Inhalt. |
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Die Dichter erblicken einen Engel, auf dessen Unterricht sie zwischen den Flammen hindurchgehen. Sie kommen zu den letzten Stufen. Auf solchen müssen sie übernachten. Hier schläft Dante ein, und hat einen Gesichtstraum. Bey Aufgange der Morgenröthe erwacht er, und steigt mit seinem Führer und dem Statius bis auf den Gipfel des Berges. Hier setzt ihn Virgil in Freyheit, so, daß er von nun an nach seinem eigenen Gefallen handeln kann. Schon blitzten die 181 ersten Strahlen der Sonne in jene Gegend, wo einst ihr Schöpfer das Blut der Erlösung vergoß. Schon stürzte sich also der Ebro unter der mitternächtlichen Höhe der Wage in sein Meer. Schon brausten daher die Fluthen im Ganges, entbrannt von neuer mittäglichen Hitze. So stand itzt die Sonne am Himmel. Also eilte sie itzt von uns mit ihrem Tage dahin. Und eben itzt war es, als uns der Engel Gottes mit frohem Angesichte erschien. Ausser den Flammen stand er auf dem Ufer. Mit einer englisch lebhaftern, als menschlichen Stimme, sang er: Selig sind die reines Herzens sind! Schon hatten wir uns ihm genähert, als er uns zurief: Weiter dürft 202 ihr, heilige Seelen, nicht gehen, ohne vorher dieses Feuer empfunden zu haben. Geht hinein. Und dann öffnet einer daselbst singenden Stimme eure Ohren. Allein auch wider mein Gewissen wich ich nicht von der Stelle. Als er mich so fest und so unbeweglich stehen sah, sagte er mit einer etwas unruhigen 203 Mine: So siehe dann, mein Sohn, dieß ist hier die Mauer, welche dich von der Beatrix noch scheidet. So wie einst 183 Pyramus, beym Namen seiner Thisbe, sein sterbendes Auge aufschlug, und sie ansah, einst, als die Frucht des Maulbeerbaums ihre weiße Farbe in eine blutige Röthe veränderte - eben so wandte ich mein Auge bey diesem Namen, der unaufhörlich in meinem Andenken quillt, nach meinem weisen Führer, und meine Härte ward biegsam erweichet. Daher schüttelte er anfänglich den Kopf und sagte: Wie? So wollen wir nun hier stehen bleiben? - Dann 204 lächelte er , wie man ein unfolgsames Kind anlächelt, das sich durch einen schönen Apfel gewinnen läßt. Und hierauf ließ er sich vor mir ins Feuer, und bat zugleich den Statius, der uns vorher lange, durch seinen Gang zwischen uns, getrennt hatte, uns itzt nachzufolgen. Kommet her ihr Gesegneten meines Vaters! Diese Worte ließe eine Stimme aus einem sich daselbst befindenden Lichte erschallen. Sein Schein war von einem so blendenden Glanze, daß mein Auge ihn nicht ertragen konnte. Schon entfernet sich die Sonne, fuhr die Stimme fort, schon nähert sich der Abend. Haltet euch nicht auf. Beschleunigt vielmehr euren Gang, so lange die Gegend des Abends sich noch nicht schwärzet. Der Weg gieng durch den Steinfelsen gerade gegen die Gegend hinauf, wo ich stets vor mir die Strahlen der bereits müden Sonne verdunkelte. Noch wenige Stufen hatten wir erstiegen, als meine Weisen und ich aus meinem erlöschenden Schatten den Untergang 205 der Sonne hinter uns verspürten. Allein ehe noch der Horizont in seinem ganzen unermeßlichen Umfange einfärbig schien, und die Nacht überall gleichförmig vertheilt ward, nahm ein jeder von uns eine Stufe zu seinem Ruhebette ein. Denn die Natur des Berges entzog uns mehr die Kraft, als die Lust, weiter aufzusteigen. So wie noch nicht gesättigte Ziegen vorher auf ihren Höhen flüchtig und muthig herumspringen, und dann während des brennenden Mittags im Schatten gelaßen und ruhig weiden, da, wo sie der auf seinen Stab gelehnte Hirte nicht aus seinen Augen und aus seiner wachenden Vorsorge läßt - Und wie ein Schäfer, der bei seiner ruhenden Heerde auf dem Felde übernachtet, und sie mit seinen wachsamen Blicken hütet, damit sie kein wildes Thier aufjage und zerstreue - eben so war es mit uns allen dreyen damals beschaffen, mit mir, gleich einem Thiere von jenen Heerden, mit ihnen, gleich jenem Hirten und Schäfer. Also lagen wir alle auf beiden Seiten eingehüllt in die Grotte des Felsens. Sehr wenig konnte uns daher von außen erscheinen. Allein so eingeschränkt auch unsre Aussicht war, so sah ich doch die Sterne wider ihre Gewohnheit weit heller und größer scheinen. In solchen Blicken nach denselben und in Betrachtungen darüber schloß der Schlaf meine Augen, der Schlaf, welcher oft eine Sache, ehe sie erfolgt, vorherverkündiget. Hier floh mein Schlaf. Mit ihm flohen die Finsternisse auf allen Seiten vor den tagenden Strahlen, welche Reisenden desto angenehmer hervorbrechen, je minder sie auf ihrer Rückreise von dem Orte ihres Aufenthalts noch entfernt sind. Itzt stand ich auf, sobald ich sah, daß meine großen Lehrer bereits aufgestanden waren. Anmerkungen: F181 Schon gieng die Sonne in Jerusalem auf. Schon war in Spanien Mitternacht. Schon brannte in Indien der Mittag. Also neigte sich die Sonne auf der Halbkugel des Fegfeuers zu ihrem Untergange. F182 S. den 17. Ges. des I. Ged. F183 Pyramus und Thisbe empfanden die zärtlichste Liebe. Aus Furcht vor ihren uneinigen Eltern, verabredeten sie einst eine Zusammenkunft außerhalb der Stadt Babylon unter einem Maulbeerbaume. Thisbe fand sich zu erst ein, mußte aber vor einem Löwen die Flucht nehmen und sich verbergen. Sie verlor ihren Schleyer, welchen der Löwe mit seinen noch vom Raube blutigen Zähnen zerriß und mit Blute befleckte. Bald darauf kam Pyramus. Er erblickte den blutigen Schleyer, hielt seine Geliebte für ermordet, und stieß sich, vor äuserster Betrübniß, sein Schwerdt in die Brust. Thisbe kam wieder. Welch ein Anblick! Schon rang ihr Geliebter mit dem Tode. Sie rief ihm zu. Antworte deiner Thisbe, schrie sie. Auf diesen Namen öffnete er noch einmal sein sterbendes Auge, that den letzten Blick nach ihr, und starb. Sein Tod war der ihrige. Sie tödtete sich mit eben demselben Schwerdte. Und die Maulbeere ward mit dem spritzenden Blute dieser beiden Liebenden gefärbt, und hernach dichterisch verwandelt. F184 Cytherea ist ein Beiname des Planeten, der himmlischen Venus, von der Insel Cythere, welche sie bewohnte, und wo sich ihr Tempel befand, in dem sie als eine Göttinn verehret wurde. F185 Ihr Verstand beschäftigt sich unabläßig mit Betrachtungen Gottes und der Wahrheit. Rahel ist ein Bild des anschauenden, und Lea ein Bild des thätigen Lebens.
F186 Das höchste Gut, das wahre Glück, ein weises Herz.
10.06.2006 |