Inhalt. |
Die Dichter gehen aus dem Rauche hervor. Dante sieht in einer Begeisterung einige Beispiele des Zorns. Dann gehen sie, auf den Unterricht eines Engels, zu den Stufen des vierten Kreises. Ganz oben auf demselben angelangt, halten sie, wegen hereinbrechender Nacht, daselbst an. Indessen sagt Virgil dem Dante, daß die Seelen sich von der sittlichen Trägheit hier reinigen, und lehret ihn, daß von der Liebe alle gute und böse Handlungen ihren Ursprung haben. Sollte dich, mein Leser, irgend einmal auf den Alpen ein Nebel überfallen haben, so erinnere dich, wie man durch solchen nicht anders sieht, als Maulwürfe durch ihre düstern Augen zu sehen vermögend sind. Allein vorzüglich erinnere dich, wie schwach die scheinende Sphäre der Sonne bey Auflösung der feuchten und dicken Dünste durch sie hindurchdringe. Dieß wird dir gegenwärtig deine Vorstellung und Einsicht erleichtern, wie ich dort die Sonne, noch ehe sie völlig untergieng, wiedersah. Also gieng ich, den sichern Schritten meines Lehrers gleichförmig, im Angesichte der in den niedern Gefilden bereits erstorbenen Sonnenstrahlen, aus der Wolke jenes Rauchs hervor. O! Einbildungskraft, wie entreißest du zuweilen den Menschen aller äuserlichen Empfindung, daß er auch nicht das Mindeste außer sich spüret, wenn 125 gleich der Schall von mehr, als tausend Trompeten um ihn herumtönet. Allein wer ist es, der dich bewegt, wenn die Sinne dich nicht beschäftigen? Ein Licht ist es, das in dem Himmel erzeugt wird. Dieses setzt dich entweder unmittelbar, oder auf den Willen eines Engels, der es unten bemerkt, in Bewegung. So wie der Schlaf sich auflöset, wann plötzlich ein ungewöhnliches Licht die geschlossenen Augen durchstrahlet, daher er, so getrennet, sich noch besonders sträubet, ehe er völlig dahinstirbt, - eben so zerfielen die Schatten meiner Einbildung herab, sobald ein weit stärkeres, als Menschen gewöhnliches Licht mir in die Augen drang. Ich wandte mich, um zu sehen, wo ich mich befände, als eine Stimme rief: Hier steigt man empor. Dieser Ruf entfernte alle andere Gedanken in mir, und machte mein Verlangen, diesen Redenden zu schauen, zu einer eilfertigen, zu einer solchen Begierde, welche nicht ruhet, bis sie ihren Gegenstand findet. Allein, gleich der Empfindung beym Anblicke der Sonne, die unser Gesicht verletzt, und mit ihrem zu häufigen Glanze ihre Gestalt verhüllet, empfanden meine Augen auch hier die Unzulänglichkeit ihrer Kräfte. So wandten wir uns hierauf, und giengen alle beide nach den Auftritten einer Anhöhe zu. Sobald ich mich auf der ersten Stufe befand, spürte ich nahe bey mir wie einen Flügel sich bewegen, der meinem Angesichte Luft, und meinen Ohren die Worte zuwehete: Selig sind die Friedfertigen, entsündigt vom Zorne der Bosheit! Schon schossen nun die letzten Strahlen der Sonne, welche die Nacht zu ihrem Gefolge haben, so erhaben über uns die Höhe hindurch, daß die Sterne auf verschiedenen Seiten bereits zum Vorschein kamen. O! warum entfliehen mir, sagte ich bey mir selbst, itzt meine Kräfte so plötzlich? Denn ich fühlte es, daß meine Füße mit ihrer Bewegung Stillstand gemacht hatten. Da, wo keine Stufe mehr in die Höhe geht, hier standen wir, wie angeheftet, und, gleich einem angelandeten Schiffe, ganz unbeweglich. Aufmerksam, ob ich vielleicht in diesem neuen Kreise etwas hören könnte, wartete ich anfänglich ein wenig. Dann wandte ich 128 mich zu meinem Lehrer und sagte: Mein gütiger Vater, unterrichte mich, von was für Vergehungen die Seelen sich in dem Kreise reinigt, in welchem wir uns hier befinden. Und hören die Füße gleich auf, zu gehen, o! so höre dein Mund nicht auf, zu reden! In diesem Bezirke, antwortete er mir, muß alle Versäumniß in Ausübung der pflichtmäßigen Liebe zum Guten ersetzt werden. Hier muß das übel vernachlässigte Ruder wiederersetzlich bearbeitet werden. Allein damit du solches noch deutlicher einsehen mögest, so wende dich mit deinem Geiste zu mir, und so wirst du aus unserm Verweilen einen heilsamen Nutzen schöpfen. Es giebt Menschen, welche durch Unterdrückung ihres Nebenmenschen Vorzüge und Hoheit zu erlangen hoffen. Und blos deswegen wünschen sie, daß er von seiner rühmlichen Höhe in eine unglückliche Tiefe herabgestürzt werde. Es giebt Menschen, welche befürchten, Macht, Gunst, Ehre und den Ruf ihres Ansehens zu verlieren, weil ein andrer neben ihnen emporsteigt. Daher härmen sie sich so misgünstig, daß sie ihm das Gegentheil ihres Glücks wünschen. Es giebt endlich Menschen, welche durch Unrecht und Beleidigung so beschimpft zu seyn glauben, daß sie sich von der Rachbegierde gänzlich einnehmen lassen. Und solche müssen das Unglück ihres Nächsten vorzüglich lieben. 130 Diese dreyfache 121 Liebe zum Bösen wird also hier unter uns beweinet. Nun aber sollst du die Beschaffenheit der andern Liebe vernehmen, welche, fehlend in der gehörigen Ordnung, den Gütern nacheilet.
Anmerkungen: F117 S. die 75ste Anmerk. dieses Ged. F118 S. das 7te Kap. des B. Esther. F119 Amata, die Gemahlinn des Königs Latinus, und die Mutter der Lavinia. Diese Prinzessin ward dem Aeneas von ihrem Vater zur Gemahlinn gegeben, wiewohl sie vor dessen Ankunft schon einem Vetter der Amata, dem Könige Turnus, versprochen war, welche also durchaus in die Vermählung ihrer Tochter mit dem Aeneas nicht willigen wollte. Daher kündigte Turnus dem Aeneas den Krieg an. Amata ward äusert darüber entrüstet, und befürchtete den Tod ihres Vetters und den Verlust ihrer Prinzessin so sehr, daß sie sich selbst das Leben raubte. F120 Gott liebt sich. Dieß ist ein Beispiel der natürlichen Liebe. Ein Mensch liebt einen andern. Dieß ist ein Beispiel der freyen Liebe. F121 Stolz, Neid und Zorn. F122 Diese drey Arten sind der Geiz, die Schwelgerey und die Unzucht. |