Drittes Gedicht
von
dem Paradiese.

Erster Gesang.

Übersicht.

Inhalt.

Der erhabene Dichter will das himmlische Reich der Seligen schildern. Er ruft den Apollo um Beistand an. Dann beschreibt er, wie er am frühen Morgen in Gesellschaft der Beatrix sich von dem irrdischen Paradiese gegen den Himmel erhoben. Und diese zeigt ihm in einer sinnreichen Unterredung die Ursache, warum er mit dem Körper also die Höhe emporsteigen könne.


 

Die Herrlichkeit des Ewigen, der alles beweget, dringt durch das ganze Weltgebäude. Sie glänzt in einem Theile desselben mehr, in dem andern weniger. Im Himmel, der den vorzüglichsten Glanz von seinem Lichte 4 empfängt, dort war ich. Dort sah ich Sachen, deren Beschreibung über das Vermögen des Sterblichen ist, welcher von solchen Höhen wieder herabsteigt. Denn sobald unser Verstand sich seinem höchsten Guthe nähert, senkt er sich so tief in dasselbe, daß das Gedächtniß in solche Tiefen nicht wieder zurückgehen kann. Allein so viele Schätze des heiligen Reichs ich nur in meinem Geiste sammlen konnte, die alle sollen jetzt der Stoff meiner Gesänge seyn.

O gütigster Apollo, mache zu dieser letzten Arbeit ein solches Werkzeug deiner Kraft aus mir, wie das Geschenk des geliebten Lorbeeres es heischet! Bis hieher war die eine Höhe des Parnasses hinreichend für mich. Allein nunmehr zwingt mich die Nothwendigkeit, von beiden Höhen auf den noch rückständigen Kampfplatz zu treten. Komm dann in meine Brust, und singe durch mich, wie du einst sangest, als du den 001 Marsyas aus der Scheide seiner Glieder herauszogest. O göttliche Kraft, schenke dich mir so vorzüglich, damit ich das Reich der Seligkeit, nach dem in meinem Gedächtnisse gebliebenen Schatten, schildern möge! So wirst du mich zu dem Fuße deines geliebten Holzes hinzunahen und dann mit dessen 5 Laube mich krönen sehen. Und beides, der erhabene Stoff meines Gesangs, und deine Huld werden des Lorbeers mich würdig machen. Wie selten - o Schuld und Schande der menschlichen Begierden! - wie selten, Vater der Weisheit, bricht der Triumph entweder eines Helden, oder eines Dichters Früchte von jenem Baume! Sollten daher die 002 Peneischen Zweige der Delphischen Gottheit nicht Freude erregen, wann ein Sterblicher ein heißes Verlangen nach ihnen empfindet? Aus einem kleinen Funken entsteht oft eine große Flamme. Und vielleicht erfolgt nach mir auf eine Bitte in würdigern Tönen eine günstigere Antwort aus 003 Cyrrha.

Das Licht der Welt geht aus verschiedenen Tiefen den Sterblichen auf. Allein aus jener Morgen gegend, wo vier 004 Zirkel sich mit drey Kreutzen verbinden, 6 bricht die Sonne im gütigerm Laufe, und mit einem wohlthätigern Gestirne vergesellschafftet, hervor, und macht nach ihrer Art gemäßigtere Eindrücke auf die irrdischen Fluren. Schon war es fast in einer solchen Gegend jenseits Morgen, und disseits Abend. Schon erfüllte dort jene Halbkugel ein glänzendes Weiß, und ihre gegenseitige hüllte sich in ein nächtliches Schwarz. Itzt sah ich die Beatrix, gegen die linke Seite gewandt, in die Sonne schauen. So fest heftete nie ein Adler sein Auge auf sie. Und wie aus einem ersten Strahle ein zweeter zu entstehen, und nach seiner Höhe, gleich einem nach seiner Heimath zurückeilenden Pilgrim, zurück zu blitzen pflegt, - eben so entstanden aus ihrem Schauen, das meine Augen durchdrang, in meiner Einbildungskraft die vorzüglichen Blicke, welche ich daher, über die Gewohnheit sterblicher Augen, auf die Sonne heftete. Denn dort ist wegen des 005 Orts, dieses eigentlichen Wohnplatzes für das menschliche Geschlecht, unsern Kräften weit mehr erlaubt, als hier auf dieser Erde. Lange ertrug mein Auge ihren Glanz nicht, aber auch nicht eine so kurze Zeit, daß ich sie, gleich einem glühenden Eisen, das aus dem Feuer kömmt, nicht hätte rings umher funkeln sehen. Plötzlich schien Tag zu Tag hinzugefügt zu werden, nicht anders, als 7 wenn der Allmächtige den Himmel mit einer zwoten Sonne ausgeschmückt hätte. Beatrix stand ganz mit ihren Blicken vertieft in die ewigen Kreise des Himmels. Ich dagegen hatte meine von jener Höhe hinweggewandten Augen nun ganz auf sie gerichtet. In diesem Anschauen fühlte ich in mir eben dieselbe Veränderung, welche einst 006 Glaucus beym Genusse jenes Krauts empfand, das ihn unter die Götter des Meers versetzte. Diese Uebermenschwerdung läßt sich mit Worten nicht ausdrücken. Daher sey ein solches Beispiel für denjenigen hinreichend, dem die Gnade des Höchsten die eigene Erfahrung aufbehält. War ich, o! göttliche Liebe, du Regentinn der Himmel, war ich nur der 007 allein, den du also aus mir neu schufest, das weißt du am besten, die du mit deinem Lichte mich in eine solche Höhe versetztest. Itzt zog die Harmonie der sich ewig durch dich, höchstes Guth, in ihren Kreisen umwälzenden Sphären, sie, die durch dich sanft und stärker ertönende Harmonie, 8 zog nunmehr meine ganze Aufmerksamkeit auf den Himmel. Und nun sah ich einen Theil desselben in einem so großen Umfange von dem Feuer der Sonne entzündet, als nie ein See vom Regen oder von einem Flusse sich ausgebreitet hat.

Die mir fremden Töne und die Größe des Lichts, beide erregten in mir ein so heftiges Verlangen nach ihren Ursachen, als ich nie auf der Welt empfunden habe. Beatrix sah mich. Sie sah mein Gefühl. Sie sah die Unruhe meines Geistes. Um mich daher zu befriedigen, kam sie durch Oeffnung ihres Mundes meinen Fragen zuvor. Du selbst, fieng sie an, umnebelst deinen Verstand durch deine falschen Einbildungen. Daher siehst du das nicht, was du sehen würdest, wenn du dich von ihnen entfesseltest. Du bist nicht, wie du glaubst, auf der Erde. Nie eilte der Blitz, fliehend von dem Himmel, seinem eigenthümlichen Sitze, so schnell, als du, der du nach demselben zurückkehrest.

Kaum ward ich durch diese wenigen Worte ihres sanftlächelnden Mundes von den Banden des ersten Zweifels befreyet, als Schlingen eines neuen Zweifels mich desto empfindlicher fesselten. Schon zufrieden, sagte ich daher, ruhete ich von großer Verwunderung. Allein itzt wundere ich mich, wie ich diese leichten Elemente übersteigen kann. - Hierauf richtete sie, nach einem mitleidigen Seufzer, ihre Augen gegen mich. Ihre Mine war gleich der Mine, welche eine Mutter gegen ihr aus Einfalt irrendes Kind blicken läßt. Dann redete sie also: 9

Alle erschaffene Dinge sind durch Ordnung mit einander verbunden. Sie ist die wesentliche Schönheit, welche das ganze Weltgebäude Gott ähnlich macht. In dieser Ordnung erblicken höhere Geschöpfe die Spuren der Herrlichkeit des Ewigen, deren Offenbarung die große Absicht ist, warum eine solche Uebereinstimmung in der Natur herrschet. Zu dieser Ordnung neigen sich alle Naturen auf verschiedenen Wegen, nachdem sie ihrem Schöpfer mehr oder weniger ähnlich sind. Daher laufen sie durch das große Meer der Schöpfung nach verschiedenen Häven, eine jede von dem Instinkte getrieben, welcher ihr mitgetheilt ist. Dieser führt das Feuer in die Gegend des Mondes. Dieser bewegt alle sterbliche Herzen. Dieser zieht und hält die Erde zusammen. Und die Pfeile dieses Bogens treffen nicht nur die vernunftlosen, sondern auch alle vernünftigen und freyen Geschöpfe. Ich komme auf jenen 008 Himmel, unter welchem der ihm nächste in der vorzüglichsten Eil seinen Umlauf vollendet. Diesem erhabensten Himmel schenkt die göttliche Vorsehung, die alles so weislich ordnet, durch die Fülle ihres Glanzes, eine ewige, die seligste Ruhe. Und dort, dort ist der Ort unsrer Bestimmung , wohin uns die Macht jenes Bogen treibet, welcher seine aufgelegten Pfeile stets nach einem erwünschten Ziele richtet. Allein so wie oft ein Werk 10 wegen seiner unfolgsamen Materie nicht nach der Absicht des Künstlers ausfällt, - eben so weicht zuweilen das Geschöpf, welches das Vermögen besitzt, sich frey nach einer andern Seite zu lenken, von dem Schwunge nach jener Höhe, wohin es sein Instinkt emportreibet. Also, wider sein natürlichen Trieb, durch ein falsches Vergnügen zur Erde gelenkt, sinkt es herab, gleich dem Feuer, das wider seine Natur aus den Wolken herabfällt. Verwundre dich daher über deinen Flug in diese Höhen nicht mehr, als über einen Fluß, der von einem hohen Berge in ein tiefes Thal hinabfließt. Allein wenn du, befreyet 009 von Hindernissen, auf der Erde geblieben wärest, dann, dann müßtest du dich hierüber eben so verwundern, als wenn ein lebendiges Feuer in unbeweglicher Ruhe auf der Erde bliebe.

Auf diese Rede wandte sich das Gesicht wieder nach dem Himmel empor.

Zweeter Gesang

Anmerkungen:

P001 Marsyas, zu stolz auf seine Geschicklichkeit im Singen, foderte den Apollo zu einem Zweykampfe heraus. Apollo nahm solchen unter der Bedingung an, daß der Ueberwinder nach seinem Gefallen den Ueberwundenen strafen könne. Apollo sang göttlich, und ließ hierauf, als Sieger, dem Marsyas lebendig die Haut abziehen, welche Dante die Scheide seiner Glieder nennet.
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P002 Von dem Flusse Peneo, an welchem einst die Nymphe Daphne, fliehend vor dem Apollo, der sie liebte, auf ihr Flehen, in den Lorbeerbaum verwandelt wurde. Daher ward, auf Verlangen des Apollo, ihm dieser Baum, als sein geliebtes Holz, geheiligt. - Die delphische Gottheit ist Apollo, weil er einst in der Stadt Delphos seine bekannten Göttersprüche ertheilte.
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P003 Vielleicht, sagt Dante, reizt mein Beispiel in der Folge größere Dichter, so erhabene Gegenstände vollkommener zu singen, welche Apollo mehr begünstigen, und feuriger beleben wird, als ich von ihm hoffen darf.
Cyrrha, diese Stadt liegt am Fuße des Parnasses, und war dem Apollo gewidmet, den die Dichter daselbst anrufen und verehren.
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P004 Der Horizont, der Zodiacus, der Aequator und Colurus aequinoctialis, welche durch ihre Verbindung und Durchschnitte drey Kreutzen bilden, wann die Sonne in das Zeichen des Widders tritt, und in diesem Gestirne durch den Frühling die ganze Natur belebet.
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P005 Dieser Ort ist das irrdische Paradies, wo Dante sich mit der Beatrix noch befand.
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P006 Glaucus war ein berühmter Fischer. Einst zählte er am Ufer des Meeres auf einer grünen Wiese die Fische, die er gefangen hatte, und sah auf einmal mit Erstaunen, daß sie sich alle auf der Erde, wie im Wasser, fortbewegten, und zuletzt sich ins Meer stürzten. Er urtheilte endlich, die Kraft des Grases sey die Ursache. Er aß davon, und fühlte plötzlich in seinem Innersten einen immer mächtigern Trieb, seine Natur und Wohnung auf eine erhabnere Art zu verändern, so, daß er sich in das Meer stürzte, wo er unter die Götter desselben versetzt ward.
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P007 Ohne mehr ein irrdischer Mensch zu seyn.
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P008 Auf das unbewegliche Empiräum, unter welchem der erste sich bewegende Himmel seinen Anfang nimmt, der sich in dem weitesten Umfange, am schnellsten, und alle andere Sphären beweget.
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P009 Befreyet von irrdischen Leidenschaften.
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