Von
dem Paradiese.
Drey und dreyßigster
Gesang
Inhalt. |
Der heilige Bernhard bittet die Jungfrau Maria in einem inbrünstigen Gebethe, dem Dichter, durch ihre Vermittelung, zu dem Vermögen zu helfen, daß er sich zu dem Anschauen Gottes erheben könne. Hierauf erlangt Dante die Gnade, mit seinen Blicken in das ewige Licht der Gottheit zu dringen, in welchem er die herrliche Dreyeinigkeit sieht, und die Gottheit mit der Menschheit in der Person des Worts vereinigt schauet. Heilige Jungfrau und Mutter, Tochter deines Sohns, durch deine vorzügliche Demuth vorzüglich erhabene Seele, würdiger Gegenstand, vorherbestimmt durch die Rathschlüsse der ewigen Weisheit, du bist diejenige, welche die menschliche Natur so vorzüglich adelte, daß selbst ihr Schöpfer sich nicht weigerte, ihre Gestalt anzunehmen. Dein heiliger Leib war es, in welchem sich die Liebe wieder entzündete, durch deren göttliche Inbrunst, in den Wohnungen des ewigen Friedens dieser paradiesische Garten so herrlich entsprossen ist. Hier bist du unser von Liebe flammende Mittag, und dort unter den Sterblichen eine lebendige Quelle ihrer seligen Hoffnungen. Erhabene Gebieterinn, du bist so groß, du vermagst so viel, daß ein jeder, der Gnade verlangt, und nicht zu dir seine Zuflucht nimmt, nichts anders verlangt, als ohne Flügel zu fliegen. Deine Huld hilft nicht nur 240 dem, der bittet, sondern eilt auch oft, aus freyem Antriebe, mit ihrer Hülfe der Bitte zuvor. In dir sind Mitleid, Erbarmen, Herrlichkeit, und die ganze Güte aller Geschöpfe vereinigt. Dieser Sterbliche, der, von dem tiefsten Abgrunde der Welt bis zu diesen Höhen, das Leben 379 der Geister, nach den Graden desselben, gesehen hat, flehet nunmehr zu dir um Gnade und um so viele Kraft, daß er sich mit seinen blicken noch höher und bis zu seinen erhabensten 380 Heile empor schwingen könne. Und mein Herz, das nie die Seligkeit meiner anschauenden Erkenntniß inbrünstiger gewünscht hat, als es die seinige wünschet, bringt dir itzt alle meine Bitten zu einem Opfer, und flehet dich an, solche nicht unerhört zu lassen. Entfessele ihn daher, durch deine Vorbitte, von allem Nebel seiner Sterblichkeit, damit die höchste Seligkeit sich seinem Auge enthüllt offenbare! Auch bitte ich dich, himmlische Königinn, die du thun kannst, was dir gefällt, ihm, nach einem so großen Anschauen, die Neigungen seines Herzens rein und heilig zu erhalten. Deine wachende Vorsorge besiege in ihm die Regungen seiner Menschheit! Siehe die Beatrix, siehe die heilige Anzahl der Seligen, siehe, wie sie alle ihre Hände falten, um dich zur Erhörung meiner Bitte zu bewegen! 241 Itzt gaben die von Gott geliebten und geehrten 381 Augen, deren ganze Aufmerksamkeit auf die bethenden Lippen und Herzen geheftet war, durch Blicke zu erkennen, wie angenehm ihnen ein demüthiges Gebeth sey. Dann richteten sie ihre Blicke nach dem ewigen Lichte empor, in welches gewiß kein Auge irgend eines Geschöpfes so scharfsichtig schauet. Nunmehr näherte ich mich dem Ziele aller heiligen Begierden, und dem nothwendigen Ende meines inbrünstiges Verlangens. Der heilige Bernhard gab mir lächelnd ein Zeichen, daß ich empor schauen möchte. Allein ich befand mich schon von selbst in einer solchen Verfassung, wie er verlangte. Denn schon drang mein Auge mit reinen und heitern Blicken die Strahlen des erhabensten und durch sich selbst vollkommensten Lichts immer tiefer hindurch. Seit diesen Blicken ward mein Schauen über alle menschlichen Ausdrücke erhaben. Denn vor solchen Blicken weichen alle Schilderungen zurück, und das Gedächtniß flieht vor einem so großen Uebermaaße der Erkenntniß. So wie es sich mit einem Menschen verhält, der etwas Bewunderngwürdiges im Traume sieht, und dem, nach dem Traume, die Eindrücke desselben zwar zurückbleiben, das Uebrige aber nicht in das Gedächtniß zurückkehret - eben so verhält es sich itzt mit mir. Fast meine ganze Erscheinung 242 verliert sich aus meinen Gedanken, und tröpfelt mir nur noch die Süßigkeiten in mein Herz, die sich zuvor strömend von ihrer Anmuth ergossen. Also zerfließt der Schnee vor den Blicken der Sonne. Also verlor sich, bey wehendem Winde, das Orakel, welches einst jene 382 Sybille auf leichten Blättern ertheilte. O du vollkommenstes, du über alle Begriffe der Sterblichen unendlich erhabenes Licht, o! schenke meinem Gedächtnisse nur einen geringen Theil von dem Gesichte wieder, in welchem du mir erschienest, und rüste meine Zunge mit einer so großen Kraft aus, daß sie nur einen einzigen Funken deiner glänzenden Herrlichkeit der Nachwelt hinterlassen könne! Denn so wenig du auch in mein Gedächtniß zurückbringest, und so wenig ich auch davon schildern werde, um so viel mehr wird sich deine siegreiche Herrlichkeit offenbaren. Ich glaube, daß mein Gesicht an dem lebhaften Glanze der strahlenden Gottheit, den mein Blick aushielt, gescheitert seyn würde, dafern ich meine Augen von demselben weggewandt hätte. Daher erinnere ich mich, daß aus dieser Ursache meine Blicke 243 weit kühner wurden, denselben so lange auszuhalten, bis sie endlich zu dem nähern Anschauen der unendlichen Herrlichkeit gelangten. O! Ueberfluß göttlicher Gnade, auf deren Macht ich stolz es wagte, mit meinen Blicken den Glanz des ewigen Lichts so vorzüglich hindurch zu dringen, daß ich alle Kräfte meines Gesichts erschöpfte! Also sah ich in den Tiefen der Gottheit durch das Band der Liebe alle Vollkommenheiten vereinigt, welche durch die ganze Schöpfung vertheilt sind, alle Wesen mit ihren Zufälligkeiten, und ihre Beschaffenheiten auf solche Art mit einander vereinigt, daß solches alles nur wie ein Licht auf die einfachste Weise glänzet. Ich glaube, daß ich den allgemeinen Entwurf der ganzen Welt sah, weil die Freude, indem ich dieses sage, sich durch mein ganzes Gefühl verbreitet. Nur einen einzigen Augenblick nicht daran denken, dieß ist für meine Seele eine längere Schlafsucht, als einst fünf und zwanzig Jahrhunderte für jene Unternehmung 383 waren, welche den Neptun durch das Gebäude des Argos in Verwunderung setzte. Also schauete ich, gantz außer mir, mit starren, unbeweglichen, und aufmerksamen Blicken, die sich im 244 Schauen stets lebhafter entzündeten. Dieses Licht reizt das Auge so mächtig, daß ihm die Einwilligung unmöglich wird, seine Blicke von solchem auf irgend einen andern Gegenstand zu lenken. Denn das Gute, welches der Wille suchet, findet sich alles in ihm vereinigt. Und außer ihm ist alles mangelhaft, was in ihm vollkommen ist. Allein nunmehr wird mein Ausdruck, euch nur zur Schilderung des Wenigen, dessen ich mich noch erinnere, weit unzulänglicher seyn, als zu einer Erzählung die stammlenden Töne eines Kindes, das an der Brust seiner Mutter noch sauget. Nicht, als wenn in dem lebendigen Lichte , das mein Auge schauete, wirklich mehr, als ein einfacher Schein glänzte. Denn wie solcher von Ewigkeit war, so ist und bleibt es beständig. Mein Auge, dessen Kraft sich stets in mir verstärkte, sah vielmehr nur einen einzigen Schein, der aber, indem eine solche Veränderung in mir vorgieng, mir in meinem Auge ein anderes Ansehen gewann. In den Tiefen der glänzenden Substanz des erhabensten Lichtes erschienen meinem Blicke drey Kreise von drey Farben, und von gleichem Umfange. Der eine strahlet von dem andern ab, wie ein Regenbogen von dem andern. Und der dritte schien ein Feuer zu seyn, das, auf gleiche Weise, aus diesem 245 und aus jenem hervorflammte. O! wie unzulänglich, wie schwach sind hier Worte für meine Gedanken! - Und wie wenig, oder vielmehr, wie nichts sind meine Gedanken für dasjenige, was ich sah! - O du ewiges Licht , das allein sich in sich selbst begreift, das allein sich selbst erkennt, und nur von dir erkannt, und nur dich selbst erkennend, also Gnade und Seligkeit mir zuglänzte, o was für ein Anblick reizte itzt mein Auge! Ich sah, indem ich ein wenig umherschauete, den Kreis, der, in dir erzeugt, von deinem Glanze, wie ein Licht von dem andern, abstrahlte, in seinem Innersten sah ich ihn mit unsrer menschlichen Gestalt von seiner eigenen Farbe ausgebildet. O wie begierig heftete daher mein Auge seine ganze Aufmerksamkeit auf denselben! Allein wie es einem Messkünstler geht, der alle Kräfte seines Verstandes anstrenget, um den Zirkel zu messen, und mit allen forschenden Gedanken den Grundsatz nicht findet, den er nöthig hat - eben so gieng es mir bey diesem wunderbaren Anblicke. Ich wollte sehen, wie die Gestalt mit dem Kreise vereiniget sey, und die Grenzen ihres Wo in demselben entdecken. Allein zu diesem Geschäffte waren eigene Kräfte nicht 246 zureichend. Daher mußte meinen Verstand ein Glanz durchstrahlen, der sein Verlangen befriedigte. Hier vergieng meiner hohen Phantasie die Kraft. Und schon ward mein Wille, gleich einem Rade, das in bestimmtem Maaße gedreht wird, von dem Willen desjenigen gelenkt, dessen Liebe die Sonne und alle Sterne beweget. Anmerkungen: P379 In der Hölle, in dem Fegfeuer, und in dem Paradiese. P380 Bis zu Gott. P381 Die Augen der heiligen Maria. P382 Die cumeische Sybille, welche ihre Aussprüche auf Baumblätter schrieb, die oft vom Winde zerstreuet wurden, daß man sie nicht wieder zusammensetzen und lesen konnte. P383 Der Argonauten, die mit dem schönen Schiffe Argos nach Colchos segelten. |