Von
der Hölle.
Funfzehnter Gesang.
Inhalt. |
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Die Dichter setzen ihren Weg durch den dritten Unterkreis längst des Phlegetons fort, begegnen einigen Seelen der Sodomiten, die schaarenweise unter den herabfallenden Feuerflammen herumgiengen, unter welchen Dante mit Brunetto Latini spricht, der ihm seine Verjagung ins Elend vorhersagt, und hiernächst auch von einigen andern Nachricht giebt, die daselbst mit ihm gestraft wurden. Nun bringt uns das eine von den harten Ufern weiter fort. Der aus dem Flusse aufsteigende Dampf macht oben darüber einen solchen Nebel, daß dadurch das Wasser und die Dämme vor dem Feuer gesichert sind. So wie jene Einwohner in Flandern, zwischen Guzzante und Brügge, aus Furcht vor den Fluthen, die da auf ihre Gegend stoßen, die Dämme bauen, damit das Meer anderweitig fortgehe; und wie die Paduaner, längst des Brentaflusses, dergleichen aufführen, um ihre Landhäuser und Schlösser vorher, ehe der Chiarentanafluß die Sommerhitze fühlet, in Sicherheit zu setzen - nach eben dem Muster waren diese Dämme hier aufgeführet, wiewohl der Meister, wer er auch gewesen seyn mag, sie weder so hoch, noch so stark gebauet hat. Ich getrauete mich nicht, die Straße hinab zu steigen, um ihm gleich zu gehen, sondern bückte mich mit dem Kopfe gegen ihn, wie ein Mensch der ehrerbietig neben jemand hergeht. Was für ein Glück, oder Schicksal, fing er alsdann an, führt dich aber vor 107 deinem jüngsten Tage hier herunter? Und wer ist der, welcher dir den Weg zeiget? Dort oben in dem heitern Leben, antwortete ich ihm, verirrte ich mich in einem Thale, ehe ich mein vollkommenes Alter erreicht hatte. Nur gestern Vormittags kehrte ich in demselben wieder um und zurück, und eben da erschien mir dieser Geist, und führet mich nun so wieder durch diesen Weg zurück. 108 Wenn alles mein Wünschen und Verlangen, antwortete ich, hinreichend gewesen wäre, so wäret ihr noch nicht von der menschlichen Natur verbannet worden. Denn das Bild von euch, wie ihr so väterlich, liebreich und gutherzig mit mir umgienget, als ihr auf der Welt mich zu ganzen Stunden unterrichtetet, wie sich der Mensch verewige, hat sich meinem Gemühte fest eingepräget, und beschäfftiget mein Herz nunmehro nicht wenig. Und wie theuer und werth mir solches sey, soll man, so lange ich lebe, aus meinen Reden deutlich hören. Was ihr mir von meinen Lebensumständen saget, das schreibe ich und hebe solches mit andern Texten 051 zur Auslegung für jene Selige auf, die es verstehen muß, wenn ich hin zu ihr komme. Doch so viel muß ich euch sagen, daß, woferne nur mein Gewissen mir keine Vorwürfe macht, ich zu allen und jeden Schicksalen fertig und bereit bin. Denn dergleichen Vorherverkündigungen sind meinen Ohren nichts neues. Darum so mag das Glück sein Rad immerhin drehen, wie es ihm nur gefällt, und der Bauer mit seinem Grabscheite handthieren, wie er nur will. Hierauf wandte sich mein Lehrer mit dem Kopfe nach der rechten Seite herum, sah mich an, und sagte hernach: Derjenige hört eine Sache recht, der sie merkt. Dem ohngeachtet gieng ich immer mit dem Herrn Brunetto fort, redete darum nicht weniger mit ihm, und fragte vielmehr, wer wohl seine bekanntesten und vornehmsten Collegen wären.
Anmerkungen: H051 Mit dem, was mir Ciacco und Farinata auch prophezeyt haben. H052 O! du überhaupt lasterhafter Priester und Gelehrter, o! erzittere, du Hauptschänder der Religion und der Wissenschaften, vor der schweren Rechenschaft, die du für dich und für alle, durch deine unreine Lebensart verführte Seelen unausbleiblich geben mußt!
Wie vorzüglich verehrungswürdig und nützlich regiert nicht ein Rector einer Universität, der gelehrt arbeitet, und tugendhaft lebet! Er brüstet sich nicht mit seiner Würde. Er sucht nicht die Menge, sondern die Güte der Studirenden zu befördern. Lehrreich bestreitet er eingerissene unanständige und gefährliche Freyheiten, und sucht solche, als der Weisheit und Tugend nachtheilige Gewohnheiten, ohne alles Bedenken, und ohne die geringste Nachsicht, auf eine richterlich kluge Art abzustellen. Er straft Uebermüthige unparteyisch, als ein gewissenhafter Richter, und beklagt und bessert sie zugleich, als ein rechtschaffener Vater. So rühmlich macht er, durch seine würdigen Lehren und tugendhaften Beyspeile, wieder würdige und tugendhafte Gelehrten, und beseliget dadurch ganze Länder und Staaten. Und o! möchten vorzüglich Professores ordentliche und tugendhafte Menschen seyn, so würde ein jeder von ihnen, gerührt, den flehenden Zuruf eines jeden Vaters für seinen studirenden Sohn hören und befolgen, den billigen Zuruf:
H053 Dieser war Andreas der Mozzi, Bischoff zu Florenz, und Erzbischoff in der Sodomiterey, den Pabst Bonifacius der Achte nach Vicenz schaffte, wo er, entweder von Chiragra, Podagra und reissender Gicht, oder weil ihn der Tod hinraffte, nicht mehr Sodomiterey treiben konnte, als mit welchem unnatürlichen Laster sich gedachte Geistliche und Gelehrte schändlich verunreinigten. H054 Brunetto Latini war ein großer Gelehrter, und der Hofmeister des Dante, und hat einen Thesaurum in italiänischer, und einen in französischer Sprache geschrieben. In dem ersten handelt er von den Abwechselungen des veränderlichen Glücks, und in dem andern von allerhand historischen, physikalischen, moralischen und politischen Sachen. |