Zurueck

 

Chr. J. Jagemann:
Von der Divina commedia des Dante.
Aus: "Der Teutsche Merkur" 1785. 3. S 56-76

(56) Da dieses Gedicht im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts am Licht erschien, erregte es allgemeine Verwunderung in Italien, einer ungewöhnlichen Lufterscheinung ähnlich, die aller Menschen Augen auf sich zieht. Ausser dem daß die noch ungebildete Italienische Sprache sich hier auf einmal in ihrer männlichen Vollkommenheit darstellte, und zum Colorit der darin enthaltenen Schätze aller damals bekannten Künste und Wissenschaften diente, gewann es auch dadurch einen unwiderstehlicher Reiz, daß es die guten und bösen Handlungen damals lebender Personen aus allen Ständen mit den lebhaftesten Farben schilderte. Es wurden daher nicht nur unzählige Abschriften davon verfertiget, sondern auch eine Menge Commentare darüber geschrieben. Man errichtete sogar gegen die Mitte des 14ten Jahrhunderts zu Florenz, Bologna und Pisa öffentliche Lehrstühle, dasselbe wie geheimnißvolle Orakelsprüche zu erklären, und man besetzte sie mit den gelehrtesten Männern damaliger Zeiten. Boccaccio, Philipp Villani, Benvenuto Rambaldi von Imola, Christoph Landini, Johann Visconti, Herr von Mailand, gab im Jahre 1350. einer Gesellschaft von sechs der gelehrtesten Männer, worunter auch Petrarca war, den Auftrag, mit gesammter (57) Hand einen Commentar darüber zu schreiben. Einige übersetzten ihn sogar in lateinische Verse, worunter Matteo Rondo, ein Olivetaner Mönch, der Erste war. Nach der Erfindung der Buchdruckerkunst wurde es zwischen den Jahren 1472. und 1569. über zwanzigmal in Italien aufgelegt; und so viele schöne Editionen man auch davon hat, so hört man noch nicht auf, neue zu veranstalten.

Einige der berühmtesten Gelehrten Italiens haben den Dante sogar dem Homer vorgezogen, z. B. Benedetto Varchi im sechszehenten Jahrhundert in seinem Ercolano betitelten Dialog, und im Jahr 1732. Giulio Cesare Becelli, ein Veronesischer Edelmann, im zweyten seiner drey Bücher sulla novella Poesia. Sie glaubten, das Lob, welches Vellejus Paterculus dem Homer beylegte, da er ihn nennt sine exemplo maximum, quod neque ante illum, quem ille imitaretur, neque post illum, qui eum imitari posset, inventus est, schicke sich mehr auf Dante, als auf Homer; es seyen vor Homers Zeiten griechische Dichter gewesen, aus denen er schöpfen konnte; Dante aber habe in seiner Art keinen Vorgänger gehabt.

Es würde ein ganz besonderer und unerhörter Vorzug seyn, wenn sich unter so vielen Anbetern aller Jahrhunderte kein Tadler gefunden hätte. Cecco d'Ascoli, ein Astronom und Dichter, war der Erste, der in seinem Gedichte Acerba, auf den Dante, seinen (58) Zeitgenoß, stichelte. Das nämliche thaten im 15ten und 16ten Jahrhundert Johann Pico von Mirandola, Bembo, Johann della Casa und Bernardino Tomitano. Wider diese, welche nur die Schreibart des Dante anfeindeten, vertheidigte ihn Nicolo Liburnio im Jahr 1526. 1) und Carlo Lenzoni i. J. 1557. 2) Ihr Streit war bey weitem nicht so hitzig, als jener, welchen gegen das Jahr 1570. Benedetto Varchi durch seinen obengenannten Dialog, worin er Dante dem Homer vorzog, veranlaßte. In diesem hartnäckigen Kampf wurde um den innern Werth beyder großen Dichter gestritten. Ortensio Landi, ein Florentiner, zog unter dem erdichteten Namen Ridolfo Castravilla wider Varchi zu Felde, und zeigte die Mängel, welche den Werth des Dante unter jenen des Homers herabsetzten. 3) Wider diesen ergriff Jakob Mazzoni im Jahr 1573. die Feder, die Vorzüge des Dante zu verfechten. 4) Er trieb aber die Sache zu weit (59)und reizte Belisario Bulgarini, ihn zu widerlegen 5). Hierauf wurde das ganze gelehrte Italien in zwey Partheyen getheilt, welche bald zu des Mazzoni, bald zu des Bulgarini Vertheidigung Schriften herausgaben. Endlich kam Mazzoni mit einem Werke von 7 Büchern zum Vorschein, in der Hofnung, seine Widersacher gänzlich damit zuzudecken. 6). Allein Bulgarini und sein Anhang schlugen sich glücklich durch, so stark und zahlreich auch die Waffen waren, womit sie Mazzoni bestürmte. Denn obgleich unter allen am Licht erschienenen Streitschriften diese wegen des Reichthums an Gelehrsamkeit, und wegen der tiefen Einsicht in das Wesen der Dichtkunst die schätzbarste war, so hatte sie doch ihre schwachen Seiten, wodurch der Sieg eben so unentschieden blieb, als in dem bekannten Federkriege zwischen Madame Dacier und Mr. de la Motte Houdart, worin über den Werth Homers gestritten wurde. Es hat auch bis auf unsre Zeiten nicht an Gelehrten gefehlt, welche den Dante entweder allzuhoch erhoben, oder gar zu tief erniedriget haben. (60)

Niemand hat ihn je so tief herabgesetzt, als der Graf Algarotti in seinen Briefen, die er Lettere di Virgilio dagli Elisi betitelt 7). Im zweyten Briefe nimmt er es ihm sehr übel, daß er seinem Gedichte den Titel einer Komödie gegeben habe, einem Gedichte, in welchem er sich rühmt, den Virgil fleißig studirt und sich zum Muster vorgestellt zu haben, und doch von der Hölle, vom Fegefeuer und vom Paradiese handelt. Habe ich ihm (laßt er den Virgil sagen, da er in den Elysischen Feldern den alten Dichtern den Dante vorlieset) vielleicht gelehrt, mit einem Traum, mit der Erscheinung einer Wölfinn, oder eines Löwen sein Gedicht anzufangen, oder es in Theile zu ordnen, die sich widersprechen, und die Einheit der Handlung trennen? Die Reisen des Aeneas, die er doch vor Augen hatte, haben nichts mit seiner seltsamen Wanderschaft gemein. Warum soll seine Beatrice mich aufsuchen? warum Lucia sie erst zu diesem Liebesdienst auffordern? Lucia, die, ich weiß nicht wo, bey der alten Rachel saß? Was wußte ich von Can della Scala, oder vom Apostel Paulus, und von hundert dergleichen Dingen? - Ein Poem von einem ganzen Folianten, wo man bey jedem Schritt einer Erklärung, eines Wörterbuchs bedarf, wo ein immerwährendes Chaos herrscht! Doch hätte ich ihm (fährt Virgil fort) bald alle diese Fehler verziehen, wegen der überaus schönen Verse, die ich hier und da antraf; und da ich nach vielen überschlagenen Blättern auf Francisca von Rimini, und (61) auf den Grafen Ugolino kam, schrie ich voll Verwunderung aus: Sünde und Schande, daß so schöne und glänzende Stücke in eine solche Finsterniß, unter so seltsames Zeug verbannt sind? Freund Homer, sagte ich, Wehe uns, wenn das ganze regelmäßiger, und in diesem Stil geschrieben wäre! Ich las mehr als einmal den Ugolino vor. Einige weinten, einige wollten es in eine Elegie verwandeln, andere versuchten es ins Griechische, oder ins Latein zu übersetzen. Aber ihre Bemühungen waren vergeblich. Ein jeder bekannte, ein so originelles, ein so dichterisches Stück, worin die Gemüthsbewegungen so sehr mit dem Kolorit harmoniren, wäre noch in keiner andern Sprache übertroffen worden; die Italienische bewiese hier eine Stärke, und seufzte hier in einem so mitleidigen Ton, daß sie allenfals eine jede andere übertreffen könnte. Unser Glück war es, daß wir dieses Stück oft wiederholten, und uns lange daran ergötzten; denn alles übrige ekelte uns über alle Maßen. Das Fegefeuer und das Paradies sind noch schlechter beschaffen. Sie enthalten nicht eine der wenigen Schönheiten der Hölle. O welche Pein, uns durch hundert Gesänge, durch vierzehn tausend Verse, durch so viele Kreise, durch tausend Abgründe und Tiefen mit Dante durchzuarbeiten, welcher bey jedem Schatten von Furcht erstarrt, von Zeit zu Zeit einschläft, und verdrießlich aufwacht, mich als seinen Wegweiser und Gefährten mit seltsamen Fragen zu quälen! Bald macht er mich zum Doktor (62) der Katholischen Theologie, bald zum Lehrer der heidnischen Religion; vermischt Fabeln der Dichter mit christlichen Glaubensartickeln, die platonische Philosophie mit der Arabischen. - Welche seltsame Sprache legt er dem Pluto nicht in den Mund, da er ihn ausrufen läßt "Pape Satan, Pape Satan Aleppe", worauf ich antworten muß "Verfluchter Wolf! ob ich ihn gleich in meinem Gedicht auf einen Königlichen Thron setze? Welche grotteske Stellungen, welche seltsame Quaalen erfindet er nicht für die verdammten Seelen, welche bis zum Ekel geschwätzig sind, und sogar Theologische Fragen auflösen? Päbste und Kardinäle setzt er in die Hölle, Kayser Trajan und Riphäus, einen Trojanischen Krieger, ins Paradies. - Ueberlesen sie dieses unerklärbare Gemische, und sagen sie mir was sie davon denken?

Im dritten Briefe sagt Virgil: ich fordere den rauhesten Dichter unter den Scyten und Gothen, der je auf den Ufern des Eismeers gesungen hat auf, niedriger, härter, und so wider alle Wahrheit zu sprechen, als Dante in so viele Stellen thut. Wenn er Can della Scala, Herrn von Verona seinen Wohlthäter lobt, sagt er:

 

Questi non cibera terra né peltro,

Ma Sapienza amore e virtute

E sua nazion sara tra Feltro e Feltro 7)

 

Er nährt sich nicht mit Erde und Metall;

An Liebe, Weisheit, Tugende lebt er sich.

Und eine Stadt, die zwischen Feltro liegt

Und Feltro, ist sein Vaterland.

(69) In Wahrheit ein großer Mann, der lieber Weisheit, Liebe, und Tugend ißt, als Sand, und Metall! Welch großer Geograph, der die Lage der Stadt Verona zu bestimmen sagt, sie liege zwischen Feltre in der Taviser Mark, und Montefeltro im Herzogthum Urbino! Kann etwas bestialischer seyn, als diese Verse, und als jene:

Cosi scendemmo nella quarta lacca

Prendendo più della dolente ripa,

Che'l mal dell' universo tutto insacca etc.

Dann stiegen wir ins vierte Thal, wo wir

Den schmerzenvollen Rand betraten, der
Des ganzen Welt gesammtes Uebel faßt

und jene andere in Wahrheit höllische Reime,

Non fece al corso suo si grosso velo

Di verno la Danoia in Austerrich

Nè'l Tanai là sotto il freddo cielo,

Com'era quivi, che se Tabernicch

Vi fosse su caduto, o Pietrapiana

Non avria pur dall' orlo fatto cricch.


....................................... So dick

Ist nie das Eis, womit in Oesterreich

Die Donau, und im kalten Himmelsstrich

Den Don der Winter deckt, wie hier. Wenn gleich

Die Berge Tabernich und Pietrapian

Hinauf sich stürtzten, würde nicht einmal

Am Rand der kleinste Riß entstehn.  -


(64) Endlich vergleicht Algarotti den Dante mit Ennius und Vacuvius, und behauptet, man müße ihn ebensowenig lesen, als diese; höchstens verdiene er, daß einige Bruchstücke von ihm, wie etwa Statuen, oder erhobene Arbeiten eines unnützen und zerfallenen Gebäudes, aufbewahrt werden.

In dem allgemeinen Urtheil, welches Algarotti im neunten Brief über die Italienischen Dichter fällt, verdammt er alle die alten, besonders die Zeitgenossen des Dante, entweder zum Feuer, oder zur Crusca. Dante selbst erhält Gnade, mit dem Beding, daß er wie ein alter Codex unter die Alterthümer verwiesen werde. Nur ungefähr fünf Gesänge, die man aus Hunderten zusammenstoppeln könnte, sollen in dem Fache der Dichtkunst ihre Stelle behalten.

Die eigentliche Absicht des Algarotti in einigen seiner zehn Briefe ist, dem fast allgemeinen Enthusiasmus der Italiener, besonders der Toskaner, für den Dante, Zügel anzulegen. Es däucht mich aber, er habe dieses allzusehr auf Unkosten dieses großen Dichters gethan. Dante hat wohl schwerlich gedacht, ein regelmäßiges episches Gedicht zu schreiben. Ebendeswegen, weil er den Virgil fleißig studiert hatte, und sich rühmt, sein Schüler zu seyn, ist nicht zu vermuthen, daß er keinen Begriff von einem regelmäßigen Plan eines epischen Gedichts gehabt habe. Wäre er geflissentlich davon abgewichen, so würden (65) alle die Einwürfe wegfallen, welche sich auf diese Art von Gedichten beziehen, und er könnte sich dennoch in Ansehung seines Gedichtes einen Schüler des Mantuanischen Dichters nennen, weil es mit den Reisen des Aeneas noch immer viel ähnliches hat. Die unglückselige Lage, worin Dante sich befand, da er sein Gedicht bearbeitete, die bürgerlichen Kriege und die herrschende Ungerechtigkeit, die ihn auf eine undankbare Weise, aus dem Schooße seines Vaterlandes vertrieben und alle Güter beraubten, und seine finstere und kaustische Gemüthsart, reizten ihn, seiner Muse die Rache anzuvertrauen, die er mit dem Schwerte in der Hand nicht ausüben konnte. Dies war das Ziel seines Gedichtes, welchem alle seine Erfindungen, und selbst der Stil aus das vollkommenste untergeordnet sind. Wenn sich seine Galle auch über andere Menschen und Stande ergießt, die ihm nichts zu Leide gethan haben, so ist dieses der Natur der Misantropie vollkommen angemessen. Sein Ziel zu erreichen, dichtete er eine Reise in die Hölle, ins Fegfeuer und Paradies, und maßte sich völlig Gewalt an, ohne Ansehen der Personen und Stände, einem jeden seinen Ort anzuweisen, wo er entweder gestraft oder belohnt würde. Daß dieses oft auf eine groteske und seltsame Art geschiehet, daß er Männer und Weiber aus allen Jahrhunderten, Ständen und Religionen wunderlich zusammen gruppiert, und sie handeln, leiden und sprechen läßt was zu seinem Ziele taugt, bald von den (66) Umständen ihres Lebens, bald von Philosophie, bald von theologischen Geheimnißen, und zwar, den Subjecten gemäß, in verschiedenem Stil, dieses, däucht mich, dient mehr zur Empfehlung, als zum Tadel eines Gedichtes, welches in der oben gesagten Absicht geschrieben ist. Ob es seine Zeitgenossen, oder die Nachwelt mit dem Namen eines epischen Gedichtes beehrten oder nicht, daran war Dante nichts gelegen. Er selbst nannte es eine Komödie, und es wundert mich, daß Algarotti ihm dieses übel nimmt. Wußte er etwan nicht, daß man zu des Dante Zeiten eine jede öffentliche Vorstellung des Leidens und Lebens Christi, oder einer andern heiligen Geschichte in verkleideten Processionen und Aufzügen, eine Komödie betitelte? Oder war ihm unbekannt, daß eine Zeit war, da man ein jedes Gedicht von erhabenem Stil Tragoedia, von mittlerem Stil Comoedia, und von niederem Elegia nannte? Dante selbst hat in einige Stellen seines Buchs de vulgari eloquentia diese Eintheilung des Stils geäußert. Selbst in seinem Gedichte, wovon hier die Rede ist, legt er hierin seine Denkart nicht undeutlich an den Tag, da er in der Hölle die Aeneis eine Tragödie nennt, und hierdurch handgreiflich beweiset, daß er sein Gedicht nicht unter die von erhabenem Stil gerechnet wissen wolle. Noch weniger mußte den Grafen Algarotti der Zusatz Divinia Commedia wider den guten Dante in Harnisch bringen. Er hat seinem Gedichte diesen stolzen Titel nicht selbst beygelegt. Ludovico Dolce (67) war im Jahr 1555. der Erste, der es in der Giolitischen (?) Edition 8) damit beehrte.

Wenn übrigens die Italiener dieses Gedicht unter die epischen zählen, so haben sie, däucht mich, nicht ganz Unrecht. Ein jemand erdichtete, er habe sich in einem Luftschiffe von einem Planeten zu dem andern geschwungen, und alle wunderbare Begebenheiten, die ihm auf dieser Reise aufgestoßen, dichteriesch beschriebe, wäre dieses nicht eben sowohl, als die Odyssea und Aeneis, ein episches Gedicht? So wie dieses Träume sind, so weiß ich nicht, warum nicht auch der Traum des Dante das Subject eines epischen Gedichtes seyn könne. Wenn es wahr ist, daß die Einheit der Handlung zum Wesen dieser Art von Gedichten gehört, so fehlt es der sogenannten Comödie des Danrte eben so wenig an Einheit, als den Reisebeschreibungen des Ulysses und des Aeneas. Hier führen die Dichter ihre Helden durch fremde Meere und Länder, erzählen die Ungeheur, Schiffbrüche, Bezauberungen, Gefahren, denen sie ausgesetzt waren; und dort beschreibt Dante, was er auf seiner Reise in der andern Welt wahrgenommen, die Strafe der berüchtigten Sünder, und die Freuden der Seligen. Homers und Virgils Gedichte gründen sich auf historische Wahrheit, jenes des Dante auf die Religion, und auf die Geschichte und Sitten seiner Nation, für welche er schrieb. Wenn er in der Art der Ausführung von den griechischen und (68) lateinischen Mustern abgehet, so war er auch der Mann eine eigene Art von epischem Gedichte zu stiften. Ihm folgte Federigo Frezzi [gest. 1416] in seinem Quadriregio nach; und ist nicht nach des Dante Zeiten durch Ludwig Pulci [Luigi Pulci, 1432 - 1484], Folengo [Folengo Teofilo, eigtl. Gerolamo, geb. 1491 oder 1496 in Mantova, gest. 1544 in Campese], Berni [Francesco Berni, geb. 1497 oder 1498 in Lamporecchio bei Firenze, gest. 26. Mai 1535], Tassoni, und Fortiguerra das Heroischkomische Gedicht entstanden, welches von den Regeln der Griechen und Lateiner abweicht, und darum doch nichts von seinem Werthe verliert?

Man kann nicht läugnen, daß der Stil des Dante in Ansehung der Gedancken oft finster, sophistisch und niedrig, und was die Versification und Worte betrift, oft hart und rauh klingt. Er ist hierin den Gemälden des Cimabue und Giotto, seiner Zeitgenossen, und der sogenannten Gothischen Bauart seiner Zeiten sehr ähnlich. Allein vieles von diesen Mängeln muß seiner allzu ernsthaften und finstern Gemüthsart, vieles seiner schrankenlosen Liebe zur Freyheit und seinen Hange zur beissenden Satyre, vieles der noch ungebildeten Sprache, und den Gegenständen die er beschrieb, beygemessen werden. Auch in den Stellen, wo er am meisten bewundert wird, ist sein Stil nicht von zärtlicher und weicher Anmuth, sondern kraftvoll, und von männlicher Schönheit. Dieses bemerckt man sogar in seinen Sonnetten, wo seine Ausdrücke der Liebe immer einen gesetzten und ernsthaften Geist verrathen. Vor ihm hatte noch niemand von Theologie, Naturlehre, Mathematik, und Sternkunde in Italienischer Sprache (69) geschrieben; er mußte aus den rohen Schlacken der Sprache des Volcks schickliche und wohlklingende Wörter bilden, und auf ungebahnten Wegen, und unter schwer einzubildenden Gegenständen, bey jedem Schritte mit neuen Hindernissen kämpfen. Er schuf die Sprache so vollkommen, daß sie bis auf den heutigen Tag nicht nur verständlich, sondern auch classisch ist; und es ist nicht genug zu bewundern, wie er allein hinreichend war zu vierzehn tausend Versen schickliche Wörter zu finden, welche nicht nur eine jede Handlung und Sache, die bey jedem Schritt neu sind, sondern auch ihre verschiedene Schattirungen ausdrücken. Algarotti hat diesen Werth nicht in seine Rechnung gebracht, sonst würde er dieses Gedicht nicht unter die alten Codices verwiesen haben. Wem daran gelegen ist, in einem kurzen und kraftvollen Stil zu schreiben, dem ist er eine unschätzbare Quelle. Wenn einige Wörter veraltet sind, so ist dieses kein Fehler des Dichters, sondern der Nation, die solche Wörter ausser Gebrauch hat kommen lassen; und wenn Wörter und Verse in den Ohren des Algarotti übel klangen, so ist die Frage, ob das Ohr eines Lombarden ein entscheidender Richter hiervon seyn konnte, oder ob dasselbe etwa allzusehr verzärtelt war. Was mag wohl die Ursache seyn, daß die Lombarden so große Feinde der florentinischen Akademie della Crusca sind? Keine andere, als weil sie ihren zu abgebrochenen und läppischen Tönen gewöhnten Zungen, Ohren und Federn eine ganz verschiedene (70) Harmonie vorschreibt, die sie selten so erreichen, daß man nicht auf der ersten Seite ihrer Schriften einen Misklang, oder, wie in den Schriften des Algarotti, ein affektiertes Wesen wahrnehme. Es ist nicht einem jeden gegeben, die Harmonie der Dantischen Muse zu fühlen. Sie recht zu fühlen müßte man sie mit dem männlichen und strengen Geiste des Dichters hören und denken. Eine weichlich anmuthige Harmonie findet man eben so wenig in seinen Gedichten, als leichte Umrisse im Etruskischen Stil der zeichnenden Künste.

Es ist mir kein Dichter bekannt, dessen Stil den verschiedenen Gegenständen so sehr anermessen ist, als der Stil des Dante. Daher ist es kein Wunder, daß er bald erhaben, bald niedrig, bald so sanft und lieblich als es ein Dante seyn konnte, bald mürrisch, finster und schrecklich ist. Selbst die fremde und unverständliche Sprache, welche er dem Pluto in den Mund legt, und Algarotti so sehr tadelt, ist ein überzeugender Beweis hievon. Daß Pluto, der einen noch lebenden Menschen plötzlich vor seinen Augen im Reich der Todten siehet, in Verwirrung gerath, und in eine höllische Sprache ausbricht, ist der Sache sehr angemeßen. Daß er dem Virgil seinem Führer und Lehrer, die Sprache eines in den Geheimnissen der wahren Religion aufgeklärten Menschen in den Mund legt, und den Pluto, den dieser auf Erden als Beherrscher der Hölle verehrte, einen verfluchten Wolf schelten läßt, den der Erzengel (71) Michael aus dem Himmel gestürzt, ist wahrscheinlicher, als wenn er ihm einen schwarzen Stier hätte opfern lassen. Denn er vermischt zwar die Mythologie mit der christlichen Religion, aber nur in so fern er die heidnischen Helden und Halbgötter mit den Christen vermengt, und ihren Lastern und Tugenden nach den Grundsätzen des Christenthums Strafe und Belohnung wiederfahren läßt. Daß er den Cerberus, Pluto, Minos, Charon, die Seen und Flüße der Hölle beybehalten, ist ihm eben so wenig zu verdenken, als daß er die Hölle in verschiedene Kreise getheilt hat; weil Eins so gut als das andere erdichtet ist. - Trojan und Riphäus bey den Heiligen im Paradiese, die heidnischen Dichter und Philosophen, Camilla, mit Hektor und Aeneas, Lucretia mit dem Sultan von Babilonien, und Brutus und andere Heiden in der Vorhölle, wo ehedem die heiligen Patriarchen waren, Kardinäle und Päbste in scheußlichen und allzuverächtlichen Stellungen und Gesellschaften: alles scheint dem Algarotti ein unerklärbares Gemische; und mir würde es eben so unerklärbar scheinen, wenn er durch die nicht minder erdichtete himmlische Hierarchie seiner Einbildungskraft hätte Schranken setzen lassen. Eben diese grotesken Gruppierungen, diese unerwarteten Auftritte, sind eine wesentliche Schönheit des Gedichtes. Wie hätte er stummen Personen Handlung, und Reiz verschaft, wenn er es nicht durch ihre auffallende Lage und Stellung gethan hätte? - Was Dante von Can della Scala (72) sagt, ist eine ganz erträgliche Allegorie, "Er wird sich nicht an Landern und Metall, sondern an Weisheit Liebe und Tugend laben," und von einem Dichter verlangt man keine allzu genaue Bestimmung der Oerter, besonders wenn er geheimnißvoll weißaget, und der Ort aus andern Umständen errathen werden kann, wie hier der Fall ist. Uebrigens sehe ich nicht, was die Reime Lacca und insacca bestialisches haben. Was aber die folgenden Austerich, Tabernicch und Gricch anbelangt, so hatte sich Dante einmal in den Kopf gesetzt, den Klang des Eises nachzuahmen, wenn es einen Schreck bekommt "Das Eis war so stark, daß es nicht einmal am Rand einen Schreck bekommen hätte, wenn auch die Berge Tabernic und Pietrapiana darauf gefallen wären." Man muß aber wissen, daß die Toskaner das C am Ende wie ein kurzes Ke lesen, wodurch ein großer Theil der Härte verschwindet: denn sie lesen Austerikke, Tabernikke, Crikke. Das harte, was dennoch übrig bleibt, gehört, wie hundert andere dergleichen Kleinigkeiten, unter die Kinder des Dantischen Eigensinns, welche durch die Menge unnachahmlischer Schönheiten bedeckt werden. Dieser sind viel mehrere, als Algarotti angiebt, und ich behaupte, daß kein Dichter ihn an Menge selbstgeschaffener Gedanken und Bilder übertrteffe.

Das Urtheil, welches Algarotti über des Dante Gedicht fällt, ist zum Theil wahr, und zum Theil (73) allzuerniedrigend. "Ich kann, sagt er, diesen seltenen Mann nicht hoch genug schätzen, der unter der allgemeinen Finsterniß und Barbarey, aus welcher die Welt, kaum ihr Haupt zu erheben anfing, es wagte, an ein Gedicht zu denken, und alle Gegenstände der Dichtkunst kühn zu mahlen. Man muß ihn weder als einen epischen, noch als komischen Dichter betrachten. Sein Gedicht ist nicht anderes, als eine Beschreibung seiner Reise. Wunderlicher Eigensinn und Leidenschaften waren seine Wegweiser und Gefährten. - Hätte er in bessern Zeiten gelebt, würde er vielleicht der größte unter allen Dichtern geworden seyn. Es fehlte ihm nichts als guter Geschmack und Kunst. Aber seine Seele war groß und erhaben, sein Kopf scharfsichtig und fruchtbar, seine Phantasie lebhaft und mahlerisch, woher ihm die Verse und wunderbare Züge leicht aus der Feder fließen. So ungestaltet auch seine Komödie ist, so enthält sie doch hier und da so starke und schreckliche Gedanken, so wohl organisirte Terzinen, daß der dadurch bezauberte Leser die Rauheit der andern Zwölf oder zwanzig folgenden nicht empfindet. - Wer bewundert nicht die anschauende Idee in den Versen:


E come quei, che con lena affanata

Uscito fuor del pelago alla riva

Si volge all' acqua perigliosa e guata


(Wie Einer, der mit harter Noth dem Meer

Entgangen, ächzend auf dem Ufer steht,

Und die Gefahr des Wassers überschaut;)


(74) Wer fühlt nich die Anmuth und Frischheit in den folgenden:

Quale i fioretti dal notturno gelo

Chinati e chiusi, perche il sol gl'imbianca

Si drizzan tutti aperti in loro stelo;


(Wie Blumen von dem Frost der Nacht gebeugt

Und zugeschloßen, wenn die Sonne sie

Mit heitern Strahlen färbt, sich öffnen, und

Auf ihrem Stengel alle aufrecht stehn;)


das Majestätische und Schreckliche beym Eingang der Hölle:

Per me si và nella città dolente

Per me si và nell' eterno dolore,

Per me si và tra la perduta gente;

Giustizia mosse il mio alto Fattore etc.


(Durch mich geht man zur trauervollen Stadt!

Durch mich geht man zur ew'gen Quaal und Pein;

Durch mich geht man zu dem verlornen Volk!

Gerechtigkeit war meines Schöpfers Ziel, etc.)

Schmerz und Verzweiflung der Verdammten in diesen drey Versen:

Diverse lingue, orribili favelle,

Parole di dolore, accenti d'ira,

Voci alte e fioch, e suon di man con elle


(Ein fürchterlich Gemisch

von tausend fremden Sprachen, lautes Ach

und Weh', des Zorns Geschrey , ein hell und dumpf

Geheul, und Händeklatschen - )


(75) Das sind göttliche Verse. Das nemliche sage ich von seiner Beschreibung des Arsenals zu Venedig, von seinen Apostrophen an die Pisaner und Genueser etc. Dergleichen Terzinen sind im ganzen Gedichte, wenn ich sie recht gezählt habe, ungefähr Hundert unter Fünftausend, woraus das Gedicht besteht. Der Verse aber, die ohne Mängel sind, belaufen sich, ich erdreiste mich es zu sagen, auf tausend. Die übrigen 13000 sind fehlerhaft und schlecht. Ein in Wahrheit schönes und ergötzendes Gedicht! Worauf kann Dante Anspruch machen, wenn dreyzehn Theile seines Gedichtes fehlerhaft sind, und nur der vierzehnte wohl gerathen ist?"

Nach dieser Berechnung, welche Virgil in den Elysischen Feldern in Gegenwart aller griechischen und Lateinischen Dichter machte, entstand ein Aufruhr. Juvenal wolte den guten Dante dem Ennius und Pacuvius nachgesetzt wissen. Die Griechen tobten am meisten. Sie verlangten Genugthuung für das Unrecht, womit die Italiener sie soviele Jahrhunderte dem Dante gleich geachtet hatten. Es wurde allgemein beschlossen, daß Dante keinen Platz unter ihnen haben sollte, weil es seinem Gedichte an regelmässiger Form und Kunst fehlte. Hesiodus, Lucrez, und andre historische und philosophische Dichter weigerten sich, ihn aufzunehmen wenn er sich nicht von den vielen wunderlichen und unvernünftigen Erdichtungen reinigte. Terenz, Aristophanes, und die übrigen Schauspiel-Dichter (76) behaupteten, wegen des bloßen Titels einer Komödie könnte man auf die Ehre eines Komischen Dichters noch keinen Anspruch machen. - Kurz Dante lief Gefahr von der Zahl der Dichter gänzlich ausgeschlossen zu werden, wenn Virgil nicht eine Mittelstraße gefunden hätte, die Sache zu schlichten. Er schlug ihnen vor, die besten Stücke aus dem Dante in ein kleines Buch von drey oder vier Gesängen zu sammeln, sie nach Möglichkeit zu ordnen, und die Verse, die sich zu andern nicht schickten, einzeln aufzubehalten, wie Denksprüche, nach Art der Fragmente des Afranius und Pacuvius. Mit diesem Beding wurde Dante unter der Gesellschaft der Dichter aufgenommen, und mit der Unsterblichkeit beschenkt - Ob er sich für diese große Gnade bedankt habe, davon sagt der Brief nichts. Vermuthlich warf er einen höhnischen Blick auf die geschminkten Künstler, zog die Kappe über seinen schöpferischen Kopf, und gesellte sich zu den ältesten Zöglingen der Natur, die ohne Fesseln der Kunst ihrer göttlichen Begeisterung folgten.

Anmerkungen:

1)  Le tre Fontane di Nicolo Liburnio sopra la grammatica e l'Eloquenza di Dante, del Petrarca, et del Boccaccio. Venezia 1526.

2)  In difesa della lingua fiorentina e di Dante. Firenze 1557.

3)  Discorso di Ridolfo Castravilla nel quale si mostra l'imperfezione della Comedia di Dante contro il Dialogo delle Lingue del Varchi, mit den Annotazioni des Bulgarini gedruckt zu Siena, 1608.

4)  Discorso di Jacopo Mazzoni in difesa della Commedia del divino poeta Dante. Cesena 1573.

5)  Alcune considerazioni di Bellisario Bulgarini sopra il Discorso di Jac. Mazzoni fatto in difesa della commedia di Dante. Siena 1583.

6)  Della Difesa della Commedia di Dante distinta in sette libri, nella quale si risponde alle opposizioni fatte al discorso di Jac. Mazzoni, e si tratta pienamente dell' arte poetica, e di molte altre cose pertinenti alla filosofia e alle belle lettere. Parte I. Cesena 1587. P II. 1588.

7) Die "Briefe des Publius Vergilius Maro, aus dem Elysium an die "Arcadia" in Rom geschrieben über die Mißbräuche, die in der italienischen Dichtkunst eingeführt worden sind." [Lettere di Publio Virgilio Marone scritte dagli Elisi all'Arcadia di Roma sopra gli abusi introdotti nella poesia italiana] war eine literaturkritische Abhandlung von Saverio Bettinelli, anonym erschienen 1757 som af mange, således også af Jagemann, blev tillagt Francesco Algarotti. Brevene blev almindelig kendt i datidens litterære verden, og de var grundlaget for de betragtninger over Dante og Den guddommelige Komedie, som Voltaire gjorde sig i sin artikel i Dictionnaire Philosophique, citeret oven for under Miscellaneous.

Se i øvrigt nærmere om de interessante personligheder Bettinelli og Algarotti i i "Kindlers Neues Literatur Lexicon" Kindler Verlag GmbH, München 1988), i Storia della letteratura Italiana (Garzanti 1968) Pag. 513-521 og 630-635. Endvidere fyldige og velkommenterede uddrag af begges skrifter (bl. a. de ovennævnte 10 breve) i Ettore Bonora: "Illuministi Italiani," Tomo II, Riccardi Ricciardi Editore, Milano-Napoli 1969.

8) Die Vorlage ist hier fast unleserlich, es könnte auch Ginntischen oder Giuntischen Edition heißen. - " Enciclopedia Dantesca" sagt (Bd. III, pag. 177): "Giolito de' Ferrari GIOVANNI GABRIELE, libraio, stampatore, editore ..........Di tanto vasta produzione uscì dalla sua officina una sola edizione della Commedia ........ e cioè quella assai elegante, ma molto scoretta, del 1555 (in fine ha la data 1554), in piccola formato, dove per la prima volta nel frontespizio al titolo di Commedia fu aggiunto l'attributo di Divina. Fu curato da L. Dolce ........." (CN).

Seitenanfang