Zurück

Z w e i u n d z w a n z i g s t e r  G e s a n g.
F o r t s e t z u n g.
Inhalt.
      Nach einem humoristisch-pathetischen Rückblick auf die allzunatürliche und darum so außergewöhnliche Feldmusik, führt uns der Dichter eine tragikomische Scene vor Augen, darin er den zehn Dämonen der Reihe nach eine kleine Rolle zuertheilt und zwar eines jeden durch den Namen angedeuteten Charakter gemäß. Voran schreitet der neuerwählte Rottenmeister Igelbart, der eines Hauptes länger zu sein scheint (V, 94), denn alles Volk, und scheucht durch sein martialisches Ansehen die am Rande des Pechsees verschnaufenden Seelen der Gauner, deren einer, Ciampolo aus Navarra, unglücklicher Weise zurückbleibt. Diesen packt der flinken Hundekratz, der den Jagdhund macht, fest, und Feuerroht, dem vor Aerger das Blut gleich ins Gesicht steigt, schickt sich an, ihn zu schinden. Virgil frägt auf Dante's Wunsch den Gemarterten nach seiner Heimath. Unterdessen haut der plumpe Schweinehauer einen seiner Raffer ein; aber Igelbart, der den neugierigen Fremden eine kleine Artigkeit erweisen will, preßt abwehrend den armen Sünder in seine Arme. Nun geht das Gespräch von neuem an. Es dauert jedoch nicht lange, so reißt Gierroth, der nicht warten gelernt hat, ihm den Unterarm aus, und der heimtückische Drachentatz will ihm unten ins Bein zwicken. Da bietet der Rottenmeister, der sich im Stillen ärgern mag, daß die heillosen Lümmel ihm in Gegenwart der Fremden durch den Mangel an militärischem Respect solche Schande machen, in einem strafenden Blicke sein ganzes Ansehn auf. Nun fängt das Gespräch zum dritten Male an, und Virgil nimmt die erste, halb beantwortete Frage, ob auch Lateiner unter dem Peche seien, wieder auf. Aber kaum hat der Sünder Mönch Gomita und Don Michael Zanche namhaft gemacht, so ist es mit dem bischen Mannszucht schon wieder zu Ende, denn der lose Flatterhans verdreht bereits die (S. 222) Augen. Diesen bringt jedoch der lange Probst, Igelbart nämlich, mit einem kurzen Verweis zur Ruhe und der geängstete, fluchtbegierige Gauner verspricht, boshafte Schadenfreude erheuchelnd, sieben Toscaner oder Lombarden mehr heraufzupfeifen, wenn sich die Herren nur ein wenig seitwärts begeben wollten. Welch eine lockende Aussicht für die sieben raufbegierigen Teufel! Da kann ja jeder einen Sünder in die Mache nehmen.

     Dämon Hundefratz zwar, der Unrath wittert, will nicht daran; aber Schlappflügel, der sich auf sein gutes Flügelwerk verläßt, räth dazu. Nun dreht sich Hundefratz, dessen Warnung verschmäht worden, des übeln Ausgangs gewiß, schon im Voraus schadenfroh, grade zu allererst; die andern folgen. Da taucht der zehn Teufel überlistende Gauner plötzlich unter. Vergebens schießt Schlappflügel, das Klugmaul, das an dem Unglück schuld ist, nach; er kehrt unverrichteter Sache zurück und wird vom streitsüchtigen Eisstampf, der nur auf eine Ursache geleauert hat, in Empfang genommen. Hier geräth nun das Reich des Satans, das durch nichts, als durch gemeinsame Begierde zu schaden zusammengehalten wird, mit sich selbst in Krieg, denn die beiden Dämonen fassen sich über dem Pechsee. Plumps! da liegen sie beide im Pech. Das ist die dramatische Gerechtigkeit: wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Da erwacht ein edles Gemeingefühl in den übrigen acht; Igelbart commandirt, und die sieben andern eilen auf ihre Posten, um die Verunglückten mit eben den Werkzeugen aus dem Pech zu ziehn, mit welchen sie die armen Sünder zu quälen pflegen. Virgil und Dante verlassen sie bei diesem Geschäft der Liebe.


F a d e n.
1.
  Rückblick auf Igelbart's Feldmusik.
13.
  Weiterreise am Pechsee entlang.
31.
  Scene zwischen den Teufeln und einem Gauner.
133.
  Katzbalgerei zweier Teufel.
145.
  Igelbart trifft Rettungsanstalten.

 

XXII.

1 Schon sah ich Reiter aus dem Lager rücken,
  Zum Sturm aufbrechen, Heeresmust'rung halten,
  Der Rettung wegen sich zum Abmarsch schicken,
4 Sah Läufer rennen, Truppen sich entfalten
  Und durch eu'r Land, o Aretiner streichen,
  Sah Ringelrennen, Lanzenbrecher schalten,
7 Jetzt mit Trompeten, jetzt mit Burgwartszeichen,
  Mit Glockenziehen und mit Trommelrühren,
  Mit fremden und mit heimischen Gebräuchen:
10 Doch nach derlei Schalmeien Klang marschieren
  Sah ich fürwahr nie Fußvolk oder Reiter,
  Noch Schiffe Stern' und Leuchtthurm salutiren.
13 Wir gingen mit den zehn Dämonen weiter.
  Mit Frommen in der Kirch', und in der Schenke
  Mit Säufern! heißt's. O grausige Begleiter!
16 Mein Augenmerk ganz auf den Pechbrei lenke
  Ich, um zu sehen, was der Sack befasse,
  Und was für Volk man drinnen koch' und schwenke.
19 Wie's der Delphin macht, der des Rückgrats Masse
  Zum Bogen wölbt, gleichsam ein Zeichen steckend,
  Daß man des Schiffes Rettung nicht verpasse:  01
22 So seinen Rücken aus dem Pechbrei reckend,
  Um zu verschnaufen sah ich manchen Schächer,
  Und schneller, als es blitzt, ihn wieder deckend.
25 Gleich wie am Saum des Weihers, wo es flächer,
  Mit Bein und Rumpf im Schlamm die Frösche lauern,
  Das Maul nur lüftend: so auch die Verbrecher.
28 Erst sah ich sie zu beiden Seiten kauern,
  Dann allerwärts, wo Igelbart sich zeigte,
  Hinunter in das Leimgebrodel schauern.
31 Da sah' ich, - und noch schaudr' ich, - Einem däuchte
  Es gut noch, zu verziehn: wie es so gehet,
  Daß ein Frosch hockt, der andr' entschlüpft ins Feuchte.
34 Und Hundekratz, dem er im Wurf stand, drehet
  Die Zink' um in den eingepichten Haaren,
  Und hält ihn, einen Otter gleich, erhöhet.
37 Ich wußte Aller Namen schon. Erfahren
  Hatt' ich sie bei dem Aufgebot der Leute;
  Wenn sie sich riefen, merkt' ich, wie sie waren.
40 O Feuerroth, laß ihn ja nicht bei Seite!
  Die Krallen auf den Rücken! brav geschunden!
  So schrie der ganze Schwarm, der maledeite.
43 "Mein Meister", sprach ich, "wenn du kannst, erkunden
  Mußt du den Namen dieses armen Thoren,
  Den hier die Hand des Widerparts gefunden."
46 Und der, vom Herrn, der nah ihm trat, beschworen,
  Daß er doch seine Abkunft sagen möchte,
  "Navarra", rief er aus, "hat mich geboren!  02
49 Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knechte;
  Mein Vater war ein Mann, der zur Vernichtung
  Des eignen Leib's und Gutes sich erfrechte.  03
52 Beim guten Thibaut that ich Dienstverrichtung,  04
  Wo ich, Durchstechereien treibend, raffte;
  Im Sud hier kommt die Rechnung zur Besichtung."
55 Und Schweinehauer mit dem Doppelschafte,
  Der, wie beim Eber, aus dem Maul' ihm drohte,
  Zeigt' ihm sogleich, wie tief der eine hafte.
58 Da stak die Maus in böser Katzen Pfote.
  Doch Igelbart, ihn in die Arme drückend,
  Sprach: "Weicht zurück, weil ich ihn so verknote."
61 Und dann nach meinem Meister um sich blickend:
  "Wenn du noch mehr zu wissen wünschest, frage,
  Bevor man das Garaus ihm macht, so zwickend."
64 Mein Führer: "Gut, vom Rest der Sünder sage!
  Kennst du vielleicht Lateiner unter'm Theere?" -  05
  "Just kehrt' ich Einem", sprach er, "von dem Schlage
67 Den Rücken; der war aus der Näh'. Ach wäre  06
  Ich unten im Verdeck bei ihm geblieben!
  So käm mir Zink' und Klau' nicht in die Quere."
70 Und Gierroth sprach: "Das heißt su weit getrieben."
  So packt' er ihn beim Arm mit seinem Haken.
  Und ließ ein Stück, mit fortgenommen, stieben.
73 Auch Drachentatze hatt' ihn Lust zu zwacken
  Ins Schienebein; da warf der Rottenmeister
  Mit ungeberd'ger Mien', umher den Nacken.
76 Als nun ein wenig ruhiger die Geister,
  So hub mein Herr ihn, der auf seine Wunde
  Noch starrte, flugs zu fragen an: "Wie heißt er,
79 Dem du, wie du gestandst, zur bösen Stunde
  Den Rücken kehrtest, um an's Land zu lenken?"
  "Bruder Gomita", sprach er, "heißt der Kunde,  07
82 Gallurer, ein Gefäß mit allen Ränken.
  Des Meisters Feind' in Händen haltend, that er
  Also, daß sie lobpreisend sein gedenken.
85 Geld steckt' er ein, dann, wie er's nennt, vertrat er
  Den Weg nicht länger; auch in andern Fällen  08
  War er kein kleiner Gauner, nein Altvater.
88 Zu ihm pflegt sich Don Zanche zu gesellen  09
  Von Logodoro; von Sardinien schwätzend,
  Ermüden ihre Zungen nie, die schnellen. - 10
91 Seht ihr dort jenen, seine Zähne wetzend?
  Weh mir! Gern spräch' ich fort, doch bin ich bange,
  Der kratzt mir noch den Grind, sich auf mich setzend."
94 Da wandte gleich der Probst sich um, der lange,
  Zu Flatterhans, der schlagbegierig stierte:
"Bleib, böser Vogel, bleib mir von dem Fange!"
97 "Wollt ihr", begann der ganz vom Schreck Gerührte,
  "Lombarden oder Tuscier sehn und hören,
  Ich bin der Mann, der sie hieher citirte.
100 Ein wenig abseits müßten nur sich kehren
Die Uebelklau'n; sonst fürchten sie die Rache.
Für Einen will ich sieben dann bescheeren,
103 Und ohne einen Schritt, den ich drum mache.
  Ich pfeife nur, wie's unsre Leute pflegen,
Wenn Einer sich hervorwagt aus der Lache."
106 Hundsfratz verzog das Maul des Antrags wegen
Und sprach kopfschüttelnd: "Hört einmal die Tücke,
Die er erdacht, um sich in's Pech zu legen." -
109 "Ich bin recht tück'sch, nicht wahr?" sprach er, der Stricke
In großer Menge hatt', als Der geschlossen,
"Wenn ich den Meinen größre Trübsal schicke."
112 Schlappflügel hielt sich nicht, und den Genossen
Zuwider sprach er: "Duckst du, in dem Falle
Komm' ich nicht im Galopp etwa geschossen,
115 Die Flügel schlag' ich über jenem Schwalle.
Den Strand geräumt, zum Schild gemacht! Nun will ich
Doch zusehn, ob du mehr kannst, als wir Alle!"
118 O Leser! einen neuen Spaß enthüll' ich.
Ein Jeder blickte hinterwärts, sich drehend,
Und der zuerst, der dazu mindest willig.  11
121 Und der Navarrer, seine Zeit ersehend,
Stemmt' an die Sohlen; dann mit einem Satze
Hinunter sprang er, ihrem Plan entgehend.
124 Ein Jeder stand, durchbohrt, auf seinem Platze,
Doch der zumeist, der Schuld war an dem Truge;
Drum fuhr er zu: "Ich hab' dich schon beim Latze."
127 Doch wenig half's; dem Flügel kam der kluge
Argwohn zuvor; denn jener duckte nieder,
Und dieser steift' auf's neu' die Brust zum Fluge.
130 So tauchen sich die Enten hin und wieder,
Wenn sich der Falke nähert, der verdrossen
Dann wieder steigt, mit lässigem Gefieder.
133 Eisstampf indeß, erboßt ob solcher Possen,
  Vom Wunsch gekitzelt, daß der Andr' entflöhe,
  Um Zank zu haben, war ihm nachgeschossen.  12
136 Und als der Gauner nun verschwunden, wehe,
  So wies er dem Gefährten seine Ballen;
  Da faßten sich die Beiden über'm Seee.
139 Der Andr', ein guter Wildfangssperber, krallen
  Konnt' er nicht schlecht; da sah ich beide Wichter
  Grad' in den Teich, den siedendheißen, fallen.
142 Die Hitze wurde bald des Kampfes Schlichter.
  Doch rückten sie, sich hebend, nicht von dannen;
  Der Leim an ihren Flügeln ward stets dichter.
145 Und Igelbart, voll Schmerz mit seinen Mannen,
  Ließ vier an's andre Ufer sich entschwingen
  Mit allen Schrapern; auf die Posten rannen
148 Sie die- und jenseits nun vor allen Dingen
  Und reichten so die Haken den Beleimten,
  Die schon gesotten in der Kruste hingen.
151 Wir ließen sie, die, so verwickelt, säumten.  13

Seitenanfang

Dreiundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

01 Plinius bemerkte, daß das Emporschwimmen der Delphine bei stillem Wetter Sturm ankündigt, bei stürmischem Windstille.

02 Die Erklärer nennen diesen Sünder Ciampolo.

03 Vergeudung und Selbstmord sind nahe bei einander. Darum läßt auch Dante die Vergeuder im Walde der Selbstmörder umherlaufen (Ges. 13).

04 Thibaut II., König von Navarra, der ein sehr wohlwollender Herr war.

05 Lateiner sind Italiener. Zu Dante's Zeiten wurde ja auch die italienische Sprache nur als die gemeine Mundart der lateinischen betrachtet.

06 Wie V. 82 berichtet wird, so war es ein Sardinier. Sardinien aber liegt in der Nähe von Italien, dem Lande der Lateiner.

07 Der Mönch Gomita stand in hoher Gunst bei Nino dei Visconti, Herrn von Gallura, bis er, bestochen, einige Feinde seines Herrn frei ließ.

08 Ein Ausdruck aus der euphemistischen Kunstsprache der Gauner. Im Original steht lasciogli di piano, worin einige Erklärer eine Hindeutung auf die Spanischen verwandte sardinische Mundart sehen. Das V. 88 gebrauchte donno, sowie der Zusats an unsre Stelle "wie er's (nämlich als Sardinier) nennt" stimmen allerdings dazu. Der letztere Zusatz kann aber freilich auch nur heißen sollen "wie er's als Gauner nennt".

09 Don Michael Zanche war Haushofmeister bei König Enzius, Friedrich's II. natürlichem Sohn, Herrn von Gallura und Torre in Sardinien.

10 Wie überall, so sehn wir auch hier die Verdammten noch ganz vertieft in ihre irdischen Familien- oder Staatsinteressen.

11 Dieß ist entweder Hundsfratz (106-109) oder Eisstampf (133). Wir entscheiden und für den erstern, einmal, weil der Leser durch die vorher erwähnte Sprödigkeit desselben am natürlichsten darauf geführt wird, einmal, weil das schadenfrohe Eingehen des umsonst warnenden Hundsfratz in den superklugen Rath Schlappflügels tief psychologisch ist. - Warum aber fährt Hundsfratz bei dem vorhergesehenen unglücklichen Ausgang der Sache nicht auch über den Schuldner her? Das ist wieder psychologisch. Der Kitzel, daß die That seine kluge Warnung gerechtfertigt hat, ist ihm hinlängliche Genugthuung, und so überläßt er die Bestrafung des Schuldners dem keinen Spaß verstehenden Eisstampf.

12 Die Eintracht der Teufel gründet Th. A. auf die gemeinschaftliche Lust zu schaden. (S. Anm. 14 zu Ges. 21.) Da sie nun hier an der Befriedigung dieser Lust durch den Vorwitz Eines gehindert werden, so hat es auch mit der Eintracht ein Ende. Indeß das gemeinschaftliche Unglück versöhnt sie gar bald wieder. Pack schlägt sich und Pack verträgt sich.

13 Hier noch eine auf das Verhältniß der Gauner und Dämonen im Ganzen zurückblickende Bemerkung. Die an dem Rande des Pechbreis auf- und abgehenden Teufel haben fast das Ansehn von Grenzjägern, neben denen die im Pech steckenden Gaunerseelen wie Schleichhändler aussehen. Diese letzteren haben ihre Complotte und Signale, um die Wachsamkeit der Aufseher hinters Licht zu führen, und wenn sie erwischt werden, ihre Schliche. Sie verrathen sich nicht untereinander, sitzen auch oft im Versteck beisammen, und machen ein trauliches Schwätzchen von ihren Gaunereien in ihrer euphemistisch witzigen Kunstsprache.

Die Aufseher sind im Grunde nicht besser, als die Schleichhändler; sie würden's an ihrer Stelle ebenso machen: dennoch pflegen sie gegen die auf krummen Wegen Ertappten äußerst sträflich zu sein. Gegen unverdächtige Reisende indeß können sie mitunter recht human sein; sie dienen ihnen selbst als Bedeckung auf ihrem Weg durch verdächtige Gegenden und wissen sich sonst noch verbindlich zu erweisen, besonders der Chef, der im Gefühl seiner Würde den gentleman spielt und die rohen Ausbrüche seiner Untergebenen durch strafende Blicke oder Worte im Zaume hält. Die ganze Humanität hat aber ein Ende, sobald man die unschuldige Veranlassung zu irgend einem unangenehmen Vorfall wird. Da wird denn der gentleman wieder, was er ist, nämlich ein gemeiner Flaps, wie sich im folgenden Gesange zeigt. -