Er hatte einen sehr scharfen Verstand, ein treffliches Gedächtniß und eine große Erfindungskraft. Nach Ehre und Auszeichnung war er sehr begierig." - Die Fehler, welche dem Genie leicht ankleben, zu starkes Selbstgefühl oder Stolz, Eigensinn und Trotz, sind die einzigen, welche ihm vorgeworfen werden. In seinen Schriften, besonders in der divina commedia, zeigt sich bei edlem Stolze, unverstellter Wahrheitliebe, lebendigem Gefühl und scharfem Tadel alles Tadelnswürdigen, so viel Bescheidenheit, Milde, Maß und Besonnenheit, daß hierdurch das günstigeste Licht auf sein Leben geworfen wird; und so darf man wohl behaupten, daß der moralische Charakter Dante's vielleicht nicht minder groß als sein Geist, und daß er überhaupt einer der ausgezeichnetsten Menschen gewesen sey.