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Dante unterhält sich unterweges mit dem Geiste des Forese. Dieser zeigt ihm einige Seelen der Schwelger. Dann enfernt er sich. Hierauf bemerkt der Dichter einen andern Baum, aus dessen Laube eine Stimme Beispiele der Schwelgerey hervortönte. Endlich werden die Dichter von einem Engel nach den Stufen hingeleitet, welche zum siebenten Kreise führen. Wir giengen nicht langsamer, weil wir redeten, und redeten nicht langsamer, weil wir giengen. Wir eilten vielmehr, gleich einem Schiffe, welches von gutem Winde fortgetrieben wird, während unsrer Unterredung, dahin. Sobald die Schatten mich als einen noch Lebendigen erkannten, arbeiteten sie, die zweymal gestorben zu seyn schienen, aus den Hölen ihrer Augen lange Blicke der Verwunderung über mich hervor. Ich setzte meine Rede fort, und sagte: Er, jener Schatten, steigt vermuthlich um des andern willen langsamer empor, als er sonst nicht thun würde. Allein sage mir, wenn du es weißt, wo Piccarda sich befindet. Sage mir dann auch, ob ich nicht einige merkwürdige Seelen unter diesem Volke hier vor mir sehe, welches mich so aufmerksam anschauet. Allein wie ein Mensch, bey Betrachtung verschiedener Sachen, die eine vorzüglich vor der andern zu schätzen pflegt, so gab ich gegenwärtig dem Bonagiunta von Lucca vor allen übrigen Schatten den Vorzug. Denn auch er schien ein vorzügliches Vergnügen über mich zu empfinden. Unvermuthet erhob er itzt eine unverständliche Stimme. Mich dünkte, als hörte ich den Namen Gentucca 167 da aus seinem Munde gebrochen hervortönen, wo er die heiße Marter der Gerechtigkeit empfand, welche ihn so allmählig abzehret. O! Seele, rief ich daher, die dort so begierig scheint, mit mir zu reden, o! laß dich verständlich hören! Eile, befriedige uns alle beide, und rede! Schon ist die edle Schöne gebohren, fieng er nun an, und noch geht sie frey, ohne Schleyer, sie, welche dir meine Geburtsstadt, so sehr man auch wider dieselbe eifert, angenehm machen wird. Nach dieser Vorherverkündigung wirst du also dahin gehen. Und der Erfolg wird dir aufklären, ob du jene Töne meiner unverständlichen Stimme unrecht verstanden habest. Allein 180 sage mir itzt, ob ich den hier vor mir sehe, der jene neuen Gedichte der Welt mitgetheilt hat, von denen eines sich also anfängt: Auf, edle Schönen, ihr Kennerinnen edler Liebe! Ich folge, antwortete ich ihm, in dichterischen Arbeiten blos der Natur. Nur dann, wann Zephyre sanfter Liebe wehen, führe ich die Feder, und schreibe nach innern Empfindungen. So wie die Vögel, welche in den Gegenden des Nils überwintern, bald in dichten Schaaren, bald eilfertiger in langen und ausgedehnten Reihen daherfliegen - eben so sah ich itzt das ganze Volk, welches sich hier befand, von plötzlicher Eil ergriffen, ihre Gesichter hinwegwenden und ihre Schritte verdoppeln, sie, diese Schatten, welche ihre Magerkeit und ihre Begierde schon leicht und flüchtig gnug machten. Und wie ein Mensch, müde vom Laufen, seine Gesellschaft dahineilen läßt, und im Schritte einhergeht, bis das heftige 181 Athmen seiner Brust sich allmählig wieder verliert - eben so ließ itzt Forese die heilige Heerde dieser Schatten vorübereilen, und blieb bey mir zurück. O! wann werde ich dich wiedersehen! Also sagte er zu mir, indem wir mit einander fortgiengen. Ich weis nicht, antwortete ich ihm, wie lange mein Leben noch dauert. Allein so geschwind wird meine Seele das zweyte Mal zu diesem Berge nicht wiederkommen, daß sie ihr voreilendes Verlangen hieher nicht schon an dem Ufer desselben stets antreffen sollte. Denn der Ort, wo ich zu leben gebohren ward, wird jeden Tag an wahrer Güte immer schwächer, und hat das völlige Ansehen, durch den traurigsten Fall einzustürzen. So wie zuweilen bey einem Gefechte aus einer ganzen Schaar Ritter einer von ihnen plötzlich in vollem Jagen dahin sprengt, um sich durch den ersten Angriff einen Namen zu machen - eben so, und in noch weit schnellern Schritten entfernte sich itzt Forese aus unsrer Gesellschaft. Also blieb und gieng ich nun wieder mit den beiden Weisen, welche einst der Welt als Dichter erster Größe leuchteten. Schon hatte er sich nunmehr so weit vor uns hin entfernet, daß meine Augen ihn so scharf nachblicken mußten, als mein Verstand seinen Reden nachzudenken genöthigt war. Allein plötzlich zeigten sich meinen Augen von Früchten schwanke und lebhaft grünende Aeste eines andern Baums, nicht weit entfernt, in der Gegend, nach welcher ich eben damals hingerichtet stand. Unter diesem Baume sah ich ein ganzes Volk Seelen. Mit aufgehabenen Händen erhoben sie, ich weis nicht was für ein Geschrey, gegen die Zweige empor. Sie äuserten eine Lüsternheit, gleich Kindern, die, getrieben von vergebenen Begierden, um etwas bitten, und das Gebetene nicht erlangen. Allein um ihre Begierde recht heftig und empfindlich zu machen, ist der Gegenstand ihrer Sehnsucht hoch aufgestellt, und zeigt sich daselbst unverborgen und frey. Daher entfernten sie sich alle, wie aufs neue von ihrer Hoffnung verlassen, wieder dahin. Also giengen wir auf der einen von den beiden äusersten Seiten des Kreises hindurch, und hörten die Verschuldungen der Schwelgerey, welche ehedem unglückselige Vortheile veranlaßten. Dann nahmen wir unsern geräumigen Weg wieder auf der bloßen Straße, und setzten denselben, ein jeder in Betrachtungen und ohne ein Wort zu reden, wohl über tausend Schritte also fort. Warum geht ihr Drey allein so in Gedanken? Also rief plötzlich eine Stimme, daher ich, gleich schüchternen Thieren, wann sie vor etwas erschrecken, vor Entsetzen ganz zusammenfuhr. Nun richtete ich den Kopf in die Höhe, um zu sehen, wer es wäre. Und nie hat man wohl in der Welt Glas oder Metall so leuchtend und feuerroth in einem Brennofen gesehen, als ich ein Wesen vor mir sah, welches sagte: Wenn ihr Vergnügen findet, diese Höhen zu ersteigen, so müßt ihr euch hieher wenden. Hier geht man fort, wenn 185 man nach den Wohnungen des Friedens gehen will. - Sein Anblick hatte mir das Gesicht ganz geblendet. Daher wandte ich mich, hinter meinen Lehrern, wieder um, und gieng, gleich einem Menschen, der blos nach dem Schalle der Worte einhergeht. So wie die muntern Herolde der Morgenröthe, die frühen Lüfte des Mays, erfüllt mit balsamischen Gerüchen unzähliger Kräuter und Blumen, daherwehen und ihre Süßigkeiten verbreiten - eben so bewegte sich itzt ein sanfter Wind an die Hälfte meiner Stirne dahin, und flatterte meiner Empfindung Lüfte, voll der anmuthigsten Gerüche, und die süßen Worte entgegen: O! selige Seelen, welche das Licht der Gnaden erleuchtet! Selig sind sie, daß die Reizungen des sinnlichen Geschmacks kein rauchendes Verlangen in ihrer Brust entzünden! O! selig sind alle, welche stets wahren Hunger, Hunger nach Gerechtigkeit fühlen! Anmerkungen: F165 Ein Dichter und Freund des Dante. F166Martin, der Vierte, ein corpulenter Pabst, aß gerne in Wein gesottne Aale aus dem See bey Bolsena, ward zu fett und starb. F167Gentucca, ein junges adeliches Fräulein, deren besondre Schönheit und Tugend dem Dante eine edle Liebe zu ihr einflößte. Sie war aus Lucca, wider deren Einwohner, als vorzüglich betrügerische Menschen, Dante eifrig aufgebracht war. F168 Jacob von Lentino, welcher der Notar gennet wurde, weil er in der Notariatswissenschaft eine vorzügliche Stärke besaß. Er war, wie Guitttone, damals ein guter Dichter. F169 Dieser war Corso Donati, ein mächtiges Oberhaupt der Welfen oder der Schwarzen in Florenz. Einst mußte er vor der Wut des ihn verfolgenden Volks die Flucht nehmen. Er floh zu Pferde, stürzte, blieb in den Steigbügeln hängen, und ward auf solche Art geschleift und getödtet. Von den Israeliten s. das 7. Kap. des B. der Richter. 10.06.2006 |