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V i e r u n d z w a n z i g s t e r  G e s a n g.
Die Diebe.
Inhalt.
       Der ganz auf Virgil geworfene Dante erschrickt, gleich das Schlimmste fürchtend, über den Mißmuth Virgil's, den er auf die Unmöglichkeit, dem Thalgrund der Heuchler zu entkommen, schiebt, wie der arme, ganz von der Natur abhängige Landmann, der auch gleich das Schlimmste denkt, über ein wenig Reif außer Fassung geräth. Aber der Reif, der dem Schnee nur ähnelt, schmilzt im Nu hinweg und der Landmann wird wieder frohen Muthes; so geht auch der Unwille Virgil's, der bloß den Anschein gemeiner Verstimmung hat, im Augenblick vorüber, und Dante gewinnt neue Hoffnung. Dieser überklettert mit Hülfe und unter ermuthigendem Zuspruch des väterlichen Virgil's die eingestürste Felsenbrücke und gelangt auf die Brücke des siebenten Thalgrundes, in den ihn der gefällige Meister, dem die heilsame Lust seines Schülers an der Betrachtung der Sünde gefällt, ohne Weiteres ein Stück hinabführt, und zwar der besseren Schau wegen: denn undurchdringliches Dunkel liegt aus demselben Grunde, wie dort über der Gaunergrube (Ges. 21, 6. u. Inh. zu d. Ges,), so hier über der Diebshöhle. Dante sieht ungeheure Haufen von Schlangen. Darin stecken, wie sich aus dem folgenden Gesange ergiebt, die listigen, nach Art der Schlangen, unvermerkt sich heranschleichenden Diebe. Dazwischen läuft ein Theil der Diebsseelen in natürlicher Menschengestalt. Sie finden hier keinen Schlupfwinkel vor den verbrüderten Schlangen, die ihnen nur dasselbe anthun, was sie sonst Andern anthaten: Ueberfall, Wunden, Bande (V. 94.), Einäscherung, Tod. Hier schützt kein Gesetz diese Gesetzlosen (outlaws), die den Segen des Gesetzes, so lange sie auf Erden waren, unverdient mit genossen, die ewige Gerechtigkeit zeigt ihnen, wohin ihr Grundsatz, allgemein angenommen, führe. "Ist seine Hand gegen Jedermann, wird Jedermanns Hand sein wieder ihn." (1. B. Mos. 16, 12.)

     Dante sieht den Mörder und Kirchenräuber Vanni Fucci aus Pistoja, von einer Schlange durchbohrt, zu Asche verbrennen und phönixartig wieder auferstehn. Derselbe klagt, von Virgil nach seiner Herkunft befragt, sich von selbst der viehischen Gewaltthätigkeit an, als wenn er einer weitern Frage nach seinem Vergehen durch dieß Geständniß vorbeugen wollte. Dante aber, der die viehische Gewaltthätigkeit anderswo bestraft weiß, rückt ihm ins Gewissen hinein. Da gesteht er, im Gefühl der allgemein anerkannten Schändlichkeit seines Vergehens, voll ärgerlicher Schaam auch seinen Kirchenraub, und prophezeit, da er kein anderes Mittel weiß, den Dante wieder zu ärgern, die Niederlage der politischen Parthei des Dichters im Picenerfelde.


F a d e n.
1.
  Vergleich des Virgil'schen Zorns mit dem Reife.
22.
  Die Dichter überklimmen die zerschellte Felsenbrücke.
79.
  Strafe der Diebe in dem siebenten Thalgrund.
97.
  Vorgang mit Vanni Fucci.
121.
  Gespräch mit demselben.

XXIV.

1 Zur ersten Zeit des Jahrs, des jugendlichen,
  Wird nun in Wassermann Sol's Locke lauer,
  Ist schon die Nacht der Mitte zu gewichen;  01
4 Wenn dann am Morgen auf der Erd' ein Schauer
  Von Reif den Bruder conterfeit, den weißen,
  Wiewohl mit einer Feder ohne Dauer:
7 So steht der Landmann, der nichts hat zu beißen,
  Vom Lager auf, schaut um und schlägt die Lenden,
  Sieht er die Felder allenthalben gleißen,  02
10 Geht heim und klagt umher an allen Enden,
  Wie einer, der nicht weiß, was aus ihm werde,
  Kehrt um, und neue Hoffnung in den Händen,
13 Sieht er verwandelt die Gestalt der Erde
  In kurzer Zeit, und nimmt zur Hand die Ruthe
  Und treibt dann auf die Trift hinaus die Heerde.
16 So übel ob des Herrn ward mir zu Muthe,
  Als ich die Stirn verstört sah, doch verband er
  Die Wunder mir nicht minder schnell, der gute.
19 Dann zum zerbrochnen Steg gekommen, wandt' er
  Sich nach mir um mit jenem süßen Blicke,
  Den ich zuerst am Hügel sah. So stand er  03
22 Und übersah die eingestürzte Brücke,
  Dann, einig mit sich selbst geworden, breitet
  Er seine Arm', und faßt mich mit Geschicke.
25 Und wie, wer denkt, wenn er so hin arbeitet, -
  Sein Sinn scheint auf das Nächste stets zu gehen, -
  So, auf den ersten Block mich hebend, schreitet
28 Sein Blick voraus, den zweiten zu erspähen;
  "An jenen dann mußt du dich klammern", spricht er,
  "Doch mußt du erst, ob er dich aushält, sehen."
31 Daß war kein Weg für die bekappten Wichter,
  Da wir von Block zu Block mit Mühe klommen,
  Ich vorgedrängt, und federleicht der Dichter.
34 Und wär' uns hier zu Statten nicht gekommen
  Die mindre Höh' diesseit des Gurts, vom Grunde,
  Ob ihn, wer weiß! mich hätt' es übernommen.
37 Weil aber Uebelsäcken nach dem Munde
  Des tieffsten Brunnens allerwärts sich abneigt,
  So liegt's in der Natur von jedem Schlunde,
40 Daß eins der Ufer auf-, das andre absteigt.
  Wir aber kamen endlich auf die Spitze,
  Von wo der letzte lose Block herabreicht.
43 Zum Weitergehen war ich nicht mehr nütze;
  So ausgemelkt war mir im Leib die Lunge,
  Daß, oben angelangt, ich auch schon sitze.
46 Da sprach mein Herr: "Jetzt gilt's, steh auf dem Sprunge!
  Denn wer auf Federn und in Betten träumet,
  Deß Ruhm kommt nie auf eines Menschen Zunge.
49 Wer aber ruhmlos seine Zeit versäumet,
  Läßt hinter sich auf Erden solche Fährte,
  Wie wenn's in Lüften raucht, auf Wassern schäumet04
52 Auf, richte dich! sieg' ob der Angstgeberde
  Mit jenem Geist, der immer siegt als Streiter,
  Zieht ihn der schwere Leib nicht mit zur Erde.
55 Zu steigen giebt's noch eine längre Leiter:
  Die zu verlassen, bringt noch keinen Segen;  05
  Verstehst du mich? So nütz' es! Nun nichts weiter."
58 Wie er so sprach, so war ich gleich voll Regen,
  Mehr Athem zeigend, als ich wirklich spürte,
  Und sprach: "Nun geh, stark bin ich und verwegen!"
61 Wonach er mich auf einem Pfad' entführte,
  Der klippig war und schmal und sehr gewaltsam,
  Weil steiler noch, als der vorher erkürte,
64 Nicht schwach zu scheinen, schritt' ich unaufhaltsam
  Und sprach dabei. Da hört' ich eine Stimme
  Vom nächsten Schlund, zu keinem Wort gestaltsam.
67 Ich weiß nicht, was sie sprach, schon auf der Krümme
  Des Stegs, der hier hinüberführt, verweilend;
  Doch schien der Sprecher aufgeregt zu Grimme.
70 Ich stand gebeugt; doch drang, das Dunkel theilend,
  Mein Auge nicht zum Grund, wie auch lebendig.
  "Zum andern Gurt", so rief ich, "Herr, komm eilend!
73 Hinab zu steigen dann für gut befänd' ich;
  Denn wie ich höre, ohne was zu fassen,
  So seh' ich und erkenne nichts inwendig." -
76 "Nicht anderen Bescheid werd' ich erlassen",
  Versetzt er, "als die That; denn wackrer Bitte
  Ziemt's mit dem Werk sich schweigend anzupassen."
79 Den Steg hinunter lenkten wir die Schritte,
  Wo sich sein Haupt am achten Ufer aufsteift;
  Da thut der Sack sich auf, und in der Mitte
82 Sitzt Schlangenbrut, die grausenhaft sich aufhäuft,
  So gar vertrackt, daß, wenn ich im Verstande
  Die Scen' erneure, mir das Blut zuhauf läuft.
85 Nun prahle Libyen nicht mit seinem Sandel!
  Wohl zeugt es Nattern, Ottern, Doppelschleichen,
  Der Vipern und der Wasserschlangen Bande:
88 Doch so viel und so arge Pesten streichen
  Dort nicht umher; die Brut des rothen Meeres,  06
  Sammt Aethiopiens, würde noch nicht reichen.
91 Inmitten des gemeinen, grausen Heeres
  Läuft nacktes Volk, erschrocknes; sein Verlangen
  Nach Talisman und Schlupfloch ist ein leeres.  07
94 Die Händ' im Rücken fesseln ihnen Schlangen,
  Die, mit dem Kopf sowohl als mit dem Schweife
Den Leib durchbohrend, vorn als Knäuel hangen.
97 Und sieh, nach Einem nahe, wo ich streife,
  Kommt solch ein Wurm geschossen. Quer durchstach er
  Ihn, wo sich Hals mit Schulter schürzt zur Schleife.
 
 
                                     Erik Styrbjoern Pedersen, DK-6990 Ulfborg
100 So schnell schreibt Keiner O' auch, I' nicht mag er,
Als der entbrannt', und durch der Flammen Mehrung
Ganz Asche ward; denn gleich zusammen brach er.
103 Und wie er nun so lag in der Zerstörung,
  So raffte sich die Asche flugs in Eines
Und kehrt' als ganz derselb' aus der Verheerung.
106 So, meint der Weißen Volk und das nicht kleines,
Stirbt auch der Phönix, um sich zu erneuen,  08
Fehlt an fünfhundert Jahren endlich keines.
109 Der speist nicht Kraut, auch Körner nicht; ihn freuen
Nur Weihrauchszähren und des Zimmtbaums Rinden,
Wie Nard' und Myrrhn die letzten Wickel leihen.
112 Und wie wer fällt bei des Bewußtseins Schwinden, -
Sei's Kraft des Dämons, die ihn plötzlich umknickt,
Sein's andre Uebel, die den Menschen binden, -
115 Wenn er sich richtet und sein Auge umschickt,
Von jener großen Angst, die ihn erpackte.
Ganz wirr im Geist, und seufzt, indem er umblickt:
118 So der erstandne Sünder auch, der nackte.
Gerechtigkeit des Herrn, wie bist du strenge,
Ob solcher Racheschläge Catarakte!
121 Da frug mein Herr: "Wer bist du?" - "Aus der Menge
Toscanas", diese Antwort gab er, "schneit' ich
Vor kurzer Zeit in dieses Rachens Enge.
124 An Vieh- und nicht an Menschenleben freut' ich
Mich, Maulthier, das ich bin; Fucci dem Viehe
Ein würd'ges Lager war Pistoj' unstreitig."  09
127 Und ich zum Hort: "Sag' ihm, daß er nicht fliehe;
Frag', welche Schuld hieher ihn stieß. Ich kannte
Ihn doch als Zorn- und als Blutmenschen." Siehe,  10
130 Das hörte der, und unverstellt nun wandte
Wie Geist, so Blick zu mir auf der Verbrecher,
Dem traur'ge Scham die Wangen überrannte.
133 Drauf hub er an: "Das schmerzt fürwahr mich schwächer,
  Daß ich der andern Welt entsagen müssen,
  Als daß du mich betrittst als solchen Schächer.
136 Gezwungen thu' ich, was du frägst, zu wissen;
  Man steckte mich so tief, weil ich die prächt'gen
  Geräth' als Dieb der Sacristei entrissen;
139 Ich wußte einen Andern zu verdächt'gen. -
  Doch, daß dich solches Schauspiel nicht berausche,
  Entrinnst du diesen Orten je, den nächt'gen,
142 So öffne meinem Spruch dein Ohr und lausche:
  Pistoja muß, der Schwarzen ledig magern,  11
  Bis daß Florenz Geschlecht und Weise tausche.  12
145 Denn einen Dunst, den Wolken schwarz umlagern,  13
  Zieht Mars in Val di Magra aus der Erden;
  Der wird von Stürmen, ungestümen Jagern,
148 Bekämpft auf dem Picener Felde werden;
  Drauf spaltet er die Nebel, und geschlagen
  Sind alle, die als Weiße sich erklärten.
151 Ich hab's gesagt, um dich damit zu plagen.

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Fünfundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

01 Nach der Mitte des Januar bis über die Mitte des Februar steht Sol, die Sonne, deren Strahlen Haar genannt werden, im Zeichen des Wassermanns, und es ist folglich bloß noch ein Monat hin bis zur Tag- und Nachtgleiche.

02 So unerwartet dem Landmanne um diese Zeit die weiße Farbe der Felder ist, so unerwartet ist dem Dante der Zorn am leidenschaftslosen Virgil.

03 Alles Sauersehn hört auf, sobald es zu helfen gilt; Virgil ist dann wieder der alte, der er war, als er sich zuerst zur Hülfe anbot (Ges. 3. 112.); denn "die Liebe stellet sich nicht ungeberdig".

04 Vergl. Weish. 5. 8-15, wo die Gottlosen auf ähnliche Weise sich selbst anklagen. Mit den Spuren, die wir nach dem Rathe Virgil's und der Bibel auf Erden zurücklassen sollen, sind aber keineswegs die wenn auch großartigen Furchen gemeint, die der ehrgeizige Erobrer mit dem Schwert auf dem Felde der Staaten, oder der hochmütige Zweifler mit seiner voraussetzungslosen Kritik auf dem Acker der Kirche zieht. Die neuere Zeit, die nichts mehr vom weißen und schwarzen Magnus weiß, pflegt jeden Aufwand von Kraft und Geist unbesehens anzustaunen.

05 Die längere Stiege ist der Weg vom Satan bis auf den Gipfel des Fegefeuerbergs. Die Erkenntniß der Sünde genügt nicht zum Heil; die Buße muß hinzukommen.

06 In der arabischen Wüste, rechts vom Nil.

07) Eigentlich Heliotrop: ein, der Volkssage nach, unsichtbarmachender Stein.

08 Vergl. Ovid's Metam. 15, 392. Die Sage läßt den Phönix aller fünfhundert Jahre sterben und wieder auferstehn. (Vergl. auch Herodot 2, 73.)

09 Vanni Fucci de' Lazzeri, natürlicher Sohn Fuccio Lazzeri's und deßhalb Maulthier (Bastard) genannt, übte viele Partheimorde an den Weißen; daher er sich hier des viehischen Lebens, oder mit andern Worten der Gewaltthätigkeit, anklagt. Pistoja war ein dieses Viehes würdiges Lager, in sofern es, voll von politischen Gräueln, ganz Toscana damit ansteckte.

10 Als Zornmensch gehörte er eigentlich in den Styx, als Blutmensch in den Phlegeton. Aber er war obenein Kirchenräuber, denn er hatte einen Theil des prächtigen Kirchengeräths aus dem Dom zu St. Jacob entwendet, und es in dem Hause des unbescholtenen Vanni della Mona oder Nova verborgen, der dann als Hehler an des entflohenen Thäters Stelle erhenkt wurde. (V. 137-139.)

11 Dadurch, daß die Schwarzen auf Antrieb der Florentiner, denen die Signoria über die Stadt von den Mäßigen war übergeben worden, und bei denen damals die Weißen oben an standen, vertrieben wurden (1301).

12 Indem in Florenz selbst die Schwarzen wieder die Oberhand gewonnen (Ges. 6, 67).

13 Der Gewitterdunst ist der Marchese Malaspina der seine Besitzungen in Valdimagra hatte, das Oberhaupt der Schwarzen von Florenz und Lucca, die Pistoja den Weißen entrissen (1305). "Die schwarzen Wolken" deuten vielleicht auf die politische Farbe Malaspina's; der Sturm, womit die Gewitterwolke kämpft, geht auf den hartnäckigen Widerstand der Weißen in Pistoja. - Philaletes bemerkt, daß Villani von einem im Jahr 1301 nach Westen zu erschienenen Cometen erzählt, der von schwarzem Rauche begleitet gewesen und umsomehr für eine Vorbedeutung des kommenden Unglücks gehalten worden sei, als gerade in jenem Monate Mars und Saturn im Sternbilde des Löwen zusammengetroffen wären. - Es ist allerdings nicht unmöglich, daß Dante an diese Erscheinung dachte.