Von
dem Paradiese.
Neunzehnter Gesang.
Inhalt. |
Das Chor der Seligen, vereinigt in die Gestalt eines Adlers, beantwortet dem Dante die Frage: Ob ein Mensch ohne den christlichen Glauben selig werden könne, und sagt ihm, daß nie ein Mensch ohne den Glauben an Christum selig werden sey. Dann fügt es noch hinzu, daß viele Christen dereinst am Tage des allgemeinen Weltgerichts wegen ihres lasterhaften Lebens werden verworfen werden. Mit ausgebreiteten Flügeln prangte der schön gebildete Adler vor meinen Augen, der im Genusse der seligsten Wollust alle in ihm vereinigten Seelen mir entzückenden Freuden erfüllte. Eine jede schien ein kleiner Rubin zu seyn, in dem die Strahlen der Sonne so feurig brannten, daß sie aus demselben in meine Augen zurückglänzten. Allein was ich nunmehr schildern muß, ließ nie eine Stimme ertönen. Nie schrieb es ein Kiel. Nie hat die fruchtbarste Einbildungskraft eine solche Scene gewebet. Ich sah und hörte den Adler reden, und von seiner Zunge schallten die Worte: Ich und Mein so oft dieselben eigentlich Wir und Unser heißen sollten. Seine Anrede ertönte also: Ich war gerecht und mitleidig. Dieß hat mich bis zu dieser Herrlichkeit erhoben, welche über alles Verlangen erhaben ist. Mein Andenken, das ich auf der Erde hinterließ, war so vollkommen, daß die 138 daselbst bösartigen Menschen solches zwar verherrlichen, keinesweges aber meinem aufgezeichneten Leben nachfolgen. So wie man von vielen brennenden Kohlen nur eine heiße Gluth empfindet - eben so ertönte von vielen Seelen nur eine Stimme aus jener Gestalt hervor. Daher antwortete ich also: O ihr ewig blühende Blumen des Frühlings unendlicher Freuden, die ihr mich alle eure lieblichen Gerüche nur in einem einzigen empfinden lasset, o stillet mir durch eure sanften Ausflüsse das große Verlangen, den langwierigen Hunger, für den auf der Erde keine Speise zu finden ist! Ich weis gewiß, daß kein Vorhang eurem Reiche den Spiegel der göttlichen Gerechtigkeit verdunkelt, der allen andern Reichen des Himmels ungehindert glänzet. Daher sehet ihr, wie aufmerksam mein innerstes sich zubereitet, euch zu hören , und daher wisset ihr bereits den Zweifel, der nun schon so lange mein Wißbegierde beunruhiget. - So wie ein Falke, befreyet von seiner Haube, den Kopf bewegt, und, indem er einen Wohlgefallen an seinen Flügeln, und Lust zu fliegen bezeigt, sich durch Ordnung seines Gefieders ein schönes Ansehn giebt - eben so sah ich den Adler sich betragen, der ein Gewebe von den reizendesten Gesängen zu seyn schien, welche zum Preise der göttlichen Gnade ertönten, und nur denjenigen bekannt sind, die jene Höhe beseliget. Hierauf redete er also: Derjenige, der die ganze Welt mit dem weiten Umfange ihrer äusersten Grenzen einfaßte, und den 139 innern Raum mit einer so großen Mannichfaltigkeit begreiflicher und verborgener Sachen ausfüllte, konnte auch in der ganzen Schöpfung seine Herrlichkeit nicht vollkommen begreiflich ausdrücken. Ewig mußte seine Weisheit über alle endliche Einsicht unendlich erhaben bleiben. Hieraus erhellet die Wahrheit, daß der erste Stolze, der das erhabenste Geschöpf war, sich dadurch in die traurigste Tiefe hinabstürzte, daß er sein Licht nicht von Gott erwartete. Daher erscheinet die Gewißheit, daß die ganze Natur zu klein ist, das unendliche Guth zu fassen, das allein sich in sich fasset und mit sich selbst ermisst. Daher kann unser Verstand , der nur einer von den Strahlen des göttlichen Verstandes ist, dessen Glanz die ganze Schöpfung erfüllet, seiner Natur nach, nicht von so großer Kraft seyn, daß ihm die ursprüngliche Quelle seines Lichts nicht weit anders, als sie wirklich glänzet, vorkommen sollte. Und daher dringt die Einsicht, welche eure Welt empfängt, eben so in die ewigen Tiefen der göttlichen Gerechtigkeit, wie euer sterbliches Auge in die Tiefen des Meeres schauet, das zwar an den Ufern, keinesweges aber in der Mitte den Grund desselben erblickt, der doch wirklich vorhanden ist, und den nur seine Tiefe verbirgt. Alles Licht, das nicht aus jener sich stets gleich glänzenden Quelle hervorstrahlet, ist kein wahres Licht, Finsterniß ist es viel mehr, oder Schatten, oder Gift fleischlicher Weisheit. - Nunmehr ist dir die Dunkelheit deutlich aufgeklärt, welche dir die lebendige Gerechtigkeit verbarg, der dich so oft in Zweifel setzte. 140 Ein Mensch, sagst du, wird an den Ufern des Indus gebohren. Hier ist Niemand, der Christum, weder mündlich, noch schriftlich lehre. Alle seine Begierden und Handlungen, so viel das Auge der menschlichen Vernunft erkennt, sind gut. Er führt kein sündliches Leben, keine sündlichen Reden. Ein solcher Mensch stirbt ungetauft und ohne Glauben. Wo ist die Gerechtigkeit, die ihn verdammt? Wo ist seine Schuld, wenn er nicht glaubt? - Allein wer bist du, daß du dich auf den Richterstuhl setzen willst, um mit deinem Blicke, der nicht weiter, als eine Spanne reicht, auf tausend Meilen weit zu richten? O! wie viele wunderbare Zweifel würde der menschliche Witz und Verstand noch wider mich ausgrübeln, wofern die heilige Offenbarung nicht über euch den Ausspruch thäte! O! ihr irrdischen Geschöpfe, o! ihr roh denkende Menschen! Noch nie hat sich der göttliche Wille, der an und vor sich gut ist, von sich, als dem höchsten Guthe, entfernet. Alles, was ihm gefällt, ist gerecht. Ihn zieht kein erschaffnes Guth an sich, sondern seine strahlende Güte ist die wirkende Ursache alles Guten. So wie die Mutter junger Störche, wann sie dieselben genährt hat, sich über ihrem Neste im Kreise bewegt, und so wie ihre Jungen, die von ihr genährt werden, sie anschauen - eben so bewegte sich gegenwärtig der Adler, und eben so erhob ich itzt nach ihm meine Blicke. Gereizt von so vielen Stimmen des Beifalls, bewegte sich die heilige Gestalt singend im Kreise über mich herum, bis sie endlich rief: So 141 wie diese Töne meines Gesangs, welche du nicht verstehst, dir vorkommen, eben so kommen euch, Sterblichen, die ewigen Gerichte Gottes vor, die ihr nicht einsehet. Hierauf sangen die von dem heiligen Geiste entbrannten Lichter in dem Zeichen 244 fort, daß die Römer in den Augen der ganzen Welt so verehrungswürdig machte. Und dann redete der Adler wieder also: In dieses Reich erhob sich nie eine Seele, die nicht an Christum, entweder vor oder nach seiner Kreuzigung, geglaubt hätte. Allein wie viele rufen Christus, Christus, mit ihrem Munde, die einst am Tage des Gerichts weit entfernter von ihm, als diejenigen, die Christum nicht kannten, werden verworfen werden! Solche Christen wird selbst der Aethioper verdammen, wann einst die beiden Versammlungen, die eine zu dem seligsten Genusse ewiger Reichthümer, die andre dagegen zu den unseligsten Leiden ewiger Armuth, sich von einander scheiden werden. Was werden nicht die Perser euren Königen sagen können, wann sie einst das große Gerichtsbuch geöffnet sehen, in welchem alle ihre verwerfliche Handlungen aufgezeichnet werden! In demselben wird unter Albrechts 245 ungerechten Thaten auch diejenige erscheinen, die bald das böhmische Reich verwüsten, und 142 dadurch die Feder des gerechten Richters bald in Bewegung setzen wird. In demselben wird das traurige Schicksal erscheinen, das Jenen 246 dort an der Seine zur Verfälschung der Münze verleitet, den ein Eber stürzen und tödten wird. In demselben wird der herrschsüchtige Stolz erscheinen, der die 247 Beherrscher Schottlands und Engellands zu so eiteln Thoren macht, daß er sie nicht mehr in ihren Schranken ruhen läßt. Dieses Buch wird die Schwelgerey und das weichliche Leben des 248 spanischen und des böhmischen Beherrschers offenbaren, deren letzter Weichling nie weder Tugend kannte, noch begehrte. Es wird das Leben jenes Lahmen 249 von Jerusalem offenbaren, seine Güte bezeichnet mit der römischen Zahl I., und seine Laster bezeichnet mit der Zahl M. Es 143 wird den Geiz und die Niederträchtigkeiten des 250 Regenten der feurigen Insel offenbaren, auf welcher Anchises in einem hohen Alter sein Leben endigte. Um den geringen Gehalt dieses Königs anzuzeigen, wird sein Leben mit abgekürzten Worten beschieben seyn, die viele Laster auf einem kleinen Raume darstellen werden. Daselbst werden die häßlichen Thaten seines 251 Oheims, und seines 252 Bruders, die eine so preiswürdige Familie, und zwo Kronen geschändet haben, der ganzen Welt sichtbar werden. Und dort, werden die ungerechten Thaten des Königs von Portugall, des Königs von Norwegen, und jenes Königs des Rätzerlandes, der das venezianische 253 Gepräge verfälschte, sich alle offenbaren. O! glückseliges Ungarn, wenn man dich nicht mehr so mishandeln ließe! O! glückseliges Navarra, wenn man sich mit dem 254 Gebirge, das dich umgiebt, 144 bewaffnete! Und Jedermann glaube, daß 255 Nicosia und Famagosta wegen der Ankündigung, sich zu bewaffnen, schon über das Ungeheuer, ihren König, murrende Klagen führe, der von den Grundsätzen der übrigen ungerecht herrschenden Ungeheuer nicht abweicht. Anmerkungen: P244 In dem Adler. P245 Des römischen Kaisers, der aus Haß gegen den König Wenceslaus, und aus Geiz, und um Eroberungen zu machen, in Böhmen schreckliche Verwüstungen anrichtete. P246 Philipp, den Schönen, der, zur Erhaltung der Truppen wider die Fläminger, die Münzen verringern ließ. Er starb an einem Falle vom Pferde, den auf der Jagd ein Eber verursachte. P247 Vermuthlich Eduard den ersten, und den zweeten, Könige von Engelland, und Johann Balliol und Robert Brus, Könige von Schottland. P248Der spanische König war Alphons, der zehnte, und der bömische Wencelaus, dessen Weide Unzucht und Müßiggang war, so wie sich Dante im 7ten Ges. des Fegf. von ihm ausdrücket. P249 Carls, des zweeten, von Sicilien. Er war freygebig, dieß war seine einzige Tugend, welche die Zahl I. anzeiget, und war dagegen mit tausend Lastern befleckt, welche die Zahl M. bezeichnet. P250 Friedrichs von Sicilien, eines Sohns Peters von Arragonien. Sicilien nennet der Dichter die feurige Insel wegen des Aetna, dieses feuerspeyenden Berges. P251 Des Königs Jacob von Majorca. P252 Jacobs, Königs von Sicilien. Die preiswürdige Familie ist die Arragonische. Die zwo Kronen sind die Arragonische und die Krone der balearischen Inseln. P253 Die venezianischen Ducaten. P254 Mit dem Pyrenäischen. P255 Zwo der vornehmsten Städte der Insel Cypern. |