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S i e b e n t e r   G e s a n g .
Die Geizigen und Verschwender.
Die Jähzornigen und die Stumpfen.
Inhalt.
      Plutus, der Schänder des Erdenlichtes (77.), ruft, auf sein vieles Geld pochend , Satan, den Schänder des himmlischen Lichtes (12.), zu Hülfe, gleich als wenn er aller Welt zu kommandiren hätte. Charon hatte den Dante mit der Unmöglichkeit, Minos mit der Schwierigkeit des Unternehmens zurückschrecken wollen; dieser weiß keinen andern Rath, als daß er ihm den Satan selbst als Popanz vorhält. Aber Virgil, die Nichtigkeit solchen Geprahls wohl kennend, tröstet den Dichter, und beschwichtigt den wolfartigen Dämon mit der schon zweimal als wirksam erfundenen Vorhaltung des Willens Gottes, indem er ihn verblümter Weise an den Erzengel Michael erinnert, der seinen mächtigen Freund vom Himmel herabgeworfen. Der von eitelm Wind Aufgeblasene stürzt, nachdem diese seine Stütze gefallen, wie ein geblähetes Segel, wenn der Mast, der es hält, zusammenbricht.

      Hier im vierten Kreise wird der Geiz gezüchtigt, der sich an die im vorigen Kreise gestraften Schlemmer insofern anschließt, als das Geld die Mittel zum Genusse beut (Jac. 4, 3.); zugleich aber auch sein Gegentheil, die Verschwendung, indem nach Aristoteles jede Tugend die Mitte ist zwischen einem Zuviel und Zuwenig, wovon das Letztere bei der Wollust und Schlemmerei nicjt in Betracht kam, da es nach Aristoteles selten einen Menschen gehen möchte, der in diesen Dingen zu wenig thäte und sich an ihnen minder, als es ziemt, freuete, "da ja auch die Thiere das Futter vom Futter unterscheiden," und "derjenige, dem nichts angenehm und kein Unterschied zwischen diesem und jenem wäre, aufhörte ein Mensch zu sein" (Ethik 3, 14.) Wollust und Schlemmerei sind Uebertreibungen von zwei natürlichen, zur Erhaltung des Menschengeschlechtes im Ganzen und Einzelnen nothwendigen Trieben; deswegen sahen (76) wir sie auch mit Uebertreibungen von zwei natürlichen, zur Erhaltung der Naturwelt im Ganzen und Einzelnen nothwendigen Erscheinungen bestraft, indem ja der Wind der Befruchtung und somit der Erhaltung des Ganzen und der Regen der Nahrung und somit der Erhaltung des Einzelnen dient. Die auf kein natürliches Bedürfniß gegründete Geldsucht wird hier mit dem zwecklosen Wälzen ungeheurer Lasten gestraft, und zwar so, daß die vom Schmutz des Lasters unkenntlichen Geizigen (unter denen, weil der Geiz ein stilles Laster ist, sich viel Geistliche befinden) und die Verschwender, die nichts mit einander wollen zu thun haben, in geschiedenen Halbkreisen ihr mühsames Spiel treiben, dann aber, sich trotz aller Feindschaft in die Hände arbeitend, am Ende des Halbkreises mit ihren Lasten auf einander stoßen, sich mit den wechselseitigen Fragen: "Was hältst du?" und: "Was wirfst du?" einander ihren Unsinn vorhalten, und dann, nach wie vor auf ihrem Kopfe bestehend, zurückkehren, um an dem entgegensetzten Ende des Halbkreises auf's neue zusammenzurennen.

     Die Geldklumpen haben nun ihren Glanz verloren und erscheinen als das, was sie sind, als unfruchtbare Steinmassen, von deren seelenerdrückenden Last sich die Sünder gleichwohl in Ewigkeit nicht losmachen können.

     Hier nun, wo schon die Umgebung laut genug predigt, predigt Virgil die Nichtigkeit aller Erdengüter; und als der verbannte, aller Glücksgüter verlustige Dichter, in des unzufriedenen Menschengeschlechtes gemeine Rede einstimmend, der eigentlich erwähnten Vertheilerin der Glücksgüter, Fortuna, unziemlicher Weise Krallen beilegt, und sie so mit dem Plutus in eine Klasse werfend dämonisirt, so verweist Virgil in strengem Lehrertone den unwissenden Sterblichen auf die Schulbank, und setzt ihm aus einander, daß Fortuna, wie jeder andere Engel seine lichtspendende Himmelssphäre, ihre, das irdische Licht der Glücksgüter vertheilende Sphäre, dem unwiderstehlichen Willen Gottes gemäß, rolle, in seliger Erhabenheit über die Wissenschaft der undankbaren Sterblichen.

     Mit diesem Aufblick in das selige Droben, schreiten die Dichter hinab zu größerem Jammer, und gelangen, dem Abfluß eines überkochenden Quelles entlang, der den aufwallenden Zorn versinnbildet, in den fünften Kreis, wo jener Quell den zweiten Höllenfluß, den Styz, bildet, aus welchem hervorragend sich, wie sonst, die Zornigen prügeln und in dessen Schlamm versenkt, die Stumpfen, in gewissem Sinne ihr Gegentheil, den Unken gleich, trübsinnig seufzen, und, die Kehle voll Schlamm, mattherzige Worte heraufgurgeln. Uebrigens folgt das Laster des Zornes mit Fug und Recht auf die Sucht nach dem Gelde, dem Hauptzankapfel der Menschen (Jac. 4, 2.), wie denn auch jener überkochende Quell aus dem Kreise der Geizigen in den Kreis der Zornigen hinabsprudelt.

     Die Wanderer gelangen endlich, am Ufer des Sees hingehend, an den Fuß eines hohen Thurmes.

 

F a d e n .
1.
  Pluto's Prahlen.
16.
  Strafe der Geizigen und Verschwender.
37.
  Belehrung über dieselben.
61.
  Episode über Fortuna.
97.
  Eintritt in den fünften Kreis.
109.
  Strafe der Jähzornigen und Stumpfen.

 

VII.

1 "Pape Satan", also schrie Plutus heiser,  01
  "Pape Satan Aleppe". Mich zu stillen,  02
  Nahm gleich das Wort mein güt'ger Herr, mein weiser,
4 Der alles wußt', und sprach: "Laß dir den Willen
  Von Furcht nicht schäd'gen; du wirst deine Reise
  Felsab, was er für Macht auch hab', erfüllen.
7 "Verfluchter Wolf", so sprach er nun nicht leise,
  Dem aufgeschwollnen Angesicht zum Spotte,
  "Schweig, friß die Wuth und stirb an dieser Speise!
10 Nicht grundlos schweift er durch die finstre Grotte;
  Man will es dort, wo Michael nicht ruhte,
  Die Schändung rächend an der stolzen Rotte." -  03
13 Wie Segel, die der Wind geschwellt, der gute,
  Zerbricht der Mast, im Fall sich überschlagen,
  So fiel das Unthier mit dem bösen Muthe.
16 So geht's zum vierten Abhang nun; so wagen
  Wir auf dem traur'gen Felsgestad' uns nieder,
  Das in sich sackt der Welt gesammte Plagen.   04
19 Zorn Gottes! wie ich's sah, wer häuft denn wieder
  Im Geist so neues Elend, so viel Wehe,
  Und warum brandmarkt unsre Schuld die Glieder!
22 Gleich wie die Well' in der Charybdis Nähe,
  Die an der gegenschlagenden zerstoben,
  So ziemt es sich, daß hier das Volk sich drehe.
25 Da sah ich gar zu viel Volks, mehr als droben;  05
  Von beiden Seiten Lasten wälzend müh'n sie
  Die angestemmte Brust mit vielem Toben.
28 Erst stoßen sie den Leib sich wund; dann flieh'n sie,
  Die Last rückwälzend. "Warum mußt Du halten?" -
  Und warum wirfst du?" also, hört' ich, schrie'n sie.
31 Zum Punkt, der gegenüberliegt, nun wallten
  Sie hier und dorthin durch die schwarzen Flächen,
  Und ihre Verse, ihre schnöden, schallten.
34 Sind sie den halben Zirkel durch, so brechen
  Sie wieder los zum ritterlichen Streite.
  Ich aber fühlt' im Herzen, wie ein Stechen,
37 Und sprach: "O Meister! sag', wer sind die Leute,
  Und ob sie alle Geistliche sich nannten,
  Die mit der Glatze hier zur linken Seite?"
40 Und er zu mir: "Die du hier siehst, sie rannten
  Durch's erste Leben, so am Geist verdrehet,
  Daß sie kein Maaß des Geldaufwandes kannten.  06
43 Laut bellen sie's, daß man's nicht mißverstehet,
  Wenn jene beiden Punkte sie erreichen,
  Wo Schuld sie trennt, die auseinandergehet.
46 Die ohne Haardeck' auf dem Kopf sich zeigen,
  Sind Geistliche und Päpst' und Cardinäle,
  Dran alle Kraft der Geiz übt, die ihm eigen."
49 Und ich: "O Meister! sollt' ich manche Seele
  Nicht wiederkennen unter diesen Blinden,
  Die sich besudelt hat mit jenem Fehle?"
52 Und er zu mir: "Ein eitles Unterwinden;
  Ihr schmutzig Leben, das von Ruhm ganz bloße,
  Macht sie zu schwarz, um sie herauszufinden.
55 Sie eilen ewig hin und her zum Stoße;
  Hier diese gehn geschloßner Faust und jene
  Geschornen Hauptes aus des Grabes Schoße.   07
58 Ein solcher Zank folgt auf die Welt, die schöne,
  Um schnöden Gebens und Behaltens willen;
  Nicht prächt'ger Worte braucht die Art der Scene.
61 Hier kann sich dir die kurze Poss' enthüllen
  Der Güter, Sohn, damit Fortuna schaltet,  08
  Darob die Herzen streitbegierig schwillen.
64 Denn alles Gold, das je und je gestaltet
  Sich unterm Mond hat, heilt doch dieser Flauen
  Nicht einen von der Unruh, die ihn spaltet." -
67 "Auch das noch", sprach ich, "mußt du mir vertrauen.
  Du redest von Fortuna; wer doch stellte
  Der Erde Güter unter ihre Klauen?" -
70 "Ihr thörichten Gemächte!" - solche Schelte
  Bekam ich nun, - "mit Unverstand geschlagen!
  Jetzt hör' und laß dir's munden, was ich melde:
73 Deß Wissensschätze Alles überragen,
  Der gab den Himmel, die er schuf, Regierer,
  Daß alle Punkte allen Punkten tagen,
76 Das Licht gleichmäßig spendend dorthin, hierher;
  So fügt' er auch den Erdenlichtern einen
  Gemeinsamen Verwalter bei und Führer,
79 Der, wenn es Zeit, die Güter, die nur scheinen,
  Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamme bringet,
  Mag aller Witz der Menschen sich vereinen.
82 So seufzt ein Volk; das andere aber schwinget
  Den Herrscherstab, nach Deß verborgner Schaltung,
  Der wie die Schlang' ist, die im Gras sich ringet.
85 Eu'r Wissen hat dagegen keine Haltung;
  Fürsorgend, richtend, treibt er, wie des ihren
  Die andern Götter, seines Reichs Verwaltung.  09
88 Kein Stillstand ist in seines Raths Vollführen;
  Nothwendigkeit heißt ihn sich rüstig regen;  10
  So muß bald der, bald der den Wechsel spüren.
91 Das ist nun der, den die zu kreuz'gen pflegen,  11
  Die besser ihn mit Mund und Herzen priesen,
  Indem sie Schmach und Flüche auf ihn legen.
94 Doch er ist selig, höret nichts von diesen;
  Mit allen ersten Creaturen heiter
Wälzt er die Sphär' in seligem Genießen." -
97 Zu größer'm Jammer geht's nun immer weiter;
  Die Sterne, die beim Aufbruch stiegen, glitten   12
  Und lang zu zögern, wehrt mir mein Begleiter.
100 Den Zirkel bis zum andern Rand durchschnitten
Wir einem Quell nach, dessen Wogenschwälle
Heiß in den Graben, den er zeugt, sich schütten.  13
103 Weit eher trüb', als grauroth ist die Welle;   14
  In der aschgrauen Fluth Begleitung nahmen
Wir abwärts unsern Weg an schlimmer Stelle,
106 Bis wir zum Styxe, jenem Sumpfe kamen,
Darin des Baches traur'ge Wasser unten
Am bösen grauen Felsgestad' erlahmen.
109 Ich stand gespannt, um Alles zu erkunden;
Da sah ich koth'ges Volk mit nacktem Leibe,
Den Blick voll Kränkung, in dem Sumpfe drunten.
112 Nicht Faustschlag bloß gab's da zum Zeitvertreibe;
Sie brauchten auch Kopf, Brust und Fuß gar rührig,
Vom Leib einander fletschend Scheib' um Scheibe.
115 Mein guter Meister: "Sieh, mein Sohn, hier, führ' ich
  Vor's Aug' dir die vom Zorn besiegten Seelen;
  Auch das zu glauben, sei mir ja nicht schwierig,
118 Daß unterm Wasser Seufzende sich hehlen,  15
  Davon die Blasen hin und wieder springen,
  Wie's, wo sie schweifen, dir die Blick' erzählen.
121 Im Kothe steckend, schrein sie: "Traurig ließen  16
  Die süßen Lüft' uns, die am Licht sich weiden,
  Gewohnt den trägen Dampf in uns zu schließen.
124 Jetzt müssen wir im schwarzen Grundschlamm leiden." 17
  Das ist das Loblied, das sie gurgelnd zischen,  18
  In ganze Worte können sie's nicht kleiden.
127 So schweifen wir am trägen Sumpf hin, zwischen
  Dem trocknen Ufer und der weichen Erde,
  In langem Bogen, die im Schlamme fischen,
130 All' überblickend, bis ein Thurm uns wehrte.

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Achter Gesang

Erläuterungen:

01 Das Plutus den Satan zu Hülfe ruft, geschieht nicht ohne manchfache Gründe. Erstens: Auch die Griechen setzten Plutus, den Gott des Reichthums, in die innigste Beziehung zu Pluton, dem Herrn der Unterwelt, in deren Bereich die schimmernden Schätze liegen, und Dante nennt den Satan selbst Dis, was nichts anders ist, als der Lateinische Name für den Griechischen Plutus. Zweitens: Der Geiz ist eine Wurzel alles Uebels (18), "und die da reich werden wollen, fallen in viele Versuchungen und Stricke", und so so ist denn Plutus der den meisten Seelen-Tribut liefernde Vasall des Satans. Drittens: Plutus ist in der tiefsten Sphäre das, was Satan in der höchsten ist: dieser will nämlich das vergängliche Erdenlicht, das Fortuna allein giebt, jener wollte das ewige Licht, das Gott allein verleihet, mit Gewalt an sich reißen (s. Anm. 3.). Viertens: Der Hochmuth Satans ist (Th. Aq. P. I. Q. 68, A. 2) eine geistige Habsucht und die Habsucht des Plutus ist mit einem materiellen Hochmuth verbunden.

02 Das Wort Aleppe scheint allerdings das hebräische Aleph in italienischer Form zu sein, besonders so dicht neben dem hebräischen Namen des Teufels, Satan. Plutus erkennt dann den angemaßten Rang neben Gott schmeichlerischer Weise dem Oberhaupt der Hölle zu (Offb. 1, 8.). Von den vielen Erklärungen des Pape scheint mir noch immer die wahrscheinlichste die, nach welcher es die griechische und zugleich lateinische Interjection "Poß tausend!" ist; denn das paßte nicht übel für den griechisch und römisch heidnischen Gott Plutus, der sich etwa in der Aufwallung der Leidenschaft in seiner Muttersprache Luft machte und aus Respect vor dem Satan in hebräischer Sprache fortführe.

03 Der Satan verübte Schändung an dem göttlichen Licht, indem er, verliebt in seine eigene Schöne, das durch seine natürliche Kraft mit ordnungswidriger Gewält an sich zu reißen suchte, was er in keuscher Geduld von der göttlichen Gnade hätte erwarten sollen (P. 19, 40-48; 29, 25-66). Th. Aq. sagt P. I. Q. 63 A. 3: Was aus Gnaden gegeben wird, die Gottähnlichkeit nämlich, das wollte er durch die Kraft seiner Natur haben, nicht von göttlicher Hülfe nach der Ordnung Gottes. Vergl. auch de vulgari eloquio, 1, 2. Deshalb ward er sammt seiner Rotte von Michael, der mit dem in seinem Namen liegenden Gedanken: "Wer ist wie Gott!" sich der Ordnung Gottes, als das Alpha und Omega, mit keuschem Sinne unterwarf, auf die Erde geworfen, nach Offb. 12, 7-9, welche Stelle Dante auf den ursprünglichen Abfall des Satans im Himmel deutet. Hochmuth war die erste Sünde des Gottes Ordnung widerstrebenden Engels. Th. Aq. 1, 63, 2: "In geistlichen Gütern kann keine Sünde stattfinden, wenn Einer sich dazu neigt, ausgenommen darin, daß er in solcher Neigung sich nicht nach der Regel des Obern richtet, und das ist die Sünde des Hochmuths, sich in dem, worin wir müssen, den Obern nicht zu unterwerfen, weshalb die erste Sünde des Engels keine andere sein konnte, als die des Hochmuths.

04 Denn der hier bestrafte Geiz ist die Wurzel alles Uebels.

05 Denn der Geiz ist das gewöhnlichste Laster. "Am Gelde hängt, nach Gelde drängt doch Alles", sagt Gretchen im Faust. Die der Wollust nachgehende Jugend wird am Ende gesetzt und findet Geschmack am solideren Gelde, und so überfüllt sich der dritte Kreis im Verhältniß zu den vorhergehenden.

06 Sie trafen nicht die Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig, wurden entweder Geizige oder Verschwender. Arist. Eth. 2, 9: "Es ist Schwer, in jedem Stücke die Mitte zu treffen. Wie des Zirkels Mitte zu finden nur des Kundigen Sache ist, so ist zwar Zürnen eines Jeden Sache und leicht, deßgleichen Geld geben und Aufwand machen; wenn aber, wie viel, weßwegen, und wie, ist nicht jedermanns Sache und leicht".

07 Der Geizige mit geschlossener Faust, wie er gestorben ist, der Verschwender mit verschnittenem Haar, vielleicht weil er, der durch sein Geld gewaltige Simson, sich den nervus rerum gerendarum von seinen Scheinfreunden hat verschneiden lassen. Uebrigens dürfte die italienische Redensart "bis auf die Haare verschwenden", auch ohne tiefere Fassung zur Erklärung hinreichen.

08 Daß Dante dem Engel, der die irdischen Verhältnisse regiert und somit das Amt der Vorsehung ausrichtet, einen mythologischen Namen beilegt, deutet wohl an, daß sich auch durch die Finsterniß des Heidenthums vereinzelte Lichtstreifen der Wahrheit hinziehen. Den einen Theil der mythologischen Personen (und dazu gehören besonders die überirdischen Götter) macht er demnach zu Engeln, so wie er den andern (und dazu gehören vorzugsweise die unterirdischen Götter) zu Dämonen macht. Hier stehen Fortuna und Pluto in demselben Sinne einander gegenüber. Unser Dichter ist also weit entfernt, die Religionsbegriffe des classischen Heidenthums, als jeder Wahrheit baar, ohne Weiteres wegzuwerfen, wie es wohl von andern mittelalterlichen Schriftstellern zu geschehen pflegt, welche die Diana frischweg als das Oberhaupt der Hexen betrachten. Dante sieht vielmehr, wenn auch noch so schwache "Schatten des Zukünftigen" (Hebr. 10, 1. Col. 2, 17.) darin.

09 Die zuerstgechaffenen (95), himmelbewegenden Engel werden theils Intelligenzen, theils Götter genannt, das erstere, weil sie Form ohne Materie sind (Par. 29, 32-33), das zweite, insofern der oberflächliche Beobachter die Mittelursache leicht mit der obersten verwechselt.

10 So singt auch der heidnische Horaz von der Fortuna; "Dir geht immer die grause Nothwendigkeit voraus." Der Unterschied ist nur der, daß Fortuna nach heidnischer Vorstellung als Fatum über den Göttern steht, bei Dante aber, wo sie bloße Mittelursache ist, der ersten Ursache, der sie mit Nothwendigkeit folgt, unterworfen ist. Diese erste Ursache aber ist die göttliche Vorsehung. Th. Aq. P. I. Q. 116, A. 2: "Die Ordnung der Wirkungen kann doppelt betrachtet werden, einmal nach dem, was in Gott selber ist, und so wird eben die Ordnung der Wirkungen Vorsehung genannt; insofern aber die genannte Ordnung in ihren von Gott zur Hervorbringung gewisser Wirkungen angeordneten Mittelursachen betrachtet wird, trägt sie den Charakter des Fatums."

11 An das Kreuz schlagen heißt schmähen, denn der Kreuzestod war eine schmachvolle Strafe.

12 Es ist also nach Mitternacht.

13 Den Styx, als Strafort des Zornes, der von Aufwallung des Blutes begleitet ist, mußte sich Dante, im Gegensatz zur heidnischen Mythe, wonach der Styx in der Unterwelt, wie sein Abbild, der Styx in Arcadien, eiskalt ist, kochend heiß denken, zumal er den Uebergang zur Feuerstadt bildet.

14 Warum hier Alles trübe, aschgrau, traurig ist, darüber siehe die 15. und 16. Anmerkung.

15 Wie im Fegefeuer der Jähzorn und die Stumpfheit (accidia) unmittelbar nach einander büßen, so werden sie hier dicht neben einander gestraft; denn der Jähzorn und die Stumpfheit haben eine gewisse Traurigkeit der Seele zur gemeinsamen Grundlage. Gleichwohl stehen sie in einem gewissen Gegensatze zu einander, indem der Zornige seiner Traurigkeit an andern Luft macht, der Stumpfe dagegen sie in sich verschließt (123), weßhalb denn auch die vom Jähzorn Besiegten über dem Wasser stehen und sich prügeln, die der Stumpfheit Erlegenen aber unter dem Wasser stehen und nur durch Seufzen Zeichen des Lebens von sich geben. Die beiden Seiten jenes Gegensatzes verhalten sich demnach wie äußerlich und innerlich zu einander, oder von einer andern Seite betrachtet, wie positiv und negativ, denn der Zorn beeifert sich dem Nächsten Uebles zuzufügen, der Stumpfheit dagegen fehlt der Eifer, das Wohl des Nächsten zu fördern (F. 17, 121-122; 18, 103-109.). In Bezug auf den Gebrauch des Geldes folgte der Dichter dem Aristoteles, indem er einen Gegensatz aufstellte, dessen beide Seiten (Geiz und Verschwendung) sich wie zu viel und zu wenig zu einander verhalten. Hier weicht er von ihm ab, denn zu wenig kann ein Christ, der lieber alles Unrecht leiden, als das geringste Unrecht thun soll, nicht zürnen. Ganz im Gegentheil der heidnische Philosoph, Ethik 4, 11: "Er (der nie Zürnende nämlich) scheint gar kein Gefühl zu haben, noch sich betrüben zu können, und, da er nicht zürnt, auch gar keine Lust zu haben, Rache zu nehmen; das aber ist sklavisch, daß man eine Beschimpfung an seiner eignen Person dulde und an den Seinen so hingehen lasse.

16 Auch Thomas Aquinas nennt die accidia eine Traurigkeit. P I. Q. 63, A. 2: "Die accidia ist eine gewisse Traurigkeit (tristitia), dadurch der Mensch der leiblichen Mühsal wegen zu geistlichem Thun (spirituales actus) träge gemacht wird." Vgl. Matth. 13, 22.

17 Ist das die schwarze Galle des Melancholikers oder das verschleimte Blut des Pflegmatikers? Jerem. 48,11. ist von "stille auf den Hefen liegen" die Rede. Die alten Deutschen versenkten die Faulen in Schlamm und Sumpf, und deckten Geflecht darüber, Tacitus, German. 12.

18 Ihr Geseufz wird ironisch ein geistliches Loblied genannt, das sie im Leben nicht hatten singen können, weil sie sich der schönen Gotteswelt nicht zu freuen im Stande waren (122-123). Jac. 5, 13: "Ist jemand gutes Muths, so singe er Psalmen."