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D r e i ß i g s t e r   G e s a n g.
Die Fälscher der Person, des geprägten
Metalls (Falschmünzer), des Wortes.
Inhalt.
      Zuerst nun werden uns diejenigen vorgeführt, die sich aus unlauterer Absicht in eine fremde Persönlichkeit verstellt haben. Weil sie somit an dem höchsten Gute des Menschen, - denn die Persönlichkeit ist gewissermaßen der Adelsbrief aller freien Wesen, - gefrevelt haben, so werden sie an der eigenen sowohl, als an der fremden Persönlichkeit irre. Unsaubern Schweinen gleich, laufen sie, wie besessen, umher, und reißen alles auf ihrem Weg grund- und rücksichtslos nieder. Myrrha, als Frau von Natur scheu, jagt, in dem Wahnsinn ihres Herzens sich selbst verlierend, flüchtig vorüber. Schicchi aber, als Mann von Natur minder zahm, vergreift sich sogleich an Capocchio, der nun, dem Fluche 5. B. Moses 28, 29 gemäß, auf diese Weise Gewalt leidet und Niemanden hat, der ihm helfe (s. Anm. 9 zum vorhergehenden Ges.).

      Die Falschmünzer leiden an Wassersucht. Sie haben durch Beimischung schlechter Bestandtheile das Metall gewissermaßen aufgetrieben, so daß der flüchtige Beschauer es für vollwichtig nehmen konnte: nun ist ihnen der Leib von schlecht umgesetzten Säften aufgedunsen, so daß man sie beim ersten Anblick für kerngesund halten möchte, während sie innerlich verschmachten. Der eine derselben, Meister Adam, schildert dem Dante von freien Stücken sein Elend. Dieser frägt ihnm nach zwei neben ihm liegenden Schatten und erfährt, daß der eine Pothiphar's verläumderisches Weib und der andere der meineidige Sinon ist.

      Die Fälscher des Wortes werden vom hitzigen Fieber geplagt. Das Gehirn, darin sich Wahrheit und Lüge in buntem Gemisch kreuzten, wird nun von lügenhaften Fieberphantasien umgaukelt; es ist, als wollte sich der ganze Leib dieser Dunstmacher in nichtigen Dampf auflösen. Potiphar's Weib verhält sich, wie Myrrha, rein leidend; aber Sinon giebt dem MeisterAdam für das despectirliche Prädikat, das er ihm gegeben, einen Faustschlag auf den geschwollenen Wanst, und dieser bezahlt den Griechen mit gleicher Münze. So entspinnt sich ein ziemlich langer wortwechsel, darin sich Beide, nach alter Weiber Weixe, ihre Sünde und ihre Noth vorråucken, indem der eine den andern an bei▬5endem Witz zu überbieten sucht. Dante, der, wie ein Jeder seinem natåurlichen menschen nach, sich an diesen Gemeinheiten ergötzt, wird nun slebst von dem hochherzigen Virgil ausgescholten und folgt ihm so beschämt nach, daß er nicht einmal eine Entschuldigung hervorzubrngen vermag, was ihm Virgil als die beste Entschuldigung anrechnet.   

F a d e n.
1.
  Die Fälscher der Person.
46.
  Die Fälscher des geprägten Metalles.
91.
  Die Fälscher des Wortes.
130.
  Virgil schilt den Dante.

XXX.

1 Zur Zeit, da Juno Haß im Herzen hegte,
  Durch Semele verzürnt mit Thebens Blute,
  Was an den Tag sie mehr als einmal legte:  01
4 Ward Athamas so schwach in seinem Muthe,
  Daß, als er die Gemahlin vor sich sahe,
  Der links und rechts ein Sohn im Arme ruhte,
7 Er ausrief: "Spannt das Netz, daß ich sie fahe,
  Die Wölfin da im Weg, zusammt den Kleinen!"
  Mit unbarmherz'ger Hand trat er ihr nahe
10 Und riß ihr von dem Arm herab den einen,
  So daß sie mit dem andern sich ertränkte,
  Als der gewirbelt sich zerschlug an Steinen.
13 Und als das Schicksal jenen Hochmuth senkte
  Des Troervolks, der sich an Alles wagte,
  Und mit dem Reich auch der fiel, der es lenkte,
16 Fing Hecuba, die traurige, verjagte,
  Die ihrer Tochter Leichnam schon gesehen,
  Als ihren Polydor nun die verzagte
19 Am Strand des Meeres inne ward im Gehen,
  Unsinnig an zu bellen, gleich den Hunden:
  So schien der Schmerz den Sinn ihr zu verdrehen.  02
22 Doch nie noch ward Thebaner Wuth erfunden,
  Noch auch Trojaner, die so ausgelassen
  Ein Vieh, geschweig' ein Menschenglied, geschunden:
25 Als ich es von zwei Schatten hier, ganz blassen
  Und nackten seh', die, um sich beißend, laufen,  03
  Den Schweinen gleich, die man der Haft entlassen.
28 Schon seh' ich Einen um Capocchio schnaufen;  04
  Der zog ihn, in den Kropf die Hauer schlagend,
  Daß sich am Stein der Bauch rieb, über'n Haufen.
31 Der Aretiner, zitternd noch und zagend,
  Sprach: "Gianni Schicchi, heißt der Spukgeselle;
  So richtet er uns zu, voll Wuth umjagend." -
34 "O", sagt' ich, "wenn der Andr' auf deinem Felle
  Sich nicht einbeißen soll, dann unverdrossen
  Sag, wer er ist, bevor er flieht, der schnelle." -
37 "Der alte Geist", sagt' er, als ich geschlossen,
  "Der frevlen Myrrha ist's, die nicht im Gleise   05
  Rechtmäß'ger Liebe Vaters Gunst genossen.  06
40 Sie sündigte mit ihm auf solche Weise,
  Daß sie sich ihm verstellt in die Gewalt gab;
  Wie jener dort schon auf der Weiterreise
43 Sich von Buoso Donati die Gestalt gab,  07
  Zu Lieb der Frau der Heerde, der erkor'nen,
  Und ein Vermächtniß macht' und ihm auch Halt gab."
46 Als von den beiden rasenden Verlornen,
  Auf die mein Auge hielt, ich nichts mehr schaute,
  Besah ich mir die andern Mißgebor'nen.
49 Da sah' ich Einen ganz nach Art der Laute,
  Hätt' Einer ihm die Weichen abgespalten,
  Wo gabelförmig die Natur uns baute.
52 Die Wassersucht, die läst'ge, die mit alten,
  Verdumpften Säften so die Glieder aufschwellt,
  Daß sich Gesicht und Wanst gar schlecht verhalten,
55 Macht, daß er ewig seine Lippen aufspellt,
  Gleich wie ein Hektischer, weil er verschmachtet,
  Die gegen's Kinn hinab, und die hinauf hält.
58 "Die ihr, von keinem Peiniger beachtet, -
  Warum, ich weiß nicht, - hier in der elendig
  Bestellten Welt seid", rief er aus, "betrachtet
61 Das Elend Meister Adam's hier! Lebendig  08
  Hatt' ich mehr als vollauf in allen Stücken;
  Nun wollt' ich, einen Wassertropfen fänd' ich.  09
64 Die Bächlein, die vom grün bewachs'nen Rücken
  Des Casentin zum Arno ihre Welle
  In frischen Ufern, in durchweichten, schicken,
67 Stehn mir, - und nicht umsonst! - vor'm Geist stets helle;  10
  Ihr Bild dörrt mich weit mehr aus als die Plagen,
  Drob ich, im Antlitz magernd, mich entstelle.
70 Es nimmt der starre Zorn, der mich geschlagen
  Vom Orte, wo der Sünd' ich einst gepflegt hab',
  Anlaß, die Seufzer heftiger zu jagen.  11
73 Romena liegt, darin ich falsch geprägt hab'
  Die Münze mit dem Täufer, in der Nähe,  12
  Wo auch verbrannt den Leib ich abgelegt hab'.
76 Daß ich doch Guido's traur'gen Geist hier sähe,  13
  Und wär' es auch ein anderer der drei Brüder!
  Nicht Fonte Branda möcht' ich, wenn's geschähe.  14
79 Wenn Wahrheít reden die, so hin und wieder  15
  Voll Wuth umgehn, so haben wir schon einen;  16
  Doch was hilft's mir! Gebunden sind die Glieder.
82 Wär' ich doch nur so flink auf meinen Beinen,
  Nur Einen Zoll zu gehn in hundert Jahren!
  So wär' ich mit dem Aufbruch längst im Reinen,
85 Und sucht' ihn bei den ungeschlachten Schaaren,
  Elf Miglien in der Rund', und in der Breite
  Auf's mindest' eine halbe. Denn gefahren
88 Bin ich durch sie zur Sippschaft solcher Leute:
  Sie reizten mich, daß ich die Fiorenen  17
  Mit drei Karat zu mischen mich nicht scheute."
91 Und ich zu ihm: "Den Namen sag von jenen,
  Die g'rade, wie die Hände rauchend, die man
  Im Winter badet, hart zur Rechten stöhnen!" -
94 "Hier fand ich sie, da rührten sie sich nie dann,
  Seit ich in diese Kluft hier schneite", sagte
Der wiederum; "sie rühren sich wohl nie wann.
97 Der ein' ist die, die Joseph falsch verklagte;
  Der falsche Grieche Sinon ist der zweite;  18
  Sie dampfen, als von Fieberglut Geplagte."
100 Und ihrer einer, den's nicht eben freute,
Daß mit so wenig Achtung man ihn nannte,
Schlug mit der Faust des harten Wanstes Breite.
103 Wie eine Pauke dröhnte der gespannte,
  Und Meister Adam schlug ihm in's Gesichte
Mit seines Armes schwerlich weich'rer Kante.
106 "Verwehrt", so sagt' er, "ist mir vom Gewichte
Das Gehen zwar, doch hab' ich um so freier
Den Arm, daß ich solch' Handwerk mit verrichte."
109 Der gab zur Antwort: "Als du in das Feuer
Die Reise machtest, war er nicht so tüchtig;
Doch als du münztest, ja, da war er treuer." -
112 "Das sagst du wahr", sprach der, der wassersüchtig;
"Doch war, als man die Wahrheit von dir heischte
Im Troerland, dein Zeugniß nicht so richtig." -
115 "Fälscht' ich das Wort, du fälschtest 's Geld", so kreischte
  Der Griech', "ich bin hier Eines Fehlers wegen,
  Und du um mehr, als Teufel, eingefleischte."  19
118 "Meineidiger", sprach Schwellbauch ihm entgegen,
  "Denk' nur an die Geschichte mit dem Gaule;
  Straf 's dich, daß sie es wissen allerwegen!" - 20
121 "Straf' dich der Durst, drob dir die Zung' im Maule
  Zerplatzt", so sprach der Grieche, "und das Nasse,
  Das dir den Leib vor'm Aug' aufthürm't, das faule!" -
124 "Schon wieder", rief der Münzer, "thut die Gasse
  Dein Maul weit auf, wie stet's, zu schlechten Zwecken;
  Denn hab' ich Durst und schwellt mich feuchte Masse,
127 So hast du Brand und Schmerz im Kopfe stecken;
  Und bei dir braucht' es nicht viel guter Worte,
  Den Spiegel des Narcissus zu belecken." 21
130 Sie anzuhören, wich ich nicht vom Orte.
  "So schau nur, schau nur zu! denn wenig fehlet,
  Daß ich mit dir mich zanke." Von dem Horte,
133 Dem zornentbrannten, dergestalt geschmälet,
  Wandt' ich mit einer Scham mich um, die, immer
  Noch durch den Sinn zuweilen fahrend, quälet.
136 Wie wem im Traum sein Glück zerfällt in Trümmer,
  Und er dann träumend gerne träumen möchte,
  Und sich das wünscht, was ist, als wär es nimmer:
139 So werd' ich nun, der auch kein Wort vorbrächte,
  Da ich mich zu entschuldigen begehre,
  Und mich entschuld'ge, ohne daß ich's dächte.
142 "Geringre Scham", gab mir mein Herr zur Lehre,
  "Wäscht größern Fehl, als der von dir bereute:
  Entlaste jeder Trauer dich und höre,
145 Vergiß nie mehr, daß ich dir stets zur Seite,
  Bringt dich das Ungefähr zu solchen Plätzen,
  Wo Leute sind in so bewandtem Streite!
148 Zuhören ist ein niedriges Ergötzen.  22

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Einunddreißigster Gesang

Erläuterungen:

01 Das eine Mal, als sie die Semele durch ihren verderblichen Rathschlag vernichtete; das andere Mal, als sie die Schwester derselben, Ino, und deren Gemahl Athamas, wahnsinnig machte. (Siehe Ovid Metam. 4, 511)

02 Ihre Tochter Polyxena war geopfert und ihr Sohn Polydor ermordet worden. (S. Ovid. Metam. 13, 400).

03 Das tertium comparationis ist also "der Wahnsinn, die Blindheit und Wuth des Herzens", die an der eigenen sowohl (Hecuba - Myrrha), als an der fremden Persönlichkeit irre wird (Athamos - Gianni).

04 Schicchi hält den Capocchio vielleicht für ein wildes Thier, wie Athamas seine Gemahlin für eine Wölfin ansah.

05 Myrrha hält sich vielleicht für eine Sau, wie Hecuba sich für eine Hündin ansah. Sprüchw. 11, 22. "Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Harband."

06 Ihr Vater, bei dem sie sich im Dunkel der Nacht als eine Fremde einführte, war König vom Paphos.

07 Buoso Donati wollte vielleicht seine unrechtmäßig erworbenen Reichthümer großentheils für milde Stiftungen aussetzen. Sein Neffe Simone Donati schaffte ihn deßhalb bei Zeiten aus der Welt, und Schicchi legte sich in das Bett des Gemordeten und diktirte, die Stimme desselben nachahmend, dem herbeigerufenen Notar ein Testament in aller Form, worin er den Simone zum Universalerben einsetzte und sich selbst für seine Mühe die beste Stute vermachte.

08 Meister Adam war aus Brescia.

09 Der Falschmünzer, der sich so viel Geld machen konnte, wie er wollte, spielt hier mit Recht die Rolle des reichen Mannes im Evangelio. Luc. 16. 24.

10 Der lechzende Falschmünzer versenkt sich ganz in das "Grüne, Frische, Durchweichte", wenn auch nur in der Idee. Wenn man recht durstig ist, kann man sich solcher Phantasieen nicht erwehren.

11 "Womit Einer gesündigt hat, damit wird er gequält". Das jeißt auch: Wo Einer gesündigt hat, damit wird er gequält.

12 Die Florentinischen Floren, später Zecchino, waren mit dem Bilde des Schutzpatrons von Florenz beprägt.

13 Guido war Graf von Romena. - Wie die Verführer sich scheuen, mit ihren Verführten in der Hölle zusammenzutreffen, so freut sich hier der Verführte, seinen Verführern unter's Gesicht zu treten.

14 Fonte Branda ist ein schönverzierter Brunnen zu Siena, mit einer Fülle vortrefflichen Wassers. Viel, gut und appetitlich: das non plus ultra seiner bescheidenen Wünsche. Aber der Ingrimm verzichtet gern auf das größte Glück, und läßt es sich obenein blutsauer werden (V. 82 - 87), wofern er nur dem Feinde einigermaßen damit wehe zu thun vermag; ich sage einigermaßen, denn was hofft Meister Adam als Lohn für alle seine Opfer? Weiter nichts, als das grimmige Vergnügen, seine Verführer in der Qual, in der er ihn weiß, auch zu sehen (V. 79 - 81).

15 Meister Adam mißtraut diesen rasenden, ihrer selbst nicht recht mächtigen Seelen.

16 Die Grafen von Romena waren als Verführer zur Falschmünzerei der geistigen That nach selbst Falschmünzer. So sagt Th. A. von den Dämonen, daß sie insofern auch Trunkenbolde und Hurer genannt werden könnten, als sie andere dazu verführten.

17 Die Florentinischen Floren waren ohne alle Legierung.

18 Sinon rieth den Trojanern, das hölzerne Pferd mit den griechischen Helden im Bauche in die Stadt zu ziehen. Aeneide 2, 153.

19 Sinon log nur einmal. Meister Adam aber log aus jedem Goldstücke heraus, das er prägte.

20 Weil es Virgil, der in aller Welt gelesene Dichter, beschrieben hat.

21 Der Spiegel des Narcissus ist die klare Quelle, darin der in sich selbst verliebte Jünglich sich bespiegelte.

22 Philaletes bemerkt: "Auch an dieser Stelle glaube ich eine Art Selbskritik des Dichters zu finden, welcher wohl fühlte, daß eine solche Episode dem eleganten, abgerundeten Virgil fremd geblieben sein würde." Hier ist doch aber nicht von der objectiven Beschreibung, sondern von der subjectiven Versenkung in solche Gemeinheiten die Rede. Es scheint uns daher angemessener, daß Virgil nicht als eleganter Schriftsteller, sondern vielmehr als hochherziger (magnanimo) Philosoph dem Dante zürnt.