Von dem Paradiese.
Sechzehnter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Cacciaguida erzählt dem Dichter, in was für einer Zeit und in was für einem Orte er gebohren worden, und wie stark damals das Volk in Florenz gewesen sey. Dann beklagt er sich über die durch die neuern Familien daselbst eingerissene Unordnung. Zuletzt macht er ihm die alten und würdigen Familien bekannt, die sich zu seiner Zeit in Florenz befanden.

O! wie geringschätzig bist du, Adel unsers Bluts! Dennoch wird es mir nie wunderbar vorkommen, wenn du hier auf der Erde, wo unsre Leidenschafr irrt, Sterbliche veranlassest, stolz auf dich zu seyn, da ich dort, wo die Begierde von der gesunden Vernunft nicht abweicht, da ich selbst im Himmel stolz auf dich war. Du gleichest einem schönen Mantel, der sein Ansehen, wenn man solches nicht täglich, und durch neuen Glanz zu erhalten sucht, bald verliert, und durch die Länge der Zeit unscheinbar wird.

Mit dem Ihr, das sich das 183 unterwürfige Rom zuerst gefallen ließ, seine Bürger aber am 114 wenigsten beybehalten haben, fieng ich nun wieder an zu reden. Daher schien Beatrix, die sich in einiger Entfernung von uns befand, durch ihr Lächeln eben das zu äusern, was 184 Jene durch ihr Husten bey dem der Welt aufgezeichneten ersten Fehltritte der Ginevra einst anzeigte.

Ihr seyd, so fieng ich also an, mein Stammvater. Ihr schenkt mir eine vollkommene Freymüthigkeit, zu reden. Ihr erhebt mich so vorzüglich, daß ich mehr, als den Menschen, in mir fühle. Aus so vielen daherströmenden Bächen schöpft mein Herz eine so reiche Fülle des Vergnügens, daß es selbst eine Quelle der Freude wird, und sie fassen kann, ohne daß sie einen gewaltsamen Ausbruch gewinne. Sagt mir also, theurester Erstling meines Geschlechts, wer waren eure Vorelter, und was schrieb man in eurer Kindheit für eine Jahrszahl? Sagt mir, wie groß war damals der Schafstall 185 des heiligen Johannes, und wer waren die würdigen Familien, die sich in demselben auf den erhabensten Sitzen befanden?

So wie glühende Kohlen bey wehendem Winde entflammen, eben so sah ich jenes Licht bey meinen Liebkosungen glänzen. Und indem ich es weit schöner 115 erblickte, hörte ich solches in weit sanftern und reizendern Tönen, nicht in der 186 neuern Sprache, mir also antworten:

Seit jenem 187 Tage, an welchem die Stimme: Sey gegrüßet, ertönte, bis zu der Zeit, in der meine nun heilige Mutter mich, die Frucht, mit der sie schwanger gieng, einst gebahr, war dieser 188 feurige Planet fünf hundert und drey und funfzig Male unter dem Zeichen seines Löwens neu entflammt zurückgekehrt. - Meine Voreltern und ich wurden dort in dem 189 Orte gebohren, wo die Wettläufer eures jährlichen Festes die Grenzen des letzten Sechstheils der Stadt betreten. Dieß sey gnug von meinen Voreltern. Denn wer sie waren, und woher sie dahin kamen, hiervon ist es 190 anständiger, zu schweigen, als zu reden. - Alle, die daselbst 116 seit dem 191 Wechsel des Mars gegen den Täufer bis zu meiner Zeit die Waffen zu tragen, im Stande waren, machten den fünften Theil derjenigen aus, die sich dort 192 gegenwärtig am Leben befinden. Allein die Bürgerschaft, die itzt mit Landleuten aus Campi 193, aus Certaldo und aus Figghine untermengt ist, sah man damals ganz rein und unvermischt bis auf den geringsten Künstler. O! wie ungleich besser würde es seyn, wenn jedes Landvolk eure Grenznachbarn, und 194 Galuzzo und Trespiano eure Grenzörter wären, als daß ihr sie in eurem Gebiete sehen, und den unreinen Geruch der Niedriggesinnten von Aguglione und von Signa ertragen müsset, aus deren Augen schon weltliche Simonie hervorleuchtet. Hätte das 195 Volk, das in der Welt am meisten ausartet, sich nicht, gleich einer ungerechten Stiefmutter, gegen den Kaiser, bezeiget, hätte es sich vielmehr gegen ihn, wie eine gütige Mutter gegen ihren Sohn, betragen, so wäre der fiorentinische Bürger und Kaufmann nicht so weit 117 gebracht worden, daß er sich sogar nach 196 Simifonti gewandt haben würde, einem Orte, wo dessen Greise betteln giengen. Montemurlo würde noch das Eigenthum seiner 197 Grafen seyn. Die Cerchi würden sich noch in dem Aconischen Kirchspiele, und die Buondelmonti sich vielleicht noch in Valdigrieve befinden. Stets ward die Vermischung der Familien in einer Stadt der Ursprung ihres Verderbens, so wie die Verschiedenheit der Speisen das Verderben des Körpers ist. Ein blinder Stier fällt weit hitziger, als ein blindes Lamm. Und oft theilt ein freyes Schwerdt mehr und besser, als fünf Schwerdter unter einander. Wirf einen Blick auf 198 Luni und Urbisaglia. Wie sind sie gefallen! Und wie fallend folgen Chiusi und Sinigaglia ihnen nach! Haben Städte ein solches Schicksal, so wird es dir nicht fremd und hart scheinen, wenn dein Ohr vernimmt, wie Geschlechter zu Grunde gehen. Alle eure irrdischen Sachen sind dem Tode unterworfen. Nur sieht der Mensch diejenigen, die lange dauren, nicht sterben, weil sein Leben zu kurze Seit währet. Und so wie die Bewegung des Mondes jene Gestade unaufhörlich 199 wässert und entwässert - eben so 118 verfährt das Glück mit Florenz. Daher darf dir das nicht wunderbar scheinen, was ich von jenen erhabenen Florentinern sagen werde, deren Ruf die ältere Zeit verbirgt. Ich sah die Ughi und die Catellini, die Filippi, die Greci, die Ormanni und die Alberichi, ich sah sie einst fallend noch große Bürger seyn.Ich sah die Familien des von Sannella und des von Arca und die Geschlechter der Soldanieri, der Ardinghi und der Bostichi gleich groß an Macht und Alter. An 200 jenem Thore, welches gegenwärtig mit neuer und so schwerer Treulosigkeit belastet ist, daß ihr Boot bald Schiffbruch leiden wird, dort wohnten die Ravignani, aus deren Geschlechte der Graf Guido, und wer nur nachher von dem großen Bellincione den Namen führt, entsprossen ist. Daselbst wußte einst das Geschlecht von Pressa sein Ansehen zu behaupten. Dort glänzte ehedem das goldene 201 Degengefäß des Galigajischen Hauses. Dort prangte die 202 Säule mit der Farbe der Vehen. Damals zeigten die Familien der Sachetti, der Giuocchi, der Sifanti, der Barucci, der Galli, und 203 derjenigen die 119 wegen jenes Scheffels erröthen, sich alle in ihrer Größe. Wie groß war einst die 204 Stammfamilie, aus welcher die Calfucci entsprossen sind! Und die Sizii und Arrigucci befanden sich einst auf den erhabensten obrigkeitlichen Sitzen. O! wie sah ich 205 diejenigen, die ihr Stolz zu Grunde gerichtet hat! Und in was für einem Flor erhielten jene Kugeln im goldnen Felde Florenz durch alle ihre großen Thaten! Also handelten die Väter 206 derjenigen, die itzt, so oft eurer Kirche ihr Bischoff stirbt, zusammenkommen und gemeinschaftlich zum Besten ihrer Körper, essen und trinken. Das übermüthige Geschlecht 207, welches entweder, gleich einem Drachen, den, der flieht, und den, der sich widersetzt, grausam verfolgt, oder gegen den, der ihm Geld opfert, sich, wie ein Lamm, sanftmüthig geberdet, stieg einst, obschon aus einer gemeinen Wurzel empor, daher Ubertin Donato mit seinem 208 Schwiegervater nicht zufrieden war, daß er ihn zu einem anverwandtem eines solchen Geschlechts machte. Von Fesole kam einst die Familie 120 von Caponsacco zu uns herab, und wohnte auf dem alten Markte. Und die von Giuda und Infangato waren einst rechtschaffene Bürger. Ich will dir einen unglaublichen doch wahren Umstand sagen. Damals hatte Florenz in dem kleinern Umfange seiner Mauern ein 209 Thor, welches von dem Peraischen Geschlechte seinen Namen führte. Alle, die das schöne Wappen jenes großen 210 Freyherrn führen, dessen Namen und würdigen Character das Fest des heiligen Thomas verewigt, wurden von ihm mit dem Ritterorden und mit vorzüglichen Freyheiten beschenkt, obgleich 211 derjenige, der solches mit dem Zierrathe einfasset, sich gegenwärtig zu dem Volke gesellet. Einst lebten daselbst die Gualterotti und Importuni. Und noch itzt würde Borgo ruhiger seyn, dafern es von 212 neuen Bürgern frey geblieben wäre. 121 Das 213 Haus, dessen gerechter Unwille die Thränen eures Unglücks erzeuget, euch getödtet, und eurem frölichem Leben ein Ende gemacht hat, stand mit seinen Anverwandten in Ehre und Ansehen. O! Buondelmonte, wie übel flohst du seine Vermählung, auf 214 fremdes Anzeigen! Wie viele würde ein glückliches Leben erfreuen, die ihr Unglück betrübet, wenn dich Gott, als du das erste Mal nach der Stadt giengst, dem 215 Ema geschenkt hätte! Allein es war jenem Grundsteine 216 am Fuße der Brücke gemäs, daß Florenz, in seinem letzten 217 Frieden, ihm noch ein blutiges Opfer brachte. - Unter diesen und noch andern mit ihnen vereinigten Familien sah ich einst Florenz eine so volkommene Ruhe genießen, daß es nicht Ursache hatte, zu weinen. Unter diesen Familien sah ich sein Volk so glorreich und so gerecht, daß man nie die Lilie ihrer Fahnen 122 weder 218 verkehrt, noch, wegen uneiniger Parteyen, dieselbe 219 roth erblickte.

Siebenzehnter Gesang

Anmerkungen:

P183 Als Julius Cäsar sich Rom unterwarf, daher es ihn nicht mehr mit dem gewöhnlichen Du anredete, sondern ihn nun mit dem Vorworte Ihr beehrte, um dadurch anzuzeigen, daß, wegen seiner vielfältigen Gewalt, mehr Personen in ihm vereiniget wären, über welche er allein herrsche.
zurück

P184 Ginevra küßte ihren Geliebten, den Lancillotto. Ihre Kammerfrau ward es gewahr, hustete, und gab dadurch zu erkennen, daß sie es nicht allein gesehen habe, sondern es auch billige.
zurück

P185 Florenz, deren Schutzheiliger Johannes ist.
zurück

P186 Nicht in der italiänischen, sondern in der lateinischen Sprache, welche damals unter Personen von Stande gesprochen wurde.
zurück

P187 Seit dem Tage der menschwerdung Christi.
zurück

P188 Mars, der alle 2. Jahre also neu entflammt zurückkehrt. Vervielfältigt man also 533 mit 2, so ist das 1106te Jahr das Geburtsjahr des Cacciaguida, der im Jahr 1147. starb.
zurück

P189 In Florenz. Diese Stadt war damals nicht in Viertheile, sondern in Sechstheile eingetheilt.
zurück

P190 Entweder, um den Fehler der Ruhmräthigkeit zu vermeiden, oder weil er keine hinreichende Kenntniß von dem Ursprunge seines Geschlechte hatte oder, weil seine Vorfahren von niedrigen Herkommen waren.
zurück

P191 Anfangs war Mars, und nachher Johannes, der Täufer, der Schutzheilige von Florenz.
zurück

P192 Zur Zeit des Dante.
zurück

P193 Landschlösser bey Florenz.
zurück

P194 Vorzüglich nahe an der Stadt Florenz liegende Oerter.
zurück

P195 Die römische Kirche, vom Pabste aufgehetzt wider den Kaiser.
zurück

P196 Ein kleines, aber festes Schloß, das die Florentiner im Jahr 1202. zerstörten.
zurück

P197 Der Grafen Guido.
zurück

P198 Diese und folgende Oerter waren ehedem große und berühmte Städte, und wurden in der Folge theils zerstört, theils sehr geringe Oerter.
zurück

P199 Durch die Ebbe und Fluth.
zurück

P200 An dem Petersthore zu Florenz, wo gegenwärtig, d. i. zur Zeit des Dante, treulose, und verrätherische Familien wohnen, welche mit ihren Ungerechtigkeiten den Staat fast bis zum Untergange belasten.
zurück

P201 Das Wappen dieser Familie.
zurück

P202 Das Wappen der Billi. Die Farbe der Vehen ist die Farbe des sogenannten Grauwerks.
zurück

P203 Der Tosinghi, oder der Chiaramontesi, von denen einer das gemeine Getraidemaaß verfälschte, und enthauptet wurde.
zurück

P204 Der Donati.
zurück

P205 Die Familie der Abbati, welche die Republik sehr weise regierten, aber zu viel Stolz besaßen, der sie endlich stürzte. Die Kugeln im goldenen Felde führten sie in ihrem Wappen.
zurück

P206 Der Bisdomini, der Tosinghi und der Corteggiani, deren Väter das Bisthum zu Florenz gestiftet haben.
zurück

P207 Der Adimari.
zurück

P208 Dem Bellincione, der eine seiner Töchter mit einem von Adimari vermählte.
zurück

P209 Es hieß Porta Peruzza von dem Geschlechte Pera, welche zur Zeit des Dante die parteyische Wuth der Familien wider einander nicht erlaubt haben würde.
zurück

P210 Des berühmten Ugo, Marchese von Toscana, dessen Gedächtniß an dem Tage des heiligen Thomas gefeyert wird.
zurück

P211 Jano della Bella, der auf die Vorrechte der Großen Verzicht gethan, und das Wappen zwar beybehalten, jedoch solches durch einen Zierrath verändert hat.
zurück

P212 Von den Buondelmonti.
zurück

P213 Die Familie der Amadei. S. die 118. Anmerk. des 1sten Ged. von der Hölle.
zurück

P214 Auf Anreizen der Famile der Donati.
zurück

P215 Wenn du in dem Flusse Ema ertrunken wärest, als du nach Florenz giengst, um daselbst dich wohnhaft niederzulassen.
zurück

P216 Der Säule des Mars, dises blutgierigen Gottes der Heiden.
zurück

P217 Denn nach her lebte Florenz in beständigen Kriegsunruhen.
zurück

P218 Nach der Gewohnheit ihrer Feinde, welche, wenn sie Fahnen eroberten, sie also umkehrten.
zurück

P219 Die uneinigen Parteyen waren die Welfen und die Gibellinen. Ehe solche entstanden, führte Florenz in seinen Wappen eine weiße Lilie im rothen Felde. Allein als die Welfen über die Gibellinen die Oberhand behielten, ward sie in eine rothe Lilie in weißem Felde verwandelt.
zurück