Von der Hölle.
Achter Gesang.

Übersicht

Inhalt.

Dante steigt mit seinem Führer in das Schiff des Phlegyas hinein, und trifft, im Ueberfahren über den sumpfigten Styx, den Philip Argenti da an, dessen schrecklichen Plage er mit ansieht. Endlich kommen sie an die Plutonische Stadt, wo sie hinein gehen wollen, aber eine große Menge Teufel finden, die dem Virgilius das Thor vor seinem Angesichte zuschließen.

Ich habe nur abgebrochen, und will nun wieder fortfahren. Noch eine geraume Zeit zuvor, ehe wir an den hohen Thurm kamen, giengen schon unsere Augen hinauf in die Höhe, nach den zwo kleinen Flammen, die wir ganz oben erblickten. Und noch so eine andre zeigte sich von weitem, doch so entfernt, daß man sie kaum mit den Augen erreichen konnte. Da wandte ich mich ganz gegen das Meer zu, und sagte: Was ist das hier für ein Feuer? - Und dort zeigt sich noch so eins gegenüber! - Wer mögen die seyn, die es machen? - Da kannst du, sagte er zu mir, da auf den kothigen Wellen kannst du nun schon merken, was wir zu erwarten haben, du müßtest es denn vor Dunst des Sumpfes nicht erkennen können.

Noch ist wohl auf der Welt kein Pfeil, von einem Bogen abgeschossen, so schnell ab und durch die Luft geflogen, so schnell ich ein kleines Schiff mit einem einzigen Ruderknechte auf uns zu kommen sahe, 58 welcher schrie: Nun, du zornige und rachgierige Seele, bist du da? Phlegyas, Phlegyas, sagte mein Herr, du schreyst dießmal vergebens. Du sollst uns nicht länger behalten, als bis wir über den Pfuhl sind.

So wie einer da steht, der einen großen Betrug anhört, den man ihm gespielt hat, und sich hernach unwillig und unmuthig darüber geberdet - eben so bezeigte sich Phlegyas mitten in seinem Grimme.

Mein Führer stieg also ins Schiff, und ließ mich hernach auch zu sich hinein steigen. Und nun, als ich drinnen war, schien es erst seine Ladung zu haben. So bald wir alle beide in dem Fahrzeuge waren, gieng das alte Seelenschiff tiefer in Wasser, als es sonst mit andern zu thun pflegt. Als wir nun den todten See so durchfuhren, stellte sich einer ganz voll Koth vor mir hin, und sagte: Wer bist du, daß du itzund sehen kömmst? Wenn ich gleich komme, war meine Antwort, so bleibe ich deswegen nicht da. Aber wer bist du, daß du dich so garstig zugerichtet hast? Siehst du nicht, versetzte er, daß ich ein Unglückseliger bin, der klagt und weinet? Da sagte ich: Mit allem deinen Klagen und Heulen, verdammter Geist, bleib mir zurück. Den ich kenne dich, ob du gleich durchaus kothig bist. Hierauf streckte er seine beiden Hände nach dem Schiffe aus. Allein mein vorsichtiger Führer stieß ihn zurück und sagte: Weg hier, und dort bey die andern Hunde mit dir hin! Alsdann schlung er mir seine Arme um den Hals, küßte mir das Angesicht, und sagte: Du tugendhaft zürnende Seele, o! gesegnet sey die, die dich gebohren hat! Das war in der Welt ein hochmüthiger Mensch. Güte bezeichnet sein Andenken nicht. Darum ist hier sein Schatten so wütend. 59 Und o! wie viele halten sich noch itzt dort oben für große Könige, die sich hernach allhier wie Säue im Kothe herum wälzen, und dort, und hier zum Gräuel und Abscheu werden müssen! - Mein Lehrer, sagte ich hier, das möchte ich doch noch gerne sehen, ehe wir aus diesem Pfuhle heraus kommen, wie er in diesen morastigen Sumpf hinein und hinunter stürzt. Ja, sagte er, noch ehe das Ufer deinen Augen sich zeigt, wirst du völlig befriedigt seyn. Ein solches Verlangen muß dir billig noch gestillet werden. Kurz hierauf sahe ich ihn unter den Scheusalen daselbst dermaßen plagen und martern, daß ich Gott noch dafür preise, und dafür danke. Alle schrien: Da ist Philipp Argenti 019, so, daß der Florentinische tolle Geist wider sich selbst ergrimmte, und sich mit seinen eigenen Zähnen zerbiß. Hier ließen wir ihn und darum will ich nichts mehr von ihm sagen.

Allein plötzlich drang ein Klaggeschrey in meine Ohren, daß ich die Augen, mit denen ich so vor mich 60 hinsahe, weit aufthat, und daß deswegen mein Lehrer zu mir sagte: Nun mein Sohn, nun nähern wir uns der Stadt des Pluto, wo wir die großen Schaaren von ihren ansehnlichen Bürgern sehen werden. O! mein Lehrer, erwiederte ich, gewiß ich sehe schon ihre Tempel dort unten in dem Thale. Sie sind ganz roth, als wenn sie erst aus dem Feuer kämen. Die ewigen Flammen, versetzte er, die sie darinnen anfeuren, machen, daß sie roth scheinen, so wie du in dieser untern Hölle siehest. Alsdann kamen wir hinein in die tiefen Gruben, die dieses trostlose Gebiete umgrenzen. Die Mauren schienen mir von Eisen zu seyn. Nicht ohne erst ziemlich herum zu fahren, kamen wir endlich an einen Ort, wo unser grimmiger Schiffer uns zuschrie: Steigt aus, das ist der Eingang hier!

Auf einmal waren mehr als tausend von den aus dem Himmel in diesen Abgrund herabgestürzten Geistern an und vor den Thoren, und schrien alle wie rasend: Wer ist der, daß er ohne Tod durchs Reich des Todten will? Sofort gab ihnen mein weiser Lehrer ein Zeichen, daß er insgeheim mit ihnen sprechen wolle. Hierauf ließen sie doch ihren schrecklichen Unwillen und Zorn nicht so heftig mehr aus, wiewohl sie sagten: Komm du allein, und der kann gehen, der Verwegene, der so tollkühn in dieses Reich hereintritt. Er soll allein die gefährliche Straße wieder zurück. Denn du, du - hast ihn die finstern Gegenden durchgeführet; nun sollst du aber hier bleiben.

Was denkst du, o! mein Leser, mußte ich nicht den Muth verlieren, da ich diese verdammten Reden 61 hörete? Denn das glaubte ich nimmermehr, wieder zurück zu kommen.

O! mein Führer, nein, o! mein Vater, sagte ich da, du hast mir nun schon so oft und vielmals Sicherheit und Hülfe verschafft, und mich aus so großen und augenscheinlichen Gefahren herausgerissen. Laß mich, ich bitte dich, doch nicht so umkommen, und so zu Schanden werden! Und ist es uns, weiter zu gehen, nicht erlaubt, o! so komm, und laß uns mit einander lieber gleich wieder auf unsere Fußtapfen um und zurück kehren.

Hierauf sagte der Herr, der mich dahin gebracht hatte, zu mir: Fürchte dich nicht. Es kann uns niemand unsern Gang wehren. Es ist eine höhere Macht, die ihn befiehlt. Aber, hier erwarte mich wieder, und fasse dir ein Herz und sey guter Hoffnung. Ich lasse dich nicht in dieser Unterwelt.

So geht er fort, - und verläßt mich hier, - der liebreiche Vater! - und ich bleibe zweifelhaft zurück; - denn Ja und Nein stritten doch in meinem Gedanken. - Hören konnte ichs nicht, was er ihnen sagte. Aber lange blieb er da nicht bey ihnen stehen. Denn sie liefen alle, wie um die Wette, wieder hinein. Ja, sie, unsre Widersacher, schlossen meinem Herrn die Thoren vor seinem Angesichte zu, daß er draußen stehen blieb.

Mit ganz langsamen Schritten, mit zur Erde gekehrten Augen, und mit ganz niedergeshlagenen demüthigen Blicken kehrte er wieder zu mir zurück, und schien so für sich die Frage zu seufzen: Wer hat mir aber die traurigen Wohnungen versagt? - Und zu mir sagte er: Werde du nicht zaghaft, daß ich mich 62 entrüste. Denn ich setze es durch, es mag sich drinnen auch zur Wehre stellen, wer da nur will. Dieser ihr Uebermuth ist nichts Neues. Sie haben es schon bey einem andern, und weniger geheimen Thore auch so 020 gemacht. Dieses ist bis itzund noch unverschlossen. Es ist das, wo du über demselben die todtenfärbigen Worte sahest. Und schon von da fällt die bergigte Straße ab, und geht nach den Kreisen, die wir ohne Geleite durchwandert haben. Und also wird eine andre Macht die Thore zu diesem Kreise gewiß öffnen.

Neunter Gesang

Anmerkungen:

H019 Dieser war ein Vornehmer und Reicher von Adel, aber ein ehrgeiziger und zorniger Mensch, der die unmenschliche Gewohnheit hatte, über die geringsten Kleinigkeiten äuserst aufgebracht zu rasen, und in pöbelhaften Flüchen und Niederträchtigkeiten sich schändlich herauszulassen.

  -- -- -- Du, Basilisken Brut,
O Zorn! der Menschheit Schmach, was wehret deiner Wut?
Fleuch diesen Drachen, Mensch! der Ehr im Munde führet,
Und Reue, Henkerschwert, Verzweiflung oft gebieret.
Lichtwer.

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H020 Nach der Meynung einiger Ausleger, soll Lucifer mit seiner ganzen Höllenmacht sich hier an diesem Thore der siegreichen und triumphirenden Höllenfahrt Christi, wiewohl vergebens und zu ihrer ewigen Schande und Ueberwindung, vermessen widersetzt haben, weswegen es auch zum immerwährenden Andenken ewig unverschlossen bleibt.
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12.06.2006