Von der Hölle.
Achtzehnter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Der Dichter beschreibt die Lage und die Gestalt des achten Kreises der Hölle, dessen Grund in zehn Abgründe eingetheilt ist, in denen die Betrüger gemartert werden. Hernach schildert er den ersten Abgrund, in welchem die Kuppler und die Verführer des Frauenzimmers von Teufeln grausam zerpeitscht werden. Von da gehen sie in den andern Abgrund, wo die Schmeichler in dem widrigsten Unflat sich eingeschlammt befinden.

In der Hölle ist ein Ort, der Malebolge heißt, und der, so wie sein ganzer Umkreis, rings herum ganz steinern und eisenfärbig ist. Gerade in der Mitten des verfluchten Gefildes prangt ein ziemlich weiter und tiefer Brunnen, dessen künstlicher Bau an seinem Orte beschrieben werden soll. Der ganze übrige Umfang also zwischen dem Brunnen und dem Aeußersten des hohen harten Ufers ist durchaus rund, und sein Grund ist in zehn feste Thäler abgetheilt.

So wie da die Aussicht beschaffen ist, wo, zu desto mehrerer Sicherheit der Mauern, feste Oerter mit Graben umgeben sind, die den Theil, den sie umgeben, desto fester machen - eben so zeigten sich hier diese Thäler. Und wie bey dergleichen Festungen von ihrem Boden an, bis ans Ufer heraus, sich kleine Brücken befinden - so giengen von dem Grunde dieses Felsens ganze Felsenstücke heraus, welche die dortigen Dämme und Graben bis zu dem Brunnen hin durchschnitten, 126 der sie alle da abkürzt und an sich sammlet. Und an diesem Orte der Hölle war es, wo wir von dem Rückgrade Geryons uns abgeschüttelt befanden.

Virgilius hielt sich nun linker Hand, und ich gieng hinter ihm her. Rechter Hand sah ich abermals neuen Jammer, neue Martern, neue Henker, mit denen der ganze erste Abgrund angefüllt war. Im Grunde waren die Sünder nackend. Auf der Mitte disseits kamen sie uns mit dem Gesichte entgegen, und jenseits giengen sie, jedoch mit stärkern Schritten, mit uns.

So wie dort die Römischen Truppen am Jubeljahre das Volk über die nur erst 065 abgetheilte Brücke hinüberschaffen müssen, so, daß auf der einen Seite alle das Gesicht nach der Engelsburg hinwenden und nach der Peterskirche zu gehen, und die auf der andern Seite ihren Gang nach den Bergen zu nehmen - eben so sahe ich disseits und jenseits, hin und her auf diesen schwarzen Steinen gehörnte Teufel mit großen Geisselpeitschen auf diese hier von hinten zu loshauen. O! wie hoben sie schon bey den ersten Hieben die Beine auf, und da war wohl niemand, der die andern, vielweniger die dritten Streiche abwartete. Indem ich so gieng, stießen meine Augen auf Einen, daher ich sofort sagte: Schon der Anblick dieses Bösewichts sättigt mich. Um daher seine Gestalt recht einzunehmen, sah ich ihn starr an, und mein liebreicher Führer stand mit mir stille, und 127 willigte darein, daß ich in etwas zurückgieng. Doch der Gegeißelte glaubte, sich verbergen zu können, und schlug das Gesicht nieder. Allein es half ihm wenig. Denn ich sagte zu ihm: Du, der du die Augen so niederschlägst, wenn deine äußerliche Gestalt nicht betrügt, so bist du Benedico Caccianimico. Allein was bringt dich zu so scharf gewürzten Speisen? - Ungern sage ichs, antwortete er mir. Deine helle Sprache aber zwingt mich, und macht, daß ich mich der alten Welt erinnere. Ja, ich war der, der die schöne Ghisola 066 dahin brachte, dem Marquis zu Gefallen zu leben, so verschieden die Erzählung der unreinen Neuigkeit auch klingt. Und ich bin nicht etwa der einzige Bologneser, der hier weinet. O nein! Dieser Ort ist vielmehr so voll davon, daß gegenwärtig gewiß so viel Zungen nicht seyn werden, die man zwischen Savena 067 und dem Rhein ein falsches Ja sprechen lehret. Und wenn du hiervon Beweis und Zeugniß verlangst, so führe dir nur unsern geizigen Busen zu Gemüthe. Indem er so redete, gab ihm ein Teufel mit seiner höllischen Knute einen schrecklichen Hieb und schrie: Fort, Kuppler, hier giebts keine Weibsbilder für geprägtes Metall. Ich eilte, daß ich 128 wieder zu meinem Begleiter kam. Hierauf kamen wir mit wenigen Schritten an einen Ort, wo ein Felsenstück von dem Ufer herausgieng. Da stiegen wir ziemlich leicht hinauf, wo wir uns auf einem Absatze davon rechtshin wandten, und aus den ewigen Laufkreisen uns fortmachten. Als wir an den Ort kamen, wo der Felsen unten weit ausgeschweift ist, damit die Gestäupten da vorbey gehen können, sagte mein Führer: Halt ein wenig an, und mache, daß du jene Ausgearteten auch zu Gesichte bekommst, denen du noch nicht hast in die Augen sehen können, weil sie mit uns nach einer Richtung gegangen sind.

Von der alten Brücke sahen wir den Zug, der auf der andern Seite auf uns zu kam, und den die Peitsche gleichergestalt zerschlägt. Siehe, sagte mein guter Lehrer, ohne daß ich ihn darum fragte, siehe den Großen, der da kömmt, und vor heftigem Schmerze keine Thräne zu vergießen scheint, welch ein königliches Ansehen hat er nicht noch! Das ist der Held 068 Jason, der, so beherzt als klug, die Colchier um das goldne Vlies brachte. Er 129 zog durch die Insel Lemnos, als die wilden und unbarmherzigen Weiber alle ihre Männer dem Tode aufopferten. Daselbst betrug er mit Liebkosungen und mit zierlichen Worten Hysiphilen 069, diese junge Schöne betrog er, die vorher alle andre ihres Geschlechts betrogen hatte. Schwanger und ganz allein verließ er sie daselbst. Und ein so großes Verbrechen verdammt ihn zu einer so heftigen Marter; so wird auch noch wegen Medeen 070 Rache an ihm ausgeübt. Mit diesem gehen daselbst und leiden alle, die auf solche Weise betrogen haben. Und dieses mag gnug seyn, von dem ersten Abgrunde, und von denen zu wissen, die er in seinem Rachen eingeschlossen hält.

Schon waren wir da, wo der enge Weg den andern Damm durchkreuzet, und mit diesem in einen zweyten Bogen zusammengeht. Hier wurden wir Leute 130 gewahr, die in den andern Abgrund ganz krumm zusammengebeugt hinein ächzten und wehklagten, mit dem Munde vor Zorn schnaubten, und sich selbst mit den flachen Händen zerschlugen. Die Ufer waren, von dem Hinunterathmen, ganz wie mit Schimmel überzogen, der sich daselbst fest anlegt, und mit den Augen und der Nase den widrigsten Streit verursacht. Der Grund ist so tief, daß hier kein Ort besser zum Sehen ist, als wenn man vorne auf den Rücken des Bogens hinauf steigt, wo die Klippe weiter hervorsteht. Hier machten wir uns also hin, und da sah ich unten in dem Graben Volk in einen Unflath hineingesenkt, der von jenem Geheimen der Menschen dahin gebracht zu seyn schien. Indem ich da unten mit den Augen so herumsuchte, sah ich einen mit einem Kopfe, der so voll von dergleichen Unreinigkeit war, daß man nicht erkennen konnte, ob es der Kopf eines Layen oder eines Pfaffen war. Dieser schalt und schrie auf mich zu: Warum bist du so begierig, mich mehr, als die andern Unfläthigen, zu betrachten? Weil ich, war meine Antwort, dich schon mit den trocknen Haaren gesehen habe; denn du bist Alessio Interminci von Lucca, und darum sehe ich auf dich mehr, als auf alle die andern. Hierauf schlug er sich vor die kahle Stirne und schrie: O! hier herunter haben mich die verdammten Schmeicheleyen versenkt, deren meine Zunge nie müde werden konnte!

Nach diesem sagte mein Lehrer zu mir: Nun richte dein Gesicht ein wenig weiter vor, so, daß du mit deine Augen noch das Angesicht jener unfläthigen Dirne mit den zerstreuten Haaren recht beschauest, die sich dort mit den unreinen Nägeln die Haut zerkratzet, 131 und bald vorwärts, bald seitwärts sich verbeugt, bald wieder aufgerichtet steht. Thais ist die Hure, die ehedem ihrem Buhler für sein Geschenk, und blos aus Schmeicheley, und aus Begierde nach mehreren Geschenken, allen nur ersinnlichen, ja den allerzärtlichsten Dank abstatten ließ. Und hiermit mag das Verlangen unsrer Augen für diesmal gestillt seyn.

Neunzehnter Gesang

Anmerkungen:

H065 Dieß geschah im Jahre nach Christi Geburt 1300. an dem ersten allgemeinen Jubelablaßjahre, auf Befehl Pabsts Bonifacius des Achten, damit das Volk im Begegnen nicht wider einander laufen, und in Unordnung und Aufstand gerathen möchte.
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H066 Ghisola war des Caccianimicos leibliche Schwester, die er zur Unzucht mit Obizzo da Esti, Herrn zu Ferrara, vorzüglich durch Geld und durch die falsche Versicherung, der Marquis wolle sie zur Gemahlinn nehmen, endlich verleitete.

Was kann das Laster nicht erzwingen,
Wenn es die Hoheit unterstützt!
  Gellert.

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H067 In Bologna und ihrem Gebiete, wo man Sipa für Si spricht.
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H068 Jason war ein Prinz Aesons, Königs in Thessalien, der mit dem schönen Schiffe Argus, und von den vornehmsten Griechischen Helden begleitet, nach Colchos segelte, um das goldne Vlies zu erobern, welches daselbst in einem Walde von grausamen Stieren und einem großen Drachen bewacht und verwahret wurde. Bey seiner Ankunft machte er so fort Freundschaft mit des Königs Aetha Prinzessinn, der Medea. Diese war eine große Zauberinn, und machte, aus Liebe zum Jason, die Ungeheuer schlafend, der alsdenn den Colchiern ihren Schatz raubte, mit der Medea floh, und sie zu seiner Gemahlinn nahm.
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H069 Hysiphile war Königinn von Lemnos, wo die Weiber aus Eifersucht, und um die Untreue ihrer Männer zu bestrafen, und sich ihrer Tyranney zu entziehen, sie alle, kraft einer allgemeinen Mordverschwörung, umbrachten: Allein das Leben des Königs Toas, ihres Vaters, rettete diese Prinzessinn, und machte seinen Tod so wahrscheinlich, daß alle ihres Geschlechts glaubten, er sey auch ermordet. Und eben diese Königinn war die junge Schöne, die Jason besuchte, und die ihm Zwillinge gebahr, aber betrügerisch von ihm verlassen wurde.
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H070 Rache wird wegen seiner Untreue an ihm ausgeübt, die er an Medeen dadurch begieng, daß er nach Korinth gieng, und sich mit des Königs Creon Prinzessinn, der Creusa, vermählte.
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